Medienanstalten prüfen Verstöße gegen Jugendschutz

Am 24. Februar 2022 startete Russland einen großangelegten Überfall auf die Ukraine. Krieg mitten in Europa. Seit Wochen dominieren die schrecklichen Bilder unsere Nachrichten. Nachrichten, die auch Kinder und Jugendliche hier bei uns erreichen. Und darauf haben die Landesmedienanstalten einen besonderen Blick. Denn immer wieder werden der zentralen Aufsichtsstelle, der Kommission für Jugendmedienschutz, Hinweise auf Verstöße im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine gemeldet. Eva Dieterle spricht darüber mit dem Kommissionsvorsitzenden Dr. Marc Jan Eumann.

Kinder. Viele von ihnen sind in der Ukraine bei Angriffen ums Leben gekommen. Und noch viel mehr sind auf der Flucht.
Es sind diese Bilder aus der Ukraine, die uns seit Wochen beklemmen. Kriegshandlungen mitten in Europa.
Und auch die Kinder hier bekommen den Krieg mit. In vielen Kindergärten und Schulklassen wurden erste Flüchtlingskinder aus der Ukraine aufgenommen, Schüler veranstalten Demonstrationen und auch in den Medien ist der Krieg omnipräsent – mit teilweise erschütternden Bildern. Und genau hier beginnt die Arbeit der Kommission für Jugendmedienschutz. Die Experten rufen dringend dazu auf, Kindern vor expliziten Kriegsbildern zu schützen.
Auch wir im Ländermagazin „17:30 Sat.1 live“ berichten über die Auswirkungen des Krieges auf Hessen und Rheinland-Pfalz und auch bei uns werden Bilder aus der Ukraine gezeigt.
Philipp Stelzner, stellv. Chefredakteur „17:30 Sat.1 live“
„Es ist für uns nicht einfach, mit den Bildern aus dem Ukrainekrieg umzugehen, denn einerseits wollen wir Journalisten die Welt zeigen, wie sie ist – auf der anderen Seite möchten wir die Zuschauer nicht verstören. Und es ist ja auch gar nicht notwendig, den Krieg mit all seinen fürchterlichen Details zu zeigen, um die schreckliche Lage deutlich zu machen.“
Nicht alle Bilder aus den Kriegsgebieten dürfen einfach so gezeigt werden.
Werden Kinder oder Jugendliche ungewollt mit Bildern von Leichen und anderen grausamen Kriegsdetails konfrontiert, kann ihnen das einen schweren Schaden zufügen, so die Kommission für Jugendmedienschutz.
Aktuell prüfen die Landesmedienanstalten mehrere Hinweise auf solche Verstöße gegen die Menschenwürde und den Jugendmedienschutz im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine.

