Wie gefährlich ist die Cannabis-Freigabe?

Das aus Hanfpflanzen gewonnene Cannabis ist aktuell in aller Munde – nicht nur, weil einige Menschen das Rauschmittel konsumieren, sondern auch, weil gerade heftig über das neue Cannabis-Gesetz diskutiert wird. Politiker und auch Wissenschaftler sind sich nicht einig darüber, ob die Teil-Legalisierung von Cannabis eine gute oder eine schlechte Idee ist.

Sie haben es gepafft: Seit Montag können Cannabis-Konsumenten in Deutschland 25 Gramm des Rauschmittels bei sich tragen und öffentlich rauchen – wenn sie sich hundert Meter von Kitas, Schulen und Sportstätten entfernt aufhalten. Der Joint legal, der Polizei egal.
Zuhause dürfen sie 50 Gramm Cannabis aufbewahren und maximal drei Pflanzen pro Person anbauen.
Durch das neue Gesetz will die neue Bundesregierung nicht nur mehr Rausch wagen.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister, am 23.02.2024
„So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Wir verfolgen zwei Ziele: Das erste Ziel ist es, den Schwarzmarkt zu bekämpfen.“
Das zweite Ziel sei: Polizei und Justiz zu entlasten.
Doch viele Mediziner halten die Teil-Legalisierung von Cannabis für falsch, denn das menschliche Gehirn sei bis 25 nicht fertig entwickelt – Cannabis könne bis dahin Schäden im Gehirn anrichten. Mögliche Folgen: Eine geringere Intelligenz, Psychosen bis zu einer Schizophrenie.
Dr. Lothar Maurer, Kinder- und Jugendarzt
„Wir haben jetzt schon viel zu wenige Kinder- und Jugend-Psychiater, wir haben noch eine ganze Welle von kinderpsychiatrischen Fällen aus der Covid-19-Zeit, die uns hinterherlaufen wegen der ganzen Isolationsmaßnahmen, was da stattgefunden hat. Ein Jahr Wartezeit, um einen Kinderpsychiater zu bekommen und wenn noch Cannabis-Fälle dazu kommen: Das wird vom System nicht aufgefangen.“
Harmloses Hanf oder Einstiegsdroge, die der Gesellschaft mehr Nachteile als Vorteile bringt? Das Cannabis-Gesetz sieht vor, die Folgen der Teil-Legalisierung genau zu untersuchen, in vier Jahren soll eine abschließende Bewertung vorliegen.
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Eva Dieterle, Moderatorin:
Und vom Centre for Drug Research der Uni Frankfurt ist jetzt live bei mir im Studio Bernd Werse. Schön, dass Sie hier sind. Guten Abend.
Bernd Werse, Centre for Drug Research Universität Frankfurt:
Guten Abend.
Dieterle:
Ich würde gerne von Ihnen zuerst mal wissen, wie beurteilen Sie das? Oder wie schätzen Sie das ein? Was sagen Sie zur Cannabis-Teil-Legalisierung?
Werse:
Also, ich sehe es größtenteils positiv. Also bei allem, was man an diesem Gesetz in Details auszusetzen hat, ist es einfach ein sehr großer Schritt, den es in den letzten Jahrzehnten so nicht gegeben hat, dass also wirklich Millionen von Menschen, die jetzt schon gelegentlich oder regelmäßig Cannabis konsumieren, nichts mehr zu befürchten haben, zum Beispiel nicht mehr zusammenzucken, wenn sie über die Straße gehen und ihnen kommt ein Polizist entgegen und sie haben noch ein bisschen Gras in der Tasche einstecken oder so. Und das ist auch auf jeden Fall schon mal sehr sinnvoll, dass diese Menschen entstigmatisiert werden.
Dieterle:
Es gibt auch viele Bedenken, wir haben zum Beispiel gerade den Arzt im Beitrag gehört, gerade wenn es um junge Menschen geht. Was sagen Sie dazu? Wie schätzen Sie das ein?
