Zeitzeugen des Holocaust sprechen mit Schülern

„Fragt uns, wir sind die letzten“ – unter diesem Motto sprechen Schüler aus Rheinland-Pfalz diese Woche mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts. Die zentrale Frage dabei ist: Wie geht es weiter mit der Erinnerungskultur in Deutschland und dem Gedenken an die NS-Vergangenheit, wenn keine Zeitzeugen mehr am Leben sind?

 

Alodia Witaszek-Napierala: „Als der Zweite Weltkrieg angefangen hat, habe ich in unserem Haus gewohnt mit meiner Mama, mit meinem Vater und meinen zwei Geschwistern.“  
Die Deutschen ermorden den Vater und deportieren die Mutter nach Auschwitz. Alodia Witaszek und ihre Schwester aber werden verschleppt – wegen ihrer blonden Haare und blauen Augen. Dann …
Alodia Witaszek-Napierala: „… haben Sie gesagt, dass wir beide Kinder der arischen Rasse sind.“  
Alodia soll wegen ihrer „arischen Rasse“ in ein sogenanntes „Lebensborn“-Heim: In diesen Heimen erzieht die SS hunderttausende Kinder zu Deutschen um  – damit Familien aus dem Reich sie adoptieren. Aus Alodia Witaszek wird Alice Wittke. Als einer der wenigen Lebensborn-Kinder kehrt sie später wieder zurück zu ihrer Familie – denn ihre Mutter überlebt Auschwitz. Das Interesse der Schüler ist groß.
Schülerin: „Ich wollte fragen, ob sie sich mehr ihrer deutschen oder ihrer polnischen Familie zugehörig fühlen.“
Schülerin: „Sie haben ja gesagt, dass Sie nach Hause gekommen sind und ihre polnische Mutter nicht mehr erkannt haben. Wie haben Sie sich dabei gefühlt?“
Noch können Überlebende Fragen beantworten. Überlebende wie auch Henriette Kretz. Der Regisseur Edmund Bohr hat einen Film über sie gedreht. Für die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig eine Möglichkeit, für Zeitzeugenarbeit nach den Zeitzeugen.
Stefanie Hubig (SPD), Bildungsministerin Rheinland-Pfalz: „Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bei uns werden älter und sind schon sehr betagte Leute und wir müssen gucken, dass wir ihre Aussagen konservieren, dass wir sie behalten können und deshalb gibt es diese Filme, damit auch spätere Generationen unmittelbar hören und Schilderungen bekommen, was passiert ist.“
Damit nicht vergessen wird, was Henriette Kretz passiert ist: Während des Holocausts entdecken die Nazis ihre Familie und sie im Versteck – sie kann wegrennen und hört noch wie ihre Eltern nach Pistolenschüssen verstummen.
Soraya Banerjee, Schülerin: „Das ein seltsames Gefühl, das hochkommt, weil man es nicht glauben kann, dass es sowas geben kann. Aber die ganzen Schrecken gab es wirklich und mit Zeitzeugen zu sprechen, macht es … es ist ein besonderes Erlebnis, weil man erst dann versteht, was passiert ist.“  
Paulina Licht, Schülerin: „Einfach, um das den nächsten Generationen weiterzugeben und einfach  damit wir aus unseren Fehlern lernen. (…) Und einfach damit es sich nicht wiederholt.“
Für Henriette Kretz wiederholt sich die Geschichte gerade: Im Gespräch mit den Schülern berühren sich kurz Vergangenheit und Gegenwart.
Henriette Kretz, Holocaust-Überlebende: „Wie Sie wissen, bin ich in der Ukraine geboren. (…) Und wenn ich jetzt sehe, was da geschieht… ich glaube, ich träume. Ich habe nie gedacht, nach dem Krieg, dass es wieder einen Krieg kommen sollte 70 Jahre nachher.“
Sie glaubt: Russlands Bevölkerung sei durch Propaganda verführt, wie damals die Deutschen – und sie glaubt: Kritisches Erinnern kann helfen, Fehler zu wiederholen. Sie will als Zeitzeugin erzählen, so lange sie kann. Das will auch Alodia Witaszek: An ihrer Geschichte zeigt sich, dass Menschlichkeit über alle Grenzen und entgegen alle Widrigkeiten entstehen kann. Ihre polnische Mutter, und ihre deutsche Mutter wurden besten Freundinnen.