Interview mit Gesundheitsminister Clemens Hoch zur aktuellen Corona-Lage

Die Corona-Zahlen steigen Tag für Tag und daher werden die Fragen, die die Politik zu beantworten hat, täglich mehr. Warum haben wir nicht genug PCR-Testkapazitäten im zweiten Corona-Winter? Warum wurde der Genesenenstatus von heute auf morgen von sechs auf drei Monate runtergeschraubt? Kommt die Impflicht für alle? Fragen, die wir gleich dem rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister stellen können, der bei uns im Studio ist.

Corona und kein Ende in Sicht. So mag es dem ein oder anderen gerade vorkommen. Zu täglichen Rekordzahlen kommt aktuell die Verwirrung über den Status nach einer Corona-Infektion.
Denn das Robert-Koch-Institut hatte kürzlich mitgeteilt, dass sich der Genesenenstatus ab sofort auf drei Monate verkürzt, während der Nachweis einer vollständigen Impfung neun Monate lang gültig bleibt.
Warum aber eine Person, die sich mit der Omikron-Variante infiziert hat, schon nach drei Monaten ihren Genesenenstatus verlieren soll, verstehen auch viele Virologen nicht.
Martin Stürmer, Virologe Universität Frankfurt
„Eigentlich sollte man tatsächlich davon ausgehen, dass jemand, der die Omikron-Infektion jetzt aktuell durchmacht, natürlich gegenüber Omikron einen optimalen Schutz hat, auch über die drei Monate hinaus.“
Eine Person, die nur gegen frühere Virus-Varianten geimpft worden ist, sei hingegen weniger gut vor einer Infektion mit Omikron geschützt. Deren Impfnachweis ist aber neun Monate gültig. Wie ist das den Menschen zu vermitteln?
Kai Klose, Bündnis 90 / Die Grünen, Gesundheitsminister Hessen
„Na ja, das obliegt ja der wissenschaftlichen Beurteilung des Robert-Koch-Instituts, das ist dazu auch befugt, insofern haben wir uns dem zu unterwerfen. Der Bund hat das auch abschließend so geregelt.“
Seit Samstag gelten außerdem bundesweit rund 3 Millionen Menschen, die sich für den Einmal-Impfstoff von Johnson & Johnson entschieden haben, von jetzt auf gleich nicht mehr als vollständig geimpft. Sie brauchen eine zweite Impfung mit einem mRNA-Impfstoff, um wieder als vollständig geimpft zu gelten. Erst nach einer dritten Impfung gelten sie als geboostert. Aus der hessischen Staatskanzlei kommt Kritik.
Michael Bußer, Regierungssprecher Hessen
„Das Problem ist hier die Kurzfristigkeit und man darf nie vergessen, dass es Menschen betrifft, die dadurch innerhalb kürzester Zeit erhebliche Einschränkungen haben.“
Aktuell verschärft sich die Corona-Lage täglich. Zum ersten Mal ist heute die Zahl der Corona-Neuinfektionen über 140.000 und die Sieben-Tage-Inzidenz über 700 gestiegen.
Experten gehen davon aus, dass die Zahlen in den nächsten Wochen immer ungenauer werden und die Dunkelziffer steigt. Denn die PCR-Testkapazitäten nähern sich ihrer Grenze.
Kai Klose, Bündnis 90 / Die Grünen, Gesundheitsminister Hessen
„Da gibt es auch nur noch wenig Spielraum. Wir werden uns deshalb auch im Rahmen der Gesundheitsminister*innenkonferenz noch einmal damit beschäftigen, ob in Zukunft da noch eine stärkere Priorisierung möglicherweise stattfinden muss. Im Wesentlichen wird es darum gehen, dass vor allem symptomatische Personen getestet werden.“
Umso wichtiger sei es, dass möglichst viele Menschen durch Impfungen geschützt sind. Doch auch hier hakt es.
