Im Studio: SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser

In sechs Monaten werden die hessischen Bürger zur Wahlurne gebeten. Ministerpräsident Boris Rhein von der CDU und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir von den Grünen waren bereits zum Interview bei uns. Heute konzentrieren wir uns auf die SPD.

Eva Dieterle, Moderatorin: Jetzt begrüße ich sie bei mir im Studio. Nancy Faeser, guten Abend, schön, dass Sie hier sind.
Nancy Faeser, SPD, Bundesinnenministerin: Guten Abend.
Dieterle: Frau Faeser, Sie gehören zu den am meisten geschützten Personen in Deutschland. Wie ist das denn für Sie, so auf Schritt und Tritt begleitet zu werden?
Faeser: Es sind tolle Leute um mich herum und sie machen einen großartigen Job. Und insofern gewöhnt man sich dann natürlich auch dran.
Dieterle: Sie tragen als Bundesinnenministerin viel Verantwortung und die Themen, mit denen Sie auf Bundesebene zu tun haben, die werden auch im hessischen Landtagswahlkampf eine große Rolle spielen: die innere Sicherheit und die hohe Zahl von Flüchtlingen. Um Zweiteres geht es bei uns heute, denn die Kommunen sind an der Grenze der Belastbarkeit.Das zeigt auch ein Blick in eine Sammelunterkunft in Bensheim im Kreis Bergstraße.
Niedrige Trennwände. Kaum Möbel. Ein ständig hoher Geräuschpegel. Toiletten und Duschen im Container. Unter diesen unwürdigen Umständen leben mehr als 700 Menschen in einer Zeltstadt im südhessischen Bensheim. Von Privatsphäre keine Spur. Die Zeltstadt kostet jeden Monat rund eine Million Euro. Doch Landrat Christian Engelhardt sagt: Es fehlt nicht nur an Geld. Deutschland brauche bessere Grenzkontrollen und schnellere Abschiebungen.
Christian Engelhardt CDU, Landrat Kreis Bergstraße
„Wir sind am Limit. Es geht ja nicht nur darum, dass uns der Raum fehlt, um die Menschen unterzubringen, so eine Zeltstadt ist keine würdige Unterkunft für Dauer. Sondern es fehlt das Personal, es fehlt Kapazitäten an Kindergarten, Schulen, überall. Um die Menschen, die zu uns kommen und bleiben dürfen zu integrieren und deshalb fordern wir ja auch, dass am Ende nur die zu uns kommen, die auch bleiben dürfen.“
Im vergangenen Jahr sind allein aus der Ukraine rund eine Million Menschen nach Deutsch-land geflüchtet. Darüber hinaus haben rund 220000 Menschen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und anderen Staaten hier erstmals einen Asylantrag gestellt. Doch beim Flüchtlings-gipfel Mitte Februar versprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser nur eine engere Zusammenarbeit. Auf zusätzliche Bundeshilfen warten die Kommunen bislang vergeblich.
Nach einer aktuellen Allensbach-Umfrage glaubt inzwischen mehr als die Hälfte der Bürger, dass die Zuwanderung mehr Nachteile als Vorteile bringt. Sie wünscht sich, dass sich die Migration mehr an den deutschen Interessen orientiert. Hier könnte sich schon bald etwas tun: Am Mittwoch hat das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf zur Reform des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes beschlossen, der qualifizierten Arbeitskräften den Weg nach Deutschland künftig erleichtern soll. Doch erst einmal richten sich alle Blicke auf den 10. Mai. Dann will Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Ministerpräsidenten der Länder auf einem Sondergipfel unter anderem darüber sprechen, wie die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge künftig finanziert werden soll. Vorerst wird sich an den unwürdigen Zuständen in Bensheim und an der heiklen Situation für die Kommunen also nichts ändern.
Dieterle: Frau Faeser, wir haben gerade diese improvisierte Zeltstadt gesehen. Seit Monaten leben da über 700 Menschen auf engstem Raum zusammen, darunter Familien, Kinder, unter diesen Bedingungen, Es ist doch offensichtlich, dass das so nicht bleiben kann, oder?
