Zu Gast im Studio: Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein

Eva Dieterle im Gespräch mit dem hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein über den CDU-Wahlsieg in Hessen, die anschließenden Koalitionsverhandlungen und seine Wünsche für 2024.

Eva Dieterle, Moderatorin:
Guten Abend zu 17:30 SAT.1 LIVE, zum großen Finale, zur letzten Sendung im Jahr 2023. Und auch heute erwartet Sie eine besondere Sendung, denn wir schauen auf das Jahr zurück und das mache ich heute mit meinem Gast. Und für ihn war das auch persönlich ein ganz besonderes Jahr, ein prägendes. Und darüber spreche ich jetzt mit dem hessischen Ministerpräsidenten, mit Boris Rhein. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie hier sind.
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen:
Danke! Schönen guten Abend, Frau Dieterle.
Eva Dieterle:
Herr Rhein, wir starten gleich mit zwei ganz besonders schönen Momenten in diesem Jahr. Prägend war ja auf jeden Fall vor der Landtagswahl der Wahlkampf. Der war anstrengend. Aber wir haben da auch ein paar Bilder für Sie. Sie hatten auch Spaß, Sie können ja gerne auch mal hingucken. Also Sie waren in einem Freizeitpark in der Nähe von Wiesbaden unterwegs und man kann sagen, Sie haben keine Attraktion ausgelassen. Das scheint Ihnen richtig viel Spaß gemacht zu haben und wir haben uns gefragt: Ist das noch das Kind im Manne, das da wieder wach geworden ist? Oder wie war das für Sie?
Boris Rhein:
Na ja, ich bin schon ein großer Fan von solchen Attraktionen und es macht mir große Freude, auch in solchen Fahrgeschäften zu fahren. Und ich glaube aber, das ist auch für einen Politiker ganz hilfreich, erst mal unterwegs zu sein, unter Leuten zu sein und Gespräche dabei zu führen. Und es soll aus meiner Sicht auch ein bisschen deutlich machen, was beispielsweise Schausteller für unser Land leisten. Denn das ist natürlich insbesondere nach Corona ein Treffpunkt wieder für die Menschen gewesen, sich auch mal fröhlich zu entspannen und untereinander Gespräche zu führen. Und mir hat es große Freude gemacht, das quasi neben dem harten Geschäft machen zu können.
Eva Dieterle:
Also für Sie eine willkommene Abwechslung, aber verknüpft mit einer Botschaft. Ja, und wir kommen jetzt gleich zum nächsten Highlight. Das war wahrscheinlich Ihr ganz persönliches und das ist natürlich der Wahlabend am 8. Oktober. Wir sehen hier die Bilder am Abend der Landtagswahl, ihr Einzug, sie wurden gefeiert von ihren Unterstützern. Ja, man kann sagen, das ist für Sie schon ganz besonders gut gelaufen. Haben Sie damit gerechnet oder haben Sie davon nur geträumt, dass das so läuft?
Boris Rhein:
Na ja, mit einem wirklich fast an die 35 Prozent herangehenden Ergebnis habe ich nicht gerechnet. Das ist für mich wirklich ein außergewöhnliches Erlebnis gewesen an diesem Abend. Aber man muss natürlich auch sagen, wir haben natürlich schon schwer gearbeitet in diesem Wahlkampf. Wir haben sehr intensiv diesen Wahlkampf geführt und ja, am Ende ist uns natürlich auch zupass gekommen, was da an Chaos in Berlin stattfindet. Aber zu großen Anteilen haben wir das ja wirklich als Gemeinschaftsleistung mit der Fraktion, mit der Partei, mit den Wahlkreis-Bewerbern selbst hinbekommen. Und ja, es war ein tolles Erlebnis.
Eva Dieterle:
Sie haben gerade gesagt, so schwer gearbeitet. Die Arbeit war damit natürlich noch nicht vorbei. Im Gegenteil, danach wurde es erst richtig ernst. Danach musste sondiert werden. Und wir schauen uns jetzt mal an, was die CDU aus diesem Wahlsieg gemacht hat.
Vergangene Woche machen sie es offiziell.
