Hessische Landtagswahl 2023: Boris Rhein, Spitzenkandidat der CDU
Ministerpräsident ist er schon, aber nun muss sich Boris Rhein von der CDU erstmals einer Landtagswahl stellen und sein Amt verteidigen.
Markus Appelmann, Moderator: Zwei Tage vor der hessischen Landtagswahl begrüße ich Sie zu 17 30 Sat eins live zu unserem Wahl-Spezial und im Studio begrüße ich den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein, den CDU Spitzenkandidat.
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen: Guten Tag, Herr Appelmann.
Appelmann: Herzlich willkommen bei uns. Sie lieben Achterbahnfahren, das wissen wir. Und deshalb haben wir Sie auf einem Wahlkampftermin in einen Freizeitpark begleitet. Das Porträt von Boris Rhein.
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Boris Rhein, 51 Jahre alt. Ein Frankfurter Bub und derzeit Ministerpräsident von Hessen.
Über zwei Jahrzehnte ist Boris Rhein in der Landespolitik aktiv. War Abgeordneter, Innen- und Wissenschaftsminister und schließlich Landtagspräsident. Dann der Rücktritt des Landesvaters Volker Bouffier. Plötzlich Ministerpräsident, hieß es da für Rhein. Und als neuer Landesvater begrüßt Boris Rhein heute die Erstklässler im Freizeitpark Taunuswunderland.
„Und du bist jetzt eingeschult worden? Kannst du jetzt schon sagen, was deine Lieblingsfächer sind? Weißt du es schon?“ – „Die Pause.“
Seit seinem Amtsantritt ist Rhein viel unterwegs. Häufig mit breitem Lächeln im Gesicht. Den zusätzlichen Adrenalinkick im Wahlkampf holt sich Rhein heute im Freizeitpark.
Boris Rhein, CDU, Spitzenkandidat Hessische Landtagswahl
„Ich liebe Achterbahnfahren. Ich liebe alle Fahrgeschäfte jeder Art. Hauptsache so wild wie möglich.“
Und das setzt Rhein sogleich in die Tat um. Wilde Maus, Kettenkarussell, Freefall-Tower – der Ministerpräsident lässt kein Fahrgeschäft aus.
Ein Auf und Ab, manchmal etwas ungemütlich – ähnlich wie im politischen Alltag. Doch das kann der Ministerpräsident locker wegstecken. Rhein ist Politiker aus Leidenschaft.
Boris Rhein, CDU, Spitzenkandidat Hessische Landtagswahl
„Ich finde es sehr reizvoll und ich fand es auch damals sehr reizvoll, dass man etwas verändern kann. Dass man auch dafür sorgen kann, dass möglicherweise schlechte Zustände zu guten Zuständen werden. Dass man ja auch etwas im Sinne von Bürgerinnen und Bürgern verändern kann.“
Derzeit hat Rhein allerdings die schlechtesten Bekanntheitswerte der drei Kandidaten fürs Ministerpräsidentenamt. Ein Stimmungsbild im Park.
Daniela Haubold, Polizistin
„Ich denke er sollte noch bekannter werden.“Markus Hies (CDU), Bürgermeister Waldems
„Ich finde er hat sich da sehr gut reingemacht in diesen Job. Ich finde er hat aus der Zeit als Landtagspräsident …ist er sehr viel volksnäher geworden als er das vielleicht vorher als Minister war. Und ich finde er macht das sehr ruhig und entspannt.“Mark Kallenbach, Servicemanager Mainova
„Ich wähle ihn, ja.“ – „Warum?“ – „Weil ich einfach CDU-Wähler bin.“Sascha Schwarzer, Gruppenleiter in der Logistik
„Er muss bekannter werden ja. Er hat ja jetzt heute schon ein bisschen dafür gesorgt, dass die Kinder glücklich sind. Dann sind die Eltern meistens auch glücklich. Aber ja, muss noch bisschen die Werbetrommel rühren glaube ich.“
Der unbekannte Amtsinhaber? Wie sieht Boris Rhein das?
Boris Rhein, CDU, Spitzenkandidat Hessische Landtagswahl
„Das kratzt überhaupt gar nicht an mir, weil, wenn ich unterwegs bin, kennen die Leute mich. Und wenn ich unterwegs bin sprechen die Leute auch mit mir. Und wenn ich unterwegs bin wissen sie auch, dass ich ihr Ministerpräsident bin. Deswegen: Ich gebe auf solche Umfragen generell gar nichts.“
Und Boris Rhein wird auch nicht mehr lange auf Umfragen schauen müssen. Denn übermorgen entscheidet sich, ob er die Landtagswahl gewinnen und Hessen weiter führen kann.