Faeser: Das Problem ist Putins Angriffskrieg in der Ukraine. Sie haben es ja in Ihrem Beitrag gesagt, über 1 Million Geflüchteter aus der Ukraine. Das heißt, acht von zehn Geflüchteten kommen aus der Ukraine. Krieg mitten in Europa, das ist natürlich eine Situation, die wir kaum beeinflussen können. Und da kann man auch schlecht begrenzen. Das Problem ist, dass die ukrainischen Geflüchteten aufgrund einer EU Richtlinie das recht haben, sich auszusuchen, wo sie in der EU leben. Polen ist beispielsweise noch viel mehr belastet als wir oder auch Tschechien, Österreich, weil das Länder sind, die nahe an der Ukraine liegen und die meisten ukrainisch Geflüchteten wollen zurück zu ihren Familien, weil sie sind ja sehr auseinandergerissen. Es sind hauptsächlich Frauen und Kinder hier bei uns in Deutschland und die wollen natürlich auch möglichst bald wieder zurückkommen.
Aber ich teile die Auffassung des Landrats. Es ist keine menschenwürdige Unterbringung und sollte auf keinen Fall auf Dauer sein. Deswegen ordnen und steuern wir ja Migration jetzt sehr stark. Sei es in Europa mit europäischen Partnern oder aber auch in Deutschland. Ich habe die Grenzkontrollen zu Österreich verlängert. Ich habe dafür gesorgt, dass wir ein Abkommen mit der Schweiz geschlossen haben. Das ermöglicht uns bessere Grenzkontrollen und ermöglicht uns sogar Kontrollen in der Schweiz in Zügen.
Dieterle: Auf all diese Punkte wären wir gleich noch zu sprechen kommen. Es sind natürlich bei weitem nicht nur Menschen aus der Ukraine, die zu uns kommen, alleine im vergangenen Jahr 200.000 Menschen auch aus anderen Ländern. Aber lassen Sie uns noch mal bei diesem Beispiel bleiben, beim Kreis Bergstraße. Alleine im vergangenen Jahr sind da 4.000 neue Flüchtlinge angekommen. Das ist so viel wie eine kleine neue Gemeinde für den Landkreis. Und wir hören jetzt noch mal ganz kurz, was das bedeutet, was der Landrat uns schildert.
Christian Engelhardt (CDU), Landrat Kreis Bergstraße
„Die müssen in die Schule, in den Kindergarten gehen, wohnen können – nicht nur in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen. Und Arbeit finden und für all das fehlen uns die Ressourcen. Das heißt: Diese Integration kann nicht stattfinden. Und das merkt auch unsere Gesellschaft und es gibt eine Konkurrenz um die knappen Möglichkeiten. Und wenn dann noch viele wissen, dass eigentlich hier viele ankommen, die kein Recht darauf haben, weil unser Rechtsstaat das nicht organisiert bekommt, dann ist das ein Problem.“
Dieterle: Die Akzeptanz in der Gesellschaft sinkt. Ist das nicht hoch riskant?
Faeser: Also noch mal: Sie können keine Begrenzung machen, wenn Sie Krieg mitten in Europa haben. Das hat auch noch keiner von der CDU gefordert. Deswegen muss man das, glaube ich, erst mal als Fakt hinnehmen und auch so sehen, wie es ist. Es wird vorübergehend sein. Ich bin sehr beeindruckt von der Leistung, die gebracht wird, von den Kommunen, deswegen unterstützen wir dort ja auch sehr stark. Wir haben uns mehrfach in Berlin getroffen. Es ist die erste Bundesregierung, die die Kommunen auf der kommunalen Spitzenebene überhaupt mitnimmt. Das gab es 2015 / 2016, als wir auch sehr, sehr viele Geflüchtete hatten, überhaupt gar nicht, diese direkte Beziehung. Ich halte sie für wichtig und richtig. Wir haben Arbeitsprozesse jetzt aufgelegt, wie wir noch mehr unterstützen können. Mit Bundesimmobilien haben wir schon unterstützt, tun wir weiterhin, stellen zur Verfügung. Wir haben ja auch personell geholfen, bei der Registrierung beispielsweise, auch der Geflüchteten. Das machen wir mit Bundesbediensteten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Also wir tun schon sehr viel. Ich glaube, man merkt, dass ich als Innenministerin auch von der kommunalen Ebene komme. Das hat es so noch nie gegeben, dass es dort eine so enge Verbindung gab.
