Studiogespräch mit dem Präsident der Landesvereinigung der Unternehmerverbände in Rheinland-Pfalz

In unserem Studiogespräch mit Johannes Heger, dem Präsident der Landesvereinigung der Unternehmerverbände in Rheinland-Pfalz, haben wir über die derzeit schwierige Lage der Wirtschaft gesprochen.

Eva Dieterle, Moderatorin: „Guten Abend zu 17:30 Sat1 Live am 27 Dezember. Ich hoffe, Sie hatten ein schönes Weihnachtsfest und ich freue mich, dass Sie jetzt mit dabei sind. Wir wollen heute auf ein ereignisreiches Jahr zurückblicken. Das tun wir gleich mit dem ersten Teil unseres 17:30 Sat 1 Sat Live Jahresrückblicks. Doch zuvor ist der Präsident der Landesvereinigung der Unternehmerverbände in Rheinland Pfalz bei uns zu Gast, Johannes Heger. Er ist auch Geschäftsführender Gesellschafter der Heger Gruppe, die wegen der hohen Energiepreise Insolvenz anmelden musste. Mehr dazu gleich, jetzt schauen wir zunächst auf den Auslöser des Ganzen, auf den Krieg in Europa.
Beitrag:
Als Russland am 24 Februar 2022 den Krieg gegen die Ukraine beginnt, spricht Bundeskanzler Olaf Scholz von einer Zeitenwende. Der Plan, durch wirtschaftlichen Handel einen politischen Wandel zu erreichen, ist gescheitert. Die Bundesbürger bezahlen diesen Irrtum in den nächsten Monaten mit immer höheren Preisen für Benzin, Diesel, Gas und Strom. Zweistellige Inflationsraten lassen viele Privathaushalte und Unternehmen verzweifeln. Bei der Heger-Gruppe in Enkenbach-Alsenborn, die Metall verarbeitet, steigen die monatlichen Energiekosten von 100.000 auf 700.000 €. Im September muss sie deshalb einen Insolvenzantrag stellen. Die Bundesregierung versucht durch immer neue Hilfspakete, einen Gas- und Strompreis-Deckel, die Folgen der Energiekrise abzumildern. Auch wenn das die Steuerzahler Milliarden kostet für weitere Milliarden beschafft sie ausländisches Flüssiggas. Sie weigert sich aber, die drei letzten Atomkraftwerke über den April 2023 hinaus laufen zu lassen. Denn die Zukunft gehöre den erneuerbaren Energien, die in grünem Wasserstoff gespeichert werden. Die Energiekrise ist aber nicht das einzige Problem, mit dem sich die rheinland-pfälzische Wirtschaft herumschlagen muss. So ist der Handel mit China durch eine Null-Covid- Politik, stockende Lieferketten und den drohenden Handelskrieg mit den USA belastet. Deutsche Unternehmen müssen über Entkopplung, weniger Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten und neue Lager nachdenken, auch wenn die Produkte dadurch teurer werden. Außerdem haben Unternehmen immer mehr Probleme, Fachkräfte zu finden. Zwar berät die Bundesregierung wieder einmal über neue Einwanderungsgesetze, doch ob diese genügend IT-Techniker, LKW-Fahrer, Köche und Pflegekräfte nach Deutschland locken werden, kann niemand voraussagen.
Dieterle: „Ja, und darüber spreche ich jetzt mit Johannes Heger. Guten Abend.“
Johannes Heger, LVU-Präsident: „Guten Abend.“
Dieterle: „Herr Heger, das war für Sie wahrscheinlich auch ganz persönlich ein hartes, wenn nicht sogar das härteste berufliche Jahr, das Sie hatten, oder?
Heger: „Das war tatsächlich das härteste. Es sind ja mehrere Krisen nacheinander in schneller Folge aufgetreten. Die Erholungsphase dazwischen hat gefehlt. Und tatsächlich, dann mit dem Kriegsausbruch und den dann noch mal explodierenden Energiepreisen ist eine ganz besonders hohe Herausforderung gewesen. Und deswegen war es das härteste Jahr.“
Dieterle: „Ihr Unternehmen hat eine 120-jährige Tradition. Wie schwer ist da die Entscheidung gefallen, diesen Insolvenzantrag zu stellen?“
Heger: „Das trägt man tagelang und wochenlang mit sich rum.,wenn eine solche Situation sich abzeichnet. Man weiß aber aus juristischen Gründen muss man dann auch zum richtigen Zeitpunkt eine Entscheidung treffen. Das nimmt einem keiner ab. Das muss man tun. Und ich habe es eben dann angemeldet.
Dieterle: „Diese wahnsinnig gestiegenen Energiekosten haben diesen Insolvenzantrag notwendig gemacht. Hat denn die deutsche Energiepolitik eine Mitschuld daran aus Ihrer Sicht?
