Strategie gegen Einsamkeit

Ein Thema, das selten bewegt wird: Einsamkeit. Nicht nur ein Problem älterer Menschen, sondern zunehmend auch bei jungen. Einsamkeit kann krank machen oder kann dazu führen, dass sich junge Menschen radikalisieren – so aktuelle Studienergebnisse. Daher ist es wichtig, dass die Politik das Thema angeht. Markus Appelmann spricht mit dem rheinland-pfälzischen Sozialminister Alexander Schweitzer darüber – vorher zeigen wir ein Beispiel einer Frau aus der Südpfalz, die gerade noch rechtzeitig Hilfe bekommen hat.

Monika Siebert, Rentnerin aus Wörth
„Ja, also ich habe mir auch schon mal Gedanken gemacht, was müsste man für Schlaftabletten nehmen, wenn man möchte …“
An manchen Tagen ist die Einsamkeit für Monika Siebert besonders schlimm: Seit 18 Jahren lebt sie hier im Betreuten Wohnen im rheinland-pfälzischen Wörth. Das Gefühl niemanden um sich herum zu haben, hat bei ihr aber schon früher angefangen.
Monika Siebert, Rentnerin aus Wörth
„Ich bin immer schon alleine. Mein Mann, wir waren nur fünf Jahre verheiratet, dann ist er verstorben und das war ’83 – von daher … Familie habe ich überhaupt keine mehr. Verwandtschaft hier unten auch nicht. Ich stamme ja ursprünglich aus Norddeutschland und von daher ist dann halt nur die Leute, die ich hier im Haus kennengelernt habe.“
Helfen soll unter anderem ein Projekt der Malteser. Ehrenamtliche besuchen einsame Menschen bei ihnen zu Hause und nehmen ihren Hund mit. Reden, streicheln, endlich ein wenig Abwechslung im einsamen Alltag.
Monika Siebert, 77 Jahre alt
„Ich habe immer schon Tiere gemocht. Als ich noch zur Schule ging, war ich schon im Tierheim und habe da geholfen, die Hunde ausführen und so weiter.“
Insgesamt 23 Ehrenamtliche engagieren sich im Landkreis Germersheim beim Besuchsdienst. Eine davon ist Nina Baxmann. Sie besucht Monika seit einem halben Jahr. Jede Woche einmal für zwei Stunden – zusammen mit ihrem Hund Gela.
Nina Baxmann, Ehrenamliche Helferin Malteser Hilfsdienst
„Es ist schön! Es ist immer wieder schön zu sehen, wie sich jemand freut, dass Besuch kommt. Auch für den Hund, wenn dann die Augen strahlen, wenn sie dann schon zur Tür reinkommt. Die Gela freut sich auch immer sehr hier zu sein. Und so ein Hund ist manchmal ein Schlüssel die Herzen zu öffnen.“
Marion Karl koordiniert den Besuchsdienst „Miteinander – Füreinander“. Ihrer Meinung nach kann Einsamkeit jeden Menschen – überall – betreffen. Die Hilfen seien sehr lokal – die Betroffenen müssen Glück haben, ob in ihrem Ort etwas angeboten wird oder nicht.
Marion Karl, Koordinatorin „Miteinander – Füreinander“
„Was halt toll wäre, ist, wenn es mehr flächendeckend gäbe und wenn das alles auch gut vernetzt wäre. Wenn man weiß, wenn ich einen Besuchsdienst möchte melde ich mich da und da und die gucken dann für mich, wo ist da der nächste Anbieter sozusagen. Man bräuchte in jeder Kommune jemand Hauptamtliches, der das steuert, lenkt und begleitet.“
Jetzt freut sich Monika jeder Woche aufs Neue, wenn sie Nina und Gela besuchen kommen. An manchen Tagen, erdrückt sie das Gefühl der Einsamkeit trotzdem besonders.
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Markus Appelmann, Moderator: Darüber wollen wir jetzt sprechen, mit dem rheinland-pfälzischen Sozialminister Alexander Schweitzer im Studio. Guten Abend.
Alexander Schweitzer (SPD), Sozialminister Rheinland-Pfalz: Hallo, Herr Appelmann.
Appelmann: Herr Schweitzer, seit der Corona-Krise fühlen sich viele Menschen so einsam wie nie zuvor. Dabei ist Einsamkeit kein neues Phänomen. Warum hat es Politik so spät entdeckt?
Schweitzer: Ich glaube, dass wir in Rheinland-Pfalz zumindest gar nicht so spät dran sind. Viele der Schritte, die wir jetzt auch in dem Beitrag gesehen haben, was ambulante Hilfen, neue Nachbarschaften angeht, die sind ja schon älter als die Pandemie ist. Tatsächlich die Gemeindeschwester plus, eines der zentralen Instrumente, das wir in Rheinland Pfalz haben und das Sie auch in keinem anderen Land finden werden, ist ja schon älter als die Pandemie war und sie wirkt sehr stark durch aufsuchende, durch präventive Hausbesuche, durch Aktivierung.
Und darum ist für mich die Gemeindeschwester plus, die bei mir im Sozialministerium angesiedelt ist und die wir inzwischen in der Größenordnung von fast 70 haben landesweit, also sehr stark auch auf den Kommunen verteilt, wirkt sehr stark auch hier Einsamkeit zu bekämpfen oder aktivierend, so wie wir es in dem Beitrag gesehen haben. Einsamkeit ist ein Thema, nicht erst seit der Pandemie, aber ich glaube, wir sind auch in der Pandemie noch mal darauf aufmerksam gemacht worden, wie oft Menschen sich nicht gesehen und wahrgenommen fühlen.
Appelmann: Wenn Sie an dieses Thema rangehen, dann müssen Sie aber auch die Gründe wissen. Was sind die Gründe für Einsamkeit?
