Zu Gast im Studio – Der Spitzenkandidat der Freien Wähler Hessen: Engin Eroglu

Ja, so langsam wird es ernst. Auch die Freien Wähler rechnen sich Chancen aus, in den Landtag einzuziehen. Aktuell liegen sie in Umfragen bei 3 bis 4 Prozent. Eva Dieterle spricht mit dem hessischen Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten Engin Eroglu über die politischen Ziele der Freien Wähler. Doch zunächst schauen wir uns an, mit wem wir es da zu tun haben.

Engin Eroglu, 41 Jahre alt, aus Schwalmstadt in Nordhessen. Heute sitzt er für die Freien Wähler im Europäischen Parlament und ist seit 2017 Landesvorsitzender seiner Partei in Hessen. Doch in früher Jugend interessierte sich Erin Eroglu eigentlich gar nicht für Politik.
Engin Eroglu, Freie Wähler, Spitzenkandidat Landtagswahl Hessen
„Aber nun mal ist das so, man wird dann groß. Klassische Karriere, man ist Schulsprecher oder stellvertretender Schulsprecher, und dann hat tatsächlich ein Lehrer mich angesprochen und hat gesagt; ‚Du, willst du nicht in der Politik mitmachen?‘ Ja, und so bin ich dann bei den Grünen gelandet, weil der halt bei den Grünen war.“
Mit 15 Jahren tritt Eroglu den Grünen bei. Es folgt eine Ausbildung zum Bank- und Sparkassenkaufmann. In diesem Bereich arbeitet er 14 Jahre lang. 2012 verlässt Eroglu dann die grüne Partei und wendet sich den Freien Wählern zu.
Die Freien Wähler wollen sich unter anderem für den ländlichen Raum stark machen. Eine bessere Mobilität auf dem Land und die Förderung von regionalen Lebensmitteln stehen daher im Wahlprogramm.
Eroglu ist ehrgeizig und fest davon überzeugt, dass die Freien Wähler erstmals in den hessischen Landtag einziehen werden.
Engin Eroglu, Freie Wähler, Spitzenkandidat Landtagswahl Hessen
„Wenn’s für Schwarz-Grün nicht mehr reicht, dann müssen wir schauen, wo die Freien Wähler vielleicht mit in die Regierung kommen. Mein Ziel ist es, Wirtschaftsminister und Landwirtschaftsminister in Hessen zu sein für die Menschen.“
Ein ambitioniertes Ziel. Und wie sehen das die Wähler?
Sven Jakob, Fachagrarwirt
„Er hat viele Themen aufgegriffen, die dem ländlichen Bevölkerungsanteil wirklich aus der Seele spricht.“
Gerda Häfner-Kolbe, Landschaftsarchitektin
„Mit sind die Freien Wähler recht sympathisch, weil sie recht nah an den Sachfragen und an den Menschen sind.“
Eckard Bieker, Landwirt
„Ich bin jetzt am überlegen. Freie Wähler zu wählen oder wieder CDU wählen.“
„Ein Hessen für alle Menschen“ – mit diesem Motto treten die Freien Wähler an. Ob sie mit ihrem Wahlprogramm allerdings auch die Menschen in den Städten erreichen ist fraglich.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Ja, und jetzt begrüße ich ihn bei mir im Studio. Engin Eroglu, schön, dass Sie hier sind. Guten Abend.
Engin Eroglu (Freie Wähler), Spitzenkandidat Landtagswahl Hessen: Ja, vielen Dank. Guten Abend. Freue mich sehr.
Dieterle: Herr Eroglu, vom Bankkaufmann, vom Immobilien-Fachmann jetzt zum Politiker. Wie sehr helfen Ihnen denn diese Stationen in der Politik?
Eroglu: Sehr gut. Ich habe ja bei der Sparkasse gelernt und in der Sparkasse ist immer alles schon sachorientiert und zahlenorientiert, wenig Emotion – vielleicht für den einen oder anderen Kunden zu wenig Emotion – und habe da letztendlich auch die Leidenschaft entwickelt, mich dann selbstständig zu machen, Sie sprachen es an, als Immobilien-Fachmann und ich glaube, dieses Unternehmertum, das steckt mir in der Seele. Und wenn Sie unternehmerisch ticken und arbeiten, dann sind Sie in der Politik, glaube ich, genau richtig, denn Sie dürfen ja in der Politik keinen Feierabend kennen.
