Hessische Landtagswahl 2023: Jan Schalauske, Spitzenkandidat Die Linke

Am Ende dieser Woche ist es soweit. Dann steht fest, wie Hessen gewählt hat. Und die Zeit bis dahin, die wollen wir natürlich sinnvoll nutzen und Ihnen die Spitzenkandidaten der Parteien und ihre Wahlprogramme vorstellen. Heute geht es weiter mit der Partei Die Linke und ihrem Fraktionsvorsitzenden Jan Schalauske.

Eva Dieterle, Moderatorin: Guten Abend, schön, dass Sie hier sind.
Jan Schalauske (Die Linke), Spitzenkandidat Landtagwahl Hessen: Schönen guten Abend, Frau Dieterle. Herzlichen Dank für die Einladung.
Dieterle: Sehr gerne. Herr Schalauske, bevor wir jetzt gleich auf die Themen im Wahlprogramm zu sprechen kommen, schauen wir uns erst mal an, wie Sie sich im Wahlkampf geschlagen haben. Denn wir haben Sie bei einem Termin in Hessen begleitet.
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Jan Schalauske, 42 Jahre alt, aus Marburg. Zusammen mit Elisabeth Kula ist Schalauske Fraktionsvorsitzender der Linken im Landtag und jetzt Spitzenkandidat.
Heute wirbt er im Frankfurter Nordend für soziale Gerechtigkeit. Der Straßenwahlkampf – ein hartes Pflaster.
„Hallo! Darf ich ihnen ein Flugblatt mitgeben?“ – „Nein, danke!“
„Geh ich sowieso nicht hin.“ – „Gehen Sie nicht hin? Aber das muss man doch ändern. Es ist doch ein Skandal, dass Sie ein Leben lang gearbeitet haben und dann noch zum Sozialamt gehen müssen, weil ihre Rente zum Leben nicht reicht.“
„Nee? Okay.“
„Für was? – „Von der Linken zur Landtagswahl am 8.Oktober.“ – „Niemals!“ – „Niemals? Das kann sich ja noch …vielleicht überlegen Sie sich‘s noch. Okay, schönen Tag noch!“
„Ihr wollt quasi die Wirtschaft kaputt machen, wenn ich das richtig verstehe?“ – Nee, gar nicht, wir wollen die Wirtschaft gerechter gestalten.“
Die Linke muss für den Einzug in den hessischen Landtag um jede Stimme kämpfen. Die Spaltung der Partei auf Bundesebene beeinflusst auch die Hessenwahl.
Jan Schalauske (Die Linke), Spitzenkandidat Landtagswahl Hessen
„Die letzten Umfragen haben gezeigt, dass noch viele Menschen unentschlossen sind. Das heißt, jetzt ist noch alles möglich. Die Stärke der Linken ist das direkte Gespräch, ist der Austausch, ist unsere Präsenz jetzt auf den Wahlkampfveranstaltungen, auf der Straße. Und ich bin noch immer sehr, sehr zuversichtlich.“
Jan Schalauske ist Idealist, soziale Gerechtigkeit seine Kernbotschaft.
Jan Schalauske (Die Linke), Spitzenkandidat Landtagswahl Hessen
„Ich habe selber in meiner Jugend erleben müssen im familiären Umfeld, wie es ist, wenn man von Armut betroffen ist, wenn man von Erwerbslosigkeit – von Dauererwerbslosigkeit – betroffen ist. Wie das ist, wenn man viele, viele Bewerbungen schreibt und trotzdem keine Arbeitsstelle bekommt und was das auch mit Menschen macht.“
Bezahlbarer Wohnraum, faire Löhne – wer könnte da schon was dagegen haben? Doch wir treffen an diesem Tag niemanden, der die Linkspartei wählen würde.
Manfred, Rentner
„Weil sie im Augenblick so in ihrem Zustand keine Chance hat überhaupt über die 5 Prozent zu kommen. Und dann gebe ich meine Stimme lieber nicht weg.“
Sven Springer, Betrieblicher Gesundheitsmanager
„Ich habe schon gewählt, also Briefwahl, aber nicht die Linke. Mir ist es immer ein bisschen zu weit von der Realität weg. Es sind oft Dinge, die nicht umgesetzt werden können.“
„Macht Hessen gerecht“ – fordert Jan Schalauske. Die Frage ist nur, wie soll das gehen?