Dieterle: Sie haben auch gesagt, dass Länder und Kommunen künftig Notreserven bereithalten sollen, also Unterkünfte für Notsituationen. Die CDU in Hessen hat das scharf kritisiert, hat das für schlichtweg lebensfern bezeichnet. Der Wohnraum ist ja jetzt schon knapp. Wie soll das funktionieren?
Faeser: Es geht um was anderes. Jetzt werden auch wieder mühsam Kasernen umgewandelt. Es wird ja Wohnraum für Geflüchtete geschaffen. Das Problem ist, und das sieht sicherlich auch die CDU in Hessen nicht anders, dass dann der Rechnungshof hinterher kommt und sagt, die Kommune XY darf dieses, was erst mal jetzt auch dann mit Steuergeld ja ertüchtigt wurde, nicht aufrechterhalten werden, wenn da keiner mehr drin ist. Aber davon müssen wir weg.
Wir müssen einen Weg finden, wie man auch gewisse Plätze zumindest vorhalten kann, ohne dass der Rechnungshof sich darüber beschwert. Weil sonst fangen wir immer wieder von Neuem an und ich glaube, wenn man eine Gesamtrechnung aufmacht, wie gesagt, es geht um öffentliche Gelder, es geht um Steuergelder, dann sollten die doch sinnvoll genutzt werden und nicht wieder alle paar Jahre, wenn es da neue Flüchtlingswellen gibt, dann auch wieder neu anfangen irgendwas zu ertüchtigen und wieder Geld auszugeben. Ich glaube, da braucht es ein Commitment und ich glaube, wenn man so darüber redet, sieht es jeder ähnlich, weil das ist ja für die Kommunen das Schwierigste. Erst bauen sie mühsam auf, dann müssen sie wieder mühsam abbauen.
Dieterle: Wir hätten weniger Probleme, wenn wir natürlich erst mal gar nicht mehr Flüchtlinge zu uns lassen würden. Also in der Form, wie es jetzt geschieht. Sie selbst haben sich ausgesprochen für einen stärkeren Schutz an den EU-Außengrenzen. Ist das eine Kehrtwende und wenn ja, wie soll das aussehen?
Faeser: Es ist überhaupt keine Kehrtwende. Diese Koalition ist damit angetreten, viel mehr die Migration zu steuern und zu ordnen. Deswegen haben wir jetzt auch geregelt, dass Menschen über Arbeit bei uns einwandern können mit einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Das heißt, es wird viel mehr geordnet und gesteuert, wer kommen soll nach Deutschland.
Dieterle: Wie sieht der Schutz an den EU-Außengrenzen aus?
Faeser: Das spielt auch eine Rolle.
Dieterle: Mauern, Zäune – ist nicht das, was Sie sich vorstellen?
Faeser: Nein, das ist sicherlich nicht der Weg. Weil, wo Mauern und Zäune sind, werden auch immer Wege gefunden, die zu umgehen. Und es geht ja darum, dass wir alle humanitär die Aufnahmeverpflichtung auch haben, dass, wenn Menschen in Not sind, an Leib und Leben bedroht sind – das sind übrigens auch Menschen aus Syrien, nicht nur aus der Ukraine -, die natürlich dann auch ein Recht haben, Asyl zu beantragen. Deswegen muss man da auch sehr genau unterscheiden. Weil die CDU jetzt damit versucht, Wahlkämpfe zu machen. Ich kann das nicht empfehlen. Das macht nur die AfD, den rechten Rand stark.