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen
„Ja, es ist vollbracht und unterschrieben und jetzt wird es umgesetzt.“
Mit den Unterschriften unter dem Vertrag ist es besiegelt – das schwarz-rote Bündnis für Hessen. Ein historisches Ereignis.
Denn eine Koalition aus CDU und SPD gab es in Hessen erst einmal. Und das ist lange her: Von 1946 bis 1950, damals noch unter der Führung der Sozialdemokraten.
Und auch aktuell ist dieses Bündnis eine Seltenheit in Deutschland. Nur im Berliner Senat regieren momentan Schwarz und Rot in einer Zweierkoalition zusammen.
Und ab Januar dann auch in Hessen. Damit ist Schwarz-Grün hier Geschichte.
 
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen am 10.11.2023
„Mein Dank gilt ganz ausdrücklich den hessischen Grünen. (…) Wir haben zehn gute Jahre hinter uns, wir haben in diesen zehn Jahren enorm viel erreicht. Wir haben gemeinsam sehr erfolgreich für Hessen gearbeitet. Darauf wollen wir jetzt aufbauen.“
Darauf aufbauen? Ja! Gemeinsam mit den Grünen? Nein! Für den Grünen-Fraktionschef ist das völlig unverständlich:
 
Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen am 10.11.2023:
„Es gibt keinen Grund eine vertrauensvolle, zehnjährige Zusammenarbeit zu beenden. (…) Wir hätten uns auf ein weiteres, gutes Programm verständigen wollen. Das hat die CDU offenkundig nicht gewollt.“
Eiszeit zwischen CDU und Grünen. Das „freundschaftliche Miteinander“, das laut Boris Rhein die letzten gemeinsamen Arbeitsjahre geprägt hat – es ist wohl erstmal beendet.
Eva Dieterle:
Wir haben die Bilder gerade gesehen. Eiszeit, also die Grünen waren schon schwer enttäuscht. Wie war das denn für Sie, einem langjährigen Partner dann zu sagen: Übrigens mit euch nicht mehr und dann aber ja auch noch die Legislaturperiode vernünftig gemeinsam zu Ende zu bringen.
Boris Rhein:
Na, das ist jetzt unsere Aufgabe, in der Tat souverän und konstruktiv diese Legislaturperiode zu Ende zu bringen. Und das tun wir als Koalitionspartner auch, sowohl die Grünen als auch wir Christdemokraten. Ich glaube, das erwarten die Bürgerinnen und Bürger auch von einer Regierung, dass man sich trotz einer solchen Entscheidung eben dann weiter darauf verständigt, die Politik zu Ende zu bringen, die man begonnen hat. Das ist der eine Punkt, und der andere Punkt ist: Wir haben uns, das will ich ausdrücklich sagen, nicht gegen die Grünen entschieden, sondern wir haben uns für die Sozialdemokraten entschieden, und zwar nach fünf langen Sondierungs-Wochen mit jeweils beiden Partnern. Wir haben sehr genau diskutiert. Wir haben ja, ich sage mal, ein Eckpunktepapier miteinander formuliert und auch vorgelegt. Und am Ende mussten wir uns der Sache nach entscheiden und nicht der Emotion nach entscheiden. Und der Sache nach sind die Schnittmengen mit den Sozialdemokraten gerade bei insbesondere der Sicherheitspolitik und bei der Migrationspolitik die größeren gewesen. Und wir hatten natürlich auch umzusetzen, was der Wähler uns ins Stammbuch geschrieben hat und diese 35 Prozent, fast 35 für die CDU, der Abstand zu den Grünen und zur SPD, die jeweils 15 ungefähr hatten, ist natürlich so enorm, dass viele Wählerinnen und Wähler eine Hoffnung haben und eine Hoffnung in die CDU setzen. Die müssen wir jetzt umsetzen.
Eva Dieterle:
Es war keine Entscheidung gegen die Grünen. Die Grünen sehen das anders. Die sagen, sie hatten in den Sondierungsgesprächen mit Ihnen nie eine wirklich faire Chance.