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Dieterle: Ja, wir haben gerade gehört, eine “zu realitätsferne Politik”. Was sagen Sie dazu?
Schalauske: Im Gegenteil. Die Forderungen der Linken sind sehr, sehr realistisch. Und sie sind vor allem auch dringend notwendig. Wir haben eine totale soziale Schieflage im Land, insbesondere in Hessen. Jeder fünfte Hesse ist von Armut bedroht, jedes vierte Kind und jede zweite Alleinerziehende von Armut betroffen. Und gleichzeitig auf der anderen Seite – Armut und Reichtum sind zwei Seiten derselben Medaille – wächst der Reichtum in den Händen von wenigen. Wir haben mittlerweile 2000 Einkommensmillionäre in Hessen. Das Vermögen der reichsten Person in Hessen ist halb so hoch wie die hessische Staatsverschuldung. Und diese enorme Kluft, die muss man schließen. Und dafür haben wir auch sehr konkrete Vorschläge, wie das gehen kann.
Dieterle: Und trotzdem haben wir ja gerade gesehen, beim Straßenwahlkampf zieht das nicht so richtig. Kann es nicht auch sein, dass Sie mit Ihren Forderungen nach milliardenschweren Sozialprogrammen, offenen Grenzen, einer Auflösung der NATO einfach nicht mehr in die heutige Zeit passen?
Schalauske: Ich glaube, die Linke ist in Zeiten wie diesen, in denen wir jetzt erleben, so notwendig wie eigentlich noch nie. Wir haben diese wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, wir haben enorme gesellschaftliche Probleme in Hessen. Da fehlt es an bezahlbarem Wohnraum, da sind die Preise im öffentlichen Nahverkehr zu hoch. Viele Menschen können sich auch die Energiepreise nicht mehr leisten. Wir haben eine Inflation, die Lebensmittelpreise in den Supermärkten, die haben sich quasi fast verdoppelt. Und zunehmend mehr Menschen kommen mit dem, was sie haben, überhaupt nicht mehr zu Rande. Und da ist die Linke diejenige, die den Finger in die Wunde legt und die auch viele Vorschläge hat, das Leben der Menschen wieder zu verbessern, indem man eben sagt: “Schluss mit niedrigen Löhnen!”. Wir müssen auch in Hessen einen Mindestlohn haben von 14 €, damit die Arbeit auch zum Leben reicht.
Dieterle: Man merkt, Sie sind schon im Wahlkampfmodus natürlich, da waren schon ganz viele Themen auch aus dem Wahlprogramm drin. Wir wollen es trotzdem noch mal genauer wissen und schauen uns jetzt das Wahlprogramm in 120 Sekunden an.
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Wohnungsbau:
Die Linke will jedes Jahr zusätzlich 10.000 Sozialwohnungen schaffen. Der Wohnungsbestand von landeseigenen Wohnungsgesellschaften soll erhöht werden, außerdem sollen kommunale und genossenschaftliche Gesellschaften unterstützt werden. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen soll erschwert werden.
Energie:
Die Linke will erreichen, dass bis 2040 in Hessen Strom, Wärme und Verkehr ausschließlich aus erneuerbaren Energien gewonnen und betrieben werden. Dazu sollen jedes Jahr 150 neue Windkraftanlagen gebaut und eine Solarpflicht bei Neubauten und Dachsanierungen eingeführt werden.
Soziales:
Die öffentliche Daseinsvorsorge wie Kunst, Kultur und Bildung soll grundsätzlich kostenfrei zugänglich sein. Kommunale Kliniken sollen erhalten bleiben und Privatisierungen rückgängig gemacht werden.
