Zu Gast im Studio: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer

Markus Appelmann im Gespräch mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer über die Pisa-Studie, die Schuldenbremse und ihre Wünsche für 2024

Markus Appelmann:
Guten Abend zu 17:30 Sat1 live. Die Zeit zwischen den Jahren nutzen wir, um auf das Jahr zurückzublicken und nach vorne zu schauen. Traditionell laden wir dazu die Ministerpräsidenten ein, heute die rheinland-pfälzische Landeschefin Malu Dreyer bei mir im Studio. Einen schönen guten Abend.
Malu Dreyer:
Guten Abend, Herr Appelmann.
Markus Appelmann:
Frau Dreyer, wir möchten einmal auf eine große Reise schauen, die Sie mit einer Delegation in diesem Jahr unternommen haben, und zwar nach Japan. Dort haben Sie die Partner Region Iwate besucht. Es ging aber auch um Wirtschaftskontakte und es ging um das große Thema Künstliche Intelligenz. Was hat Ihnen an dieser Reise gefallen? Die fremde Kultur, die so anders ist als unsere, das Know how in Sachen künstliche Intelligenz oder dass man weit weg war von den heimischen Problemen.
Malu Dreyer:
Es sind natürlich immer ganz unterschiedliche Aspekte, die bei solchen Reisen einem besonders in Erinnerung bleiben oder besonders auch prägen. Und das ist ganz sicherlich das Thema ganz andere Kultur. Ich bin zum Ersten Mal in Japan gewesen und es hat mich schon sehr beeindruckt, wie achtsam die Menschen da miteinander umgehen. Das fand ich sehr beeindruckend. Aber natürlich ging es auch um sehr, sehr wichtige Themen. Und das ist die KI, die künstliche Intelligenz. Professor Dengler von unserem Deutschen Institut für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern war ja mit dabei. Wir haben uns da wichtige Dinge angeschaut und natürlich auch das Thema Katastrophenschutz. Auch da sind wir hingereist, um zu lernen in beiden Bereichen und um Kooperationen weiter zu verstärken.
Markus Appelmann:
Sie haben das Thema Katastrophenschutz gerade eben schon angesprochen, denn spätestens als Sie zu Hause waren, haben Sie die heimischen Probleme wieder eingeholt. Wiederaufbau an der AH, aber die vielen Krisen auch, die wir haben. Wir blicken Frau Dreyer jetzt gemeinsam auf die Halbzeitbilanz der Ampel Regierung in Rheinland Pfalz und ziehen ein Fazit.
Rheinland-Pfalz gilt als liebenswertes Bundesland: Menschen reisen gerne dorthin; der Tourismus zieht an, bis Ende Oktober haben in diesem Jahr rund 7,6 Millionen das Bundesland besucht.
Und wo gerne gelebt wird, da kann offensichtlich auch gut gearbeitet werden.
Die Arbeitslosenquote ist die drittniedrigste im Vergleich aller Bundesländer, der Beschäftigungsgrad ist auf hohem Niveau und der Wert der Exporte erreichte 2022 einen neuen Höchststand.
Und es gibt sogar ausländische Global Player, die sich am Biotech-Standort Rheinland-Pfalz niederlassen – wie zuletzt der amerikanische Pharmakonzern Eli-Lilly in Alzey, der dort 2,3 Milliarden Euro investiert. Und zwar ganz ohne staatliche Subventionen.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz am 17.11.2023
„Das ist wirklich eine ganz tolle Entscheidung für den Pharma-Standort Rheinland-Pfalz, Deutschland.“
Also alles in Butter? Keineswegs.
Das Wirtschaftswachstum war im ersten Halbjahr dieses Jahres das schwächste unter allen Bundesländern. Und auch im Bildungswesen vermag Rheinland-Pfalz nicht nur zu glänzen: Zwar sind mehr Lehrer als je zuvor an den Schulen tätig. Doch deswegen machte die Pisa-Krise keinen Umweg um Rheinland-Pfalz.
Und die Zahl jener, die ohne Abschluss die Schule verlassen, liegt mit 7,4 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Menschen, die für eine gute Zukunft des Landes schlichtweg fehlen werden.
