Zu Gast im Studio: Der hessische Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner

Beim Blick auf Robert Habeck wird unser heutiger Studiogast, der Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag, immer wieder an den Gegenwind der Berliner Ampelregierung während der Landtagswahl denken. Ja, wie wäre das Ergebnis ohne das umstrittene Heizungsgesetz und die vielen anderen Baustellen der Bundesregierung abgelaufen? Klar ist, die Grünen haben bei der Hessenwahl an Zustimmung verloren und in den Sondierungsgesprächen müssen wohl die Sozialdemokraten mehr überzeugt haben. Ergebnis: Die Grünen sind auf der harten Oppositionsbank gelandet.

Es ist der Beginn einer neuen Ära, den Ministerpräsident Boris Rhein im November vergangenen Jahres verkündet:
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen, am 10.11.2023
„Wir wollen als CDU den Versuch unternehmen, in Hessen eine Regierung mit der SPD, mit den Sozialdemokraten zu bilden.“
Die CDU tauscht ihren Regierungspartner aus. Innere Sicherheit, Migration, Gendern, Kernkraft – wohl alles Themen, bei denen die CDU mit der SPD mehr Gemeinsamkeiten gefunden hat als mit den Grünen.
Damit ist die Koalition von CDU und Grünen in Hessen Geschichte. Zehn Jahre nachdem der ehemalige Ministerpräsident Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir hier das erste schwarz-grüne Bündnis in einem deutschen Flächenland geschmiedet hatten
Für den bisherigen grünen Wirtschaftsminister Al-Wazir heißt das: Zurück auf die Oppositionsbank, als einfacher Abgeordneter.
Mathias Wagner bleibt Fraktionsvorsitzender der Grünen, aber in neuer Rolle: Jetzt als Kritiker der schwarz-roten Regierung. Und er zeigt sich – schon am Tag der Konstituierenden Sitzung des Landtages – angriffslustig.
Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen, am 18.1.2024
„Der Koalitionsvertrag ist ein Hauch von Nichts. Das Konkreteste in diesem Vertrag sind die Seitenzahlen.“
2018 waren es die Grünen, die mit einem Rekordergebnis von fast 20 Prozent dafür sorgten, dass Schwarz-Grün weiter eine Mehrheit im hessischen Landtag hatte. Fünf Jahre später ist die Partei mit dem Anspruch in den Wahlkampf gegangen, selbst den Ministerpräsidenten zu stellen. Stattdessen gab es für die Grünen nur 14,8 Prozent der Wählerstimmen. Platz 4. Hinter CDU, AfD und SPD.
Der Grund für das schwache Ergebnis liegt nicht nur in Hessen, sondern auch im mangelnden Rückenwind aus Berlin während des hessischen Wahlkampfes. Die Ampel auf Bundesebene – sie war gefangen im Streit um das vom grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck angestoßene umstrittene Heizungsgesetz. Die Folge: massive Verunsicherung bei Millionen von Haus- und Wohnungsbesitzern und die Erkenntnis bei vielen Bürgern: Klimaschutz kostet Geld, viel Geld.
In Hessen jedenfalls müssen die Grünen jetzt aus der Opposition heraus für ihre Inhalte kämpfen. Denn auch wenn Schwarz-Grün eine Zeit lang als DAS politische Zukunftsprojekt galt – in Hessen hat Boris Rhein diesem Projekt eine klare Absage erteilt.
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Markus Appelmann, Moderator: Wenn auch bei den Grünen jetzt vieles neu ist – er ist weiterhin Fraktionsvorsitzender der Grünen im Hessischen Landtag. Herzlich willkommen, Mathias Wagner.
Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen. Hallo, guten Abend.
Appelmann: Herr Wagner, beschreiben Sie mal das Gefühl, als Sie gemerkt haben: “Mensch, der Boris Rhein, der schickt uns in die Wüste, uns Grüne, der schickt uns in die Opposition.” Und jetzt sagen Sie nicht: “So ist Demokratie, das ist selbstverständlich.”
Wagner: Nein, das war natürlich in diesen Tagen, wo das konkret wurde, sehr, sehr bitter für uns. Wir haben zehn Jahre erfolgreich und gut für Hessen gearbeitet und wir hätten das sehr, sehr gerne auch fortgesetzt. Das war offenkundig von Seiten der CDU nicht gewünscht. Die CDU will eine andere Politik. Und wenn ich mir den Koalitionsvertrag jetzt anschaue: Diese Politik wäre wirklich mit uns nicht möglich gewesen.
Appelmann: Ja, aber jetzt mal ganz ehrlich, wie viel Schuld am Ausscheiden haben auch Ihre Parteifreunde in Berlin? Robert Habeck ist ja heute in Rheinland-Pfalz, wir haben ihn schon in der Sendung gesehen. Das Heizungsgesetz war das große Thema während des gesamten hessischen Landtagswahlkampfs. Haben Sie das schon aufgearbeitet?
Wagner: Na ja, die Bundesebene war sicher kein Rückenwind in diesem Landtagswahlkampf. Da ging der Wind ziemlich ins Gesicht. Das war schon eine Belastung für uns, gar keine Frage. Aber wir Grüne haben Erfahrung damit, dass der Wind von vorne kommt, und haben vor allem die Fähigkeit, dass aus Gegenwind irgendwann auch wieder Rückenwind wird.