Bildung:
Die Linke will eine generelle Gebührenfreiheit von Kitas von Beginn an bis zum Ende der Grundschulzeit. Das Angebot an Ganztagsschulen soll deutlich ausgebaut werden. Für die Sanierung von Schulen will die Linke 2 Milliarden Euro bereitstellen. Außerdem setzt die Linke auf die „Schule für alle“, in der alle Kinder bis zur zehnten Klasse gemeinsam unterrichtet und individuell gefördert werden.
Verkehr:
Den Neu- und Ausbau von Fernstraßen will die Linke stoppen. Der öffentliche Nahverkehr soll so ausgebaut werden, dass auch auf dem Land ein Leben ohne Auto möglich ist. Dabei sollen auch die Fahrpreise deutlich sinken und ein 9-Euro-Ticket für Menschen mit geringem Einkommen eingeführt werden. Das Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen soll ausgeweitet und lärmbetroffene Anwohner entschädigt werden.
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Dieterle: Genau da bleiben wir jetzt auch noch mal, beim Frankfurter Flughafen, beim Thema Luftverkehr. Die Linke will den Luftverkehr drastisch reduzieren. Die Zahl der Starts und Landungen in Frankfurt soll pro Jahr auf 380.000 reduziert werden. Das heißt, Fliegen würde unweigerlich teurer werden, und Menschen, die das ganze Jahr arbeiten, könnten sich dann eventuell ihren Sommerurlaub nicht mehr leisten. Wollen Sie das?
Schalauske: Nein, darum geht es auch überhaupt nicht. Es geht nicht darum, dass Menschen sich ihren Sommerurlaub nicht mehr leisten können, sondern es geht um die Frage, dass wir eine andere Mobilität brauchen und dass wir auch die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich deutlich reduzieren. Und was wir haben, ist, dass es viel zu viele Kurzstreckenflüge auch mit dem Flugzeug gibt – das sind übrigens Dinge, die häufig Menschen mit einem höheren Einkommen machen -. wo wir sagen: “Kurzstreckenflüge, die braucht man nicht.” Stattdessen lieber die Bahnen ausbauen, sodass man in der gleichen Zeit auch mit der Bahn an sein Ziel kommen kann. Das ist gut fürs Klima, ist auch gut für die Menschen und ist im Übrigen auch sehr viel bequemer. Wer mal fünf, sechs Stunden mit der Bahn gefahren ist, das ist sehr viel angenehmer als am Flughafen erst mal ankommen, einchecken, dann noch ins Flugzeug und so weiter und so fort. Und ich glaube, da gilt es, die Bahn als attraktive Alternative stärken.
Dieterle: Sie sagen jetzt gerade, dass das Kurzstrecken betrifft. Wenn Fliegen aber teurer würde, würde das natürlich auch Fernreisen betreffen. Und damit wären wir wieder bei dem Punkt, dass sich das dann die Menschen nicht mehr leisten könnten.
Schalauske: Ja, aber wir haben im Moment eine Situation, dass Fliegen insgesamt sehr günstig ist im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern. Und wir haben das Problem, dass aus dem Flugsektor es eben sehr viel CO2-Emissionen gibt. Und wenn wir die Klimakrise ernst nehmen wollen, dann müssen wir da auch was ändern. Und es ist irgendwie ungerecht, wenn man für den öffentlichen Nahverkehr oder für den Bahnverkehr mehr bezahlen muss als fürs Flugzeug, weil Fliegen weniger besteuert wird beispielsweise. Und das wollen wir grundsätzlich ändern. Und wir haben in der Rhein-Main-Region auch das Problem, dass viele Menschen, die dort leben, betroffen sind von dem enormen Fluglärm aus der Region, der auch vom Frankfurter Flughafen resultiert. Und ich glaube, es wäre auch wichtig, dass wir da für mehr Nachtruhe sorgen und auch den Fluglärm reduzieren.
Dieterle: Sie sagen: “Weniger Fliegen”. Vergessen Sie bei dem Ganzen nicht auch, dass der Frankfurter Flughafen ein wahnsinniger Jobmotor für die Region ist? Über 80.000 Menschen arbeiten da und unweigerlich bringen Sie damit ja diese Jobs in Gefahr.
