Mit Atomkraft und Fracking aus der Krise?

Das war schon ein ungewöhnlicher Besuch: Bundeskanzler Olaf Scholz bei Siemens in Mülheim. Der Kanzler steht vor der großen Turbine, um Deutschland zu zeigen: Dieses Teil kann jederzeit nach Russland geliefert werden. Die Turbine funktioniert und könnte wieder mehr Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 pumpen – so die Botschaft. Diese Bilder zeigen aber noch etwas: Es zeigt, wie stark wir immer noch abhängig sind von russischem Gas. Daher gewinnt die Diskussion über Atomenergie und Fracking-Gas an Schwung.

Es ist die Atomkatastrophe von Fukushima 2011, die in Deutschland zu einer grundlegenden Wende in der Atompolitik führt.
Elf Kraftwerke werden bis zum Jahr 2019 stillgelegt, darunter auch Biblis A und B. Ende vergangenen Jahres gehen dann weitere drei Atommeiler vom Netz. Aktuell sind in Deutschland nur noch drei Atomkraftwerke in Betrieb: Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern – auch diese drei sollen Ende dieses Jahres vom Netz gehen.
Eigentlich. Denn der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat einmal mehr gezeigt, wie abhängig Deutschland von russischem Gas ist. Über die Pipeline Nord Stream 1 schickt Präsident Putin weniger Gas als vertraglich vereinbart. Alternativen müssen her. Kohlekraftwerke dürfen wieder in Betrieb gehen und auch die Diskussion um Atomkraft ist in vollem Gange.
Sollen die drei noch laufenden Atomkraftwerke länger als bis zum Jahresende am Netz bleiben? Eine Frage, in der die aktuelle Ampelregierung gespalten ist. Die FDP ist dafür, die Grünen sind dagegen und die SPD ist zumindest skeptisch.
Doch der Widerstand wird schwächer – so signalisiert Bundeskanzler Olaf Scholz gestern bei seinem Auftritt in Mülheim, er sei offen für einen vorübergehenden Weiterbetrieb der Atomkraftwerke.
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler am 3.8.22
„Was die Energieversorgung in Deutschland betrifft, sind die letzten drei Atomkraftwerke, wie jeder weiß, ausschließlich relevant für die Stromproduktion und nur für einen kleinen Teil davon – aber trotzdem kann das Sinn machen.“
Vor einer Entscheidung solle aber zunächst das Ergebnis des laufenden Stresstests zur Energieversorgung abgewartet werden.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag René Rock geht in unserem 17:30-Sommerinterview sogar noch einen Schritt weiter.
René Rock (FDP), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen am 11.7.22
„Wir müssen auch die drei Atomkraftwerke, die letztes Jahr abgeschaltet worden sind, in die Reserve geben und für nächstes Jahr aktivieren. Denn die Situation dieses Winters, die werden wir noch mindestens zwei Winter haben. Erst dann sind wir in der Lage umzuschalten und andere Energiequellen für uns zu nutzen.“
Außerdem bringt die FDP das Thema Fracking in die Diskussion ein. Beim Fracking wird Gas mit Hilfe von Druck und Chemikalien aus Gesteinsschichten herausgeholt. Eine Methode, die seit 2017 in Deutschland verboten ist. Die Begründung: Fracking berge Gefahren für die Umwelt und das Grundwasser und erhöhe die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben. Trotzdem sagt die FDP: Das Fracking-Verbot gehört auf den Prüfstand.
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Markus Appelmann, Moderator: Soweit der aktuelle politische Stand in Sachen Fracking und Atomkraft. Jetzt wollen wir dazu Professor Xenia Matschke zu Wort kommen lassen – Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Trier. Guten Tag.
Prof. Xenia Matschke, Wirtschaftswissenschaftlerin Universität Trier: Guten Tag, Herr Appelmann.
Appelmann: Lassen Sie uns mit der Atomenergie starten – die Diskussion gewinnt an Schwung. Sie plädieren aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht für den Weiterbetrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke. Warum?
Matschke: Nun, die Atomkraft ist ein ganz wichtiger Pfeiler unserer Stromversorgung. 2021 kamen 12,5% oder sogar 12,6% unserer Stromerzeugung aus Atomkraftwerken. Jetzt sind drei der damals sechs tätigen Atomkraftwerke abgeschaltet worden. Wir sprechen aber immer noch von über 6% wahrscheinlich der Stromerzeugung, die von diesen drei Atomkraftwerken kommen. Und dann haben wir das Problem dass auch 12,6% des Stroms 2021 aus Erdgas kamen. Und da sehen wir dann schon gleich das Problem. Wir würden jetzt ungefähr 1/4 des Stromes irgendwie ersetzen müssen, wenn wir gleichzeitig auf Gas und auf Atomkraft verzichten wollten. Und aus diesem Grund meine ich, dass diese drei verbliebenen Atomkraftwerke eben entsprechend noch weiterbetrieben werden sollten, so lange es geht, und möglicherweise auch die drei im letzten Jahr abgeschalteten Atomkraftwerke auch wieder neu in Betrieb genommen werden.
Dafür bräuchte man dann natürlich neue Brennstäbe.
Appelmann: Frau Matschke, brauchen wir eine grundlegende Neubewertung der Atomkraft in Deutschland?
Matschke: Also, ich denke mal, es wäre ganz sinnvoll, nochmal darüber nachzudenken, inwiefern Atomkraft hier noch eine Zukunft hat. Es gibt ja auch nicht nur die Technologie, die wir zurzeit verwenden. Es gibt ja auch neuartige Atomreaktoren, zum Beispiel Thorium oder Flüssiggas – nein, Flüssigsalzreaktoren. Andere Länder experimentieren damit. Zum Beispiel China hat einen Thorium-Reaktor in Betrieb genommen und das wäre natürlich eine Möglichkeit. Aber das will ich gar nicht jetzt groß pushen, weil die Gefahren der Atomkraft ja allen klar sind. Was weniger klar ist, warum wir nach dem Fukushima-Unfall, der ja durch Erdbeben und Tsunami ausgelöst worden ist, warum wir uns dann entschlossen haben, aus der Atomkraft auszusteigen und die Japaner genau das Gegenteil gemacht haben. Ja, die setzen jetzt auf neue und noch sicherere Atomkraftwerke.
Appelmann: Lassen Sie uns zum Thema Fracking kommen. Sind wir derzeit in einer Situation, wo wir Fracking angehen sollten?
Matschke: Man sollte zumindest nachdenken, inwieweit das sinnvoll sein könnte. Deutschland hat tatsächlich noch eine ganze Menge an Gasreserven da. Bisher haben wir auch schon Fracking betrieben, das sollte man auch ganz klar sagen. Seit den 60er Jahren gab es in Deutschland bereits Fracking, das war aber eben in einer bestimmten Gesteinsformationen. Und in den zum Beispiel Schieferformationen oder auch Kohleflözen ist das bisher bei uns verboten. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in den USA, wird aus Schiefer Gas gewonnen. Das wissen wir, heißt ja Schiefergas. Und die Frage ist, inwieweit wir es uns erlauben können, diese Gasreserven eben nicht anzuzapfen und dafür aus anderen Ländern genau so eine Art Gas dann teuer zu importieren. Das ist eben dann die Frage.
Appelmann: Danke, Professor Xenia Matschke, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Trier.
Matschke: Vielen Dank.