Hessische Landtagswahl 2023: Boris Rhein, Spitzenkandidat der CDU

Ministerpräsident ist er schon, aber nun muss sich Boris Rhein von der CDU erstmals einer Landtagswahl stellen und sein Amt verteidigen.

Markus Appelmann, Moderator: Zwei Tage vor der hessischen Landtagswahl begrüße ich Sie zu 17 30 Sat eins live zu unserem Wahl-Spezial und im Studio begrüße ich den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein, den CDU Spitzenkandidat.
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen: Guten Tag, Herr Appelmann.
Appelmann: Herzlich willkommen bei uns. Sie lieben Achterbahnfahren, das wissen wir. Und deshalb haben wir Sie auf einem Wahlkampftermin in einen Freizeitpark begleitet. Das Porträt von Boris Rhein.
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Boris Rhein, 51 Jahre alt. Ein Frankfurter Bub und derzeit Ministerpräsident von Hessen.
Über zwei Jahrzehnte ist Boris Rhein in der Landespolitik aktiv. War Abgeordneter, Innen- und Wissenschaftsminister und schließlich Landtagspräsident. Dann der Rücktritt des Landesvaters Volker Bouffier. Plötzlich Ministerpräsident, hieß es da für Rhein. Und als neuer Landesvater begrüßt Boris Rhein heute die Erstklässler im Freizeitpark Taunuswunderland.
„Und du bist jetzt eingeschult worden? Kannst du jetzt schon sagen, was deine Lieblingsfächer sind? Weißt du es schon?“ – „Die Pause.“
Seit seinem Amtsantritt ist Rhein viel unterwegs. Häufig mit breitem Lächeln im Gesicht. Den zusätzlichen Adrenalinkick im Wahlkampf holt sich Rhein heute im Freizeitpark.
Boris Rhein, CDU, Spitzenkandidat Hessische Landtagswahl
„Ich liebe Achterbahnfahren. Ich liebe alle Fahrgeschäfte jeder Art. Hauptsache so wild wie möglich.“
Und das setzt Rhein sogleich in die Tat um. Wilde Maus, Kettenkarussell, Freefall-Tower – der Ministerpräsident lässt kein Fahrgeschäft aus.
Ein Auf und Ab, manchmal etwas ungemütlich – ähnlich wie im politischen Alltag. Doch das kann der Ministerpräsident locker wegstecken. Rhein ist Politiker aus Leidenschaft.
Boris Rhein, CDU, Spitzenkandidat Hessische Landtagswahl
„Ich finde es sehr reizvoll und ich fand es auch damals sehr reizvoll, dass man etwas verändern kann. Dass man auch dafür sorgen kann, dass möglicherweise schlechte Zustände zu guten Zuständen werden. Dass man ja auch etwas im Sinne von Bürgerinnen und Bürgern verändern kann.“
Derzeit hat Rhein allerdings die schlechtesten Bekanntheitswerte der drei Kandidaten fürs Ministerpräsidentenamt. Ein Stimmungsbild im Park.
Daniela Haubold, Polizistin
„Ich denke er sollte noch bekannter werden.“
Markus Hies (CDU), Bürgermeister Waldems
„Ich finde er hat sich da sehr gut reingemacht in diesen Job. Ich finde er hat aus der Zeit als Landtagspräsident …ist er sehr viel volksnäher geworden als er das vielleicht vorher als Minister war. Und ich finde er macht das sehr ruhig und entspannt.“
Mark Kallenbach, Servicemanager Mainova
„Ich wähle ihn, ja.“ – „Warum?“ – „Weil ich einfach CDU-Wähler bin.“
Sascha Schwarzer, Gruppenleiter in der Logistik
„Er muss bekannter werden ja. Er hat ja jetzt heute schon ein bisschen dafür gesorgt, dass die Kinder glücklich sind. Dann sind die Eltern meistens auch glücklich. Aber ja, muss noch bisschen die Werbetrommel rühren glaube ich.“
Der unbekannte Amtsinhaber? Wie sieht Boris Rhein das?
Boris Rhein, CDU, Spitzenkandidat Hessische Landtagswahl
„Das kratzt überhaupt gar nicht an mir, weil, wenn ich unterwegs bin, kennen die Leute mich. Und wenn ich unterwegs bin sprechen die Leute auch mit mir. Und wenn ich unterwegs bin wissen sie auch, dass ich ihr Ministerpräsident bin. Deswegen: Ich gebe auf solche Umfragen generell gar nichts.“
Und Boris Rhein wird auch nicht mehr lange auf Umfragen schauen müssen. Denn übermorgen entscheidet sich, ob er die Landtagswahl gewinnen und Hessen weiter führen kann.