Schalauske: Nein, das vergessen wir gar nicht, sondern wir sind auch häufig an der Seite der Beschäftigten, weil nämlich viele Kolleginnen und Kollegen, die am Frankfurter Flughafen arbeiten, zum Teil das zu sehr, sehr niedrigen Löhnen machen und enorm schwierige Arbeitsbedingungen haben. Und wenn diese Kolleginnen und Kollegen sich melden, dann haben sie die Linke an ihrer Seite. Dann sind wir vor Ort und wir tragen auch diese Themen in den Hessischen Landtag, weil wir finden, dass gerade Leute, die einer sehr, sehr schweren Arbeit am Frankfurter Flughafen nachgehen, dass die ordentlich entlohnt werden sollen und gute Arbeitsbedingungen haben.
Dieterle: Weniger Fliegen bringt aber diese Jobs in Gefahr. Wenn weniger geflogen wird, wird weniger Personal gebraucht.
Schalauske: Wie gesagt, wir müssen insgesamt unser Mobilitätsverhalten ändern, wenn wir die Klimakrise eindämmen wollen. Und natürlich wird es auch weiterhin Arbeitsplätze am Frankfurter Flughafen geben. Da kämpfen wir dafür, dass die auch ordentlich entlohnt werden, dass sie gute Arbeitsbedingungen haben. Und auf der anderen Seite werden auch durch neue Mobilitätsangebote neue Jobs geschaffen. Im Moment ist es ja so, dass die Busfahrerinen und Busfahrer in der Rhein-Main-Region so schlecht bezahlt werden, dass sie dann sich ihre Jobs am Frankfurter Flughafen suchen. Das ist wiederum auch ein Problem, weil wir dann unseren öffentlichen Nahverkehr nicht entsprechend ausbauen können. Das heißt, auch da müssen wir was tun für Löhne, für Arbeitsbedingungen, damit die Menschen am Ende auch von ihrer Arbeit leben können.
Dieterle: Viele Probleme. Ein weiteres ist der angespannten Wohnungsmarkt in Hessen. Auf Ihrem Wahlplakat steht: “Bezahlbare Mieten statt fetter Rendite.” Das fordern die Linken. Und was sie ansonsten zu diesem Thema noch fordern, das schauen wir uns jetzt an.
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Die Linke ist überzeugt: Die hessische Landesregierung tut zu wenig für den Mieterschutz. Das will die Partei ändern. Die Linke will unter anderem einen bundesweiten Mietendeckel und ein Verbot von Zwangsräumungen.
Was würde das für Mieter und Vermieter bedeuten?
Wir fahren zum Eigentümerverband Haus & Grund nach Frankfurt. Der Geschäftsführer des hessischen Landesverbandes Younes Ehrhardt warnt vor den Plänen der Linken. Sollten sie umgesetzt werden, würde das dazu führen, dass viele Kleinvermieter es nicht mehr riskieren würden, Geld in Wohnungen zu in investieren. Und das hätte dann auch erhebliche Auswirkungen auf die Mieter.
Younes Frank Ehrhardt, Geschäftsführer Haus&Grund Hessen
„Es wäre tatsächlich so, dass die Mieten steigen würden. Das muss man schon so sehen. Weil die privaten Kleinvermieter in der Regel unter der ortsüblichen Vergleichsmiete vermieten, aber auch auf diese Mieteinnahmen angewiesen sind, sie müssen ja selber ihre Lebenshaltungskosten bestreiten. Sie müssen beispielsweise auch ihre eigene Immobilie finanzieren. Und wenn das einfach zu risikobehaftet ist, dann ziehen sie sich zurück. (…) dann werden die Wohnungskonzerne das Sagen haben, die tatsächlich dann auch nach dem letzten Euro schauen.“
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Dieterle: Herr Schalauske, mit Ihrer Politik würde doch genau das passieren, was Sie nicht wollen.
