Impfen – warum nicht? Interview mit dem Sozialpsychologen Prof. Ulrich Wagner

Wie steht es mit der Akzeptanz der einrichtungsbezogenen Impfpflicht?

Eva Dieterle, Moderatorin: Ich spreche jetzt mit Prof. Dr. Ulrich Wagner, Sozialpsychologe an der Philipps-Universität Marburg. Guten Tag.
Prof. Dr. Ulrich Wagner, Sozialpsychologe Philipps-Universität Marburg: Guten Tag.
Dieterle: Herr Prof. Wagner, die einrichtungsbezogene Impfpflicht steht bevor und setzt viele Beschäftigte unter Druck. Gleichzeitig bewegen wir uns immer weiter weg von einer allgemeinen Impfpflicht. Schmälert das bei Betroffenen die Akzeptanz für die einrichtungsbezogene Impfpflicht, wenn die Leute quasi denken, warum trifft es nur uns?
Wagner: Zumindest kann man diese Situation als eine Entschuldigung dafür nehmen, wenn man sich im Bereich der Pflege und der Krankenversorgung nicht impfen lassen will, weil es macht ja den Eindruck, es wäre tatsächlich nur auf bestimmte Gruppen zugeschnitten, aber natürlich gibt es gute Gründe, gerade die Beschäftigten in den Bereichen, über die wir über die wir reden, zu impfen, weil dort natürlich ein besonders hohes Maß an Risiko besteht, die Infektion weiterzugeben.
Dieterle: Viele Einrichtungen befürchten Engpässe in der Versorgung, wenn sich doch zu viele Pflegekräfte nicht impfen lassen und stattdessen eher ihren Beruf aufgeben würden. Das ist doch ein starkes Argument, oder?
Wagner: Das ist in der Tat ein sehr schwergewichtiges Argument, wenn man sich überlegt, dass möglicherweise manche Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, dann nicht mehr gepflegt werden können. Aber man muss auch sagen, dieses Argument ist natürlich nur möglich vor dem Hintergrund, dass im Bereich der Krankenversorgung und im Bereich der Pflege in der Vergangenheit ganz viel versäumt worden ist, zum Beispiel in Bezug auf eine angemessene Bezahlung und angemessene Arbeitsbedingungen. Deshalb konnte überhaupt nur eine solche Situation entstehen und es besteht dringender Bedarf, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Damit das nicht mehr geschehen kann.
Dieterle: Sie warnen davor, die Mehrheit nicht aus dem Auge zu verlieren, in dem man den Fokus zu stark auf die Minderheit der Querdenker und Montagsspaziergänger legt. Warum ist das in ihren Augen gefährlich und was fordern Sie?
Wagner: Gegenwärtig haben wir eine Situation, dass die Aufmerksamkeit sich vor allen Dingen auf Impfgegnerinnen und Impfgegner oder auf manche Impfgegner richtet, die laut durch die Straßen demonstrieren. Die Mehrheit der Bevölkerung ist aber auch ganz massiv eingeschränkt Und stellen wir uns eine Situation vor, dass es im Herbst wieder Einschränkungen gibt, dass Eltern wieder ihre Kinder zu Hause halten müssen, weil die Schulen schließen, die Kindergärten schließen, befürchte ich tatsächlich, dass auch diese Gruppe, die bisher weitgehend ruhig geblieben ist, dass die auch massiven Widerstand zeigen wird, und sich radikalisieren wird. Und darüber hinaus haben wir natürlich über die gesamte Coronapolitik der letzten zwei Jahre hinweg den Effekt, dass auch die Mehrheit, die eigentlich den Anweisungen auch den widersprüchlichen Anweisungen und Empfehlungen immer wieder gefolgt ist, das Vertrauen in die Politik verliert. Und das kann ein Schaden sein, der weit über die Coroma-Pandemie hinausgeht.
Dieterle: Herr Prof. Wagner, herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.
Wagner: Gerne.