Dieterle: Wir haben es gerade gehört, Sie waren mal bei den Grünen, seit 2012 gehören Sie zu den Freien Wählern. Warum? Hat es Ihnen bei den Grünen nicht mehr gefallen?
Eroglu: Das war eine sehr schöne Zeit, muss ich sagen. Ich war jung, wild. Ich hatte eine große Unzufriedenheit in mir. Ich habe auch ein großes Gerechtigkeitsverlangen in mir drin, und da hat sich das, was die Grünen mir damals versprochen haben, gut angehört und irgendwann wird man halt erwachsen und dann kommt die Realität dazu. Und dann war für mich klar, dass der Weg von Bündnis 90 / Die Grünen und Engin Eroglo sich trennen werden. Und ja, es hat was mit dem Erwachsenwerden zu tun.
Dieterle: Jetzt stehen Sie mit den Freien Wählern in den aktuellen Umfragen so bei 3 bis 4 %. Knapp zwei Wochen sind es noch. was wollen Sie noch tun, um dann doch den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen?
Eroglu: Wir machen das, was wir am besten können, nämlich ganz nah am Menschen vor Ort zuhören und die Probleme herauskristallisieren, um sie zu lösen. Das ist das, was Freie Wähler können, und das beweisen wir ja tagtäglich in der Kommunalpolitik in Hessen. Und dann werden wir natürlich – und das ist so – auf den Großflächen, die in ganz Hessen erstmalig ja zu sehen sind ab Samstag, auch einen neuen Spruch haben. Aktuell ja “Ein Hessen für alle”, unsere Kampagne, und ab Samstag, wenn alles gut geht: “Freie Wähler wählen statt Schwarz-Grün oder Ampel in Hessen.” Ich bin der festen Überzeugung, dass das Zuhören vor Ort und auch die klare Ansage, dass wir Schwarz-Grün nicht verlängern möchten in Hessen und auch keine Ampel in Hessen möchten, den einen oder anderen Wähler noch mal auf uns bringen wird.
Dieterle: Okay, wir sind gespannt. Es gibt auf jeden Fall kein Thema, zu dem die Freien Wähler nicht ganz eigene Ideen haben und darüber sprechen wir gleich. Wir schauen uns jetzt aber erst mal zumindest Auszüge aus dem Wahlprogramm an. Alles schaffen wir nicht, aber einen guten Einblick können wir geben.
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Bildung:
Die Freien Wähler möchten eine Kitapflicht ab dem vierten Lebensjahr einführen. Bildung soll von der Krippe bis zum Meisterbrief gebührenfrei sein. Anstatt Ganztagsschulen will die Partei eine „Bildungsgerechte Grundschule“ mit einem Betreuungsangebot bis 17 Uhr. Die Lehrkräfteausbildung soll an eigenen Pädagogischen Hochschulen erfolgen, die sich außerhalb von Ballungsräumen befinden.
Wirtschaft:
Die Freien Wähler wollen bestehende Förderungen auf ihre Rentabilität hin prüfen. Hessen soll eine Vorreiterrolle spielen bei der sozialverträglichen Umgestaltung der Arbeitswelt. Sparkassen und Volksbanken sollen vor überbordender Bankenregulierung geschützt werden, um die Kreditversorgung des Mittelstands sicherzustellen.
Energie:
Die Freien Wähler wollen Rahmenbedingungen schaffen, um Genossenschaftsmodelle in der Energieerzeugung zu fördern. Im privaten Bereich soll es keine Solarpflicht geben. Parkplätze oder Schallschutzwände sollen für Solaranlagen genutzt werden. Hessen soll außerdem zum Vorreiter für Energie aus Wasserstoff werden.
Soziales:
Um Kinder aus der Armut zu befreien, sollen finanzielle Familienleistungen zu finanziellen Leistungen für Kinder umgewidmet werden. Die Freien Wähler wollen eine neue soziale Infrastruktur aufbauen durch das Zusammenspiel baulicher und sozialpolitischer Maßnahmen. Um die ärztliche Versorgung auf dem Land zu verbessern, sollen Ärzte komplett ausgestattete Praxisräume anmieten können.
