Vorbereitung auf den Corona-Herbst: Chef der Staatskanzlei im Studio

Corona und der Herbst – was da auf uns zukommt, darüber sind sich Experten nicht einig. Genauso wenig ist man sich auf Bundesebene einig. Da kämpft „Team Vorsicht“ gegen „Team Freiheit“ – und so gibt es rund um den Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes noch viele Fragen. Das Bundeskabinett hat gestern den Entwurf beschlossen – einige Länder, wie zum Beispiel Hessen, sind aber noch wenig überzeugt. Darüber sprechen wir mit dem Corona-Koordinator des Landes Hessen, Axel Wintermeyer.

Die Sommerwelle, sie ist gebrochen. Nachdem die stark ansteckende Omikron-Variante die Corona-Fallzahlen in den letzten Monaten in die Höhe getrieben hatte, ebben sie nun immer weiter ab. Doch wie heißt es so schön: Nach der Ebbe kommt die Flut.
Und so rechnet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch für den Herbst mit einer erheblichen Krankheits-Welle. Die Bundesregierung hat deshalb gestern ein neues Infektionsschutzgesetz auf den Weg gebracht, das wieder schärfere Corona-Schutzmaßnahmen vorsieht.
Karl Lauterbach, SPD, Bundesgesundheitsminister
„Bundesweit soll daher ab dem 01.10 gelten, dass also im Fern-und Flugverkehr FFP2-Masken getragen werden müssen, dass in Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen die Schutzniveaus erhöht werden. Dass dort die FFP2-Maskenpflicht gilt und darüber hinaus getestet wird. Also im Vergleich zum letzten Jahr erhöhen wird dort die Schutzmaßnahmen noch einmal.“
Zusätzlich können die Länder ebenfalls ab dem 01. Oktober eine Maskenpflicht in Innenräumen anordnen. Wenn sie das tun, müssen sie frisch getestete Personen von der Maskenpflicht ausnehmen.
Auch Menschen, die innerhalb der letzten drei Monate geimpft wurden oder genesen sind, können von der Maskenpflicht im Innenraum befreit werden. Eine umstrittene Option.
Christian Sommerbrodt, Allgemeinmediziner aus Wiesbaden
„Medizinisch betrachtet ist es tatsächlich so, dass wir drei Monate eine etwas verringerte Ansteckungsfähigkeit haben, aber ob das die Pandemie maßgeblich beeinflusst, das muss man tatsächlich in Frage stellen.“
Allgemein das Tragen von FFP2-Masken vorzuschreiben, ist ebenfalls nicht unumstritten. Denn wegen der schlechten Datenlage in Deutschland können Experten aktuell nicht bestätigen, dass diese viel besser schützen als einfache OP-Masken.
Unstrittig ist derzeit, dass es künftig keine Lockdowns und Ausgangssperren mehr geben wird und auch Schulen und Kitas sollen geöffnet bleiben.
Die Länder können auch wieder Abstandsregeln einführen und die Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen im Innenraum begrenzen. Insgesamt attestiert sich die Bundesregierung, ein transparentes, umfangreiches und gleichzeitig maßvolles Schutzkonzept für den Corona-Herbst auf die Beine gestellt zu haben.
Karl Lauterbach, SPD, Bundesgesundheitsminister
„Wir wollen im jetzt kommenden Herbst deutlich besser für die Pandemie gerüstet sein, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.“
Ab welcher Infektionslage die Länder allerdings schärfere Maßnahmen ergreifen können, wird im Gesetzentwurf nicht definiert. Den Forderungen aus den Ländern, hierfür einen einheitlichen Rahmen zu schaffen, ist der Bund bislang nicht nachgekommen.
Für Christian Sommerbrodt ein klares Versäumnis.
Christian Sommerbrodt, Vorstand Hausärzteverband Hessen
„Das hätten wir in den zwei Jahren sicherlich hinkriegen können. Mir drängt sich da eher der Verdacht auf, dass wir eigentlich genauso weit sind wie in den ersten Monaten der Pandemie, wo wir auch einen Flickenteppich an Empfehlungen hatten, an den keiner wusste, wo er sich orientieren soll. Und das Gesetz eröffnet eigentlich genau die gleiche Situation und das ist unbefriedigend.“
Der Weg in den dritten Corona-Herbst ist eingeschlagen. Offen ist nur, wie steinig er wird.