Heger: „Man kann sich ganz bestimmt auf sehr viel einstellen. Das Allerwichtigste ist eine Planbarkeit, dass man weiß, wo es hinführt und wo es endet. Insofern würde ich mir von der deutschen Energiepolitik wünschen, dass wir diesen langen Plan haben, wie wir in Deutschland eigentlich Energie erzeugen und verteilen wollen. Wenn das aber immer wieder hin und her gezogen wird und immer was anderes dabei rauskommt, das ist eigentlich unerträglich.“
Dieterle: „Ihr Unternehmen stellt ja Gussteile für Windkraftanlagen her. In diesem Bereich ist die Nachfrage ins Stocken geraten. Warum? Wo doch gerade eigentlich alle erneuerbare Energien so schnell wie möglich ausbauen wollen. Das wirkt ja paradox?“
Heger: „Tatsächlich sind es Windkrafträder, wo wir Gussteile liefern, auch für Dieselmotoren, für stationäre Energieerzeugung, Kompressoren, Wasserstoffkompressoren. Aber für uns sind die Gussteile für Windräder sehr wichtig. Das ist zum Stocken gekommen, weil in Deutschland die Anzahl der Genehmigungen ganz stark rückläufig war. Und damit als stärkster Markt in Europa spielt das die entscheidende Rolle. Und das ist so rückläufig letztendlich, weil die Akzeptanz in der Bevölkerung fehlt. Das ist in verschiedenen Bundesländern noch ganz unterschiedlich ausgeprägt und da kann auch Politik die richtigen Weichen stellen. Das haben wir zuletzt gesehen mit der Ampelregierung. Da war vorher jahrelanger Stillstand. Die Ampelregierung hat sehr viele Dinge dann so eingestellt, dass man meinen könnte, jetzt müssten Windräder zum Beispiel wieder ganz stark nachgefragt werden. Aber es muss auch erst die Akzeptanz in den Regionen, in der Bevölkerung passieren, damit jeder auch weiß, warum, steht das Windrad vor meiner Haustür. Am besten wäre es, derjenige würde heraustreten und sagen Ich sehe in meinem Garten drei Windräder. Das macht mir aber nichts aus. Es ist gut, dass die da sind, denn hier entsteht der Strom für mein Elektroauto, für meinen Server, für meinen Computer, für meine Wärmepumpe. Und wenn das verstanden wird und akzeptiert wird, dann denke ich, dann erst wird es vorangehen.“
Dieterle: „Auch wenn wir die Energiekrise wieder in den Griff bekommen, dann wird es ja so bleiben, dass wir im internationalen Vergleich trotzdem auf lange Frist sehr viel höhere Energiepreise haben als in anderen Ländern. Ist das nicht superschädlich für die Wettbewerbsfähigkeit hier bei uns?“
Heger: „Das wird zur Deindustrialisierung führen. Davor haben wir alle Angst. Wir haben uns jetzt jahrzehntelang damit beschäftigt, dass wir in Deutschland diese Herausforderung haben, als Hochlohn-Standort zu überleben und uns dafür immer wieder Strategien zu überlege, wie kommt man damit zurecht. Aber alle anderen Faktoren haben gepasst. Und jetzt müssen wir erleben, dass wir nicht nur Hochlohn-Standort sind, sondern jetzt auch Hochenergiepreis-Standort, Hochtransportkosten-Standort. Und das ist zu viel. Wenn die Stromkosten die Höhe erreichen, wie es die Lohnkosten hatten in meiner Kostenrechnung, dann ist man nicht mehr wettbewerbsfähig am Standort. Also das ist der Killer für den Industriestandort Deutschland.“
Dieterle: „Sie haben die Deindustrialisierung gerade angesprochen. Das ist also das Schreckgespenst, das Sie umtreibt?“
Heger: „Wir sehen das ganz klar. Das hat verschiedene Ursachen. Wir sehen haben immer gedacht, deutsche Firmen verlagern ihre Produktion ins Ausland, und die Entwicklung kann noch hier bleiben. Und auch das ist nicht mehr der Fall. Andere Regionen haben sehr viele Menschen, sehr viele gut ausgebildete Menschen. Die sind auch in Forschung und Entwicklung nicht mehr von uns abhängig. Und wenn die Standortfaktoren sich dann rapide verschlechtern, gibt es wenig Gründe, hier sein Unternehmen weiter zu betreiben.“
Dieterle:  „Wenn wir das nicht unterstützen wollen und sagen, wir kaufen nicht beim Billigsten, sondern wir kaufen hier bei uns, bei den Unternehmen vor Ort, dann müssen wir doch aber auch damit rechnen, dass die Waren, die hier in den Regalen landen, auf längere Frist noch teurer werden, oder?“
Heger: „Die Industrie kauft beim Billigsten. Alles andere sind Lippenbekenntnisse. Man sagt, das müssten wir doch eigentlich hier vor Ort machen, und das wäre doch für alle besser. Das hält immer ein paar Tage an und dann setzt sich wieder durch, dass in einem globalen Wettbewerb dort gekauft wird, wo es am billigsten ist. Da spielen Transportkosten manchmal noch eine Rolle, aber ansonsten ist das eben der Preis oder die Umstände der Globalisierung.
