Wie stark leiden Jugendliche unter der Corona-Pandemie?

Über zwei Jahre Leben mit Corona haben wir alle schon hinter uns. Jeder auf seine ganz persönliche Weise. Zwei Jahre, die bei 14- oder 16- Jährigen jedoch einen viel größeren Lebensanteil ausmachen, als bei älteren Semestern – das liegt auf der Hand. Was junge Menschen über diese Zeit denken und was sie brauchen, darüber spricht Eva Dieterle mit einer Frankfurter Erziehungswissenschaftlerin. Doch zuerst schauen wir auf die „Generation Corona“.

Lars Ludes aus Trier gehört mit 19 Jahren zur sogenannten „Generation Corona“. Eine Generation, die von den Einschränkungen der zwei Pandemie-Jahre mitten in ihrer Sturm-und-Drang-Phase getroffen wird. Im Jahr 2020 bringt der damalige Abiturient seine Gedanken zu Papier – daraus entsteht ein Roman über die Corona-Sorgen eines Jugendlichen.
„Irgendwie fesselt diese ganze Pandemie einen voll und ganz, sie legt mich in Ketten und ich habe Angst, alles zu verlieren durch diese scheiß Pandemie.“
Wie geht es jungen Menschen wie ihm heute nach zwei Jahren Pandemie? Trotz Corona-Lockerungen in Sichtweite kann Lars für seine Altersgruppe nicht von Eitel Sonnenschein sprechen.
Lars Ludes, Jungautor
„Es ist eigentlich recht viel gleich geblieben. Also, nach diesen zwei Jahren Unsicherheit und komplettem Chaos auch manchmal, von dem Auf und Ab hat sich jetzt in den Köpfen nicht viel geändert. Zumindest wirkt es so. Viele Jugendliche haben jetzt immer noch mit extremen Depressionen zu kämpfen, viele meiner Freunde sind in Kliniken eingewiesen worden oder haben jetzt Magersucht oder Essstörungen und allgemein dieses Soziale, diese Hobbyaufnahme, dieses Wiederaktivieren, dieses Hobbys nachgehen, das fällt meistens weg.“
Fehlende Kontakte, Schulschließungen, Einsamkeit. Und Zukunftsängste die angesichts der aktuellen Lage nicht kleiner werden. Nun, wo langsam Licht am Ende des Corona Tunnels kommt, herrscht Krieg in Europa und sorgt für zusätzliche Verunsicherung. Nadya Konrad vom Landesjugendrundring Rheinland-Pfalz sieht Jugendliche momentan vor allem in einer Stimmung.
Nadya Konrad, Geschäftsführerin Landesjugendring Rheinland-Pfalz
„Müde. Müde von den vielen Regeln, müde von dem Öffnen dem Schließen, müde vom Alleinsein, müde vom Digitalen, müde von der Unplanbarkeit, einfach müde.
Wach bleiben und bis zum Morgengrauen in Clubs und Diskotheken tanzen ist immerhin seit kurzem wieder möglich. Lange ging das nicht. Dadurch fehlten Begegnungen und die Möglichkeit, wichtige erste Erfahrungen zu machen.
Lars Ludes, Jungautor
„Diese Zeit die wir jetzt da verloren haben, wenn man es so sagen kann, ‚verloren‘, die kriegt man nicht wieder zurück. Auch wenn es nur ein Jahr ist, das ist eine Menge Erfahrung, die man als Jugendlicher macht. Auch wenn‘s jetzt irgendetwas Unmoralisches ist wie Drogen nehmen, Party, Sex haben. Einfach was ausprobieren und seine Grenzen und Limits feststellen. Das ist verdammt wichtig und das hat einfach gefehlt.“
Mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst blickt Lars Ludes in die Zukunft. Gefühle die momentan wohl Jung und Alt verbinden.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Und zu diesem Thema spreche ich jetzt mit einer Expertin, Johanna Wilmes, Ehrziehungs-Wissenschaftlerin an der Goethe Universität in Frankfurt. Frau Wilmes, schön, dass Sie Zeit haben.