Aber es geht darum, dass die meisten Menschen natürlich ein humanitäres Recht haben, auch zu kommen. Aber man kann nur als Gesellschaft auch so viele aufnehmen, wie es verkraftbar ist. Deswegen muss man steuern und ordnen. Das tun wir. Und Außengrenzenschutz ist vor allen Dingen, dass wir – und da bin ich eine der Treiberinnen in Europa – dass wir jetzt dafür sorgen, dass es ein europäisch einheitliches System gibt. Es soll schon an den Außengrenzen das Asylverfahren durchgeführt werden. Das wäre eine echte Veränderung und Steuerung. Und das tue ich von Anfang an seit letztes Jahr, 24. Februar, weil das bringt uns in die Bredouille.
Dieterle: Eine Frage, die man in dem Zusammenhang aber unbedingt auch stellen muss, ist: Wann kommen wir dann an den Punkt, an dem wir sagen, die, die ein Bleiberecht haben, die bleiben und die, die keines haben, die werden abgeschoben. Und zwar konsequent.
Faeser: Das tun wir ja. Für Abschiebungen sind die Länder zuständig – will es nur noch mal sagen …
Dieterle: Aber das funktioniert ja fast nicht.
Faeser: Aber es wird ja immer nur so getan, als wenn das am Bund liegen würde. Wir bemühen uns gerade gemeinsam, dass es auch funktioniert. Deswegen sind wir gerade unterwegs, als Bundesregierung Migrationsabkommen mit anderen Staaten zu schließen. Wir haben es letztes Jahr mit Indien getan. Da funktioniert sehr gut, dass Geflüchtete auch zurückgenommen werden, weil sie sehr praktische Probleme haben. Das haben die anderen Staaten in Europa auch. Da sind wir sehr stark jetzt unterwegs. Ich werde Ende April nach Nordafrika reisen oder Anfang Mai und dort werde ich mich darum kümmern, dass wir auch dort Migrationsabkommen bekommen, damit tatsächlich klar ist, diejenigen, die auch einen Arbeitsplatz hier haben, die gut integriert sind, die hier bleiben können und bleiben sollen.
Wir haben massiven Arbeitsplatzmangel – also nicht Arbeitsplatzmangel, sondern Arbeitskräftemangel – und der muss ja gefüllt werden. Insofern ist das ja ein wichtiger Punkt. Und auf der anderen Seite diejenigen, die kein recht haben, hier zu haben, auch konsequent abzuschieben.
Dieterle: Genau. Würden Sie sagen, dass aus heutiger Sicht das heutige Asylrecht, wie wir das jetzt gerade haben in Deutschland, dass das, wie das einst gedacht war, in diesen Umständen gescheitert ist?
Faeser: Nein, das würde ich nicht sagen.
Dieterle: Aber zeitgemäß ist es nicht mehr.
Faeser: Was heißt zeitgemäß? Es gibt ja keine rechtlichen Probleme im Moment. Es gibt tatsächliche Probleme. Deswegen glaube ich, dass dieser Tage im Fokus stehen muss, dass es europarechtliche Lösungen braucht. Und dafür brauchen wir eben einheitliche Gesetzgebung. Und dafür haben wir nur noch ein enges Zeitfenster, weil Mitte nächsten Jahres, wird die Europäische … das Parlament, die Legislaturperiode auslaufen. Insofern müssen wir bis dahin eine Regelung gefunden haben. Deswegen insistiere ich so stark und mache jetzt auch da Tempo, hatte vor kurzem Innenminister aus fünf anderen Staaten bei mir in Deutschland und deswegen arbeiten wir so hart daran, auch dort gemeinsam Lösungen zu finden, damit wir mehr steuern und ordnen können.
Dieterle: Das ist ein sehr komplexes Thema, ein schwieriges Thema, das wir jetzt aber hinter uns lassen. Denn, Frau Faeser, Sie sind ja heute in doppelter Funktion bei uns und wir müssen jetzt natürlich und wollen jetzt natürlich auch auf Hessen schauen, genauer gesagt auf den Herbst in Hessen, auf die Landtagswahl am 8. Oktober.