Boris Rhein:
Das ist vollkommen falsch. Das stimmt nicht. Und ich will das auch noch mal sehr deutlich sagen: Für uns ist der Abschluss sehr schwierig, emotional sehr schwierig gewesen, weil natürlich etwas gewachsen ist zwischen uns, auch partnerschaftlich gewachsen ist, zwischen CDU und Grünen. Aber am Ende kann ich nicht nach Gefühligkeit und nach Gefühlen so etwas entscheiden, sondern ich muss es der Sache nach entscheiden. Und die Chancen waren vollkommen offen für beide Partner. Wir sind wirklich ergebnisoffen in diese fünf Wochen Sondierung reingegangen, sonst hätten wir das nicht fünf Wochen machen müssen.
Eva Dieterle:
Das Rennen hat die SPD am Ende gemacht. Sie selbst haben von Sondierungsgesprächen auf Augenhöhe gesprochen. Aber kann man das wirklich so sagen? Alleine beim Blick auf die Wahlergebnisse ist das ja gar nicht möglich.
Boris Rhein:
Ja, aber das war uns sehr wichtig, dass wir auf Augenhöhe mit dem jeweiligen Partner sprechen. Es macht überhaupt gar keinen Sinn, von Anfang an einen Partner, mit dem man fünf Jahre regieren will, zu unterwerfen. Das ist wie im Privaten, ist das auch in der Politik. Das macht man auf Augenhöhe, das macht man mit Respekt. Und ich will das auch sehr deutlich sagen: Ich habe einen großen Respekt vor der Sozialdemokratie. Sie ist die älteste Volkspartei Deutschlands. Wir sind eine Volkspartei und diese Kulturen kommen jetzt zusammen. Die Kultur der Volksparteien und das spürt man jetzt auch schon in den Gesprächen. Und ich glaube, auch deswegen war es wichtig, auf Augenhöhe miteinander zu sprechen, damit die Gespräche gut funktionieren. Und sie haben gut funktioniert.
Eva Dieterle:
Wo hat sich denn die SPD durchgesetzt? Sagen Sie mal ein paar Punkte, wo Sie Zugeständnisse gemacht haben.
Boris Rhein:
Ja, ich will Ihnen beispielsweise nennen ein Zugeständnis: Das ist die Frage des Leerstands von Immobilien. Da sind wir eher in der Union der Meinung: lass es den Markt machen und der Markt macht es auch. Aber die Sozialdemokraten hatten hier andere Vorstellungen. Das ist ein Beispiel. Die SPD ist beispielsweise immer sehr interessiert an, ja ich sage mal, tariflichen Punkten, also an Punkten, wie die Bezahlung von Mitarbeitern und Mitarbeitern umzusetzen ist. Auch da sagen wir, das ist im Grunde genommen auch eine Angelegenheit, die die Tarifpartner miteinander verhandeln. Das sind wichtige Punkte für die Sozialdemokratie gewesen oder natürlich auch die Frage des Sozialbudgets ist ein wichtiger Punkt für die Sozialdemokraten gewesen. Und am Ende muss ich aber trotzdem sagen, es ist jetzt nicht so, dass wir sagen mussten: Boah, das ist echt so schmerzlich, das ist echt wahnsinnig schwierig für uns. Nein, wir finden das okay. Und das war auch der Stil der Gespräche, miteinander wirklich einen gemeinsamen Weg zu finden und Dinge zueinander zu bringen.
Eva Dieterle:
Die sehr viel deutlicher erkennbare Handschrift in diesem Vertrag ist natürlich auch von der CDU. Und ein paar dieser Punkte, die wollen wir uns jetzt anschauen.
184 Seiten hat der schwarz-rote Koalitionsvertrag. Viele davon hätte die CDU mit den Grünen so wohl nicht aufschreiben können.
CDU und SPD bekennen sich zum Recht auf Asyl, sprechen aber auch von einer „Belastungsgrenze“ und wollen deshalb eine „echte Rückführungsoffensive“ starten, die „Abschiebehaft“ ausweiten und „Rückführungszentren“ einrichten.
Der öffentliche Nahverkehr soll ausgebaut werden, doch die Koalitionäre stellen auch klar: „Wir sehen alle Verkehrsträger gleichberechtigt.“ Insgesamt soll die Infrastruktur im Bereich Verkehr ausgebaut werden – auch die Autobahnen.
