Leitzinserhöhung soll Inflation einbremsen

Nicht nur das Wetter bringt uns momentan zum Schwitzen, sondern auch die Preise. Gas, Lebensmittel – alles wird teurer. Die Inflation ist auf einem Rekordniveau. Um dagegen zu steuern, hat die Europäische Zentralbank in Frankfurt zum ersten Mal seit 11 Jahren den Leitzins erhöht. Was das für Sie – die Verbraucher – und die Wirtschaft bedeutet, darüber sind sich die Wirtschaftsexperten nicht einig.

Christine Lagarde, EZB-Präsidentin (21.07.2022): „Today, in line with the Governing Council’s strong commitment to its price stability mandate, the Governing Council decided to raise the three key ECB interest rates by 50 basis points.“ (Im Einklang mit dem starken Bekenntnis des EZB-Rats zu seinem Preisstabilitätsmandat hat der EZB-Rat beschlossen, den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte anzuheben.)
Es sind nur 0,5 Prozentpunkte. Aber sie sind Wendepunkte in der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Rückblick: Während der Eurokrise hat die EZB die Leitzinsen auf Null gesenkt. Wer viel Erspartes auf der Bank hatte, musste für die Verwahrung Negativzinsen. Das Ziel: Das Geld raus aus der Bank, rein in den Markt. Die Wirtschaft sollte wachsen. Wachsen sollte auch die Inflation in Richtung 2 % – denn bei wachsender Nachfrage steigen die Preise. Nun liegt die Inflation im Euroraum bei über 8 %: Denn Corona stört Lieferketten, Putins Krieg macht das Gas teurer – eine hohe Geldmenge trifft auf zu wenig Waren. Mit der Leitzinserhöhung will die EZB die Inflation eindämmen. Das trifft Bürger ebenso wie Staaten. Ein Beispiel.
Ein Bürger leiht sich Geld bei der Bank. Etwa für ein Haus. Er muss die Summe zurückzahlen – mitsamt Kreditzinsen – etwa 2 %. Je höher der Zins, desto teurer der Hausbau. Auch Staaten leihen sich so Geld.  Die Höhe der Zinsen bestimmen Zentralbanken wie die EZB durch den Leitzins: Bei einem niedrigen Leitzins können sich die Banken bei der EZB günstig leihen. Sie können dann Bürgern und Unternehmen günstige Kredite anbieten: Die Wirtschaft wächst – tendenziell steigt die Inflation. Für verschuldete Bürger und Staaten ist ein niedriger Leitzins gut: Denn sie müssen für ihre Schulden wenig Zinsen zahlen. Der Nachteil: Sparer erhalten für ihr Erspartes keine Zinsen. Bei einem höheren Leitzins verteuern sich Kredite: Die Wirtschaft wächst weniger, die Preise stabilisieren sich eher. Sparer erhalten auf ihr Erspartes Zinsen, Schuldner müssen für ihre Schulden mehr Zinsen zahlen. Genau aus diesem Grund sagt Kapitalmarktexperte Robert Halver zeige sich die EZB so zaghaft. Sie halte die Leitzinsen weiter niedrig, um hochverschuldete Euro-Staaten zu stützen.
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse Baader Bank: „Wenn sie Inflation ernsthaft bekämpfen würde, müsste sie wie die amerikanische Notenbank herzhafte Zinserhöhungen durchführen. Das tut sie aber nicht, weil (…) Wir haben ja viele südeuropäische Länder, die hoch verschuldet sind. Also von daher hat sie eine starke konjunkturstützende Position. Die Zeche zahlen die Zinssparer.“
Eine andere Meinung hat der Frankfurter Wirtschafts-Professor Christian Rieck: Ein höherer Leitzins könne die Inflation im Augenblick nicht wirksam bekämpfen.
 Christian Rieck, Wirtschaftsprofessor Frankfurt University of Applied Sciences: „Leitzinsen gelten ja immer als die Größe, mit der man Inflation steuern kann. Normalerweise stimmt das auch. Aber in diesem Fall ist die Inflation im Wesentlichen dadurch ausgelöst, dass wir eine Güterknappheit haben. Vor allem durch Energie, Lieferketten sind gestört, da kommt zu wenig rein. Das sorgt dafür, dass das Angebot gering ist, die Nachfrage aber hoch bleibt.“
Die EZB könne durch die Erhöhung der Leitzinsen nur die Nachfrage dämpfen, aber nicht das Grundproblem lösen: Denn sie könne nicht mehr Gas oder Güter produzieren. Wie soll sich also der Verbraucher und Sparer verhalten. Halver rät: Für die Altersvorsorge ein Teil des Geldes in breit angelegte Aktienfonds stecken – das sei ein besserer Inflationsschutz, als das Geld auf die Bank zu legen.
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse Baader Bank: „Was nutzen mir denn 0,5 Prozent Zinsen, wenn die Inflation bei 8 Prozent steht – gar nichts. Ich gehe davon aus, dass sich die Konjunktur dann doch nächstes Jahr wieder festigen kann und dann brauch ich wieder Aktien.“
Wie geht es weiter? Rieck glaubt: Das Wachstum des letzten Jahrzehnts kehre nicht mehr zurück. Halver sagt: Nach jedem Tief ging es bisher immer wieder nach oben. Er sieht Licht am Ende des Tunnels, wenn auch in einiger Entfernung.