Das Hessen-Wahljahr 2023: Welches Amt wird die SPD-Landesvorsitzende an seinem Ende in den Händen halten? Da gibt es zwei Möglichkeiten: Sie wird die erste weibliche Ministerpräsidentin in der hessischen Staatskanzlei. Oder sie bleibt die erste weibliche Bundesinnenministerin. Andere Optionen hat Faeser ausgeschlossen. Oppositionsführerin sei sie schon gewesen. Und als normale Ministerin in einer wie auch immer gearteten Koalition in Hessen – nun, das wäre wie ein Abstieg aus der ersten in die zweite Bundesliga. Nachvollziehbar, wenngleich nicht ohne Risiken: Wahlkämpferin in Hessen und Innenministerin im Bund – ein Spagat, der immens viel Kraft fordern wird.  Kann sie in diesen Krisenzeiten allen Herausforderungen immer und sofort gerecht werden? Diese Frage wird Nancy Faeser uns heute natürlich nicht mit „Nein“ beantworten – aber wie klar wird ihr „Ja“ sein?
Dieterle: Ja, die Frage gebe ich direkt weiter. Wie klar ist ihr Ja, wie klar sagen Sie: “Kein Problem, das schaffe ich.”`?
Nancy Faeser, SPD, Spitzenkandidatin Landtagswahl Hessen: Das schaffe ich so wie alle anderen auch, die aus Ämtern heraus kandidieren. Ich würde mir wünschen, dass alle anderen, vor allen Dingen Männer, auch danach gefragt werden, wie sie es denn schaffen, aus den Ämtern heraus zu kandidieren, Es tun alle. Ob es der Finanzminister Olaf Scholz war, der als Finanzminister kandidiert hat als Bundeskanzler, oder ob es Frau Merkel die Jahre davor gemacht hat, ob es jetzt der Ministerpräsident aus seinem Amt macht – genauso werde ich das auch schaffen.
Dieterle: Ich bin ja eine Frau, deswegen frage ich nicht aus diesem Grund, sondern eher, weil Sie als Bundesinnenminister eines der wichtigsten Ämter innehaben, die es in Deutschland gibt, und dass in diesen Krisenzeiten. Da kommt dann noch der Wahlkampf obendrauf. Muss man nicht so ehrlich sein zu sagen, dass ein bisschen Aufmerksamkeit in dieser Zeit dann von Ihren wichtigen Bundesaufgaben unweigerlich weggenommen wird?
Faeser: Nein, natürlich nicht, weil das immer die erste Priorität hat. Immer hat die erste Priorität die Sicherheit der Bevölkerung in unserem Land für mich und das wird auch so bleiben. Und so wird es sicherlich auch für Boris Rhein sein als Ministerpräsident. Das ist auch ein sehr wichtiges Amt, gerade jetzt in diesen Krisenzeiten. Und so ging es natürlich auch den Bundespolitikern, auch der Bundeskanzlerin, die aus einem Amt heraus kandidiert hat. Natürlich gehen die Belange des Landes immer vor, insofern ist es keine Besonderheit.
Dieterle: Es sind noch gut sechs Monate, bis in Hessen ein neuer Landtag gewählt wird. Es gibt schon Umfragen und die sind auch jetzt schon spannend. Und deswegen schauen wir jetzt mal auf die aktuellste.
Demnach käme die CDU auf 32 Prozent der Stimmen. Das wären 5 Prozentpunkte mehr als im vergangenen Oktober. Die Grünen erhielten unverändert 22 Prozent der Stimmen. Alle anderen mit Verlusten: Die SPD würde auf 20 Prozent, die AfD auf 11 und die FDP auf 5 Prozent sinken. Die Linke läge unverändert bei 3 Prozent und würde nicht in den Landtag einziehen.
Wenn die Hessen ihren Ministerpräsidenten direkt wählen könnten, käme Amtsinhaber Boris Rhein von der CDU auf 32 Prozent der Stimmen. Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir von den Grünen läge bei 23 Prozent und Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD bei 17 Prozent.
Dieterle: Seit 24 Jahren stellt die CDU in Hessen den Ministerpräsidenten. Es sieht nicht so aus, als würden das die Wähler ändern wollen, oder?
