Neue PISA-Studie: Erschreckende Ergebnisse

Deutsche Schulen erhalten aktuell besonders schlechte Zeugnisse. Noch nie haben Schüler im internationalen Leistungsvergleich so schlecht abgeschnitten. Das zeigt die jüngste PISA-Studie aus dem Jahr 2022, die gestern vorgestellt wurde. Ein Thema, das Eva Dieterle mit der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig diskutiert.

Lesekompetenz, Mathematik, Naturwissenschaften. War hier nach der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 zunächst ein Aufwärtstrend erkennbar, geht es seit nunmehr zehn Jahren bergab mit den Leistungen deutscher Schüler. Vorläufiges Endergebnis: Die schlechtesten je gemessenen Werte in allen drei Bereichen. Deutlich schlechter als noch 2018. Nur noch internationaler Durchschnitt.
Verschärft werden die ohnehin bestehenden Probleme durch Schulschließungen während der Corona-Pandemie und mehr Zuwanderung von Schülern mit besonderem Förderbedarf.
Für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, kurz GEW, sind die Ergebnisse der aktuellen PISA-Studie ernüchternd, aber nicht überraschend. Studien zufolge fehlen in Hessen bis zum Jahr 2030 fast 12.000 Lehrer, in Rheinland-Pfalz aktuell über 6.000. Vor allem an Grund-, Förder- und Schwerpunktschulen sowie an Schulen mit erhöhtem Förderbedarf. Hier brauche es außerdem mehr Sozialarbeiter.
Klaus-Peter Hammer, Vorsitzender GEW Rheinland-Pfalz
„Deswegen wären wir froh, wenn die Schulen, die strukturell benachteiligt sind, jetzt auch stärker mit Personal ausgestattet würden. Weil diese Schulen haben das dringend notwendig. Da sind die Schülerinnen und Schüler, die mit Migrationshintergrund sind. Da sind die Schülerinnen und Schüler, die aus ärmeren Haushalten kommen und die auch in der Studie erkennbar deutlich schlecht abgeschnitten haben.“
So hat knapp ein Drittel der 15-Jährigen in mindestens einem der drei getesteten Felder – Lesen, Rechnen und Naturwissenschaften – nur sehr geringe Kompetenzen. Etwa jeder Sechste hat sogar in allen drei Bereichen deutliche Defizite. Somit zeigt die aktuelle PISA-Studie: Die deutsche Bildungspolitik, sie hat wohl mehr Hausaufgaben als je zuvor.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Und dafür schalten wir jetzt ins rheinland-pfälzische Bildungsministerium nach Mainz zur Ministerin Stefanie Hubig. Guten Abend.
Stefane Hubig (SPD), Bildungsministerin Rheinland-Pfalz: Hallo. Guten Abend.
Dieterle: Frau Hubig, “Bildungsnotstand”, “PISA-Katastrophe”, “Verheerend schlecht” – diese Schlagzeilen dürften Ihnen als Bildungsministerin nicht gefallen, oder?
Hubig: Ja, wir sehen, dass eigentlich alle OECD-Staaten vor großen Herausforderungen stehen. Digitalisierung, die Transformation insgesamt und natürlich auch die Corona-Pandemie mit den langen Schulschließungen, gegen die wir uns ja immer ausgesprochen haben, haben unter anderem auch zu diesen Ergebnissen geführt. Die Ergebnisse sind … schwierig. Sie bedeuten für uns, dass wir sie uns noch mal genauer angucken. Sie haben sich ja auch ein Stückweit schon abgezeichnet durch die letzten Trends und Tests, die wir hatten. Und wir haben aber auch schon die Weichen genau deshalb gestellt.
Dieterle: Laut Gewerkschaft liegt das miserable Abschneiden unter anderem an zu wenig qualifizierten Lehrkräften, an zu vielen Vertretungsstunden und an Unterrichtsausfall. Was sagen Sie dazu?
Hubig: Also wir sehen vor allen Dingen, dass die Ergebnisse sich aus verschiedenen Faktoren zusammensetzen oder sich verschieden begründen lassen. Ich habe es gerade schon erwähnt, es war natürlich die langen Schulschließungen, die auch in Deutschland zum Teil länger waren als in anderen Staaten, die am PISA-Test mitgemacht haben. Das ist aber nicht allein der Grund. Wir haben eine andere, eine heterogenere Schülerschaft, als wir die noch vor drei, vor sechs und auch vor zehn Jahren hatten. Auch das merkt man natürlich in den in den Ergebnissen. Und wir sehen, dass der Mathematikunterricht, das sagen uns die Schülerinnen und Schüler oder haben sie in diesen Tests gesagt, ihnen nicht viel Freude bereitet, dass es auch um Unterrichtsqualität geht.
Und natürlich spielt auch eine Rolle fachfremde Fachlehrkräfte. Wir haben in Rheinland-Pfalz die Situation, dass wir unsere Planstellen immer besetzen konnten, aber wir sehen gerade im Vertretungsbereich, dass wir da dringend auch noch mal Lehrkräfte suchen.