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Appelmann: Ja, so isses, so schnell kommt es dann auch schon. Wir haben eben gelernt, Umfragen sind nicht so Ihr’s, auch nicht die Umfragen, in denen Sie seit Wochen und Monaten stärkste Kraft sind mit der CDU?
Rhein: Nein. Die Aufgabe ist ja, eine Wahl zu gewinnen und nicht, die Umfragen zu gewinnen. Und ich warne auch immer sehr davor, zu sicher zu sein vor einem Wahltag. Hessen ist immer ein knappes Land gewesen mit knappen Mehrheiten. Und deswegen – solche Umfragen können auch gefährlich sein, weil sie, ja, auch die Wählerinnen und Wähler in Sicherheit wiegen. Und ja, und das kann dann am Ende für eine Partei immer ein Mobilisierungsproblem sein.
Appelmann: Jetzt schauen wir auf Inhalte, Herr Rhein. Das Wahlprogramm der CDU Hessen ist das längste aller Parteien. 164 Seiten ist es lang. Bei uns bleibt es dabei: das Wahlprogramm in 120 Sekunden.
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Wirtschaft:
Die CDU möchte die Wirtschaft mit einem umfassenden Entbürokratisierungsprogramm entlasten. Ein Hessenfonds soll besonders innovative Ideen finanziell unterschützen. Mit Förderprogrammen sollen Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werben. Im Digitalbereich will die CDU Hessen zu einem Silicon Valley machen.
Verkehr:
Die CDU betont, dass Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen. So sollen die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Nahverkehrs verbessert und stillgelegte Strecken reaktiviert werden. Außerdem sollen aber auch mehr Mittel für den Straßenbau und neue Ortsumgehungen bereitgestellt werden.
Wohnungsbau:
Die CDU will die Hessische Bauordnung überarbeiten und Kommunen mehr Freiräume bei Baugenehmigungen schaffen. Den Erwerb von Wohneigentum will sie forcieren. Eine Initiative für Baulandgewinnung soll dafür sorgen, dass besonders Brach- und Konversionsflächen zu Flächen für Neubauten entwickelt werden.
Gesundheit:
Für die ärztliche Versorgung auf dem Land will die CDU mehr medizinische Versorgungszentren einrichten. Zusätzlich zu den Gemeindeschwestern soll es auch Gemeindenotfallsanitäter geben. Pflegebedürftige sollen ein hessisches Landespflegegeld erhalten.
Bildung:
Die CDU will einen Pakt für Kinderfreundlichkeit schließen: Familien mit Kindern sollen Vorrang im Alltag haben. Wenn es dem Land finanziell möglich ist, soll Kinderbetreuung ab drei Jahren kostenfrei sein. Im letzten Jahr vor der Einschulung soll Kinderbetreuung obligatorisch sein. Bis 2028 soll es in Hessen 10 Tausend neue Erzieher geben. Das differenzierte Schulsystem will die CDU beibehalten.
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Appelmann: Es fehlt an Lehrkräften, es fehlt an Kita-Personal. Warum kommt da die hessische Landesregierung nicht hinterher? Ist das ein Eingeständnis jahrzehntelanger Fehlplanung?
Rhein: Nein, das kann man keineswegs sagen. Ganz im Gegenteil. Sie müssen sich mal die Zahlen anschauen. Wir hatten vor 30 Jahren weitaus mehr Schüler als heute, aber dafür haben wir heute weitaus mehr Lehrer. Und 64.000 sind so viele wie noch nie zuvor. Und wir besetzen jetzt auch mit 4000 Stellen neu, die wir im Haushalt 2023 / 2024 bewilligt haben. Aber wir haben natürlich einen Fachkräftemangel, in der Tat, und der schlägt sich auch in diesen Bereichen nieder. Und jetzt müssen wir mit schlauen Aktionen dafür sorgen, dass wir eben auch wirklich mehr Lehrkräfte bekommen.
Appelmann: Die Gewerkschaft sagt 1000 neue Lehrkräfte braucht Hessen und die SPD schreibt sogar “Zeit für 12.500 neue Lehrer” auf dem Wahlplakat.