Außerdem wollen CDU und SPD das dreigliedrige Schulsystem erhalten, die Videoüberwachung ausweiten und auf das Gendern in öffentlichen Institutionen verzichten.
Der Koalitionsvertrag in Hessen – er weist durchaus und vielleicht auch bewusst eine Nähe zum Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogramms auf. Was nebenbei auch für einen gesunden Pragmatismus der Hessen-SPD spricht, die dem Koalitionsvertrag ja auf ihrem Parteitag mit großer Mehrheit zugestimmt hat.
Eva Dieterle:
Herr Rhein, sowohl im CDU-Grundsatzprogramm als auch im hessischen Koalitionsvertrag fällt eines markant auf und das ist die verschärfte Asylpolitik. Und diesen Punkt wollen wir jetzt mal herausgreifen. Sie haben im Koalitionsvertrag geschrieben: Wir kennen unsere Belastungsgrenze. Näher definiert haben Sie das nicht. Wo ist sie denn?
Boris Rhein:
Die Belastungsgrenze ist erreicht. Längst erreicht. Wenn Sie mal vor Ort gehen, wenn Sie mal in die Kommunen gehen, die ja das managen müssen, die Wohnraum schaffen müssen, die die Menschen unterbringen müssen, dann werden sie erleben, dass sie für uns finanziell mittlerweile erreicht ist, aber dass sie auch in der Kapazität erreicht ist. Und deswegen müssen wir dringend Maßnahmen ergreifen, die Migration begrenzen, und zwar klar begrenzen. Auch das ist ein Auftrag des Wahltages am 8. 10. gewesen. Bürgerinnen und Bürger haben noch mal sehr deutlich gemacht: Wir wählen eine demokratische Partei, die eine klare Sprache bei der Migration spricht. Und sie haben ihre Stimme der CDU gegeben. Und das mussten wir jetzt umsetzen. Und wir haben von Anfang an – und deswegen ist es auch gut, dass Hessen-CDU und Bundes-CDU hier deckungsgleich sind – über Humanität und Ordnung gesprochen und das zusammenzubringen, das ist uns jetzt auch im Koalitionsvertrag gelungen.
Eva Dieterle:
Welche Maßnahmen sind das?
Boris Rhein:
Ja beispielsweise dafür zu sorgen, dass Menschen, die keine Bleibeperspektive in Deutschland haben, eben nicht auf die Kommunen verteilt werden, sondern dass sie eben wirklich dann auch in Rückführungszentren verteilt werden, die wir einrichten müssen oder in der Erstaufnahme-Einrichtungen bleiben, die wir ausweiten müssen. Ein ganz wichtiger Punkt. Ein anderer wichtiger Punkt ist eben, dass wir jetzt wirklich eine spürbare Rückführungsoffensive starten müssen. Wissen Sie, unsere insgesamte Migrationspolitik ist ja davon geprägt, dass sie eigentlich niemandem hilft. Sie hilft vor Ort nicht, weil die Lage nicht zu bewältigen ist. Sie hilft den Menschen, die fliehen, nicht, weil wenn sie eben kein Bleiberecht haben, werden sie diesen beschwerlichen Weg zurück wieder auf sich nehmen müssen. Auch das hilft ihnen nicht. Sie hilft am Ende nur Schleppern und Schleusern. Und deswegen müssen wir an den Außengrenzen der EU anders handeln. Wir müssen möglicherweise auch außerhalb der EU entsprechende Einrichtungen aufbauen. Und wir müssen an den Binnengrenzen in Deutschland Kontrollen durchführen.
Eva Dieterle:
Stichwort echte Rückführungs-Offensive. Es wird ja seit Jahren eigentlich geplant, auf europäischer Ebene, auf Bundesebene. Und doch ist die Realität immer noch die, dass jeden Tag neue Menschen zu uns kommen. Wann werden die Kommunen denn davon mal wirklich merklich auch was spüren können?