Und dass da sicherlich auch Unterricht mit ausfällt, ist sicher auch ein Faktor, aber nicht der alleinige und auch bestimmt nicht der ausschlaggebende. In Rheinland-Pfalz.
Dieterle: Integration ist eine Mammutaufgabe auch im Bildungssystem. Und wir sehen schon jetzt, dass das, was getan wird, ja ganz offensichtlich nicht reicht. Das heißt doch, hier müsste noch viel mehr passieren, damit Integration überhaupt eine Chance hat zu gelingen.
Hubig: Ich habe gerade ja schon gesagt, wir haben die Weichen schon gestellt, wir haben entschieden und haben da auch schon die entsprechenden Maßnahmen ergriffen, dass wir ganz stark auf die Grundkompetenzen, auf die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen in der Grundschule achten müssen. Dass wir schon im frühkindlichen Bereich gucken müssen, dass dort Sprache gut erlernt wird, dass gerade die Kinder, die nicht mit der Herkunftssprache Deutsch aufwachsen, mit guten Deutschkenntnissen in die Schule kommen.
Deshalb haben wir auch die Sprachestandserhebung jetzt ein halbes Jahr früher, damit es noch mal mehr Zeit zum Sprachelernen gibt. Wir haben uns die Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission angeguckt, was wir dort umsetzen sollen. Wir haben extra Diagnose-Programm für Lesen und auch ein Förderprogramm. Es gibt künftig eine Stunde mehr Deutsch in den Grundschulen, wir machen verpflichtende Lesezeiten in den Grundschulen.
Das heißt, hier ist schon viel passiert. Es braucht aber auch Zeit, bis es wirkt. Das geht nicht von jetzt auf gleich und gleichzeitig möchte ich aber auch sagen: Wir müssen mehr im Bereich der Integration tun. Das kann aus meiner Sicht nicht am Schultor enden oder beginnen, sondern dafür brauchen wir auch den Bereich außerhalb der Schule, Integration in Sportvereine.
Wir brauchen die Erwachsenen, die Eltern, die wir stärker in die Schule auch hinein holen wollen, in dem Bereich, in dem ich arbeite. Und ich glaube, das wird auch eine unserer großen Aufgaben, jetzt hier noch mal alle Kräfte zu sammeln und zu gucken, wie kommen wir hier voran? Denn das ist aus meiner Sicht wirklich auch eines der Ergebnisse, die mir bei der PISA-Studie auch besondere Sorgen machen.
Dieterle: Jetzt ist diese Bestandsaufnahme in der PISA-Studie wurde ja ein deutlicher Warnschuss an die Politik. Was spricht aus Ihrer Sicht denn überhaupt noch dafür, dass jedes Bundesland seine eigene Schulpolitik macht?
Hubig: Wenn wir den Blick von Deutschland weg lenken auf andere Länder, dann fällt auf, dass die Frage “Föderalismus ja oder nein?” eigentlich nicht die entscheidende ist. Ich war kürzlich in Kanada auf einer Bildungsreise. Das ist ein föderales Land. Wir waren im Teilstaat Alberta, der ist so groß ungefähr wie Rheinland-Pfalz. Und Kanada ist sehr gut in den Ergebnissen in den PISA-Studien. Man sieht, dass da frühe Förderung eine große Rolle spielt, dass mit Zuwanderung anders umgegangen wird, dass datenbasiert gearbeitet wird in den Schulen, dass es vor allen Dingen eine Haltung gibt, Kinder nicht verlieren zu lassen, Kinder die Grundkenntnisse beizubringen.
Wenn man umgekehrt in ein zentralistisches Land guckt, nämlich nach Frankreich, sehen wir, die sind in PISA nicht besser als wir, sondern hinter uns. Und ich glaube, das ist nicht der entscheidende Punkt, sondern der entscheidende Punkt ist bei uns, dass wir, die Bildungsministerinnen und Bildungsminister der Länder, gut zusammenarbeiten. Das tun wir in den letzten Jahren, ich würde sagen, seit Corona, viel, viel stärker. Wir gucken uns in den Ländern ab, was funktioniert gut und wir zum Beispiel übernehmen auch in Rheinland-Pfalz aus Schleswig Holstein, aus Hamburg, aus anderen Ländern Dinge, die dort gut funktionieren und umgekehrt übernehmen andere Dinge aus Rheinland-Pfalz, mit denen wir erfolgreich sind oder mit denen wir weit voran sind.
Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Bessere Zusammenarbeit, noch engere Zusammenarbeit. Morgen beginnt die Kultusministerkonferenz. Wir werden dort auch über PISA sprechen und ich denke, wir werden genau diesen Weg gemeinsam zusammen gehen.
Dieterle: Das sagt die Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz, Stefanie Hubig. Vielen Dank für das Interview.
Hubig: Vielen Dank an Sie!