Faeser: Also ich glaube, dass die Umfragen noch zu früh sind. Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung schon im Bewusstsein hat, dass Landtagswahlen sind. Insofern ist es natürlich auch immer ein bisschen bezogen auf die Frage “Sonntagsfrage in Berlin”.
Dieterle: Und es ist für Sie kein Stimmungsbild?
Faeser: Nein. Ich glaube, dass das Bewusstsein für die Landtagswahl erst nach dem Sommer entstehen wird, wenn der Bevölkerung bewusst ist: Jetzt geht es wieder auf Landtagswahlen zu. Deswegen bin ich sehr entspannt. Es gibt auch gute Beispiele dafür, entspannt zu sein. Wenn Sie sich anschauen, wie die Werte von Olaf Scholz noch im Frühsommer waren, und er hat souverän dann die Bundestagswahl gewonnen. Oder schauen Sie ins Saarland, wo Anke Rehlinger vier Monate vor der Wahl noch weit hinter der CDU zurücklag und sie hat am Ende die absolute Mehrheit geholt.
Dieterle: Sie haben ein sehr prominentes Amt inne, da haben wir gerade lange drüber gesprochen. Trotzdem sind Ihre persönlichen Umfragewerte – liegen hinter denen von Boris Rhein und Tarek Al-Wazir. Wie erklären Sie sich das?
Faeser: Ich glaube, dass das die Präsenz ist, die noch nicht so stark in Hessen ist. Das wird sich ja jetzt ändern …
Dieterle: Aber bundesweit ist es auch nicht besser.
Faeser: … das wird sich aber ändern. Aber wahrscheinlich wird mich die Bevölkerung im Moment eher als Bundesinnenminister wahrnehmen als als Kandidatin in Hessen.
Dieterle: Wie wollen Sie das aufholen?
Faeser: Na ja, der Wahlkampf geht ja jetzt an den Wochenenden und insbesondere in der Sommerpause dann los. Ich werde viel rumreisen, in Hessen vor Ort präsent sein und auch noch mal unterstreichen, wie wichtig mir das ist, in Hessen Ministerpräsidentin zu werden. Und dass das auch meine volle Kraft dann im Sommer auch kosten wird.
Dieterle: Fakt ist, egal wie gut es am Ende für die SPD laufen wird, für eine Alleinregierung wird es nicht reichen. Wer wäre denn der beste Koalitionspartner für Sie? Und jetzt sagen Sie nicht, Sie kämpfen nur für sich. Also für die SPD.
Faeser: In erster Linie kämpfe ich natürlich, für die Sozialdemokratie möglichst stark zu werden, möglichst viel von unseren Inhalten, insbesondere in den sozialen Fragen umzusetzen. Aber natürlich ist erst mal, was naheliegend ist, Die Grünen mein Wunschpartner und ich arbeite ja auch gerade sehr gut mit denen in Berlin zusammen. Und auch eine Ampel kann ich mir gut vorstellen. Ich finde entgegen der jetzigen Debatte darüber, dass es eine sehr gute Konstellation ist, weil es eine sehr progressive Verbindung ist, mit der zum Beispiel nur in dieser Konstellation aus SPD, Grüne und FDP auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz möglich war.
Dieterle: Jetzt erheben die Grünen ja zum ersten Mal so richtig Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten in Hessen. Wäre das auch was, was Sie sich für die hessische SPD vorstellen könnten? Eine Regierungsbeteiligung in einer Ampel unter einer grünen Führung?
Faeser: Man kann so was nie ausschließen. Ich finde, dass man das auch nicht sollte. Ausschlüsse zu machen, haben wir sehr schlechte Erfahrungen mit gemacht in Hessen, insofern sollte man das auf keinen Fall tun. Aber wir kämpfen natürlich darum, dass die SPD stärkste Kraft wird.
Dieterle: Okay. Wir werden natürlich im heißen Wahlkampf auch noch mit dabei sein. Dann auch noch viel mehr über die Themen sprechen. Frau Faeser, für heute war es das. Ich bedanke mich, dass Sie sich meinen Fragen gestellt haben.
Faeser: Ich danke Ihnen ganz herzlich.