Schalauske: Im Gegenteil. Wir haben jetzt zehn Jahre hinter uns, in denen die Mieten immer weiter gestiegen sind, in denen man die Mietpreise nicht ordentlich reguliert hat von der öffentlichen Hand und indem man auf eine “Bauen! Bauen! Bauen!”-Beton-Politik gesetzt hat von fast allen anderen auch im Landtag und im Bundestag vertretenen Parteien. Und das Ergebnis ist, die Mieten sind enorm angestiegen. Wenn gebaut wurde, dann vor allem im hochpreisigen Segment, das sich kaum jemand leisten kann. Und der bezahlbare Wohnraum, die bezahlbaren Mietwohnungen, die sind total vernachlässigt worden. Und gleichzeitig sind insbesondere im Rhein-Main-Gebiet viele Menschen aus bezahlbaren Mietwohnungen verdrängt worden. Und deswegen braucht es da einen klaren Schnitt und eine ganz andere, nämlich eine soziale Wohnungspolitik. Weil Wohnen ist ein Menschenrecht. Es sollte sozusagen dafür da sein, dass die Leute ein sicheres Dach über dem Kopf haben und nicht als Renditeobjekt für Privateigentümer.
Dieterle: Lassen Sie uns einen Punkt da noch mal herausgreifen Die Linke will, dass Zwangsräumungen verboten werden. Für den Vermieter bedeutet das im Ernstfall, dass er keine Miete bekommt, vielleicht selbst in finanzielle Not gerät. Und Haus und Grund geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt: “Das schreckt ab, das schreckt Kleinvermieter ab, die dann sagen: ‘Nee, dann vermiete ich erst gar nicht.’”. Das können Sie ja nicht wollen.
Schalauske: Ja, das ist jetzt ein Beispiel, das Haus und Grund hier aufgegriffen hat. Aber wir erleben zum Beispiel auch …
Dieterle: Was in Ihrem Wahlprogramm steht.
Schalauske: Genau … dass die Nassauischen Heimstätte, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft, dass auch die Zwangsräumungen vornimmt und dann damit, sage ich mal, riskiert, dass Menschen danach auf der Straße landen. Und wir halten das für keine gute Idee. Zwangsräumungen kann eine sehr einschneidende Maßnahme sein, die Menschen ihre gesamten Perspektiven raubt. Und da kann man mit ganz anderen Maßnahmen, nämlich mit Wohnraumsicherungskonzepten, mit einer sozialen Unterstützung dazu beitragen, dass Menschen in ihrer Wohnung bleiben können, dass sie vielleicht, wenn sie finanzielle Probleme oder soziale Probleme haben, dann wieder auf eine bessere Spur kommen. Und da liegt unsere Priorität, anstatt die Leute einfach auf die Straße zu setzen und dann die Gefahr, dass sie ihre ganze Lebenssituation verlieren.
Dieterle: Herr Schalauske, wir kommen zum nächsten Thema. Wohnraum spielt da aber eine nicht ganz entscheidende Rolle – es geht jetzt um das Thema Migration. Die Linke will, dass unsere Grenzen offen bleiben, wnn ich Sie richtig verstanden habe, gar keine Begrenzung der Zahl der Flüchtlinge. Und das, obwohl die Kommunen schon am Limit sind.
Schalauske: Unser Grundgesetz, das allgemeine Grundrecht auf Asyl, sieht gar keine zahlenmäßige Begrenzung vor, sondern eine individuelle Rechtsprüfung. Das heißt, es ist gar keine linke Idee, sondern das Grundgesetz macht es nicht möglich, Zuwanderung auf der Basis des Grundrechts auf Asyl und von politischer Verfolgung in irgendeiner Form zu begrenzen.
Dieterle: Also Sie sagen, alle Menschen, die in Not sind, können kommen.
Schalauske: Das sage nicht ich, das sagt das Grundgesetz. Das ist schon mal der entscheidende Unterschied. Es kommen ja auch gar nicht alle Menschen, die in Not sind. Wissen Sie, weltweit sind über 120 Millionen Menschen auf der Flucht, so viel wie noch nie. Die meisten aus Krisen- und Kriegsgebieten …
Dieterle: Es kommen aber auch ausreichend Menschen und deswegen sind die Kommunen in Hessen am Limit, sie sind überfordert. Es geht nicht nur ums Geld, es geht um die Infrastruktur. Es fehlt an Wohnraum, an Kitaplätzen, an Sprachkursen, an Sozialarbeitern und vieles mehr. Die Kommunen sind überfordert. Was sagen Sie dazu?