Markus Appelmann:
Rheinland Pfalz ist ein Bildungsland, haben sie auf der Pressekonferenz zur Halbzeitbilanz auch gesagt. Und danach kam die Pisastudie. Deutsche Schüler schnitten so schlecht ab wie noch nie zuvor. Gibt es für Sie noch ein Argument, warum das Bildungssystem föderal organisiert ist, also von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich?
Malu Dreyer:
Na ja, meines Erachtens hat das nichts mit dem Föderalismus zu tun. Denn wenn man sich vorstellt, es gibt eine einzige große zentrale Schulbehörde, dann weiß ich nicht ganz genau, ob alles besser funktionieren würde. Die Länder haben es ja alle auf den Weg gebracht. Die Pisastudie ist natürlich wirklich sehr ernst zu nehmen und es ist eine schlechte Nachricht gewesen. Aber tatsächlich hatten ja alle Bildungspolitiker und Politikerinnen schon seit einigen Jahren, hatten immer wieder Zwischenstände und ganz hart daran gearbeitet, dass wir wirklich auch aufholen in den Bereichen, wo wir aufholen müssen. Unsere Ministerin beispielsweise hat ja gerade, was die Grundkompetenzen Rechnen, Schreiben, Lesen betrifft, ganz neue Schwerpunkte gesetzt. Schon vor zwei Jahren. Das Fach Deutsch haben wir um eine Stunde erhöht. Wir haben unterschiedliche Unterstützungsangebote für unsere Kinder und wir sind auch davon überzeugt, dass das perspektivisch auch fruchtet.
Markus Appelmann:
Was kann man in dieser Pisastudie noch nicht herauslesen? Nennen Sie mal zwei ganz konkrete Geschichten, die momentan laufen, damit die nächste Pisastudie besser abschneidet.
Malu Dreyer:
Beispielsweise. Es gibt einen Neun Punkte Plan unserer Bildungsministerin und ein wesentlicher Kern ist tatsächlich, dass die Grundkompetenzen gestärkt werden, dass es Schreiben, Rechnen, Lesen. Wir haben den Deutschunterricht erhöht, das halte ich für ganz wesentlich. Und natürlich in der Pisastudie konnte das noch gar keine Früchte zeigen. Schlicht und ergreifend, weil wir ja auch begonnen haben erst damit. Und deshalb glaube ich sehr wohl, dass wir damit erfolgreich sein werden. Wichtig finde ich auch, dass sich Schulen neu aufstellen in unserem Land. Mit der Schule, der Zukunft, wo einfach auch arbeiten, lernen, lehren sich verändert, auch der heutigen Zeit stärker angepasst. Auch da glaube ich, ist die individuelle Förderung noch stärker betont, sodass alle Kinder, egal wo man sie auch abholen muss, besser werden. Und der dritte Punkt: Das ist die Intensivierung des Sprachunterrichts. Auch das wird sehr maßgeblich dazu beitragen, dass die Leistungen in den Schulen mit Sicherheit perspektivisch auch wieder besser werden.
Markus Appelmann:
Wir haben die Erfolge in Sachen Biotechnologie gerade eben gesehen. Da kommt ein großer Pharmariese nach Rheinland-Pfalz ohne staatliche Subvention. Was ist da Ihre Vision? Wie möchten Sie Rheinland Pfalz zum führenden Biotechnologie Standort machen?
Malu Dreyer:
Ja, das ist mir persönlich ein ganz großes Herzensanliegen, weil die Geschichte der Biotechnologie ist eine wunderbare in Rheinland-Pfalz. Wir haben ganz starke traditionelle Player, aber eben auch tolle neue Unternehmen, wie beispielsweise Biontech, aber auch kleinere. Und wir haben sehr viel investiert in die Wissenschaft. In dieser Legislatur sind es 800 Millionen, um neue Schwerpunkte zu setzen. Wir haben die Biotechnologie stärker verzahnt, auch mit der künstlichen Intelligenz. Und wir investieren tatsächlich auch in die Infrastruktur. Das heißt, wir bauen Labore, wir bauen einen neuen Technologiepark. Das ist sehr wesentlich gemeinsam mit der Stadt, damit sich eben auch Neugründungen in unserem Land ansiedeln. Und Lilly ist natürlich ein absolutes Aushängeschild jetzt für uns, denn es komplettiert eigentlich die Landschaft, in der wir sehr, sehr stark sind. Und die Begründung von Lilly war eben auch, dass wir gesagt haben, wir haben einen so agilen Bereich in der Biotechnologie. Forschung und Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten sehr eng miteinander und wir unterstützen stak als  Politik, dass es ein fruchtbares Feld ist, sich weiterzuentwickeln und das ist die Zukunft. Vielleicht noch eins: Es wird wichtig sein für die wichtigsten Volkskrankheiten, die die Menschen bekümmern. Da hat die Biotechnologie eine große Zukunft, zum Beispiel Krebs. Und es sind wertvolle Arbeitsplätze für die Zukunft.