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Appelmann: Ja, so isses, so schnell kommt es dann auch schon. Wir haben eben gelernt, Umfragen sind nicht so Ihr’s, auch nicht die Umfragen, in denen Sie seit Wochen und Monaten stärkste Kraft sind mit der CDU?
Rhein: Nein. Die Aufgabe ist ja, eine Wahl zu gewinnen und nicht, die Umfragen zu gewinnen. Und ich warne auch immer sehr davor, zu sicher zu sein vor einem Wahltag. Hessen ist immer ein knappes Land gewesen mit knappen Mehrheiten. Und deswegen – solche Umfragen können auch gefährlich sein, weil sie, ja, auch die Wählerinnen und Wähler in Sicherheit wiegen. Und ja, und das kann dann am Ende für eine Partei immer ein Mobilisierungsproblem sein.
Appelmann: Jetzt schauen wir auf Inhalte, Herr Rhein. Das Wahlprogramm der CDU Hessen ist das längste aller Parteien. 164 Seiten ist es lang. Bei uns bleibt es dabei: das Wahlprogramm in 120 Sekunden.
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Wirtschaft:
Die CDU möchte die Wirtschaft mit einem umfassenden Entbürokratisierungsprogramm entlasten. Ein Hessenfonds soll besonders innovative Ideen finanziell unterschützen. Mit Förderprogrammen sollen Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werben. Im Digitalbereich will die CDU Hessen zu einem Silicon Valley machen.
Verkehr:
Die CDU betont, dass Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen. So sollen die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Nahverkehrs verbessert und stillgelegte Strecken reaktiviert werden. Außerdem sollen aber auch mehr Mittel für den Straßenbau und neue Ortsumgehungen bereitgestellt werden.
Wohnungsbau:
Die CDU will die Hessische Bauordnung überarbeiten und Kommunen mehr Freiräume bei Baugenehmigungen schaffen. Den Erwerb von Wohneigentum will sie forcieren. Eine Initiative für Baulandgewinnung soll dafür sorgen, dass besonders Brach- und Konversionsflächen zu Flächen für Neubauten entwickelt werden.
Gesundheit:
Für die ärztliche Versorgung auf dem Land will die CDU mehr medizinische Versorgungszentren einrichten. Zusätzlich zu den Gemeindeschwestern soll es auch Gemeindenotfallsanitäter geben. Pflegebedürftige sollen ein hessisches Landespflegegeld erhalten.
Bildung:
Die CDU will einen Pakt für Kinderfreundlichkeit schließen: Familien mit Kindern sollen Vorrang im Alltag haben. Wenn es dem Land finanziell möglich ist, soll Kinderbetreuung ab drei Jahren kostenfrei sein. Im letzten Jahr vor der Einschulung soll Kinderbetreuung obligatorisch sein. Bis 2028 soll es in Hessen 10 Tausend neue Erzieher geben. Das differenzierte Schulsystem will die CDU beibehalten.
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Appelmann: Es fehlt an Lehrkräften, es fehlt an Kita-Personal. Warum kommt da die hessische Landesregierung nicht hinterher? Ist das ein Eingeständnis jahrzehntelanger Fehlplanung?
Rhein: Nein, das kann man keineswegs sagen. Ganz im Gegenteil. Sie müssen sich mal die Zahlen anschauen. Wir hatten vor 30 Jahren weitaus mehr Schüler als heute, aber dafür haben wir heute weitaus mehr Lehrer. Und 64.000 sind so viele wie noch nie zuvor. Und wir besetzen jetzt auch mit 4000 Stellen neu, die wir im Haushalt 2023 / 2024 bewilligt haben. Aber wir haben natürlich einen Fachkräftemangel, in der Tat, und der schlägt sich auch in diesen Bereichen nieder. Und jetzt müssen wir mit schlauen Aktionen dafür sorgen, dass wir eben auch wirklich mehr Lehrkräfte bekommen.
Appelmann: Die Gewerkschaft sagt 1000 neue Lehrkräfte braucht Hessen und die SPD schreibt sogar “Zeit für 12.500 neue Lehrer” auf dem Wahlplakat.