Werse:
Ja, also das, was der Arzt eben gerade vermutet hat, dass jetzt nämlich die Fälle ansteigen würden von jungen Menschen, die Probleme bekommen, sehe ich so auf gar keinen Fall. Denn alle Erfahrungen, die man im Ausland mit Legalisierung oder Entkriminalisierung in einem ähnlichen Stil gemacht hat, deuten darauf hin, dass sich bei den Jugendlichen wenig bis gar nichts ändert. Teilweise sind die Zahlen sogar nach unten gegangen, was den Konsum angeht und schon gar nicht, was problematischen Konsum angeht. Wenn es da überhaupt eine Änderung geben würde, dann würde man das auch erst in zwei, drei Jahren merken, nämlich dann, wenn diese Leute, die dann anfangen, Probleme entwickelt haben.
Dieterle:
Jetzt war es früher so, dass Cannabis immer so ein bisschen als Einstiegsdroge gehandelt worden ist. Das ist jetzt in dieser aktuellen Diskussion wieder aufgeploppt. Sehen Sie diese Gefahr auch?
Werse:
Also Einstiegsdroge war es bisher nur deswegen, weil es der Einstieg in die Illegalität war. Also diese These von der Einstiegsdroge, die quasi das Gehirn oder den Körper irgendwie darauf vorbereitet, auch andere Drogen zu konsumieren, die ist schon seit Jahrzehnten wissenschaftlich widerlegt. Ich weiß, es gibt immer mal wieder Bemühungen, diese These wieder aufzuwärmen, aber das stimmt so nicht. Und insofern sehe ich jetzt eigentlich aktuell eher den gegenteiligen Effekt, dass nämlich diejenigen, die eben jetzt nicht mehr zwangsläufig zu einem Dealer gehen müssen, der eben auch noch andere Drogen im Angebot hat, nicht mehr ganz so leicht in Kontakt kommen mit anderen Substanzen.
Dieterle:
Es wird ab dem Sommer jetzt auch sogenannte Cannabis-Clubs oder auch Anbauvereinigungen geben. Da stellt sich natürlich die Frage, das ganze staatlich organisiert, warum sollten junge Menschen, die so oder so schon wissen woher sie ihr Cannabis kriegen, jetzt genau da hingehen?
Werse:
Ja, das ist tatsächlich auch einer der großen Kritikpunkte, denen es bei dem Gesetz gibt, dass auch die Regelungen für diese Cannabis-Anbauvereinigungen für viel zu kompliziert gehalten werden. Also zum Beispiel ist es ja so, dass man zwar bis 500 Mitglieder aufnehmen kann, aber die Mitglieder selber dafür zuständig sein sollen, den Anbau zu organisieren, also sich nur so ein paar Minijobber einstellen können dafür. Das wird sehr kompliziert und außerdem wollen sich auch viele Leute nicht registrieren lassen. Trotzdem sehe ich aber die größere Chance, also die kleinere Chance in diesen Anbau Vereinigungen, die größere Chance in dem Eigenanbau, den man ja jetzt schon ermöglicht hat. Und da gab es ja sogar schon Umfragen, dass bis zu 10  % der Deutschen sich jetzt zu Hause Cannabispflanzen hinstellen, wohl auch welche, die es womöglich gar nicht konsumieren. Es wird zwar nicht legal sein, das dann an andere Leute weiterzugeben, aber im Privaten kriegt das normalerweise keiner mit. Und insofern wird wahrscheinlich schon vieles von dem Schwarzmarkt durch den Eigenanbau abgeschöpft werden.
Dieterle:
Also Sie denken, das hat auch Auswirkungen auf den Schwarzmarkt. Zum Schluss von Ihnen noch eine Einschätzung: Die Zahl der Cannabiskonsumenten wird sie durch die Legalisierung steigen?
Werse:
Auch da gibt es Erfahrungen aus dem Ausland, zum Beispiel aus Kanada, wo es dann insbesondere unter älteren Jahrgängen, also sagen wir mal eher unsere Generation, Leute, die vielleicht früher mal gekifft haben, das jetzt mal wieder ausprobieren. Und ich erwarte auch das jetzt gerade im Moment wahrscheinlich viele Menschen, die jetzt nicht mehr so ganz jung sind, das auch mal wieder ausprobieren, aber diese Welle dann wieder abebben wird. Wo es bisher wenig Änderungen gegeben hat, ist bei den jungen Menschen, um die es ja auch vor allen Dingen in der Prävention geht und gehen soll.
Dieterle:
Das sagt Bernd Werse vom Centre for Drug Research von der Universität in Frankfurt. Vielen Dank, dass Sie heute live zum Interview hier waren.
Werse:
Ich danke Ihnen.