Boris Rhein:
Ich gehe davon aus, dass das Jahr 2024 ein Jahr sein wird, in dem die Kommunen spüren, dass das wirkt, was wir gerade miteinander vereinbaren. Wir vereinbaren das beispielsweise unter hessischem Vorsitz bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler. Da geht es um Kontrollen an den Binnengrenzen Deutschlands, die ja jetzt wirklich den Flüchtlingszustrom halbiert haben. Als ich das vorschlug, vor rund einem halben Jahr oder mehr als einem halben Jahr, schallte mir entgegen, ich würde das Erbe Helmut Kohls beschädigen. Jetzt wirkt das ganz stark. Und wenn wir die Außengrenzen nicht genügend schützen können, müssen wir die Innengrenzen genügend schützen.
Eva Dieterle:
Das wird was sein, wo wir auf jeden Fall dann am Ende des nächsten Jahres noch mal schauen, ob das gefruchtet hat, wie Sie das jetzt gerade beschrieben haben. Herr Rhein, ich möchte noch ganz kurz auch noch auf den Bund blicken. Sie haben in Hessen ja jetzt eine schwarz-rote Koalition an den Start gebracht. Auf Bundesebene haben wir die Ampel, dort kriselt es gewaltig. Wäre denn schwarz-rot für Sie auch eine Alternative für den Bund?
Boris Rhein:
Na ja, wir haben jetzt erst mal ein hessisches Bündnis gemacht. Aber SPD und CDU müssen immer zusammenarbeiten können. Das sind die beiden Volksparteien Deutschlands. Und wenn es schwierig ist, ist es am besten, dass man wirklich auf dieser Basis aufbaut. Und natürlich würde ein Bündnis aus CDU und SPD unter Führung der CDU natürlich dieses Land insgesamt besser führen. Die Ampel ist das schlechteste Regierungsbündnis für ein Land, weil einfach die Interessen so heterogen sind, weil alles so verschieden ist, weil sie nicht zueinander kommen. Und das macht Probleme und das spüren die Bürgerinnen und Bürger. Und deswegen: am Ende ist es gut, wenn Parteien mit einer ähnlichen Kultur zusammenarbeiten.
Eva Dieterle:
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es zu Neuwahlen kommt? Muss die CDU sich schon bereit machen?
Boris Rhein:
Na ja, ich halte es eher für sehr unwahrscheinlich, dass es zu Neuwahlen kommt, weil natürlich, das ist das einzige, was diese Regierung noch zusammenhält, nämlich die Erwartung, dass es bei einem Wahltag nur schlechter ausgehen könnte für sie. Aber es wäre für Deutschland besser, wenn jetzt eine Entscheidung getroffen würde, wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen würde und wenn die Bürger die Möglichkeiten hätten, wirklich zu befinden. Über diese Regierungskoalition, die sie nun wirklich unglaublich stresst.
Eva Dieterle:
Das war schon mal ein kleiner Blick in die Zukunft. Da wollen wir jetzt auch bleiben. Denn wir alle wissen, da warten weitere Herausforderungen auf uns und darüber sprechen wir gleich. Jetzt schauen wir erst mal auf die aktuelle Lage.
Die Welt von heute – sie ist von Kriegen und Krisen geprägt. Direkt vor unserer Haustür tobt der russische Angriff auf die Ukraine, nun bereits im zweiten Jahr.
Und seit dem 7. Oktober 2023 dürfte wohl jedem mehr als deutlich klar geworden sein, dass der islamistische Terror Israels Existenz auslöschen will.
Mit Beginn der Ukraine Invasion sprach Kanzler Olaf Scholz von einer…
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler am 27.2.2022:  „Zeitenwende“.
Ein großes Wort:
„Zeitenwende“.
Heißt: Die Zukunft ist weniger planbar denn je – auch nicht in einem Koalitionsvertrag. Einen solchen musste eine Regierung in Zeiten vor der Zeitenwende einfach nur Punkt für Punkt abarbeiten. Doch: Reicht dies heute noch?
Was macht diese Zeitenwende mit der deutschen Politik – und mit ihren Politikern? Wie zum Beispiel mit Boris Rhein?
Eva Dieterle:
Diese Frage möchte ich direkt weitergeben. Was macht diese Zeitenwende mit Ihnen?