Markus Appelmann:
Sie sprechen gerade Krebs an und haben auch Biontech angesprochen, die ja bis 2030 einen Krebs Impfstoff auf den Markt bringen wollen. Aber sie haben auch verkündet, dass die Forschung nach und nach in Richtung Großbritannien abwandern wird, weil da die Rahmenbedingungen einfacher sind. Da sind nicht so viele Hürden. Ärgert Sie das, dass Sie da Montag in Sachen Forschung nicht in Rheinland Pfalz halten können?
Malu Dreyer:
Also Biontech ist nach wie vor in Rheinland Pfalz und sie forschen hier sehr stark und mit dran. Das ist ja diese gemeinsame Einrichtung, die wir haben im Land mit dem Schwerpunkt eigentlich der größten Anteil durch das Land. Dort werden jetzt sehr, sehr viele Labors ein neuer Forschungsreaktor gebaut. Also das ist man kann wirklich nicht davon reden, dass Biontech mit seiner Forschung hier weggeht. Ganz und gar nicht. Aber es ist ein global agierendes Unternehmen und ist auch in England aktiv. Und wir haben uns vorgestellt und vorgenommen, dass wir unterstützt in Deutschland, dass der Pharmastandort, der Forschungsstandort attraktiver werden. Das neue Gesetz, was jetzt gerade auf dem Weg ist, damit Gesundheitsdaten besser genutzt werden können für klinische Forschung, das ist etwas, was ich auch bei uns sehr, sehr stark wünsche. Und wir hoffen, dass wir dann weiter erfolgreich mitwirken können, dass sich die Rahmenbedingungen in Deutschland verbessern.
Markus Appelmann:
In den Jahresendsendungen sprechen wir auch immer über die Lage der Partei, bei der SPD. Derzeit sieht es düster aus. Darüber sprechen wir gleich weiter mit ihnen. Denn schlechter als die SPD stand noch keine große Regierungspartei da. Schlechter als Olaf Scholz stand noch nie ein Bundeskanzler da.
Zuletzt gelang es der SPD endlich mal wieder, sich richtig gut zu fühlen. Die Genossen hatten ihren Parteitag in Berlin und konnten sich doch ungestört ihrer Lieblingsbeschäftigung widmen: Der Verteidigung des Sozialstaates, der in den Augen der SPD offenbar stets kurz vor dem Kollaps zu stehen scheint. Dabei hat das deutsche Sozialbudget insgesamt längst die 1-Billion-Eurogrenze geknackt.
Draußen im Lande wenden sich die Menschen mittlerweile in Scharen ab von der Kanzlerpartei: Olaf Scholz hatte einst allen, die es wollten, Führung versprochen – allerdings liefert er sie nicht. Seine Genossen fallen von einem Umfragetief ins nächste: Auf gerade mal 15 Prozent Zuspruch kommt die SPD im Bund noch.
Dagegen scheinen die Probleme bei der erfolgsverwöhnten rheinland-pfälzischen SPD bislang noch überschaubar  – und doch: es gibt sie, wie der Parteitag im November zeigt. Dass der alte Parteivorsitzende Roger Lewentz auch wieder der neue ist – dies wurde nicht durchgängig als Aufbruchssignal empfunden.