Verkehr:
Der öffentliche Nahverkehr soll abends und auf dem Land kostenfrei sein. Der ländliche Raum soll auch besser ans Schienennetz angeschlossen werden. Beim Lastverkehr setzen die Freien Wähler auf „Rollende Landstraßen“ – Güterzüge, auf denen komplette Lkw verladen werden.
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Dieterle: Herr Eroglu, Sie haben ganz schön viel vor. Wir haben ein paar Sachen gerade gehört. Sie wollen einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr auf dem Land. Sie wollen gute, gebührenfreie Bildung, mehr Wohnraum, mehr Polizisten, die dann auch noch besser ausgestattet sind. Und so weiter, und so weiter. Das kostet alles wahnsinnig viel Geld. Die Frage an Sie: Wie wollen Sie das gegenfinanzieren?
Eroglu: Ja, Sie haben mit mir nicht nur einen Wirtschaftsfachmann, sondern auch einen Finanzfachmann. Und ich gucke mir die Zahlen immer ganz genau an. Mir ist es wichtig, keine Forderungen zu stellen, die am Ende nicht finanzierbar sind. Und Hessen ist ein Bundesland, was unglaublich viel erwirtschaftet. Wir zahlen aktuell 3,2 Milliarden € an andere Bundesländer, um einen gerechten Länderfinanzausgleich zu haben. Aber die Frage stellt sich mir: Ist es gerecht, dass es vielleicht in Berlin keine Kita- und Krippen-Gebühren gibt? Oder ist es in Ordnung, dass die Freie Heilfürsorge zum Beispiel für Feuerwehrleute und Polizeibeamte in anderen Bundesländern bezahlt wird? Das heißt für mich, wir brauchen eine neue Reform des Länderfinanzausgleichs und wir werden, wenn ich in die Landesregierung komme, dagegen klagen.
Dieterle: Sie wollen den Länderfinanzausgleich also nicht abschaffen, sondern umstrukturieren. Es gibt ihn ja nicht grundlos. Sie haben selbst gesagt, er soll für mehr Gerechtigkeit sorgen. Ist das dann nicht zutiefst unsolidarisch, was Sie da vorhaben?
Dieterle: Ich will ihn nicht abschaffen, sondern ich will ihn gerecht haben. Ich möchte, dass dann in ganz Deutschland, in allen Bundesländern keine Gebühren mehr für Krippe und Kita gezahlt werden. Ich möchte, dass in allen Bundesländern gleich viel bezahlt wird für gleiche Arbeit von Polizeibeamtinnen und -beamten und auch für Lehrer. Und da brauchen wir einfach mal eine Gleichstellung. Und dann, wenn wir sozusagen noch Geld übrig haben, helfen wir gerne so Ländern wie Berlin, die scheinbar mit dem Geld nicht so gut umgehen können wie wir.
Dieterle: Einen besonderen Schwerpunkt würden Sie ja auf den Bereich Kitas legen. Es gibt ja die Kitaplatz-Garantie, trotzdem fehlt es an freien Plätzen, es fehlt an Personal und an vielem mehr. Wie würden Sie das denn ganz konkret in Hessen ändern?
Eroglu: Die Misere hat 2013 angefangen oder auch vielleicht ein bisschen früher. Der Rechtsanspruch für Krippenplätze ist gekommen, weil die Politik die Geldstabilität kaputt gemacht hat. Eltern müssen jetzt mehr arbeiten, und das bedeutet, dass sie ihre Kinder nicht mehr zu Hause haben können, sondern sie müssen sie in die Krippe geben. Ich glaube, dass viele Eltern gerne die drei Jahre zu Hause bleiben würden, wenn möglich. Aber es ist halt finanziell nicht möglich. Und jetzt ist die finanzielle Belastung da von Eltern. Und das heißt, der Staat hat dafür gesorgt, dass Eltern ihre Kinder abgeben müssen. Nun muss der Staat auch dafür sorgen, dass für die Kleinsten, gerade die Einjährigen, das Beste da ist. Und das fängt dann an ,,,
Dieterle: Wie würde Sie das machen=
Eroglu: Wir wollen den Beruf aufwerten, das ist ganz wichtig. Wir sagen: Städte und Gemeinden in Hessen sind wie bei den Schulen für die Gebäude zuständig, aber das pädagogische Fachpersonal wollen wir an das Ministerium abgeben, um letztendlich den Beruf aufzuwerten. Es werden dann Landesmitarbeiter und aber auch, das ist nun mal so, eine bessere Bezahlung und das ist mir ganz wichtig. Wir brauchen ein höheres Einstiegsgehalt, bzw. ein Ausbildungsgehalt für Menschen, die in Hessen den pädagogischen Beruf wählen zu Erzieherinnen und Erziehern.
