KI ermöglicht Dialog mit Holocaust-Zeitzeugen

Erzählungen von Zeitzeugen schaffen einen emotionalen Zugang zu Geschichte und Vergangenheit – etwa über die Zeit des Nationalsozialismus. Aber was passiert, wenn kein Holocaust-Überlebender mehr da ist – wenn die Zeit nach den Zeitzeugen beginnt? Könnte das die Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus gefährden? In der deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt gibt es das Deutsche Exilarchiv und dort hat man sich genau darüber Gedanken gemacht. Die aktuelle Ausstellung dort heißt „Frag nach“ und macht jetzt Gespräche mit Zeitzeugen möglich, auch über deren Tod hinaus – mit Hilfe von künstlicher Intelligenz.

Schülerin: „Warum bist du nicht nach Deutschland zurückgezogen?“ – Kurt Maier: „Also nein, ich habe nie den Gedanken damals gehabt. Ich glaube, ich habe schon meine Mutter gefragt: ‚Willst du zurück?‘, da hat sie gesagt ‚Nie, nie werde ich zurückgehen.’“
Nicht zurück in das Land, das Kurt Maier und Inge Auerbacher unter den Nazis entrechtet, verfolgt und deportiert. Nur mit Glück entkommen die beiden jüdischen Deutschen der Vernichtung, die Hitler im Zweiten Weltkrieg für alle Juden plant.
Inge und Kurt leben heute in den USA. In der Ausstellung des Deutschen Exilarchivs können Besucher aber ihren Projektionen Fragen stellen – genau zur richtigen Zeit.
Sylvia Asmus, Leiterin Exilarchiv Deutsche Nationalbibliothek
„Weil wirklich die Ära der Zeitzeug:innen sich dem Ende neigt; es gibt nicht mehr viele Menschen, die berichten können. Jetzt haben wir eben die Möglichkeit, dass die Besucher:innen Teil davon sind, interagieren können und ich glaube, das ist in Zeiten zunehmenden Antisemitismus wichtig, dass man richtig involviert ist.“
Fünf Tage hat Sylvia Asmus Kurt und Inge interviewt und 900 Antworten erhalten. Eine Künstliche Intelligenz ordnet die Antworten möglichen Fragen zu, die Besucher stellen.
So können Kurt und Inge diesen Schülern erzählen, dass sie Anfang der 30er Jahre auf die Welt kamen. Auch Audios und Filme erzählen ihre Geschichte.
„Hallo, ich bin Kurt Salomon Maier. Als Kind wohnte ich in Kippenheim, das ist ein kleiner Ort, am Rande des Schwarzwaldes.“
Hitler hat da gerade die Macht übernommen. Es ist ein rassistisches Reich, in das Kurt und Inge hineingeboren werden; Inges Oma wird im Holocaust ermordet. Dieses Foto zeigt die Deportation von Kurt. Im Krieg kommen Inge in das KZ Theresienstadt und Kurt in das französische Lager Gurs. Kurt und Inge lernen Menschen kennen und verlieren sie.
„Im Bett links von mir lag Liese Kling, ein kleines Mädchen. Sie schenkte mir ein Foto von sich, als es uns besser ging, und ich gab ihr einen Kuss. Ich weiß nicht was aus ihr geworden ist, aber ich habe immer noch ihr Foto und ein Bild im Kopf.“
Ab 1942 deportieren die Deutschen viele Juden in Vernichtungslager wie Auschwitz. Kurt entgeht der Hölle wie durch ein Wunder.
Schüler: „Wie war deine Flucht?“
Er erzählt, dass französische Freunde sie aus dem Lager holen, da amerikanische Visa für sie vorliegen.
Kurt Maier
„Dort haben wir unsere Papiere bald erhalten.“
Als einer der wenigen und letzten Juden kann Kurt mit einem Schiff in die Freiheit fahren, nach Amerika, das den Krieg gewinnt. Auch Inge überlebt, wandert in die USA aus und wird Chemikerin. Ihre Geschichten beeindrucken die Schüler.
Abdul-Aziz Shah, 13. Klasse Helmholtzschule Frankfurt
„Ich fand das jetzt vor allem spannend, auch sehr aufregend, weil man sowas noch nie erlebt hat. Man sollte sich glücklich schätzen, dass wir so eine Chance haben, auch dass man präzise Fragen stellen kann, dass man auch Antworten zurückbekommt, das ist sehr aufregend und ich bin sehr glücklich darüber.“
Und dann ist kurz der echte Kurt über ein Tablet zugeschaltet: Er ist froh, Teil der KI-Ausstellung zu sein.
Kurt Maier: „Grüße aus Washington. Schön euch zu sehen.
„Wenn ich das sehe ist das trotzdem ist das immer wieder eine Überraschung und ein Wunder, was die Technik heute erreichen können. Ich erzähle immer Schülern, ich bin in einer Welt aufgewachsen, wo die Eltern von Steve Jobs noch nicht geboren waren.“
Schüler
„Hat uns gefreut Kurt.“
Es sind Gespräche und Momente, die irgendwann nicht mehr möglich sein werden. Kurt Maier und Inge Auerbacher haben alles getan, damit ihre Geschichten nicht vergessen werden.