Als dann noch die Delegierten den von der Parteispitze favorisierten Daniel Stich als Spitzenmann für die Europawahl durchfallen ließen: Da lag für rheinland-pfälzische SPD-Verhältnisse fast schon ein Hauch von Putsch in der Luft. Die Zeiten werden also auch für Malu Dreyers SPD rauer – und aktuell stecken die Genossen auch in Rheinland-Pfalz in einem Umfragetief.
Markus Appelmann:
Ja Frau Dreyer, ihr Vertrauter Roger Lewentz ist noch mal zum SPD Parteivorsitzenden gewählt worden. Und dann lag da ein Hauch von Putsch in der Luft. Haben wir gerade eben gehört. Das war doch eine Schlappe für die Parteispitze, oder?
Malu Dreyer:
Na ja, das war wirklich nicht schön. Vor allem für den Kandidaten. Aber wir haben ja natürlich im Landesvorstand auch ein klares Votum abgegeben für Daniel Stich. Es hat sich aber ein anderer Kandidat, der jetzt auch Europaabgeordneter ist, durchgesetzt. Das muss man und kann man nur akzeptieren. Wir haben natürlich auch eine innerparteiliche Demokratie und es ist anders gelaufen, wie wir es uns vorgestellt haben. Und das kann man nur akzeptieren.
Markus Appelmann:
Roger Lewentz war nach dem Parteitag bei uns im Studio und war in dieser Sache auch ganz ehrlich Wir lassen ihn mal zu Wort kommen.
Roger Lewentz (SPD), Parteivorsitzender Rheinland-Pfalz am 6.11.2023
„Das ist manchmal so, wenn man eine ganze Reihe Entscheidungen an einem Tag zu treffen hat, dass man irgendwann sagt: Jetzt reicht es mal. Empfehlungen von oben, Empfehlungen von oben, Empfehlungen von oben – das will ich jetzt nicht. Das mag auch dabei sein. Aber das muss man einfach nehmen, das ist Demokratie in der Partei.
Markus Appelmann:
Emanzipiert sich da gerade die SPD Rheinland Pfalz?
Malu Dreyer:
Nein, also die SPD Rheinland-Pfalz wird immer so dargestellt, als gäbe es keine innerparteiliche Demokratie, was natürlich vollkommener Quatsch ist. Auch bei uns gibt es Debatten, es gibt Diskussionen und manchmal ist es einfach so, dass die Partei ein anderes Votum trifft, als wir uns das vorstellen. Das war übrigens nicht das allererste Mal. Wir haben auch eine sehr bekannte Fraktionsvorsitzende, beispielsweise, die hat sich auch einmal bei einem Parteitag entgegen der Vorstellung des Vorstandes durchgesetzt und hat sich dann ihren Platz erkämpft und ist dann in den Bundestag eingezogen. Also es ist immer wieder mal so der Fall und eigentlich spricht es auch für die Partei.
Markus Appelmann:
Wir haben diese Frage gerade eben auch gestellt, weil wir wissen wollen, wie so ein Übergang ablaufen kann. Wenn Sie abtreten, ist es wie das Weihnachtslied „Alle Jahre wieder“. Diese Dauerbrenner-Frage muss auch bei uns kommen nach Ihrer politischen Zukunft. Es gibt ja drei Namen, die da als mögliche Nachfolger genannt werden. Das ist Alexander Schweitzer, der Arbeits- und Sozialminister im Land. Das ist Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die SPD-Fraktionsvorsitzende im rheinland-pfälzischen Landtag, die ja gerade auch in den Bundesvorstand der SPD gewählt wurde. Und das ist Innenminister Michael Ebling. Wollen Sie dazu heute etwas konkreter werden in der Sendung oder nicht?
Malu Dreyer:
Auf gar keinen Fall. Ich bin bis 2026 gewählt. Das will ich jetzt hier einfach auch noch mal sagen. Ich bin auch kein bisschen amtsmüde. Wir haben auch noch sehr, sehr viel vor. Und die SPD? Normalerweise nominiert sie ja ihren Spitzenkandidaten im Herbst vor der Landtagswahl. Das heißt es ist wirklich auch noch lange hin. Wir müssen diese Frage heute gar nicht stellen, nicht entscheiden.