Schweitzer: Die können ganz unterschiedlich sein. Die sind übrigens auch nicht nur dem Alter vorbehalten. Wir haben sogar das Phänomen, dass ganz junge Menschen oftmals das Gefühl haben, sie haben nicht wirklich engen Kontakt zu Mitmenschen. Selbst wenn sie 1.000 Kontakte auf dem Smartphone haben, haben sie nicht immer das Gefühl, dass sie wahrgenommen haben, dass sie gute Gespräche führen können. Die können am Arbeitsplatz entstehen. Da hat auch Homeoffice, das wir alle gut finden, auch einen Teil dazu beigetragen, dass der Kontakt zu Kollegen nachlässt. Die können durch Armut und durch soziale Not entstehen. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie können sich das eigene Leben nicht mehr leisten, dann machen Sie auch nicht viel, weil Sie es einfach nicht mehr leisten können. Und dadurch entsteht Isolation, Armut. Sie kann mit Alter zusammenhängen, mit persönlichen Schicksalsschlägen. Und darum muss das Angebot – wir machen das Rheinland-Pfalz auch – sehr, sehr vielfältig sein. Es gibt nicht eine Schablone, die überall passt, aber Einsamkeit ist ein Thema, weil es nicht nur Menschen für sich alleine betrifft, sondern es hat natürlich auch eine Folge für Medizin, für Gesundheit, für soziale Kosten.
Und darum muss sich Politik auch damit beschäftigen.
Appelmann: Sie haben es auch gerabe eben gesagt: Auch junge Menschen, Jugendliche sind davon betroffen. Dazu gibt es ganz aktuelle Studienergebnisse. Denn einsame junge Menschen sind anfälliger für radikale politische Einstellungen, für Verschwörungstheorien zum Beispiel. Was tun Sie dagegen, dass sich junge Menschen nicht auf diesem Wege radikalisieren?
Schweitzer: Sie sehen, dass auch das Thema “Wie gehe ich gegen Populismus und Verschwörungstheoretiker vor?” nicht nur auf diesem direkten Weg der politischen Auseinandersetzung läuft, sondern man muss auch Menschen immunisieren, stark machen, dass sie nicht in der Sorge, dass sie alleine gesehen werden, sich an starken, vielleicht aber auch verqueren Thesen ausrichten, dann wieder rauskommen aus dem Leben, sondern dass sie andere Angebote haben.
Das ist Freizeit, das ist Job, das ist guter Job, das ist etwas, was vor Ort passiert. Und das machen wir auf sehr vielfältiger Weise in Rheinland-Pfalz. Das ist auch aktive Arbeit an einer funktionierenden Demokratie.
Appelmann: Und Scham ist ein ganz großes Thema in diesem Zusammenhang. Die Betroffenen denken ganz oft: “Ich habe keine Möglichkeit, mir Freunde zu suchen”, sehen die Schuld ganz alleine bei sich. Wie nehmen Sie die Scham?
Schweitzer: Ich glaube, da hilft sehr stark das, was wir auch bei den Maltesern gesehen haben, dass man einfach darüber spricht, dass man Besuch bekommt, dass man Angebote macht und dann entwickelt sich oftmals, vielleicht nicht beim ersten oder beim zweiten Besuch, aber beim dritten, vierten, wo man sich ein bisschen näher kennenlernt, da ist dann einfach auch eine Vertrauensbasis entstanden. Die Gemeindeschwester plus in Rheinland-Pfalz berichtet uns das ganz oft. Du kommst nicht einfach irgendwo hin und da wird schon das Leben erzählt. Gerade bei der älteren Generation ist das nicht so, aber irgendwann hat sich das entwickelt und dann merkst du: “Okay, guck mal, der hat Kinder, aber die sind gar nicht mehr in Kontakt mit dem älteren Herrn. Da müssen wir vielleicht ansetzen.” Ich habe Beispiele in Rheinland-Pfalz, wo auch Familien wieder zusammengebracht wurden oder wo man gesagt hat: “Ich organisiere mal einen Skatabend”, den du vielleicht selbst gar nicht mehr organisieren kannst, aber dann kommst du mit Gleichgesinnten zusammen und daraus entwickelt sich ja das nächste.
Wenn die Menschen mal wieder gelernt haben oder in die Situation gekommen sind, dass sie mit anderen Menschen zusammenkommen, dann entwickelt sich daraus, das – so sind wir Menschen ja, wir brauchen ja nicht permanent Anleitung – und das sind gute Angebote, die wir in Rheinland-Pfalz auf den Weg gebracht haben.
Appelmann: Jetzt haben uns die Malteser gesagt: “Die Ehrenamtler sind da. Es fehlt eher an den Strukturen, das Ganze zu organisieren.” Das ist doch Aufgabe von Ihnen, von der Politik.
Schweitzer: Genau. Die Gemeindeschwester plus ist ein Hauptamt. Das heißt, wir bezahlen sie aus dem Landeshaushalt in diesem und im nächsten Haushaltsjahr mit fast 7 Millionen Euro. Also wir nehmen da richtig auch Geld in die Hand, aber es ist auch gut investiert. Ich bin froh, dass wir das machen können, weil es Menschen tatsächlich hilft, nicht isoliert zu sein, und die leiten wiederum andere an, laden ein zu Internetcafés, organisieren auch Ehrenamt, aber sie sind in der Mitte und organisieren und nehmen Verantwortung, die das Ehrenamt manchmal nicht übernehmen kann.
Appelmann: “Einsamkeit gehört endlich auf die Agenda”, sagt der rheinland-pfälzische Sozialminister Alexander Schweitzer. Danke für Ihren Besuch,
Schweitzer: Ich danke Ihnen.