Von den über 100.000 Menschen, die sich in den rheinland-pfälzischen Arztpraxen jede Woche impfen lassen, kommt nur jeder zehnte für eine Erstimpfung. Die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht wird deshalb auch in den nächsten Wochen nicht abebben.
Markus Appelmann, Moderator: Und genau da setzen wir an mit dem rheinland pfälzischen Gesundheitsminister Clemens Hoch bei uns im Studio. Guten Abend!
Clemens Hoch, SPD, Gesundheitsminister Rheinland-Pfalz: Guten Abend.
Appelmann: Herr Hoch, die Forderungen der Impfpflicht für – alle Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach steht voll dahinter – wWie stehen Sie zu dieser Forderung?
Hoch: Ich bin auch sehr dafür, dass wir für alle Erwachsenen eine Impfpflicht in Deutschland einführen. Dann hätten wir nämlich die Gewissheit, dass alle Menschen einmal grundimmunisiert sind, durch die Impfung, das Virus kennengelernt haben und wir uns dann hoffentlich in der Zukunft, das Virus wird ja immer wieder in Wellen auftauchen, auch besser geschützt sind und die eine oder andere Maßnahme auch weglassen können.
Appelmann: Also mit der Impfpflicht für alle soll vor allem die nächste Coronawelle gebrochen werden?
Hoch: Ja, wir rechnen fest damit, weil wir wissen, das Virus wird immer bleiben, dass es auch in Wellen auftaucht, vor allem im Winter.Wir kennen das ja auch aus anderen Erkältungskrankheiten, die vornehmlich im Winter auftauchen. Und wenn der Bevölkerungskörper einmal durchimmunisiert ist, durch eine Impfung für alle, dann sind wir alle erst mal besser geschützt. Wir haben einfach noch viel zu viele Menschen über 60 Jahre, die immer noch nicht geimpft sind. Und vor allem die sind besonders gefährdet.
Appelmann: Lassen Sie uns über den Genesenenstatus sprechen. Das Robert-Koch-Institut hat ab Samstag festgelegt, dass man nur noch drei Monate als genesen gilt, nicht mehr sechs Monate, praktisch über Nacht. Als Sie das gehört haben, was haben Sie da gedacht?
Hoch: Na ja, ich habe ehrlicherweise gedacht, das ging aber fix und ohne Vorankündigung und das wird wieder ganz viele Bürgerschreiben bei uns im Ministerium auslösen. Ich finde es etwas schade, dass so Sachen plötzlich und schnell passieren und sich niemand darauf einstellen konnte. Auch wenn ich das wissenschaftlich sehr gut verstehen kann, wieso das Robert-Koch-Institut das macht. Aber wir müssen auch Menschen bei den Maßnahmen, die wir machen, mitnehmen und Dinge erklären. Und deswegen wäre es besser, wenn solche Entscheidungen mit zwei Wochen Vorlauf Ankündigung auch dann von allen getragen und erklärt werden können.
Appelmann: Sie sprechen gerade die Wissenschaft an In der Schweiz gilt man zwölf Monate als Genesener, ab Februar noch neun Monate, was immerhin dreimal so lange ist wie in Deutschland. Und auch hier wird auf wissenschaftliche Daten verwiesen.
Hoch: Wenn unser Immunsystem mit einem Virus in Kontakt gekommen ist, dann hat es etwas gelernt. Aber unser Immunsystem wird durch eine Infektion auch erst mal mächtig durcheinandergewirbelt und deswegen ist eine Impfung immer besser. Aber dass andere Länder andere Maßstäbe haben bei der Pandemiebekämpfung und viele Länder auch etwas lockerer damit umgehen und einfach dem Virus mehr freien Raum lassen, sehen wir in England oder in Dänemark und auch in der Schweiz.
Wir haben unsere eigene wissenschaftliche Expertise und ich kann gut verstehen, dass Robert-Koch-Institut gesagt hat: Die drei Monate sind eine vernünftige Lösung, weil es einheitlich ist. Sowohl bei den Impfungen gibt es einen Drei-Monats-Abstand als auch wieder nach der Genesung die Empfehlung, sich dann erneut impfen zu lassen.
