Zu wenig Kinderärzte auf dem Land

Stellen Sie sich vor, ihr Kind ist krank und Sie erreichen einfach keinen Kinderarzt. Das kommt in Rheinland-Pfalz gar nicht mal so selten vor. Gerade im ländlichen Raum sind Kinderärzte Mangelware. Für die Eltern heißt das: Stress und weite Wege.

Familie Süß aus Illerich ist heute mit der kleinen Aliena beim Kinderarzt. 30 Kilometer Anfahrtsweg mussten sie dafür in Kauf nehmen. Eine weite Strecke für ein vier Wochen altes Baby. Doch die Familie ist froh, überhaupt einen Kinderarzt gefunden zu haben. Denn in ihrem Landkreis Cochem-Zell gibt es insgesamt nur zwei Kinderärzte.
Michele Süß:
„Wir haben das Glück, dass wir zwei gesunde Kinder haben, die jetzt nur auf die Us angewiesen sind bei den Kinderärzten, bis jetzt. Für Kinder, die krank sind, weiß ich nicht. Ich find’s furchtbar.“
Ihr Kinderarzt Reinhold Jansen hat seine Praxis in Daun im Kreis Vulkaneifel. Zu ihm kommen Familien mit teilweise noch viel weiteren Anfahrtswegen.
Sarah Jax
„Es ist schon katastrophal, also wir sind froh, dass wir heute den Termin bekommen haben, weil er schon krank ist.“
Julia Bell
„Wenn man dann eineinhalb Stunden unterwegs ist für eine Impfung, die zwei Minuten dauert oder für eine Untersuchung, die eine Viertelstunde dauert, das ist einfach ein unglaublicher Gewaltakt mit einem Säugling.“
Jansen behandelt rund dreimal so viele Patienten wie eigentlich vorgesehen. In der Region fehlen insgesamt fünf Kinderarztpraxen. Denn eine eigene Praxis rechnet sich finanziell nicht mehr.
Reinhold Jansen, Kinderarzt aus Daun
„Die gesetzlichen Krankenkassen verfahren nach dem Motto ‚wirtschaftlich, notwendig, zweckmäßig und angemessen‘ und damit können Sie kein Kind erziehen, damit können Sie kein Kind ausbilden, damit können Sie auch die Kindergesundheit nicht bewerkstelligen.“
Pro Behandlung bekommt Jansen einen pauschalen Betrag – doch der reiche hinten und vorne nicht. Gestiegene Miet-, Personal- und Energiekosten kämen zum ohnehin schon riskanten Schritt in die Selbstständigkeit noch hinzu.
Reinhold Jansen, Kinderarzt aus Daun
„Dadurch will natürlich auch niemand in die eigene Niederlassung. Investitionen, die zum Anfang gemacht werden, kann man am Ende nicht mehr amortisieren, weil der Verkauf nicht funktioniert und aus dem laufenden Betrieb kann man das nicht refinanzieren, das heißt letztendlich ist es ein reines Zusatzgeschäft und deswegen macht das keiner mehr in eigener Verantwortung, weil das wirtschaftliche Risiko sehr groß ist.“
Mittlerweile ist Jansen 73 – wegen seines Alters wird er die Praxis bald schließen müssen. Für die Eltern in der Umgebung eine Hiobsbotschaft. Stefanie Adams zweijährige Tochter ist Patientin bei Herrn Jansen. Sie leben in der Gemeinde Kaisersesch. Wenn Jansen schließt, muss sie mit ihrer Tochter rund 50 Minuten bis zum nächsten Kinderarzt nach Zell fahren – pro Strecke.
Stephanie Adams
„Die Situation hier im Kreis Cochem-Zell ist dramatisch. Ich spreche inzwischen auch von Kindeswohlgefährdung, weil das sind einfach Wegstrecken, die man nicht zurücklegen kann mit einem Kleinkind.“
Sie hat eine Petition gestartet unter dem Titel „Wir brauchen Kinderärzte“. Rund 25.000 ebenfalls verzweifelte Eltern haben unterschrieben. Beim rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium ist das Problem bekannt. Doch die Möglichkeiten von Seiten des Landes seien begrenzt.
Clemens Hoch (SPD), Gesundheitsminister Rheinland-Pfalz
„Es ist ein freier Beruf und die Sicherstellung der Versorgung obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung und nicht dem Land. Aber wir haben häufig auch die Diskussion, dass Menschen sagen: ‚“ir wollen Kinderarzt oder Kinderärztin im ländlichen Raum werden, aber dafür brauchen wir quasi einen extra Zugang zum Medizinstudium‘ und den wollen wir als erstes Bundesland in Deutschland überhaupt ermöglichen.“
Demnach sollen 3 % der Medizinstudienplätze für Studenten reserviert werden, die später einmal als Kinderarzt arbeiten wollen. Die freien Stellen auf dem Land letztendlich zu besetzen, sei Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung.
Wir fragen nach. Schriftlich verweist sie auf ein großes Maßnahmenpaket, zum Beispiel finanzielle Förderung für die Übernahme einer Praxis in den Mangelregionen.
Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz
„Aktuell absolvieren 47 Ärztinnen und Ärzte ihre Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin in Rheinland-Pfalz. Alle Bestrebungen müssen nun dahin gehen, dass die Ärztinnen und Ärzte nach Abschluss ihrer Weiterbildung in Rheinland-Pfalz bleiben.“
Die Verantwortung sieht sie hier bei der Politik. Reinhold Jansen sieht die Ursache der Krise in einem kaputt gesparten System. Der Dauner Kinderarzt und Stefanie Adams sind sich einig: Die Finanzierung muss komplett neu gedacht werden. Denn sonst sehen sie für die Zukunft schwarz.