Streit um den Verlauf der Ahr nach der Flut

Im vergangenen Juli verwüstet eine Jahrhundertflut das Ahrtal. Schnell hatte die Politik versprochen: Der Wiederaufbau soll unbürokratisch und ökologisch erfolgen und vor allem eins sein: krisensicher. Doch genau das sei nicht passiert, kritisiert der Naturschutzbund Rheinland-Pfalz. Der Verlauf der Ahr sei quasi auf den Vorkatastrophenzustand wiederhergestellt worden. Die Gefahr für ein erneutes Hochwasser sei also groß.

In der Katastrophe Chancen sehen – für viele Menschen im Ahrtal klingt das vermutlich bis heute wie Hohn. Aber: Die Katastrophe hat solche Chancen geschaffen, das Ahrtal katastrophenfester zu machen. Denn durch die Flut hat die Ahr teilweise ihren Verlauf geändert. Für den Hochwasserschutz sei das eine Chance gewesen – die man liegen ließ.
Cosima Lindemann, NABU Rheinland-Pfalz
„ Erst mal ist es verständlich, dass ganz viel Aufräumarbeiten passiert sind. Wir haben dann aber die Situation erlebt, dass an manchen Stellen, wo der Fluss Land weggetragen hat und breiter wurde und wo er gezeigt hat, dass er mehr Raum braucht, jetzt im Nachgang der Fluss wieder verengt, eingeengt wurde, an manchen Stellen. wie hier hinter uns. sogar heute enger ist als jemals zuvor.“
Warum das ein Problem ist, zeigt diese Stelle der Ahr kurz vor dem Ort Rech: Wo die Ahr breit ist, fließt sie langsam – an der Engstelle wird sie schneller. Bei Hochwasser könnte sie hier zuerst über die Ufer treten.
Oft haben die Bürger selbst geflutete Flächen auf ihren Grundstücken zugeschüttet – ein Problem, sagt auch Joachim Gerke von der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord.
Joachim Gerke, SGD Nord
„Das gefällt uns jetzt in der Summe so auch nicht. Es gibt auch Stellen, die können nicht so bleiben, das ist vollkommen klar. Die Aufgabe der Behörde ist es jetzt, die berechtigten Interessen, die aus dem Naturschutz heraus definiert werden, mit Interessen der Grundstückseigentümer in Einklang zu bringen.“
Die SGD Nord unterstützt als Landesbehörde den Wiederaufbau im Ahrtal – der soll hochwasserfest gelingen. Das betrifft beispielsweise den Bau zerstörter Brücken – an Brücken stauten sich im Juli Wasser und Trümmer zu Flutwellen auf. Nur könne nicht jeder Ort Brücken einfach weiter flussabwärts – also hinter dem Ort – wiederrichten. Die SGD Nord und der Nabu sind sich einig:
Der Hochwasserschutz im Ahrtal benötigt die Zusammenarbeit aller betroffenen Kommunen: Eine Einzelmaßnahme wie ein Hochwasserdamm oder der Bau einer Brücke flussabwärts bietet zwar einem Ort Schutz – schiebt die Welle aber in den nächsten Ort weiter.
Der Nabu fordert daher mehr sogenannte Retentionsflächen: Das sind natürliche Flächen wie Auen, die dem Fluss mehr Raum geben – eine Hochwasserwelle wird dadurch langsamer und flacher. Im Gespräch für das Ahrtal sind auch Rückhaltebecken: Hier kann eine Fläche gezielt geflutet werden.
Eine weitere Maßnahme: Mehr Wald im Tal, mehr Grünflächen in Städten, weniger versiegelte Flächen – das Prinzip nennt sich Schwammstadt. Regenwasser wird von den Wurzeln und Sträucher aufgenommen, bevor das Wasser in die Ahr fließt.
Die Gemeinde Schuld setzt bereits einige solcher Maßnahmen um: Wo einmal Häuser gestanden haben, soll ein Park entstehen. Das Umweltministerium arbeitet zurzeit an einem Hochwasserschutzkonzept für das gesamte Tal.
Die Pläne zeigen: In Katastrophen können Chancen stecken – sie müssen nur schnell genutzt werden – vor der nächsten Katastrophe.