Dieterle: Das, was Sie vorhaben, klingt nach einem massiven Umbau, aber nicht nach einer schnellen Lösung, weil die Plätze fehlen ja jetzt. Der Bedarf ist jetzt da. Was ist darauf Ihre Antwort?
Eroglu: Natürlich nicht. Ich kann nicht in einem Jahr das reparieren, was vielleicht jetzt in zehn oder 20 Jahren kaputt gemacht worden ist. Aber wir müssen irgendwann anfangen. Und Freie Wähler, wir verursachen keine Probleme wie andere Parteien, sondern wir lösen sie. Und ein massiver Umbau, das steht zu mir wie nichts anderes. Ich bin in der Politik, um zu reformieren, um das Leben der Menschen zu verbessern. Und ich muss irgendwann mal anfangen. Und da werden wir vor allem für die Familien und Familie ist uns wichtig, da wo Kinder ist. Das haben wir im Beitrag gesehen. Wir wollen sozusagen Familien mit Kindern entlasten und da auch eine komplette Umstrukturierung im System haben.
Dieterle: Okay, es geht schon weiter mit dem nächsten Thema, Stichwort Migration. Da ist Ihre Kernaussage: Jeder, der arbeiten und sich aktiv einbringen will, ist hier willkommen. Wird das dann aber nicht einfach jeder behaupten, um hierher ins Land zu kommen?
Eroglu: Ja, und das ist ja zu überprüfen. Wir müssen schauen, die, die ins Land kommen, die müssen arbeiten. Wir haben mannigfaltige Probleme in Deutschland, in der Europäischen Union, und das kriegen wir nicht gelöst, wenn die Menschen nach Europa und nach Deutschland kommen, wenn sie nicht arbeiten. Das heißt, jeder, der nach Deutschland kommt, der muss zur Arbeit geführt werden und muss arbeiten. Und wenn wir merken, er ist gekommen, um in unseren Sozialsystemen sich niederzulegen, dann müssen wir leider sagen, das geht nicht. So lösen wir die Probleme der Welt nicht.
Dieterle: Sie sagen ganz klar: Keine Einwanderung in die Sozialsysteme. Wer nicht arbeitet, soll konsequent abgeschoben werden. Das klingt plausibel, klingt bei Ihnen auch ganz einfach, aber das ist es ja offensichtlich nicht, sonst würde das ja längst geschehen. Wie wollen Sie das überprüfen? Wie wollen Sie das steuern?
Eroglu: Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Kreisverwaltungen vor Ort in Hessen genau wissen, wer arbeitet und wer nicht. Die kennen diese Menschen ja, weil die Landkreise ja dafür auch eine Zuständigkeit haben. Und da gilt es jetzt, ein vernünftiges Zusammenspiel zwischen Landesregierung und Kreisverwaltung hinzubekommen und ganz klar zu sagen: “Bist du bereit, die Probleme in Deutschland, Europa mit uns zu lösen, indem du arbeitest, oder bist du es nicht?” Und das bedeutet für mich, da ist der Lösungsansatz. Und ganz wichtig, auch die Menschen, die vielleicht kein Bleiberecht haben, aber eine Arbeit gefunden haben und Arbeitgeber brauchen sie, da müssen wir dann flexibel drauf reagieren und sagen: “Guck mal an, wir können dich in unserer Wirtschaft gebrauchen. Herzlich willkommen bist du,”
Dieterle: Also, Sie haben viel vor, Herr Eroglu. Vielen Dank, dass Sie heute zu diesem Interview bei uns waren. Wir sind gespannt, was am Wahlsonntag passiert.
Eroglu: Herzlichen Dank auch.