Appelmann: Jetzt waren Sie zehn Jahre in der Regierung. Wir haben gerade eben die Bilder gesehen. Können Sie überhaupt noch Opposition?
Wagner: Och doch, das können wir sehr gut. Beide Aufgaben sind wichtig in unserer Demokratie. In der Regierung können Sie natürlich unmittelbar das umsetzen, was Sie richtig finden und was Sie mit dem Land vorhaben. Aber die Opposition hat auch eine wichtige Funktion, nämlich die Regierung zu kontrollieren, Alternativen aufzuzeigen zu Regierungshandeln und künftig auch wieder selbst die Regierung zu sein.
Appelmann: Das dauert aber noch ein bisschen. Die Legislatur kann lang sein, und Opposition ist nicht gleich Opposition. Denn einerseits sind sie Opposition gegen die Regierung, andererseits Opposition gegen die AfD, die stärkste Oppositionskraft derzeit im hessischen Landtag. Das ist doch eine strategisch schwierige Doppelrolle, oder?
Wagner: Das weiß ich nicht. Aber mir ist eins wichtig: Wir haben derzeit im hessischen Landtag eine staatstragende Opposition, das sind die Freien Demokraten und wir Grüne, und wir haben eine staatsgefährdende Opposition, weil es möge sich bitte niemand etwas vormachen, was die AfD mit unserem Land vorhat. Die hat mit Parlamentarismus nichts am Hut, die hat mit Demokratie nichts am Hut, die hat mit der Freiheit und der Vielfalt der Menschen in unserem Land nichts am Hut. Es ist eine richtige Gefahr für unsere Demokratie und keine Alternative.
Appelmann: Jetzt schauen wir mal ganz kurz auch auf die Grünen. Denn nicht nur in Hessen, sondern auch im Bund – das goldene Zeitalter der Grünen scheint vorbei. Die Menschen scheinen auch andere Krisen im Fokus momentan zu haben, nicht nur die Klimakrise, das zeigen zumindest Umfragen. Was folgern Sie daraus?
Wagner: Das hatten wir ja immer schon, dass es mal Phasen gab, wo die Grünen in den Meinungsumfragen sehr weit vorne waren und wo es auch mal schwieriger für uns war. Entscheidend für uns ist und bleibt: Wir wollen den notwendigen Entscheidungen für die Zukunft in der Gegenwart mehrheitsfähig machen, also das, was notwendig ist für eine gute Zukunft.
Appelmann: Das ist momentan aber nicht der Fall, wie wir sehen.
Wagner: Ja, deshalb arbeiten wir daran weiter. Aber es bleibt richtig: Wir werden nur durch Veränderungen ein gutes Leben in unserem Land erhalten können oder Verbesserungen für die Menschen erreichen können. Und im Moment gibt es ja einige politische Kräfte und vielleicht auch eine gesellschaftliche Stimmung, die sagt: “Wir müssen gar nichts ändern, wir müssen nur den Kopf ein bisschen in den Sand stecken vor den Herausforderungen.”
Appelmann: Sie müssen die Menschen dabei auch mitnehmen und die müssen das am Ende auch bezahlen können.
Wagner: Selbstverständlich. Da haben wir sicher auch einiges aufzuarbeiten, was wir im vergangenen Jahr nicht richtig gemacht haben. Aber wir werden unseren Grundkompass nicht ändern. Und der Grundkompass ist, durch Veränderungen das Leben der Menschen besser machen. Und dafür werden wir weiter werben. Und ich bin mir sehr sicher, es kommen auch wieder Zeiten, wo wir in den Umfragen dann wieder die 20 % sehen werden. Wir sind im Moment ja bei 14 %, ist in etwa der Wert der letzten Bundestagswahl. Das hätte vor zehn Jahren ja auch niemand gedacht, dass die Grünen sich mal auf solchen Werten stabilisieren.
Appelmann: Das reden Sie sich jetzt gerade auch ein bisschen schön. Veränderung haben Sie angesprochen, das will ich zum Ende auch noch ganz kurz bringen: die Energiewende. Ganz klare Maßgabe hin zu Elektro, raus aus der Kernenergie. Das ist ein Sonderweg in Deutschland. Dem folgen kaum andere Nationen und dem folgen auch immer weniger Wähler, wie wir ja auch in Umfragen und in Wahlen momentan sehen. Muss da nicht was korrigiert werden bei den Grünen?
Wagner: Nein, das glaube ich nicht. Sie können ja Ihre Position nicht davon abhängig machen, was aktuell die Stimmungslage ist, sondern Parteien sind ja auch dafür da, grundsätzliche Positionen zu vertreten. Und unsere grundsätzliche Haltung ist, dass die Atomkraft in Deutschland und in der Welt nicht zu verantworten ist. Im Übrigen werden auch in anderen Staaten nicht wirklich Atomkraftwerke zugebaut. In der Regel sind das Pläne, aber das, was wirklich realisiert wird, ist dann doch sehr bescheiden.
Appelmann: Sogar in anderen europäischen Staaten werden zugebaut.
Wagner: Und wenn wir unsere Energieversorgung doch ohne das Risiko der Atomkraft sicherstellen können mit erneuerbaren Energien, warum sollten wir es dann nicht auch tun?
Appelmann: … sagt Mathias Wagner, heute bei uns im Studio der hessische Fraktionsvorsitzende der Grünen. Danke, dass Sie da waren.
Wagner: Gerne.