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Markus Appelmann, Moderator: Und die Steine muss er wieder aus dem Weg räumen, der Corona-Koordinator des Landes Hessen, Chef der Staatskanzlei Axel Wintermeyer. Guten Abend.
Axel Wintermeyer, CDU, Chef der Staatskanzlei Hessen: Guten Abend, Herr Appelmann.
Appelmann: Wir haben gehört, seit Wochen wird um das neue Gesetz gerungen, jetzt soll es im September Bundestag und Bundesrat passieren. Jetzt mal Hand aufs Herz: Sind wir im dritten Corona-Herbst wieder nicht richtig vorbereitet?
Wintermeyer: Also, ich glaube, wir haben zunächst mal keinen Grund zur Sorge vor dem Corona-Herbst, weil die derzeitigen Varianten zwar hoch ansteckend sind, aber die Hospitalisierung ist nicht so hoch. Dennoch müssen wir natürlich vorbereitet sein und das, was die Bundesregierung auch nach Gesprächen mit den Ländern vorgelegt hat – sie hat übrigens unsere Kritikpunkte fast alle nicht umgesetzt -, das ist an sich eher enttäuschend. Es kam gerade eben in dem Beitrag auch der Hinweis, dass überhaupt keine Schwellenwerte festgelegt worden sind, ab wann Maßnahmen gemacht werden können. Das wird einfach den Ländern überlassen und dann kann es zu einem Flickenteppich kommen. Das müssen wir verhindern. Das werden wir als Länder auch verhindern, wenn der Bund es nicht selbst regelt. Und eine ganz einfache Kiste: Im Fernverkehr, Herr Lauterbach hat das ja gerade gesagt, müssen Sie FFP2-Maske tragen, im Nahverkehr können Sie FFP2 und medizinische Maske tragen. Was hat das dann noch für einen Sinn? Also, da müssen wir noch, glaube ich, sehr nacharbeiten und wir hoffen auf die Beratungen im Deutschen Bundestag.
Appelmann: Lassen Sie uns mal eins nach dem anderen durchgehen. Sie sind kein großer Fan des Bundesinvestitionsschutzgesetzes hat man gerade eben rausgehört. Lassen Sie uns die wichtigen drei Punkte durchgehen.
Punkt 1: Lockdowns soll es nicht mehr geben. Ist das richtig so?
Wintermeyer: Das ist richtig so und das befürworten wir auch als hessische Landesregierung, genauso wie wir keine Schulschließungen mehr haben wollen, Es hat sich ja zum Beispiel bei Schulen gezeigt, dass es keine Infektionstreiber sind, da reicht es halt eben aus, dass man dann im Notfall, wenn es notwendig ist, auch Maske trägt und auch vorher freiwillig testet. Das ist der richtige Weg. Wir haben in Hessen immer eine Politik in Sachen Corona gemacht, dass wir gesagt haben, es muss verhältnismäßig sein. Und diese Besonnenheit die müssen wir auch für den Herbst wieder haben.
Appelmann: Nehmen wir den Punkt 2 heraus Was ist der Gradmesser? Sie haben es eben gesagt, das ist gar nicht definiert. Was ist denn für das Land Hessen der Gradmesser? Ist es die Inzidenz, ist es die Krankenhausbelegung oder was?
Wintermeyer: Es ist ein Mix im weitesten Sinne. Wir haben früher uns ja nun nach Inzidenzen eingerichtet – hat ja jeder Zuschauer und jede Zuschauerin auch nach Inzidenzen geguckt, um dann zu gucken, was tritt ein. Wir wissen, dass das jetzt bei der Omikron-Variante nicht mehr so wichtig ist. Nein, es geht schließlich um die Belastung des Gesundheitssystems – wie viel Intensivbetten, wie viel Krankenhäuser sind wie stark auch belastet – und wir vergegenwärtigen im Herbst meistens auch noch eine Grippewelle. Also es kann auch noch zu Personalausfällen kommen. Aber unsere Krankenhäuser in Hessen sind derzeit in einer sehr guten und auch stabilen Lage und es gibt derzeit gar nichts zu befürchten.
Appelmann: Punkt Nummer 3: die Maske. Das wird auch den Ländern überlassen, wenn es um den Innenraum geht. Was wird da im Land Hessen passieren? Restaurants zum Beispiel.