Johanna Wilmes, Erziehungswissenschaftlerin Universität Frankfurt: Guten Abend.
Dieterle: Frau Wilmes, Sie haben Online-Befragungen durchgeführt und so erfahren, wie es Tausenden Schülern in der Pandemie ergangen ist. Daraus ist eine Studie entstanden. Was ist Ihre Kernbotschaft?
Wilmes: Also, ich würde zwei Kernbotschaften benennen und die erste ist, dass junge Menschen nicht nur auf ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler reduziert werden wollen, sondern sie einfach als das angesehen werden möchten, was sie sonst noch alles sind. Und die andere Botschaft ist, dass sie gehört und gefragt werden wollen. Und das kommt sehr deutlich in unseren Daten vor. Und das ist ja auch einfach ihr gutes Recht, weil es auch in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben wird.
Dieterle: Ich möchte zunächst mal auf die Sorgen genauer eingehen. Und die sind ziemlich vielfältig. Versuchen Sie uns da bitte mal ein Bild zu zeichnen, welche Sorgen sind das?
Wilmes: Also, vieles haben wir ja auch schon in der MAZ gerade gesehen. Was ich persönlich am gravierendsten finde, sind die Zukunftssorgen und das habe ich, um ehrlich zu sein, auch gar nicht so stark erwartet. Und dabei geht es einerseits um die persönliche Zukunft – also was können Sie einmal werden, welche Möglichkeiten stehen Ihnen eigentlich noch offen – und auf der anderen Seite, und das berührt ja auch diesen Bereich so ein bisschen, es ist das Weltgeschehen, wenn man das so ausdrücken möchte. Also, wie geht es auch gesellschaftlich weiter? Welchen Platz haben Sie auch in dieser Welt und was müssen Sie eigentlich auch alles ausbaden in Zukunft?
Dieterle: Sie sprechen in der Studie auch von gravierende psycho-sozialen oder anderen gesundheitliche Belastungen. Können diese überhaupt – ja, wie soll ich sagen – wieder aufgefangen werden und wenn ja wie?
Wilmes: Also, da stehen vor allem Erwachsene und auch die Politik in der Verantwortung. Es müssen psychologische Anlaufstellen niederschwellig gestaltet werden, es müssen Beratungsstellen aufgebaut werden und nicht zuletzt müssen auch die Erwachsenen, also auch wir quasi, sensibel mit der Lage von jungen Menschen umgehen.
Und um auch noch mal auf die Zukunft zu blicken, brauchen junge Menschen einfach Perspektiven, die ihnen dann auch so kommuniziert werden müssen, damit sie positiv wieder in die Zukunft blicken können.
Dieterle: Jetzt haben wir uns viel mit den Nachteilen beschäftigt. Sie sagen ja aber auch: Junge Menschen gestalten in der Pandemie. Was sind denn – wenn man das so sagen kann – die POSITIVE Einflüsse der Pandemie?
Wilmes: Also, was ja oft auch nicht gesehen wird, ist einfach, was junge Menschen eigentlich geleistet haben, also welche Einschränkungen sie auf sich genommen haben. Natürlich weil sie es mussten, aber eben auch, weil sie es wollten, aus Solidarität. Und in der Studie, da geben sie auch eben diesen Bedarf oder das an, dass sie mitbestimmen wollen und mitgestalten wollen. Und darin sehe ich doch ein riesiges Potenzial, also was ja auch ganz toll ist, dass Jugendliche die Orte, an denen sie sich aufhalten, mitgestalten möchten, aber eben auch ihre und auch unsere Zukunft und dem gilt es doch, Raum zu schaffen und Möglichkeiten zu schaffen.
Dieterle: Frau Wilmes, herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.
Wilmes: Danke schön.