Boris Rhein:
Ich muss sagen, wenn ich diese Bilder sehe, werde ich sehr demütig und sehr dankbar für das, was wir in diesem Land haben und was uns schützt in diesem Land. Frieden, Freiheit, das ist schon etwas ganz Großes. Und das müssen wir wirklich jeden Tag verteidigen. Und wir müssen dafür sorgen, dass das so bleibt. Denn wenn Sie die Bilder aus der Ukraine sehen oder eben die Bilder dieses schrecklichen Terrorangriffs der Hamas auf Israel, unser Wertepartner im Nahen Osten. Ein Land, für das wir eine besondere Verantwortung als Deutschland tragen, dann ist das etwas, was einem sehr schnell deutlich macht: Das ist auch etwas, was nach Deutschland schwappen kann. Da sollten wir uns überhaupt nichts vormachen und deswegen sollten wir alle Möglichkeiten ergreifen. Dass es a) in der Welt Frieden gibt und b) dass es so bleibt auf unseren Straßen, wie es ist, nämlich friedlich und sicher. Und dafür muss man jeden Tag Politik machen. Das ist das, was in mir vorgeht, wenn ich das sehe und erlebe dieser Tage.
Eva Dieterle:
Also sehen Sie das auch so wie Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der gesagt hat, wir müssen „kriegsfähig“ werden, andere hätten lieber das Wort „verteidigungsfähig“ gehört. Aber in der Sache sehen Sie das ähnlich?
Boris Rhein:
Auf alle Fälle. Wir müssen kriegsfähig und verteidigungsfähig werden. Das betrifft, wie wir mit unserer Bundeswehr umgehen, wie wir unsere Bundeswehr ausstatten. Aber das gilt auch für die innere Sicherheit, nämlich für unsere Polizei.
Eva Dieterle:
Wir werden viele Milliarden zusätzlich in unsere Sicherheit investieren müssen. Muss die Politik dann nicht so ehrlich sein und dem Bürger auch sagen: Wenn wir hier mehr brauchen, müssen wir es woanders wegnehmen, vielleicht auch bei den Sozialleistungen?
Boris Rhein:
Ja, wir werden sehr intensiv diskutieren müssen in den nächsten Monaten und Jahren über Prioritäten, die wir setzen und Posterioritäten, die wir formulieren, also das, was wir uns jetzt noch leisten können. Und da wird es in der Tat auch um das Thema Sozialleistungen gehen. Es wird aber auch beispielsweise um die Frage gehen: Können wir uns überhaupt diese massive Zuwanderung noch leisten, die wir erleben? Weil die kostet uns ja auch Geld. Wir wollen die Menschen schützen, wir wollen die Menschen aufnehmen, aber ist immer eine Frage: Was kann dieses Land noch bezahlen?
Eva Dieterle:
Wir haben ja den Krieg in der Ukraine erlebt, er tobt ja noch. Wir haben gleichzeitig den Nahostkonflikt dazu bekommen, auch hier bei uns den Krieg im Gazastreifen. Das hat hier bei uns zu einem regelrechten Ausbruch von Antisemitismus geführt. Haben wir alle also die Gesellschaft, aber auch die Politik, das unterschätzt, dass da so viel Potenzial schlummert?
Boris Rhein:
Ja, ich bin in der Tat entsetzt über das, was man dieser Tage auf deutschen Straßen erlebte, entsetzt über Antisemitismus und auch Antiisraelismus. Und das müssen wir bekämpfen, das können wir nicht zulassen hier in diesem Land. Ich sage das noch mal sehr deutlich. Das Existenzrecht Israels ist für uns deutsche Staatsräson. Wir in Deutschland haben aufgrund unserer Geschichte eine besondere Verantwortung für Israel und deswegen müssen wir das auch hier auf unseren Straßen umsetzen. Wer hier solche Parolen brüllt, der gehört hier nicht her. Und ich sage auch sehr deutlich: Wer solches Gedankengut vertritt, kann in diesem Land nicht eingebürgert werden. Wer nicht für das Existenzrecht Israels eintritt, der muss sich in der Welt eine andere Adresse suchen als Deutschland.
Eva Dieterle:
Was kann das Land Hessen tun, um die hessischen Juden, zum Beispiel die Synagogen, hier zu schützen?