Schalauske: Jetzt rächt es sich, dass erstens die Kommunen nicht genug unterstützt wurden, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, genügend Kitaplätze zu schaffen. Das sollte ja eigentlich in einem reichen Land wie Deutschland und auch in Hessen eine Selbstverständlichkeit sein, dass jedes Kind auch einen Kitaplatz findet. Das hat auch was mit Bildungsgerechtigkeit zu tun. Man hat die Kommunen bei all diesen Aufgaben nicht ordentlich genug unterstützt. Und wir haben eine Situation, dass wir 2015 ja viele Unterstützungs Kapazitäten geschaffen haben, die aber leider in den letzten Jahren zurück geräumt wurden, die wieder abgebaut wurden, und das kann doch nicht sein. Deswegen fordern wir, man muss die Kommunen stärker finanziell unterstützen, man muss die Kapazitäten, die da waren, wieder aufbauen. Und wenn Sie von Zuwanderung reden, dann dürfen Sie nicht vergessen, dass es nicht die Linke war, sondern die Wirtschaftsweisen, die gesagt haben, dass man in Deutschland eine Zuwanderung bräuchte von 1,5 Millionen Menschen, und zwar pro Jahr.
Dieterle: Schauen wir uns dieses Mammutprojekt Integration mal an. Sie haben gerade selber gesagt: “Das kostet.” Es kostet Milliarden. Woher soll Ihrer Meinung nach das Geld dafür kommen? Und jetzt sagen Sie nicht, massive Steuererhöhungen und Reiche besteuern, weil dafür gibt es keine Mehrheiten.
Schalauske: Also wenn Sie mir die Seitenbemerkung noch erlauben, also für eine gerechtere Besteuerung des Vermögens, für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, gibt es gesellschaftliche Mehrheiten. Sogar die Mehrzahl der Anhänger der FDP ist für eine solche Vermögenssteuer. Also insofern stimmt das. Aktuell gibt es keine politische Mehrheit im Deutschen Bundestag, da kämpfen wir ja dafür, dass sich das auch ändert. Aber ich möchte gerne auch mit einem anderen Irrtum noch aufräumen, und zwar, dass Zuwanderung angeblich so viel Geld kostet. Die Wahrheit ist doch genau umgekehrt. Ohne Zuwanderung würden unsere sozialen Sicherungssysteme gar nicht mehr funktionieren. Die Rentenversicherung, die Krankenversicherung.
Wissen Sie, ich habe vor kurzem in Fulda am Infostand eine alte Frau getroffen, die gesagt hat: “Ich habe so wenig Rente, ich weiß gar nicht mehr, wie ich damit kommen soll. Ich habe mich um meine Kinder gekümmert, ich hatte nur Teilzeitbeschäftigung und es reicht nicht im Alter zum Leben.” Und gleichzeitig bekämen aber die, ich sage mal, “die Ausländer:innen” zu viel. Und ich habe dieser Frau versucht zu erklären, das eine hat mit dem anderen ja gar nichts zu tun. Gerade wenn Menschen sozialversicherungspflichtig arbeiten und da sind eben auch viele Migrantinnen und Migranten, Ausländerinnen, Ausländer und Geflüchtete dabei, stabilisiert das ja ihre Rente. Und wenn sie im Alter zu wenig hat, dann liegt das nicht an den Ausländern, sondern weil wir kein vernünftiges Rentenniveau garantieren.
Dieterle: Herr Schalauske, wir müssen jetzt, weil wir auch noch auf die Umfrage schauen wollen, müssen an dieser Stelle einen Punkt machen. Ich glaube, es ist auch da deutlich geworden, was Sie wollen. Wir schauen uns jetzt die Umfrage an, die aktuelle für Hessen, und da muss man sagen, da findet man die Partei Die Linke ziemlich weit hinten.