Rhein: Ja, das tut ungefähr so, als würden Fachkräfte, auch Lehrer, auf den Bäumen wachsen. Das ist ja nicht der Fall. Und wenn Sie sich die Zahlen anschauen, hat sich Enormes entwickelt. Wir haben alleine in diesem Doppelhaushalt 4000 neue Stellen geschaffen, und wir besetzen sie auch. Das bekommen wir hin. Und wie die Gewerkschaft auf 1000 Stellen Minus kommt – die Berechnungsgrundlage kennt bislang gar niemand. Da würde ich noch mal ein ganz großes Fragezeichen hinter setzen.
Noch mal: 64.000 Lehrerinnen und Lehrer haben wir heute und das ist schon ein enormer Sprung. Trotzdem gibt es natürlich noch viel zu tun und wir werden auch weiterhin viel tun müssen in diesem Bereich.
Appelmann: Es gibt viel zu tun, denn es gibt eine Studie aus diesem Jahr, die besagt: Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen und schreiben. Jetzt ist Bildungspolitik das Landesthema schlechthin. Da hat doch auch die hessische Landesregierung versagt.
Rhein: Nein, wir haben sehr früh Maßnahmen ergriffen, beispielsweise mit unserem großen Projekt “Bildungssprache Deutsch”. Und dazu gehört beispielsweise, dass wir – als erstes Land im Übrigen in Deutschland – die sogenannten “Vorlaufkurse” eingeführt haben. Das heißt, wenn jemand in die Schule kommt, muss er entweder Deutsch sprechen können oder wir bringen ihm das bei in einem sogenannten Vorlaufkurs. Und dazu gehört eben auch, dass wir mittlerweile eine Stunde mehr Deutschunterricht haben, dazu gehört ein Literatur-Kanon, der verpflichtend ist. Also das heißt, wir tun nicht nur etwas für die Quantität, also für mehr Lehrer, sondern eben auch für die Qualität in der Bildung. Ein ganz wichtiger Bereich ist unser neues Fach “Digitale Welt”. Das haben wir als Pilot derzeit ausgerollt und wir wollen es übers ganze Land ausrollen. Beispielsweise gehört dazu auch, dass wir wollen, dass jeder Schüler ab der Klasse sieben die Möglichkeit hat, mit einem digitalen Endgerät zu arbeiten.
Rhein: Okay, das sind einige Pläne, die noch umgesetzt werden müssen. Da bleiben wir auf jeden Fall dran und kommen jetzt zu dem Thema schlechthin zur Flüchtlingskrise. Sie haben gesagt, da brauchen wir eine Verschnaufpause momentan und darüber sprechen wir gleich. Vorher schauen wir auf die aktuelle Lage.
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16.490 Menschen haben in Hessen in diesem Jahr von Anfang Januar bis Ende August einen Asylantrag gestellt. Rund 60 Prozent (+62,7%) mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. (2022: 10.137; 2023: 16.490)
Doch in den Kommunen fehlt es an Personal, an Kita- und Schulplätzen und vor allem an Wohnraum. So auch hier im Landkreis Bergstraße. Das Leben der Flüchtlinge sei ein einziges Provisorium, sagt Matthias Schimpf, der für Flüchtlinge zuständige Dezernent des Landkreises.
Matthias Schimpf (Bündnis 90 / Die Grünen), Beigeordneter Kreis Bergstraße
„Und das sorgt am Schluss dafür, dass wir aufgrund der Komplettsituation uns um keinen richtig kümmern können. Das heißt im Grunde machen wir keinem ein richtiges Integrationsangebot. Wir kümmern uns um alle gleich schlecht. Das sorgt dafür, dass diese Menschen in ihren eigenen Milieus verhaftet bleiben und dafür dass wir sukzessive auch auf Parallelgesellschaften zulaufen, die wir eigentlich nicht wollen.“
Um die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen, gibt es jetzt verstärkte Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Polen und Tschechien. Auch der hessische Ministerpräsident Boris Rhein hatte das zuvor immer wieder gefordert.
Außerdem will die CDU auf „Sachleistungen statt Bargeld“ setzen. Denn die im EU-Vergleich hohen Bargeldzahlungen in Deutschland seien ein starker „Pull-Faktor für Wirtschaftsmigranten“. Stattdessen sollen für Asylbewerber „Guthaben-Karten“ ausgegeben werden. So soll verhindert werden, dass sie Geld in ihre Herkunftsländer schicken können.
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Appelmann: Die CDU fordert das. Möchten Sie das auch?