Boris Rhein:
Ja, wir machen natürlich sehr viel für den Schutz polizeilicherseits. Wir finanzieren auch den Schutz. Aber im Grunde muss man sagen, eigentlich ist es schlimm, dass wir das machen müssen. Eigentlich ist das furchtbar, dass wir es machen müssen, dass wir den Schutz auch noch steigern müssen und ich glaube, deswegen ist das Wichtigste und das Beste, dass wir wirklich stark in die Schulen gehen, politische Bildung machen, dass wir diese Themen in den Schulen viel mehr intensivieren und sehr viel deutlicher machen, was bedeutet Antisemitismus und Antiisraelismus. Und ich bin deswegen immer schon ein großer Anhänger. Ich weiß, das wird auch streitig diskutiert, dass junge Menschen in der Schule wenigstens einmal in beispielsweise ein KZ wie Dachau oder eben sogar nach Auschwitz gehen, um zu wissen, was dort geschehen ist. Weil wir das gesehen hat, der wird für immer immun sein gegen Antisemitismus.
Eva Dieterle:
Wie sorgenvoll ist Ihr Blick in die Zukunft?
Boris Rhein:
Er ist nicht sorgenvoll. Ich bin sogar sehr zuversichtlich, weil wir ein sehr starkes Land sind. Hessen ist ein sehr starkes Land. Deutschland ist ein sehr starkes Land. Wichtig ist nur, dass die Politik sich einig ist. Und das sehe ich auf Bundesebene im Augenblick nicht so, ich sehe es auf hessischer Ebene sehr stark so. Dass man, wenn man gemeinsam etwas umsetzen will, um dieses Land voranzubringen, das auch hinbekommen kann. Und das zeichnet im Grunde genommen auch die Grundlinie unseres Koalitionsvertrages jetzt.
Eva Dieterle:
Wir sind fast schon am Ende unseres Interviews angekommen, deswegen machen wir hier jetzt mal einen harten Schnitt, denn wir haben ja zu Beginn schon über das bewegende und auch für Sie natürlich anstrengende Jahr gesprochen und deswegen würde ich gerne von Ihnen wissen: Wie beenden Sie denn dieses Jahr? Gibt es eine dicke Party im Hause Rhein oder wird es eher ruhig zum Jahreswechsel? Was haben Sie vor?
Boris Rhein:
Na ja, für uns ist das ja immer eine ganz besondere Zeit für meine Frau und mich, weil wir am 2. Januar Geburtstag haben. Am selben Tag, im selben Jahr. Und deswegen haben wir eigentlich eine durchgehende Feierzeit von Weihnachten über Silvester, dann in den Geburtstag. Ich glaube, wir werden dieses Jahr deswegen Silvester etwas ruhiger angehen. Zu Hause mit der Familie und natürlich auch mit ein paar Knallern und ein paar Raketen. Das finde ich, gehört bei Silvester schon dazu. Aber alles in Maßen und ruhig.
Eva Dieterle:
Okay, wie es hier gute Tradition ist, in unseren Sendungen zwischen den Jahren haben Sie jetzt als hessischer Landesvater noch die Gelegenheit, zu unseren Zuschauerinnen und Zuschauern direkt zu sprechen, ein paar gute Wünsche fürs neue Jahr dazulassen. Hier ist Ihre Kamera. Bitte schön.
Boris Rhein:
Ja, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr. Ich wünsche Ihnen vor allem ein friedliches Jahr und ein gesundes Jahr. Aber ich will mich auch bedanken für ein großartiges Engagement, das Sie Tag für Tag leisten. In Hessen ist mehr als jeder Zweite ehrenamtlich tätig. Das macht unsere Gesellschaft so stark. Ob das bei den Rettungsdiensten ist, ob das beim Sport ist, ob das bei der Kultur ist, machen Sie einfach weiter so! Wir sind ein starkes Land und deswegen können wir auch wirklich zuversichtlich in das Jahr 2024 gehen. Wir in der Politik mit der neuen Regierung werden das dafür tun, was dafür notwendig ist.
Eva Dieterle:
Abschlussworte voller Zuversicht. Ich bedanke mich natürlich auch bei Ihnen heute für das Interview. Ich wünsche Ihnen auch einen guten Rutsch.
Boris Rhein:
Ja, danke gleichfalls. Und alles Gute für Sie.
Eva Dieterle:
Danke schön.