Dieterle: „Ja, wir reden gerade über die Multi-Krise. Das ist jetzt etwas, was alles in diesem Jahr neu dazugekommen ist. Ein Problem, das schon sehr viel älter ist, schon sehr viel länger existiert, ist der Fachkräftemangel. Haben Sie das Gefühl, dass die Politik da genug tut, um den zu bekämpfen?
Heger: „Wir hören das schon Jahre und wir haben es nie so richtig geglaubt. Und jetzt ist es da. Wir sehen das überall Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen, in allen Bereichen, in der Landwirtschaft, in der Gastronomie, im Tourismus, im Handel, in sozialen Berufen und in der Industrie und im Handwerk. Also das ist überhaupt nicht mehr jetzt wegzuleugnen, das ist das Problem, was da ist. Und das lösen wir auch nicht ein bisschen durch eine Einwanderungspolitik. Das ist gut, dass wir das jetzt auch haben. Anerkennung von Ausbildungen und so weiter. Aber tatsächlich müssen wir jetzt mit diesem demografischen Wandel leben. Und die einzige Lösung, die wir dafür finden können, ist Digitalisierung. Jeder Arbeitsplatz, der digitalisiert werden kann, dann müssen wir diesen Weg gehen. Denn mit den wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die wir dann noch haben und gewinnen können, für die braucht man an anderen Stellen. Also da, wo Digitalisierung möglich ist, muss es auch bedingungslos durchgezogen werden.
Dieterle: „Ich möchte noch einmal auf das Einwanderungsgesetz zu sprechen kommen, das die Bundesregierung gerade plant, das neue. Setzt  es denn Ihrer Meinung nach genug Anreize, um qualifizierte Fachkräfte zu holen, auch wenn Sie sagen, das ist nicht die einzige Lösung?“
Heger: „Wir haben ja Zeit genug gehabt, zu schauen, wie andere Länder das lösen mit verschiedenen Methoden. Ich denke, wir haben einen guten Weg gewählt, wie attraktiv wir wirklich sind, liegt nicht nur am Einwanderungsgesetz, sondern auch, wie attraktiv Deutschland ist für diejenigen, die zu uns kommen wollen. Und das hoffe ich, dass wir diese Attraktivität immer noch haben oder auch wieder steigern können und dann eben sehen werden, dass viele, die sich beruflich einbringen wollen und mit ihren Familien hierher kommen wollen, dass die das tun und dass wir sie integrieren können und dass wir, dass sich alle wohlfühlen.
Dieterle: „Aber dass die Politik immer so sagt, wir lösen das über Migration, dass es ihnen zu wenig?“
Heger: „Das wird zahlenmäßig nicht ausreichen. Das kann nur ein Teil sein, ein Teil, auf den wir nicht verzichten können. Aber wir können jetzt nicht glauben, dass wir mit einem Einwanderungsgesetz alle Probleme des demografischen Wandels in Deutschland in den Griff kriegen können.“
Dieterle: „Herr Heger, zum Schluss des Interviews noch eine persönliche Frage Wie blicken Sie denn auf das kommende Jahr? Hat man nach diesem Jahr, nach all dem, was Sie dieses Jahr erlebt haben, noch irgendwie den Mut, zu hoffen? Oder wie schauen Sie auf 2023?“
Heger: „Ich bin optimistisch. Das ist wahrscheinlich auch eine Charaktereigenschaft. Und dabei will ich auch gerne bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mit den Herausforderungen so weitergeht. Irgendwann ist auch mal gut. Die Hoffnung ist da. Dinge beruhigen sich. Dann kehren wir zu den Problemen zurück, die wir langfristig zu lösen haben, aber werden nicht durch tagesaktuelle Dinge mehr so stark gestört. Natürlich sind wir auch jetzt alle aufgerüttelt worden. Ich denke, das war heilsam, was wir in den letzten ein, zwei, drei Jahren durchmachen mussten. Viele Dinge sind schärfer geworden in unserem Blick. Wir sehen klarer, was wir erreichen müssen. Und wenn wir genau da dran arbeiten, dann habe ich die Zuversicht, dass wir hier einen guten Standort in dem guten Land leben, in dem jeder sein Glück finden kann.“
Dieterle: „Ein sehr schönes Schlusswort. Ja, das sind fordernde Zeiten. Ich hoffe, Sie kommen zwischen den Jahren ein bisschen zur Ruhe. Vielen Dank, dass Sie heute zum Interview hier.“
Heger: „Danke schön.“