Rhein: Ja, das tut ungefähr so, als würden Fachkräfte, auch Lehrer, auf den Bäumen wachsen. Das ist ja nicht der Fall. Und wenn Sie sich die Zahlen anschauen, hat sich Enormes entwickelt. Wir haben alleine in diesem Doppelhaushalt 4000 neue Stellen geschaffen, und wir besetzen sie auch. Das bekommen wir hin. Und wie die Gewerkschaft auf 1000 Stellen Minus kommt – die Berechnungsgrundlage kennt bislang gar niemand. Da würde ich noch mal ein ganz großes Fragezeichen hinter setzen.
Noch mal: 64.000 Lehrerinnen und Lehrer haben wir heute und das ist schon ein enormer Sprung. Trotzdem gibt es natürlich noch viel zu tun und wir werden auch weiterhin viel tun müssen in diesem Bereich.
Appelmann: Es gibt viel zu tun, denn es gibt eine Studie aus diesem Jahr, die besagt: Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen und schreiben. Jetzt ist Bildungspolitik das Landesthema schlechthin. Da hat doch auch die hessische Landesregierung versagt.
Rhein: Nein, wir haben sehr früh Maßnahmen ergriffen, beispielsweise mit unserem großen Projekt “Bildungssprache Deutsch”. Und dazu gehört beispielsweise, dass wir – als erstes Land im Übrigen in Deutschland – die sogenannten “Vorlaufkurse” eingeführt haben. Das heißt, wenn jemand in die Schule kommt, muss er entweder Deutsch sprechen können oder wir bringen ihm das bei in einem sogenannten Vorlaufkurs. Und dazu gehört eben auch, dass wir mittlerweile eine Stunde mehr Deutschunterricht haben, dazu gehört ein Literatur-Kanon, der verpflichtend ist. Also das heißt, wir tun nicht nur etwas für die Quantität, also für mehr Lehrer, sondern eben auch für die Qualität in der Bildung. Ein ganz wichtiger Bereich ist unser neues Fach “Digitale Welt”. Das haben wir als Pilot derzeit ausgerollt und wir wollen es übers ganze Land ausrollen. Beispielsweise gehört dazu auch, dass wir wollen, dass jeder Schüler ab der Klasse sieben die Möglichkeit hat, mit einem digitalen Endgerät zu arbeiten.
Rhein: Okay, das sind einige Pläne, die noch umgesetzt werden müssen. Da bleiben wir auf jeden Fall dran und kommen jetzt zu dem Thema schlechthin zur Flüchtlingskrise. Sie haben gesagt, da brauchen wir eine Verschnaufpause momentan und darüber sprechen wir gleich. Vorher schauen wir auf die aktuelle Lage.
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16.490 Menschen haben in Hessen in diesem Jahr von Anfang Januar bis Ende August einen Asylantrag gestellt. Rund 60 Prozent (+62,7%) mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. (2022: 10.137; 2023: 16.490)
Doch in den Kommunen fehlt es an Personal, an Kita- und Schulplätzen und vor allem an Wohnraum. So auch hier im Landkreis Bergstraße. Das Leben der Flüchtlinge sei ein einziges Provisorium, sagt Matthias Schimpf, der für Flüchtlinge zuständige Dezernent des Landkreises.
Matthias Schimpf (Bündnis 90 / Die Grünen), Beigeordneter Kreis Bergstraße
„Und das sorgt am Schluss dafür, dass wir aufgrund der Komplettsituation uns um keinen richtig kümmern können. Das heißt im Grunde machen wir keinem ein richtiges Integrationsangebot. Wir kümmern uns um alle gleich schlecht. Das sorgt dafür, dass diese Menschen in ihren eigenen Milieus verhaftet bleiben und dafür dass wir sukzessive auch auf Parallelgesellschaften zulaufen, die wir eigentlich nicht wollen.“
Um die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen, gibt es jetzt verstärkte Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien. Auch der hessische Ministerpräsident Boris Rhein hatte das zuvor immer wieder gefordert.
Außerdem will die CDU auf „Sachleistungen statt Bargeld“ setzen. Denn die im EU-Vergleich hohen Bargeldzahlungen in Deutschland seien ein starker „Pull-Faktor für Wirtschaftsmigranten“. Stattdessen sollen für Asylbewerber „Guthaben-Karten“ ausgegeben werden. So soll verhindert werden, dass sie Geld in ihre Herkunftsländer schicken können.