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In einer aktuellen Umfrage zur Landtagswahl in Hessen kommt die CDU auf 32 Prozent. SPD und Grüne erreichen 17 und die AfD 16 Prozent. Die FDP kommt auf 5, die Freien Wähler auf 4 und die Linke auf 3 Prozent. Sowohl die Freien Wähler als auch die Linke verpassen also nach dieser Umfrage den Sprung in den hessischen Landtag.
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Dieterle: Sie sind seit 15 Jahren mit Ihrer Partei im Landtag und Sie haben noch nie so schlecht dagestanden wie jetzt: 3 bis 4 % in den aktuellen Umfragen. Wie soll das bis Sonntag noch was werden?
Schalauske: Also die letzten Umfragen haben uns schon bei 4 % gesehen …
Dieterle: Genau. 3 bis 4 %. Hab ich auch gesagt.
Schalauske: Ja, wir haben da durchaus eine kleine Aufwärtsdynamik. Und es ist ja so, dass wir bereits viermal in den Hessischen Landtag eingezogen sind – Sie sagen, seit 15 Jahren vertreten – und drei Mal war es verdammt knapp. Oft war es so, dass uns Umfragen vor der Wahl unter 5 % gesehen haben und dann hat es am Ende doch noch gereicht. Wir haben in den letzten Wochen erlebt, an den Infoständen, bei Veranstaltungen, bei den Gesprächen mit den Bürger:innen, dass zunehmend unsere Argumente zunehmend wieder mehr Gehör finden, dass viele Leute sagen: “Oh, jetzt, wo die äußerste Rechte immer stärker wird, wo alle über Abschottung und Begrenzung reden und Hass und Hetze in der Gesellschaft immer mehr Raum einnimmt, da braucht es doch eine starke Linke, die sich sowohl für soziale Gerechtigkeit einsetzt, aber eben auch für Humanität und Menschenrechte. Und wir drücken euch die Daumen, dass ihr wieder in den Hessischen Landtag kommt.”, sodass ich weiterhin sehr zuversichtlich bleibe.
Dieterle: Gibt es auch Menschen, die ein bisschen verunsichert sind, denn es deutet vieles darauf hin, dass die bekannteste Linke, Sahra Wagenknecht, gerade drauf und dran ist, eine eigene Partei zu gründen. Müssen Sie dann nicht befürchten, dass ein Großteil Ihrer Wähler dorthin abwandert? Oder anders gefragt: Wer soll denn noch eine Partei wählen, die sich gerade droht zu spalten?
Schalauske: Wissen Sie, ich beschäftige mich in diesen Wochen gar nicht mit Frau Wagenknecht und auch nicht mit irgendwelchen möglichen Parteineugründung, sondern ich konzentriere mich auf Hessen. Und da erleben wir etwas völlig anderes. Wir erleben drei Ministerpräsident:innen-Kandidaten, die unbedingt in die Staatskanzlei wollen. Wir erleben eine Woche vor der Wahl, dass eigentlich nur einer die Nummer eins werden kann und die anderen zwei darum kämpfen, wer darf denn dann der Juniorpartner oder die Juniorpartner sein. Und das Ganze führt dazu, dass die Schlafwagenwahlkampf betreiben, dass die miteinander kuscheln, man die Unterschiede nur mit der Lupe suchen muss, weil jeder ja noch den anderen brauchen könnte. Und da sage ich: Wer eine wirkliche Veränderung will, der will, dass die soziale Ungerechtigkeit in diesem Land weiter bekämpft wird, der eine starke Stimme haben möchte für Humanität und gegen das Erstarken der Rechten, der muss die Linke unterstützen. Das ist so wichtig in diesen Zeiten wie vielleicht noch nie.
Dieterle: Herr Schalauske, es wird vor allen Dingen für Sie ein ganz spannender Wahlabend. Es geht um Alles oder Nichts. Wir sind alle gespannt, wie es ausgeht. Vielen Dank, dass Sie sich heute hier meinen Fragen gestellt haben.
Schalauske: Ja, vielen Dank für die Einladung und das Gespräch.