Markus Appelmann:
Mir war relativ klar, dass Sie das so ungefähr beantworten würden, wenn Sie uns jetzt auch nichts sagen. Wie haben Sie aber für sich schon entschieden, wie so ein Übergang aussehen könnte? Haben Sie für sich schon entschieden, wie der mögliche Nachfolger heißen könnte?
Malu Dreyer:
Also zum einen bin ich nicht diejenige, die das dann entscheidet, sondern die Partei wird das natürlich entscheiden. Aber es ist vollkommen klar, dass diese Frage für mich jetzt keine aktuelle Frage ist. Wenn der Zeitpunkt kommt und ich auch die Entscheidung treffen muss, trete ich noch mal an 26 oder nicht? Dann ist klar, mache ich mir auch Gedanken darüber, wie kann ich gemeinsam mit der Partei dann auch diese Wege beschreiben?
Markus Appelmann:
Da setzen wir einen Punkt und kommen zu den Umfragen. Die sind derzeit bei der SPD so schlecht, weil die Menschen unzufrieden sind mit der Politik, zum Beispiel unzufrieden mit der Migrationspolitik, die Deutschland pro Jahr 50 Milliarden € kostet. Unsere Möglichkeiten sind endlich, das haben wir dieses Jahr wieder gesehen. Was bedeutet das für die Migrationspolitik im kommenden Jahr 2024?
Malu Dreyer:
Also ich glaube, dass wir die Weichen gut gestellt haben. Mit dem letzten Beschluss der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers. Und jetzt ist es ja sogar so, dass der Europäische Rat und das Parlament jetzt endlich auch diese gemeinsamen europäischen Regeln beschlossen haben. Die sind für uns existenziell, weil wir ansonsten den Zustrom nicht regulieren können und steuern können. Ich verspreche mir, dass mit der Umsetzung dieses europäischen neuen Rechtsrahmens wir wirklich eine Chance haben für weniger Zustrom und auch für eine bessere Steuerung des Zustroms. In Deutschland haben wir im Grunde gesetzlich und von den Rahmenbedingungen her die Dinge miteinander besprochen. Und so muss es jetzt auch weitergehen. Wir haben ja inzwischen auch im Land, also nicht in unserem Bundesland, aber in anderen Mitgliedstaaten in Europa, mehr Grenzkontrollen. Wir haben Dinge eingerichtet, die wir in der Vergangenheit uns gar nicht haben vorstellen können. Aber wir können schlicht und ergreifend nicht weiter zusehen, dass so viele Menschen zu uns kommen, dass unsere Systeme überfordert sind.
Markus Appelmann:
Da haben Sie ja gerade die europäische Lösung angesprochen. Aber es ist doch klar, dass diese europäische Lösung Zeit brauchen wird. Es wird ja ein, zwei oder drei Jahre dauern, bis zum Beispiel auch Asylzentren gebaut sind. Das ist ja keine schnelle Lösung.
Malu Dreyer:
Ja, ist tatsächlich wahr. Aber es muss. Man muss einfach auch sagen: Es ging nicht schneller. Europa hat sehr lange gebraucht, bis sich alle Mitgliedsstaaten geeinigt haben. Jetzt haben wir aber tatsächlich mal die Chance, dass man in Europa vernünftige Zuwanderungspolitik macht. Und diese Erwartung habe ich auch, dass alles, was jetzt entschieden worden ist, auch umgesetzt wird. Ich sage ein Beispiel: Vor den Wahlen in Polen waren wir plötzlich konfrontiert mit einer Flüchtlingswelle, die über diese Grenze kam, weil Polen einfach die Flüchtlinge durchgewunken hat. Das ist inzwischen wieder anders. Aber solche Dinge dürfen in Zukunft sich einfach nicht mehr ereignen, sondern wir brauchen die Klarheit und die Rechtssicherheit, dass alle gleichermaßen mit dieser Frage umgehen.
Markus Appelmann:
Aber wir sind uns schon einig, dass, wenn es da keine schnelle Lösung geben wird, dass es einfach nur die Rechtspopulisten stärken wird.
