Keine Anklage nach Ahrtalflut – Rechtsausschuss diskutiert Konsequenzen

Diese Entscheidung hat für Furore gesorgt: Vergangene Woche hat die Staatsanwaltschaft Koblenz bekanntgegeben, den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler Jürgen Pföhler nicht anzuklagen. Wegen seines Handelns bei der verheerenden Flutkatastrophe war zuvor gegen ihn ermittelt worden. Die Einstellung der Ermittlungen war heute Thema im Rechtsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags.

Fahrlässige Tötung durch Unterlassen. So lautete der Anfangsverdacht gegen den Ex-Landrat Jürgen Pföhler. 135 Menschen hatten in der Ahrtal-Flut 2021 ihr Leben verloren – auch weil der Landrat untätig blieb, sagen die Opferfamilien. In Sinzig beispielsweise sterben zwölf Menschen in der Behinderteneinrichtung Lebenshilfe weil sie nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Die Staatsanwaltschaft Koblenz aber sagt, es gäbe keinen hinreichenden Verdacht für ein Versagen Pföhlers und damit keine strafrechtlichen Konsequenzen.
Das sei nicht nachvollziehbar kritisieren die Freien Wähler im Landtag. Pföhler hätte als führender Katastrophenschützer des Kreises bereits vor der Flutnacht Maßnahmen ergreifen müssen. Das habe er versäumt.
Stephan Wefelscheid (Freie Wähler), Abgeordneter Landtag Rheinland-Pfalz
„Man kann die 135 Toten ja nicht pauschal bewerten, sondern man muss sich jedes Schicksal einzeln angucken. Und dann verwundert es doch sehr, dass die Staatsanwaltschaft das meines Erachtens außer Blick gelassen hat, dass in der Schublade Evakuierungspläne zum Beispiel für die Lebenshilfe nicht lagen.“
Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin erklärt heute im Rechtsausschuss, dass die Staatsanwaltschaft zwar festgestellt habe, dass die verantwortlichen Katastrophenschützer die Bürger nicht angemessen gewarnt hatten, doch:
Herbert Mertin (FDP), Justizminister Rheinland-Pfalz
„Allerdings fehle es hier an der subjektiven Sorgfaltspflichtsverletzung, denn die technische Einsatzleitung habe über kein Lagebild verfügt, das ihr die tatsächliche Dimension der Flut vermittelt habe. Auch der Erkenntnisgrad des Landrats habe nicht größer sein können als der der technischen Einsatzeitung.“
Die Ereignisse in der Flutnacht hätten sich überschlagen. Es sei nicht nachzuweisen, dass Menschenleben hätten gerettet werden können, selbst wenn Evakuierungspläne vorgelegen hätten oder früher gewarnt worden wäre.
Das sehen die Hinterbliebenen der Opfer ganz anders. Alle drückten sich die Verantwortung für den Tod ihrer Liebsten zu übernehmen. Der Anwalt eines Paares, das seine Tochter in der Flutnacht verloren hat, fordert daher:
Christian Hecken, Rechtsanwalt der Familie Orth, am 18.04.2024
„Wir haben hier einen schwerwiegenden Justizskandal, den es so in Deutschland noch nicht gegeben hat. Jetzt muss Verantwortung übernommen werden. Und für dieses Chaos hat der Justizminister die Verantwortung. Und deswegen bitte ich ihn entsprechend höflichst zurückzutreten.“
Der Justizminister sieht dazu aber keine Veranlassung. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft sei schlüssig gewesen.
Herbert Mertin (FDP), Justizminister Rheinland-Pfalz
„Deswegen sehe ich keine Notwendigkeit, in diesem Verfahren in irgendeiner Weise einzugreifen. Das müsste man nur machen, wenn es völlig unvertretbar ist, bar jedlicher Denklogik. Und das kann ich jedenfalls nicht feststellen.“
Auch die Oppositionsparteien sehen erst mal keinen Anlass für einen Rücktritt des Ministers.
Die Hinterbliebenen haben derweil Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen eingelegt. Nun muss die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz über den Fall entscheiden. Und die Angehörigen der Opfer werden weiter kämpfen – für eine juristische Aufklärung der Flutnacht.