Rhein: Ja, ich halte das für eine kluge Idee. Allerdings muss man wissen, dass das natürlich verbunden ist mit erheblichen administrativen Aufwänden und möglicherweise auch Logistikproblemen. Trotzdem finde ich die Idee reizvoll und wir müssen uns anschauen, in welchen Bereichen und für welche Leistungen man das möglicherweise umsetzen kann. Das würde eine Aufgabe dann für eine neue Landesregierung sein.
Appelmann: Das liegt nämlich in der Verfügungsgewalt der Landesregierung. Das könnten Sie eigentlich jetzt auch schon direkt umsetzen, wenn Sie möchten.
Rhein: Ja, wie gesagt, ich finde, es ist eine reizvolle Idee. Unsere Verwaltungen sagen uns: “Lass erst mal lieber davon die Finger, dass quasi über das ganze Land auszubreiten.” Und deswegen würde ich vorschlagen, wirklich zu experimentieren, in welchen Bereichen das Sinn macht. Weil die Diskussion ist natürlich richtig …
Appelmann: Ein Pilotprojekte sozusagen in einem Landkreis zum Beispiel.
Rhein: Also man könnte das beispielsweise auf den Landkreis begrenzen oder man könnte es auf gewisse Leistungen begrenzen. Das muss man sich aber sehr genau anschauen, ob man es dann auch wirklich hinbekommt.
Appelmann: Zum Beispiel welche Leistungen?
Rhein: Ja, das, wie gesagt, das muss man sich jetzt sehr genau anschauen, was dazu beispielsweise gehört. Es gibt verschiedenste Vorschläge, aber lassen Sie uns das wirklich, ich sage mal, in aller Ruhe und sauber machen, ohne dass dabei Fehler entstehen. Denn natürlich geht es hier um Pull-Faktoren und das ist ein großes Problem derzeit, in der derzeitigen Lage. Und wir sind wirklich an einer Belastungsgrenze und das geht so nicht weiter. Der Bund muss dringend dafür sorgen, dass weniger reinkommen.
Appelmann: Um die Zahl zu begrenzen, haben Sie ja schon Grenzkontrollen gefordert. Wir haben es eben gehört, mbile Grenzkontrollen gibt es, aber das ist doch gar keine Lösung. Weil, wenn jemand “Asyl” an der Grenze ruft, wird er doch nach Deutschland eingelassen.
Rhein: Ja, es ist natürlich schon eine Lösung. Wir sehen das ja beispielsweise bei den Grenzkontrollen zwischen Österreich und Bayern, dass in erheblichem Umfang Zurückweisungen stattfinden und es ist natürlich auch ein deutliches Signal. Es ist Ende mit der grenzenlosen Offenheit. Das ist das Signal. Und jeder Schlepper und jeder Schleuser weiß, er wird an einer deutschen Grenze möglicherweise auf einen Grenzposten stoßen und von dort eben auch zurückgewiesen. Und insoweit ist das durchaus eine richtige Maßnahme. Dass die Bundesregierung das bis heute noch nicht ergriffen hat, dass es zwischen Tschechien und Sachsen und zwischen Brandenburg und Polen keine stationären Grenzkontrollen gibt, ist ein großer Fehler. Und das führt dazu, dass die Kommunen immer weiter überlastet werden. Das muss beendet werden.
Appelmann: Sie sprechen es gerade an: Die Kommunen sind am Limit. Wir sind im Land unterwegs und gehen mal zum Landrat des Kreises Main-Taunus, Michael Cyriax, übrigens ein Parteikollege von Ihnen. Und der hat aber eine klare Forderung ans Land.
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Michael Cyriax (CDU), Landrat Main-Taunus-Kreis
„Liebes Land Hessen, auch du könntest uns im Main-Taunus-Kreis beziehungsweise in der Region Frankfurt-Rhein-Main ein wenig entlassen. Wir sind der flächenmäßig kleinste Landkreis in ganz Deutschland – wir sind heute schon dicht besiedelt und wir haben gar nicht mehr so viele Wohnflächen. Es gibt andere Regionen in unserem schönen Land, die vielleicht nicht so dicht besiedelt sind, wo Menschen noch leichter eine Wohnung finden können als bei uns. Und vielleicht kann man das in der Verteilung auch mal mit berücksichtigen.“
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Appelmann: Sie könnten die Verteilung also anpassen. Warum tun Sie es nicht?
Rhein: Ich habe großes Verständnis für die Forderung von Michael Cyriax, aber am Ende ist es doch selbstverständlich, dass jeder Landkreis meint, er müsse für sich das Vorteilhafteste rausholen. Das wird natürlich so nicht funktionieren. Wir haben einen sehr ausgewogenes System der Zuweisung und das wird derzeit im Übrigen auch ja gerichtlich überprüft, ob das so richtig ist, wie wir das machen. Und lassen Sie uns doch mal das abwarten.
