Inklusion stellt Schulen vor schwere Aufgabe

Die Ferien sind vorbei: In Rheinland-Pfalz ist trotz der unklaren Infektionslage die Schule wieder gestartet. Wir möchten heute aber mal nicht über Corona und Schule sprechen, sondern über ein anderes drängendes Thema: die Inklusion, also dass Schüler mit und ohne Beeinträchtigung zusammen lernen. Doch die Realität sieht oft anders aus. Rheinland-Pfalz erhält im Bundesvergleich einer Studie zufolge besonders schlechte Noten beim Thema Inklusion. Wie sie gelingen kann, zeigt unser Beispiel aus Worms.

Freistehend Azra Özberg: „Yes!“
Azra Özberg hat das Eckenrechnen gewonnen. An der Westend Grundschule in Worms lernen die Kinder so spielerisch schnelles Kopfrechnen. Vier Kinder stehen in je einer Ecke des Klassenzimmers. Wer die gestellte Aufgabe am schnellsten löst, geht eine Ecke weiter. Gewonnen hat, wer als erstes wieder in seiner Ecke ankommt. Heute ist das Azra.
Daniela Rehm, Klassenlehrerin 2D Westendgrundschule Worms
„Wir wussten am Anfang gar nicht, inwieweit die Azra das hier umsetzen kann und wo wir vielleicht mehr nachhelfen müssen, als wir das bei anderen Kindern ohne Beeinträchtigung machen. Und sie überrascht uns eigentlich jeden Tag.“
Bei ihrer Geburt wurde Azra nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt. Sie ist dadurch körperlich beeinträchtigt. Wie stark sie auch kognitiv beeinträchtig ist und ob sie das Lernpensum hier überhaupt schaffen würde, war vor der Einschulung ungewiss.
Für ihre Mutter Arzu Özberg war trotzdem immer klar, ihre Tochter soll nicht auf eine spezielle Förderschule gehen.
Arzu Özberg, Mutter von Azra
„Das normale Leben ist nicht aus Zuckerwatte. In der Förderschule wird sie wahrscheinlich bemuttert werden, es ist leider nun mal so. Und hier sieht sie die Kinder, die – in Anführungsstrichen – normal sind und passt sich denen an. In der Förderschule würde sie untergehen.“
Ihre Tochter hier einschulen zu lassen, hat Arzu Özberg noch nie bereut. Mit der Schule ist sie zufrieden. Doch der Weg hierher ist für viele Eltern kein Zuckerschlecken, erlebt Schulleiterin Anja Heer.
Anja Heer, Schulleiterin Westend Grundschule Worms
„Wo für andere Eltern die Schultüte im Vordergrund steht, ist für Eltern mit einem Gutachten-Kind immer ein Aufmarsch an Bürokratie, der da einhergeht. Wir können Eltern unterstützen ab dem Moment, wo die Kinder hier bei uns an der Schule sind.“
Doch bis es soweit ist, müssen Eltern sich alleine zurechtfinden. Welche Schule überhaupt für den Bedarf ihres Kindes ausgestattet ist – ob die Schule in Azras Fall also komplett barrierefrei ist –, müssen sie im Vorfeld selbst rausfinden. Zusätzlich müssen Gutachten erstellt und Antragsfristen für sämtliche Hilfsmittel wie Azras Rollator oder die Integrationskraft beachtet werden, die Azra im Unterricht unterstützt.
Arzu Özberg, Mutter von Azra
„Sie ist zwar eingeschult worden, aber wir standen dann vor einem großen Fragezeichen, ob das alles klappen wird. Das musste ich alles aus dem Bauch raus entscheiden und das fiel mir relativ schwer, weil ich gedacht habe, wenn es dann doch nicht klappt und sie muss auf eine andere Schule gehen, wäre das auch eine große Enttäuschung für sie.“
Bisher ist Azras Weg an der Westendgrundschule ein Erfolg.
Azra Özberg, Schülerin Westend Grundschule
„Ich liebe die Schule. Meine Lehrerin ist auch eine liebe Lehrerin.“
Einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung zufolge steigt in Rheinland-Pfalz die Exklusionsrate. Das heißt, immer mehr Eltern schulen ihre Kinder in Förderschulen statt in inklusive Schulen ein.
Damit sich das ändert, braucht es aus Sicht von Anja Heer neben einer besseren räumlichen Ausstattung der Schulen vor allem mehr Fachpersonal.
Anja Heer, Schulleiterin Westend Grundschule Worms
„Es ist schon so, mehr Unterstützung tut in dem Bereich Not. Gebt uns mehr Menschen vor Ort.“
In Worms gibt es drei inklusive Grundschulen. Bei den weiterführenden Schulen wird es dann dünn. Nur eine bietet gemeinsamen Unterricht für Kinder mit und ohne Beeinträchtigung an. Ob und unter welchen Bedingungen diese Schule für Azra in Frage kommen wird, ist für Arzu Özberg schon jetzt Thema.
Arzu Özberg, Mutter von Azra
„Ich habe jetzt noch zwei Jahre Anlauf und die werde ich jetzt ausnutzen.“
Inklusion, gemeinsames Lernen für alle Kinder – Azras Beispiel zeigt, dass es gelingen kann. Doch es zeigt auch, noch ist Inklusion alles andere als ein Selbstläufer.