Wintermeyer: Also, die Maske ist zunächst mal neben dem Impfen das beste Schutzmittel vor Corona. Und wenn die Notwendigkeit besteht, aufgrund hoher Infektionsrate und auch aufgrund der Tatsache, dass die Krankenhäuser an die Belastungsgrenze kommen, kann es auch wieder Maskenpflichten in zum Beispiel Gaststätten oder öffentlichen Räumen geben. Aber ich sage: nur bis zum Platz, alles andere wäre blödsinnig. Die Menschen müssen es verstehen, was gemacht wird. Es muss nachhaltig im Endeffekt sein. Und das, was da die Bundesregierung derzeit vorgelegt hat, mit dem Bundesinfektionsschutzgesetz, das ist noch nicht ganz konsistent.
Appelmann: Wir kennen alle die Bilder aus dem Regierungsflieger mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Während im Flugverkehr weiter Maskenpflicht gilt, flogen die Politiker ohne Schutzmaske nach Kanada. Wie will die Politik – und da schließe ich explizit keine Partei aus – die Menschen ins Boot holen, wenn sie gleichzeitig den Eindruck vermittelt, „Für uns gelten andere Regeln“?
Wintermeyer: Also, das war sicherlich nicht gut und verantwortliche Politik muss auch vorbildhaft sein. Deswegen ist es ohne Maske zu fliegen, aber mit Test in Luftwaffenmaschinen zwar zulässig, aber man hätte es nicht machen dürfen und das ist durchaus zu kritisieren. Witzigerweise will Herr Lauterbach sogar die Maskenpflicht in den Flugzeugen verstärken. Sie dürfen zukünftig, wenn es nach Lauterbach geht, nur mit FFP2-Masken im Flieger sitzen, bislang dürfen sie auch nur mit medizinischer Maske fliegen, und das wird auch im internationalen Flugverkehr, was jetzt hier in Frankfurt ein wichtiges Thema ist, zu Schwierigkeiten führen. Kommt einer aus den USA, kann er medizinische Maske tragen, fliegt er weiter von Frankfurt nach Berlin, muss er FFP2 tragen, fliegt er mit der Luftwaffe, brauche nichts.
Appelmann: Haben wir ja gesehen. Sie haben ganz zu Beginn ein Wort in den Mund genommen, den Flickenteppich. Wird es den wieder geben oder stimmen sich die Länder untereinander ab? Rufen Sie zum Beispiel beim Land Rheinland-Pfalz an, wie die mit Corona umgehen werden?
Wintermeyer: Das ist ja selbstverständlich auch in der Corona-Koordination eine unserer Aufgaben, dass die Gesundheitsminister sich entsprechend abstimmen zwischen den Ländern, aber auch die Chefs der Staatskanzlei und last but not least notfalls auch die Ministerpräsidenten. Ein erklärtes Ziel ist, dass die Länder gemeinsam, möglichst gemeinsam handeln. Das haben wir in den vergangenen Jahren auch hingekriegt. Ich bin ganz sicher, dass wir das auch ohne Herrn Lauterbach auch ab dem Herbst hinkriegen werden. Jedenfalls Hessen wird sich dafür einsetzen.
Appelmann: Verunsicherung herrscht auch beim Thema Impfen. Seit letzter Woche gibt es eine Empfehlung für über 60-Jährige. Aber der Impfstoff, der an Omikron angepasst ist, der ist noch nicht genehmigt. Verstehen Sie die Menschen, die zurückhaltend sind, die verunsichert sind?
Wintermeyer: Also, ich verstehe das. Aber auf der anderen Seite, da kann die Politik nicht zaubern. Das ist eine Frage natürlich auch der Forschung, der Entwicklung. Die Impfstoffe sind da, sie müssen noch zugelassen werden. Ich kann an sich nur empfehlen, wenn jemand verunsichert ist, mit seinem Arzt Kontakt aufzunehmen, zu fragen, wie ist ein individuelles Risiko und dann einen Impftermin sich geben zu lassen, der ihn sozusagen die sechs Monate über den Winter schützt, ob es der alte Impfstoff ist oder der neue Impfstoff, beide Impfstoffe schützen vor schweren Verläufen wie wir wissen. Insofern ist Impfen noch die beste Möglichkeit, gegen Omikron und auch gegen Corona sich zu wappnen.
Appelmann: … sagt der Corona-Koordinator des Landes Hessen, Axel Wintermeyer. Danke, dass Sie bei uns waren.
Wintermeyer: Danke Ihnen auch.