Appelmann: Mir geht es aber auch um den Punkt Kommunikation. Es kann ja nicht sein, dass der Bürger jeden Tag auf die Homepage des Robert-Koch-Instituts gehen muss, um sich zu informieren. Das muss doch Politik viel transparenter machen.
Hoch: Da haben Sie völlig recht. Und diese Drei-Monats-Entscheidung mit den Genesenen, die Kritik haben wir beim RKI auch hinterlassen, zu sagen: So kann man nicht kommunizieren. Das war ja fast überfallartig über das Wochenende. Und wir haben angeregt, dass deshalb in Zukunft mit einem Vorlauf das kommuniziert wird.
Jetzt haben wir aber klare, eindeutige Regelungen in diesem Bereich. Die sind im Detail sicher komplex, aber am besten ist es, sich einfach impfen zu lassen und nach drei Monaten noch mal zu boostern, dann hat jeder Klarheit.
Appelmann: Die Zahl der Neuinfektionen steigt derzeit rasant an, deswegen reicht die PCR-Testmöglichkeit derzeit nicht mehr aus. Muss da Politik nicht auch tätig werden? Denn manchmal wissen Infizierte gar nicht ihr Ergebnisse, das dauert ja 48 Stunden, teilweise auch länger.
Hoch: Ja, das hat verschiedene Aspekte. Wir haben hier schon reagiert. Das Freitesten aus der Quarantäne oder aus der Isolation, also auch bei Infizierten, funktioniert nach zehn Tagen sogar ganz ohne Test oder nach sieben Tagen mit einem sogenannten Profi-PoC, also diejenigen, die in zugelassenen Teststellen gemacht werden.
Bei der Infektion selber ist es sehr wichtig, auch noch mal einen PCR-Abgleich zu haben und da wird priorisiert, das heißt die kritische Infrastruktur zuerst oder die Bildungssysteme. Und bei allem weiteren muss man dann auch schon mal die 48 Stunden warten.
Appelmann. Und könnte nicht ein zertifizierter Test auch am Anfang der Infektion irgendwann mal genügen?
Hoch: Mit Sicherheit kommen wir in die Situation, wenn wir noch viel mehr Infektionen bekommen, und wir rechnen damit, dass, wenn wir da eine gewisse Souveränität bekommen. Aber in den vergangenen 22 Monaten haben wir gelernt, der PCR-Test ist der Goldstandard. Und deswegen verstehe ich sehr gut, dass viele Menschen jetzt, wenn sie einen positiven PoC-Test haben, also den kleinen Schnelltest, dass sie dann nochmal Gewissheit haben wollen, bin ich wirklich infiziert, und deshalb einen PCR-Test brauchen.
Appelmann: Lassen Sie uns noch kurz nach vorne schauen. Wir haben am Montag die nächste Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Vor dem Hintergrund der steigenden Neuinfektionen derzeit wird es Verschärfungen der Corona-Maßnahmen geben?
Hoch: Ich glaube nicht, dass am Montag Verschärfungen der Corona-Maßnahmen geben wird. Wir haben ein vernünftiges, austariertes System. Wir sehen gerade wahnsinnig hohe Infektionszahlen. Wir haben aber immer gesagt: Das ist gar nicht unser Maßstab. Die allermeisten Menschen sind geimpft oder sogar geboostert in Rheinland-Pfalz, der Maßstab ist die Erkrankung. Und da sehen wir in den Krankenhäusern noch nicht einen gleich so starken Anstieg. Wir rechnen damit bis Ende des Monats, dass es auch da mehr Fälle geben wird. Aber im Moment haben wir ein gut funktionierendes System. Es ist kein Raum für Verschärfungen, es ist aber erst recht kein Raum für Lockerungen.
Appelmann: … sagt der Gesundheitsminister von Rheinland-Pfalz, Clemens Hoch, heute im Studio. Danke, dass Sie da waren.
Hoch: Sehr gerne.