Lautstarker Streit um Kirchenglocken

Über 100.000 soll es in Deutschland geben: Glocken. In Wiesbaden ist jetzt aber ein lautstarker Streit um Glocken entbrannt, nämlich um die der Johanneskirche. Dort sind die Kirchenglocken einigen Anwohnern zu laut. Die beschweren sich daraufhin, allerdings anonym. Doch plötzlich macht der Streit im Internet die Runde, hängt jetzt also an der ganz großen Glocke. Und alle fragen sich, was ist da los?

Eigentlich lebt sich‘s hier gut, in Wiesbaden-Weidenborn. Wären da nicht sie: die evangelische Johanneskirche und ihr Kirchturm. Genauer gesagt: die Glocken im Turm. Über ihr „unnötiges Gebimmel“ beschwert sich einer von angeblich „vielen genervten Nachbarn“. Anonym per Brief. Die Glocken nerven ihn gewaltig, er fragt deshalb nach: „MUSS DAS WIRKLICH SEIN?“
Stephan Da Re, Pfarrer Evangelische Johanneskirche Wiesbaden
„Weniger der Inhalt hat mich an diesem Brief gestört, mehr die Form oder die Anonymität und die Art und Weise, in der das Thema vorgebracht wurde. Und wenn ich nun auf den letzten Satz, auf die Frage in Großbuchstaben ‚MUSS DAS WIRKLICH SEIN‘ antworten sollte, dann würde ich sagen: ‚Ja, das muss wirklich so sein‘. Und alle, die mir sonst E-Mails schreiben, mich anrufen oder mich befragen und deren Namen ich kenne, denen antworte ich, denen höre ich zu. Ich werbe um Verständnis und ich antworte, warum uns das Glockengeläut wichtig ist. So wie ich es auch in diesem Fall gemacht hätte, es aber nicht konnte.“
Der Pfarrer antwortet – mangels Absender – öffentlich, auf Twitter. Tausende Reaktionen und hunderte Kommentare folgen. Die Netzgemeinde springt dem Geistlichen zur Seite aber es gibt auch kritische Stimmen.
„Man kann es auch rücksichtslos nennen, für gefühlt fünf Kirchgänger der ganzen Nachbarschaft auf den Sack zu gehen“
„Nach 100 Jahren nicht merken, dass jeder plötzlich ’ne Uhr hat und trotz des Geläut keiner in die Kirche kommen will. (…). Für mich ist es Ruhestörung und da gibt es kein Gewohnheitsrecht.“
Seit den 1960er Jahren steht die Kirche an Ort und Stelle – und bimmelt. Die allermeisten Anwohner im Viertel nervt sie offenbar doch nicht soo sehr – zumindest nicht die vor unserer Kamera.
Michael Hahn
„Ich wohn jetzt hier 200m weg, mich stört‘s nicht.“
Dieter Hofacker
„Es ist normal, für mich ist‘s normal.“
Sebastian Mayer
„Es ist manchmal laut, aber man akzeptiert es, weil‘s halt die Kirche ist.“
Nicole Bruchhäuser
„Also wir wissen: kurz vor sieben, Nachrichten kommen bald – das zum einen -, wissen, dass unsere Tochter, die bald zur Konfirmation geht, dann auch sonntags zur Kirche geht, um halb zehn, wird ja auch geläutet. Also von daher stört‘s uns jetzt überhaupt nicht und ich finde das eigentlich ein wichtiges Zeichen.“
Das sieht freilich auch Stephan Da Re so. Für ihn ist das Geläut neben Einladung zum Gebet auch eine Mahnung zum Frieden. Er habe sogar Nachrichten von Atheisten bekommen, die dem Glockenklang etwas abgewinnen können. Trotzdem kritisiert der Pfarrer eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft.
Stephan Da Re, Pfarrer Evangelische Johanneskirche Wiesbaden
„Es gibt Befürworter und Gegner unseres Glockengeläuts. Es gibt viele Menschen die damit inhaltlich nichts anfangen können. Ich denke, darin äußert sich auch so etwas wie eine Kultur und Traditionsvergessenheit in unserer Gesellschaft. Wahr ist, wir läuten fünf Minuten am Tag, wahr ist aber auch, wir läuten 23 Stunden und 55 Minuten nicht.“
Pfarrer Da Re lädt den unbekannten Nachbarn zu einem Gespräch ein. Vielleicht findet man einen Kompromiss. Klar ist, für die Glocken in Wiesbaden hat das letzte Stündlein noch nicht geschlagen.