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Appelmann: Die CDU fordert das. Möchten Sie das auch?
Rhein: Ja, ich halte das für eine kluge Idee. Allerdings muss man wissen, dass das natürlich verbunden ist mit erheblichen administrativen Aufwänden und möglicherweise auch Logistikproblemen. Trotzdem finde ich die Idee reizvoll und wir müssen uns anschauen, in welchen Bereichen und für welche Leistungen man das möglicherweise umsetzen kann. Das würde eine Aufgabe dann für eine neue Landesregierung sein.
Appelmann: Das liegt nämlich in der Verfügungsgewalt der Landesregierung. Das könnten Sie eigentlich jetzt auch schon direkt umsetzen, wenn Sie möchten.
Rhein: Ja, wie gesagt, ich finde, es ist eine reizvolle Idee. Unsere Verwaltungen sagen uns: “Lass erst mal lieber davon die Finger, dass quasi über das ganze Land auszubreiten.” Und deswegen würde ich vorschlagen, wirklich zu experimentieren, in welchen Bereichen das Sinn macht. Weil die Diskussion ist natürlich richtig …
Appelmann: Ein Pilotprojekte sozusagen in einem Landkreis zum Beispiel.
Rhein: Also man könnte das beispielsweise auf den Landkreis begrenzen oder man könnte es auf gewisse Leistungen begrenzen. Das muss man sich aber sehr genau anschauen, ob man es dann auch wirklich hinbekommt.
Appelmann: Zum Beispiel welche Leistungen?
Rhein: Ja, das, wie gesagt, das muss man sich jetzt sehr genau anschauen, was dazu beispielsweise gehört. Es gibt verschiedenste Vorschläge, aber lassen Sie uns das wirklich, ich sage mal, in aller Ruhe und sauber machen, ohne dass dabei Fehler entstehen. Denn natürlich geht es hier um Pull-Faktoren und das ist ein großes Problem derzeit, in der derzeitigen Lage. Und wir sind wirklich an einer Belastungsgrenze und das geht so nicht weiter. Der Bund muss dringend dafür sorgen, dass weniger reinkommen.
Appelmann: Um die Zahl zu begrenzen, haben Sie ja schon Grenzkontrollen gefordert. Wir haben es eben gehört, mbile Grenzkontrollen gibt es, aber das ist doch gar keine Lösung. Weil, wenn jemand “Asyl” an der Grenze ruft, wird er doch nach Deutschland eingelassen.
Rhein: Ja, es ist natürlich schon eine Lösung. Wir sehen das ja beispielsweise bei den Grenzkontrollen zwischen Österreich und Bayern, dass in erheblichem Umfang Zurückweisungen stattfinden und es ist natürlich auch ein deutliches Signal. Es ist Ende mit der grenzenlosen Offenheit. Das ist das Signal. Und jeder Schlepper und jeder Schleuser weiß, er wird an einer deutschen Grenze möglicherweise auf einen Grenzposten stoßen und von dort eben auch zurückgewiesen. Und insoweit ist das durchaus eine richtige Maßnahme. Dass die Bundesregierung das bis heute noch nicht ergriffen hat, dass es zwischen Tschechien und Sachsen und zwischen Brandenburg und Polen keine stationären Grenzkontrollen gibt, ist ein großer Fehler. Und das führt dazu, dass die Kommunen immer weiter überlastet werden. Das muss beendet werden.
Appelmann: Sie sprechen es gerade an: Die Kommunen sind am Limit. Wir sind im Land unterwegs und gehen mal zum Landrat des Kreises Main-Taunus, Michael Cyriax, übrigens ein Parteikollege von Ihnen. Und der hat aber eine klare Forderung ans Land.
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Michael Cyriax (CDU), Landrat Main-Taunus-Kreis
„Liebes Land Hessen, auch du könntest uns im Main-Taunus-Kreis beziehungsweise in der Region Frankfurt-Rhein-Main ein wenig entlassen. Wir sind der flächenmäßig kleinste Landkreis in ganz Deutschland – wir sind heute schon dicht besiedelt und wir haben gar nicht mehr so viele Wohnflächen. Es gibt andere Regionen in unserem schönen Land, die vielleicht nicht so dicht besiedelt sind, wo Menschen noch leichter eine Wohnung finden können als bei uns. Und vielleicht kann man das in der Verteilung auch mal mit berücksichtigen.“