Eva Dieterle, Moderatorin: Und jetzt begrüße ich den Direktor der Medienanstalt Rheinland Pfalz und Vorsitzenden der Kommission für Jugendmedienschutz live bei mir im Studio. Herr Dr. Eumann, schön, dass Sie hier sind.
Dr. Jan Marc Eumann, Vorsitzender Kommission für Jugendmedienschutz: Ja, schön, dass ich da sein darf.
Dieterle: Wir möchten zuerst von Ihnen erfahren: Wofür steht denn die Kommission für Jugendmedienschutz? Was ist Ihre Kernaufgabe?
Eumann: Es geht darum, dass Kinder und Jugendliche in dieser Welt gut und sicher aufwachsen und das gilt auch für die mediale Teilhabe. Und in dieser Medienwelt lauern wunderbare Entdeckungen, es lauern aber auch manche Gefahren. Das fängt an beispielsweise bei direkten Kaufappellen, die an Kinder gerichtet sind, und deren Leichtgläubigkeit und Unerfahrenheit ausnutzen wollen. Und natürlich geht es dann bis hin zu schwersten Verstößen, wenn es um Posendarstellungen von Kindern und Jugendlichen geht, wenn es um sexuelle Missbrauchsdarstellungen geht, aber auch um Themen wie Menschenwürde und Kriegsverherrlichung.
Dieterle: Genau heute ist unser Thema Krieg. Sie haben gerade die Gefahren angesprochen. Ja, aber wo beginnt es denn, wo Sie sagen: Das es jetzt für uns ein Verstoß, da müssen wir einschreiten.
Dr. Jan Marc Eumann, Direktor Medienanstalt Rheinland-Pfalz : Also zunächst ist es genau die Abwägung, die auch Ihr stellvertretender Chefredakteur gerade im Beitrag gemacht hat. Es ist Aufgabe und Pflicht von Medien, möglichst unabhängig und frei über das zu berichten, was in diesem fürchterlichen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine passiert. Und gleichzeitig gilt es immer abzuwägen, welche Bilder sind notwendig, um die Informationen, die ich transportieren muss, auch glaubhaft zu transportieren.
Und das sind eben nicht nur erwachsene Zuschauer:innen, es sind nicht nur erwachsene Nutzer:innen, sondern es sind eben auch Kinder und Jugendliche. Und da geht es darum, sicherzustellen, dass nicht ein Bild, das eigentlich zum Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag gehört, im Social-Media-Feed eines 13-jährigen Mädchen landet, sondern das gehört nicht da hin, und wir bitten, appellieren an diesen Abwägungsprozess, ihn wirklich sehr ernsthaft vorzunehmen.
Denn klar ist, je realer Bilder sind, desto größer ist ihre Wirkung. Und Kriegsbilder sind, weil der Krieg schon so schrecklich ist, umso schrecklicher. Und vor allem Kinder haben kaum Chancen, das einzuordnen. Sie haben keine Referenzen, wie sie damit umgehen und deswegen möglichst keine Bilder zeigen, die zum Beispiel verstümmelte Leichen bis hin zu dem, was von dem Gesicht möglicherweise auch noch übrig geblieben ist, zu zeigen. Da ist aus meiner Sicht eine Grenze überschritten und da muss der Kinder- und Jugendmedienschutz greifen.
Dieterle: Wenn Ihnen solche Fälle gemeldet werden, dann beginnen Sie mit einer Prüfung. Das sind wahrscheinlich wahnsinnig viele Schritte. Fassen Sie uns das bitte mal kurz zusammen. Wie läuft das dann ab?
Eumann: Also das Wichtigste ist: Wenn Sie was irritiert, sei es im Fernsehen, da passiert das in der Regel nicht, aber vor allem natürlich auf Plattformen, im Social-Media-Bereich, melden Sie es. Das Wichtigste ist, Dinge zu melden. Und dann beginnt unser Güterabwägungsprozess, den wir ja auch genauso vornehmen. Wir überlegen ja auch: Ist das sozusagen ein gerechtfertigte Darstellung oder ist hier der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag tangiert, möglicherweise sogar verletzt? Und deswegen fordern wir auf: Nutzerinnen und Nutzer, die Dinge die Sie irritieren, einfach zu melden. Das geht sehr schnell. Barrierearm über www.kjm-online.de. Dort haben Sie die Möglichkeit, Sie verstörende Inhalte zu melden.
Und dann schauen wir uns das an Das machen Kolleg:innen, die wirklich einen sehr harten Job tun, die aber sehr erfahren sind und schon in der Inaugenscheinnahme dieser Bilder erkennen können, hier gibt es einen Anfangsverdacht. Und wenn es einen Anfangsverdacht gibt, dann gehen unsere Prozesse weiter. Die KJM ist ein Organ der 14 Landesmedienanstalten in Deutschland und wir geben dann die Fälle, die uns genannt werden, an die zuständige Landesmedienanstalt weiter, die diese Fälle dann verfolgt. Und das Gute an unseren Verfahren ist, sie sind immer überprüfbar.
Das heißt, ist derjenige, der dafür verantwortlich ist, in Deutschland, haben wir die Chance, hat auch der, den wir da zu packen bekommen, die Chance zu sagen: „Nee, ich fühle mich nicht zu Unrecht angegriffen“, und er kann sich dagegen auch juristisch wehren. Wir leben in einem Rechtsstaat. Das ist ein gutes Gut. Und unsere Verfahren sind eben rechtsstaatliche Verfahren.
Dieterle: Aber es sind durchaus langwierige und auch schwierige Prozesse, oder?
Eumann:Ja, gerade jetzt bei dem aktuellen Anlass, gibt es auch andere Möglichkeiten, indem wir zum Instrument der Indizierung greifen. Das machen nicht wir, sondern das machen wir auf Anregung. Dafür ist dann die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz zuständig. Und Indizierungen sind ein sehr schnelles Mittel, um die Dinge auf den Weg zu bringen. Ich will aber auch ausdrücklich sagen: Die Anbieter:innen selbst haben eine große Verantwortung. Sie sind sehr erfahren, was ihre Filterprogramme anbelangt, und wir appellieren sehr stark an die Anbieter:innen: Bitte nutzt diese Filter jetzt, damit möglichst wenig in euren sozialen Medien erscheint, was nicht nur Erwachsene, sondern vor allem auch Kinder und Jugendliche irritieren kann.
Und darüber hinaus sind wir im Gespräch mit Anbieter:innen und der Freiwilligen Selbstkontrolle, um das Bewusstsein zu schärfen. Es geht auf der einen Seite um die unabhängige Berichterstattung und das Zeigen, was ist. Aber es geht auch immer um das hohe Verfassungsschutzgut, Kinder und Jugendliche ein möglichst sicheres Aufwachsen zu ermöglichen.
Dieterle: Jetzt ist es unwahrscheinlich schwierig, mit Kindern und Jugendlichen über diesen Krieg zu sprechen und gleichzeitig ist es auch genauso wichtig, das zu tun. Haben Sie irgendeinen Tipp oder was raten Sie den Eltern oder auch Verantwortlichen, wie soll man damit umgehen mit Kindern?
Eumann: Also tatsächlich ist das Entscheidende immer: darüber reden; zu fragen: „Was nutzt du eigentlich, wie gehst du um?“. Wir haben aber auch als Medienanstalten ganz aktuell Materialien bereitgestellt für Erziehungsberechtigte. Diese Materialien sind unter www.klicksafe.de abrufbar. Wie man mit Kindern ins Gespräch kommt über das, was in der Ukraine tagtäglich an schrecklichem Leid passiert. Also auch hier sind die Medienanstalten auf den beiden Seiten verantwortlich. Wir sind auf der einen Seite natürlich Aufsicht und Regulierung und auf der anderen Seite über unsere Medienkompetenz-Aktivitäten auch Partner:innen für Erziehungsberechtigte und Kinder und Jugendliche selbst.
Dieterle: Herr Dr. Eumann, vielen Dank, dass Sie bei uns waren. Ganz wichtige Arbeit, die Sie da leisten.
Eumann: Herzlichen Dank!