Malu Dreyer:
Zumindest das kristallisiert sich im Moment alles an diesem Punkt Flüchtlinge. Und es ist tatsächlich so, dass auch die AfD und die Rechtspopulisten damit vor allem Politik machen. Ich persönlich sage Ich war schon immer der Auffassung, dass Flüchtlingspolitik nur funktionieren kann mit Recht, Ordnung und Humanität und Recht und Ordnung haben leider in ganz Europa in der letzten Zeit nicht funktioniert und deshalb muss es jetzt wieder besser funktionieren. Und wir merken, im Moment haben wir weniger Flüchtende. Wir haben natürlich auch Krieg mitten in Europa. Das darf man nicht vergessen. Die allermeisten Vertriebenen in unserem Land kommen aus der Ukraine. Und wir hoffen natürlich auch, dass dieser Krieg bald zu Ende geht und wieder Frieden ist. Das ist mit eine Hauptursache dafür, dass wir im Moment alle das Gefühl haben, wir schaffen es eigentlich gerade noch so, wir kriegen es miteinander hin. Aber im Grunde sind unsere Systeme überfordert.
Markus Appelmann:
Ein großes Thema auf dem SPD Bundesparteitag war auch die Schuldenbremse. Da gibt es die Linken in der SPD, die sagen, wir müssen die Schuldenbremse aufweichen. Da gibt es Kanzler Scholz und Co, die sagen, wir halten die Schuldenbremse. Wo stehen Sie da?
Malu Dreyer:
Also ich war schon auch der Auffassung, wie viele in der Sozialdemokratie, dass die Schuldenbremse bleiben soll, aber dass wir sie überarbeiten müssen. Denn wir dürfen uns nicht die Zukunftschancen nehmen durch die Schuldenbremse. Wir müssen investieren können in die Zukunft und das gelingt im Moment bei der Regierung nicht. Aber es gibt ja auch genug CDU Ministerpräsidenten, die das genauso sehen. Ich hoffe, dass diese Debatte dazu führt, dass man im Laufe der Zeit wirklich auch noch mal an die Reform der Schuldenbremse geht. Ich bin nicht dafür, im konsumtiven Bereich Schulden zu machen, mit denen wir die nächste Generation belasten. Aber ich bin dafür, dass wir in die Klimawende, dass wir in wichtige Industrien, dass wir investieren können für die Zukunft.
Markus Appelmann:
Da machen wir einen Punkt und kommen zu einem nächsten ganz großen Thema hier bei uns in 17:30, und zwar die Zeitenwende. Das ist ein Begriff, den Kanzler Scholz vor zwei Jahren, vor fast zwei Jahren, in den Mund genommen hat.
Es war der russische Überfall auf die Ukraine, der Bundeskanzler Olaf Scholz von einer…
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler: „Zeitenwende“
… sprechen ließ.
Zeitgleich wurde das Sondervermögen für die Bundeswehr im Grundgesetz verankert. Weiterhin ließ der Kanzler das Land jedoch wissen, dass sich ansonsten nichts ändern werde. Alle Wohltaten des Koalitionsvertrages fänden weiterhin statt.
Doch reicht es, wenn die Politik eine…
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler: „Zeitenwende“
… ausruft – und es dann bei der Rhetorik belässt?
Markus Appelmann:
Reicht es, wenn die Politik eine Zeitenwende ausruft und es nur bei der Rhetorik belässt? Wir haben gerade eben gehört. Die Frage gebe ich an Sie weiter.
Malu Dreyer:
Ich glaube nicht, dass es bei der Rhetorik geblieben ist, wenn man bedenkt, was die Bundesregierung auch mit Hilfe der Länder mit viel, viel Geld auf den Weg gebracht hat seit in der Ukraine der Krieg ausgebrochen ist. Ich will jetzt nur mal erinnern: Wir hatten eine extreme Energiekrise. Wir hatten Angst, eigentlich auch im vorletzten Winter, dass wir eigentlich nicht warm zu Hause sitzen können. Die Bundesregierung hat es geschafft, dass wir diese Energiekrise überwunden haben. Und wir haben mit vielen Milliarden erleben dürfen, dass Strompreisbremse, dass Gaspreisbremsen auch geholfen haben Bürger und Bürgerinnen, aber auch Unternehmen, diese schwierige Zeit wirklich auch zu überwinden. Und klar ist: Es verändert sich gerade wirklich sehr, sehr viel. Und das Wort Zeitenwende kann man aus meiner Sicht auf ganz viel auch übertragen. Nicht nur auf das Thema Krieg und Frieden, sondern auch auf das Thema, dass wir mitten in einer Transformation leben, wo Arbeiten und Leben sich vollkommen ändern. Durch Digitales wird sich vieles verändern.
