Marburger Wissenschaftler erforschen Strom als Antrieb für Zellen

Das Leben ist ein sehr komplexer Prozess. Tausende Abläufe passieren in einer Zelle gleichzeitig, Stoffe werden umgewandelt, Energie gewonnen und dann wiederverwendet. Aber auch wenn das alles perfekt aufeinander abgestimmt ist, den einfachsten und schnellsten Weg hat die Natur nicht immer gefunden. Forscher aus Marburg haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese natürliche Prozesse effizienter zu gestalten. Ihr neuestes Projekt: Zellen mit Strom zu betreiben. Ein E-Antrieb fürs Leben, sozusagen.

Alles Leben braucht Energie. Pflanzen nutzen Licht, um zu wachsen, wir Menschen nehmen Nahrung zu uns. Unser Körper zerlegt sie, wandelt sie um und gewinnt daraus Energie. Das nennt man Stoffwechsel. Doch gibt es auch einen anderen Weg? Tobias Erb und Shanshan Luo vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg haben Energiegewinnung in Zellen neu gedacht.
Tobias Erb, Biologe
„Wenn Sie sich zum Beispiel bewegen oder denken, brauchen wir ja Energie dazu und typischerweise müssen wir da Nahrung zu uns nehmen. Unsere Idee war jetzt, anstatt Nahrung etwas ganz Verrücktes zu nehmen, vielleicht Strom. Und praktisch die Elektrizität benutzen, um damit Zellen anzutreiben.“
Und tatsächlich, die Forscher zeigen: Es funktioniert.
Für das Experiment haben die Biologen eine Pflanzenzelle genommen. Ihre Nahrung ist Licht. Die Zelle nimmt die Lichtenergie auf und stellt daraus ein Molekül namens Adenosintriphosphat her, kurz ATP. Das ATP ist sozusagen ein zellinterner Treibstoff. Mit ihm kann die Zelle Stoffwechsel betrieben und zum Beispiel aus CO2 Zucker und andere Moleküle herstellen. Die Forscher haben es geschafft, das Licht als Nahrung zu ersetzen – und zwar durch Strom. Nicht nur Licht, auch andere Nahrungsquellen wie Zucker lassen sich durch Strom ersetzen. Ein Bakterium zum Beispiel nutzt dann nicht die im Zucker enthaltene Energie, um ATP herzustellen, sondern die elektrische Energie, den Strom. Kurz gesagt: Die Forscher haben Zellen dazu gebracht mit Strom ATP herzustellen.
Tobias Erb, Max-Planck-Institut Marburg
„Das schöne am ATP ist, dass es sozusagen die universale Energiewährung ist, es ist der Dollar für die Zelle, wenn man so sprechen möchte. Die Zelle kann damit sich bewegen, sie kann damit Stoffwechsel betreiben, sie kann Reize aufnehmen, sie kann denken. Und deswegen ist es ja auch so ein interessantes Molekül, wenn man es aus Strom herstellen kann, weil man damit die ganze Zelle energetisieren kann.“
Noch funktioniert es nur im sehr kleinen Rahmen und über wenige Stunden. Doch dass es überhaupt klappt, ist für die Forscher ein großer Durchbruch. Im nächsten Schritt wollen sie das System robuster machen und in größerem Maßstab. Tobias Erbs Forschungsgebiet ist die synthetische Biologie – Technik vereint mit der Natur. Das Ziel: Biologie effizienter machen. Photovoltaikanlagen können 20 bis 30 Prozent der Sonnenenergie in Strom umwandeln, Pflanzen hingegen nutzen nur ein Prozent. Ein weiterer Effizienzfaktor des Strom-Antriebs: Der Prozess zur Herstellung von ATP wird abgekürzt. Und nicht nur das.
Tobias Erb, Biologe
„In der Praxis müssen wir sehr oft zum Beispiel Zucker zu Bakterien geben, damit sie uns ein Antibiotikum machen. Jetzt stellen Sie sich vor, anstatt dass Sie den Zucker erst noch mühsam herstellen müssen, nehmen Sie direkt Strom und füttern den Strom zu den Bakterien und die machen ihr Antibiotikum. Das wäre ein Traum, das wäre Nachhaltigkeit und wir bräuchten nicht unbedingt den Zucker aus der Landwirtschaft.“
Und wer weiß, vielleicht können wir Menschen den Mechanismus eines Tages auch ganz direkt nutzen.
Tobias Erb, Biologe
„Momentan laden wir alle unser E-Bike mit der Elektrizität, vielleicht laden wir uns in Zukunft selbst auf mit Elektrizität. Aber das sind sicher noch Hunderte von Jahren, bis wir da sind.“
Das Potenzial jedenfalls ist riesig.