Markus Appelmann:
Es wird große Einschnitte geben müssen. Das muss die Politik auch kommunizieren. Was hat Ihrer Meinung nach Priorität in der Zeitenwende, was nicht mehr?
Malu Dreyer:
Na ja, ich finde, Priorität hat natürlich auf der einen Seite klar, das ist Bundespolitik, nationale Politik, dass man sich einsetzen muss für den Frieden, für uns hier im Land gilt, dass wir selbstverständlich offen bleiben müssen für die armen Menschen, die vertrieben werden aus den Kriegsgebieten, dass wir sie aufnehmen, sie unterstützen. Und Priorität hat aber auch, dass wir in die Zukunft investieren. Wir leben in Zeiten, wo wir der nächsten Generation es schuldig sind, dass wir die Klimawende schaffen. Und das heißt, die Wirtschaft baut sich um, das Leben baut sich auf, und das müssen wir unterstützen mit Investitionen, aber eben auch mit der Unterstützung der Beschäftigten in unseren Betrieben. Und das machen die Betriebe in Rheinland-Pfalz übrigens sehr gut.
Markus Appelmann:
Wir sind zwischen den Jahren, Frau Dreyer, und wir wollen auf jeden Fall auch noch etwas Optimismus ausstrahlen in dieser Sendung. Die Menschen sind so gefühlt in einer Dauerkrise gefangen. Was stimmt Sie zuversichtlich? Was stimmt Sie optimistisch für das Jahr 2024?
Malu Dreyer:
Dass ich immer wieder Menschen treffe in unserem schönen Land Rheinland-Pfalz, die wirklich ganz viele tolle Dinge tun, die einem Mut machen. Sie bauen eigentlich unser Land immer weiter. Das sind Kleinigkeiten. Also einfach Menschen, die freundlich und nett sind. Und sei es, dass sie im Bus ihren Nachbarn lächelnd anschauen. Und sei es, dass sie im Ehrenamt aktiv sind, dass sie für den Zusammenhalt da sind, aber auch die Menschen, die Verantwortung übernehmen in Wirtschaft, in Gesellschaft, in unseren Schulen und die einfach sagen: Ja, ich gestalte diese neue Zukunft eben auch mit großer Kraft. Und das machen viele zusammen in unserem Land sogar sozialpartnerschaftlich. Und es kann einem Mut machen und es sollte einem Zuversicht geben. Rheinland-Pfalz ist ein starkes Land und darauf können sich auch alle vertrauen und können darauf bauen.
Markus Appelmann:
Frau Dreyer, das hat Tradition in dieser Sendung zwischen den Jahren, dass die Ministerpräsidenten immer sich direkt an unsere Zuschauer wenden. Mit Neujahrsgrüßen, das dürfen Sie gerne auch in diesem Jahr tun. Die Kamera eins ist für Sie, bitte schön.
Malu Dreyer:
Ja, liebe Bürger, liebe Bürgerinnen, ich wünsche Ihnen natürlich ein wunderschönes, neues, gesegnetes, ein gesundes Jahr 2024 und ich wünsche mir sehr, dass Sie dieses Jahr angehen mit großer Zuversicht, über die wir gerade gesprochen haben. Wir können gemeinsam im Großen wie im Kleinen, tatsächlich auch die Zeiten zum Guten wenden. Und ich wünsche uns, dass wir 2024 zum Guten wenden. Ich will auch sagen, dass ich mir sehr wünsche, dass wir wieder mehr Frieden haben in unserem Land. Alles Gute!
Markus Appelmann:
Danke schön, Frau Dreyer, für Ihren Besuch heute bei uns im Studio. Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch und ein gutes, gesundes 2024.
Malu Dreyer:
Wünsche ich Ihnen auch Herr Appelmann. Alles Gute!
Markus Appelmann:
Danke schön