Appelmann: Also erst mal ein Nein in Richtung Main-Taunus.
Rhein: Na ja, also es ist jedenfalls kein kein apodiktisches Nein, aber stellen Sie sich vor, wir würden das jetzt verändern auf einen Schlag. Dann wird natürlich der Landkreis, der quasi weitaus mehr unterbringen muss, genau die gleiche Argumentation haben. Am Ende ist das, ich sage mal, eine Stellvertreterdiskussion. Es müssen weniger ins Land kommen können. Und deswegen: Die Bundesregierung hat den Schlüssel für die Steuerung und die Begrenzung der Zuwanderung in der Hand und sie muss ihn betätigen. Ansonsten, das sind Stellvertreterdiskussionen, die uns ja nicht wirklich weiterführen.
Rhein: Sie sagen, es müssen weniger ins Land kommen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat im Wahlkampfmodus eine Integrationsgrenze gefordert, also eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen. Schließen Sie sich da an?
Rhein: Ich würde sagen, das ist ein Symbol, um zu sagen: Das ist eine Belastungsgrenze. Ich glaube, man kann das nicht zahlenmäßig begrenzen, weil, Sie sagten es ja eben, wenn jemand sagt: “Asyl” und “Ich bin verfolgt”, dann müssen wir den aufnehmen. Das können wir zahlenmäßig gar nicht begrenzen. Aber damit macht Markus Söder deutlich: Wir sind am Ende dessen, was wir stemmen können und wir brauchen jetzt dringend eine Verschnaufpause. Ich würde das so bezeichnen.
Appelmann: Markus Söder hat das auch gefordert, weil er gesagt hat: “Gibt es keine Lösung, besteht auch die Gefahr einer sich destabilisierenden Demokratie.” Sehen Sie das auch?
Rhein: Ja, in der Tat ist das das große Problem und die große Sorge, die wir Ministerpräsidenten, im Übrigen aller Länder, ja haben. Das ist … Wissen Sie, die Menschen haben mit sehr viel Engagement und Begeisterung Flüchtlinge aufgenommen. Das finde ich großartig. Dafür bin ich auch sehr dankbar, dass die Bürgerinnen und Bürger da wirklich einen tollen Spirit haben. Aber je mehr es werden, desto mehr sinkt die Akzeptanz dafür. Und das ist gefährlich. Und deswegen hat Markus Söder recht. Man muss auch in diesem Sinne mehr steuern und insbesondere mehr begrenzen, sonst sinkt die Akzeptanz und damit natürlich, dann wird das demokratiegefährlich und stärkt radikale Kräfte in unserem Land.
Appelmann: Aber man muss doch auch sehen, dass die Ampelregierung in Berlin jetzt und die Vorgängerregierung, CDU-geführt übrigens, die Flüchtlingskrise nicht so richtig in den Griff bekommen haben. Und die Menschen spüren diesen Kontrollverlust, was am Ende zu einem Erstarken der AfD führt. Da haben doch viele Parteien, auch die CDU, versagt.
Rhein: Wir haben natürlich jetzt wirklich einen echten Kurswechsel, eine Kurskorrektur in der Union eingeleitet und sprechen da eine sehr klare Sprache. Und ich muss bestreiten, dass die Vorgängerregierung unter der Leitung von Angela Merkel nichts gemacht hätte. Das stimmt nicht.
Appelmann: Wie finden Sie, wie das Friedrich Merz manchmal macht mit den Wordings “Sozialtourismus” und so weiter – meinten Sie das?
Rhein: Nein, da gehe ich gerne noch drauf ein. Also das größte Abkommen und das hilfreichste Abkommen war das EU-Türkei-Abkommen und das hat damals die Regierung Merkel beschlossen und das erwarte ich jetzt auch von dieser Bundesregierung. Und was das Wording betrifft: Am Ende beschreibt das, was Friedrich Merz ja dort sagt, auch eine Sorge und auch ein Thema, was bei den Menschen eine Rolle spielt. Und ich bin sehr dafür, dass wir das in der demokratischen Mitte diskutieren, dass wir diese Diskussionen nicht den Rändern überlassen.
Appelmann: Jetzt war Frau Faeser hier bei uns im Studio gestern, Bundesinnenminister, die sagt: “Die Länder müssen auch mehr tun, weil sie geben den Schwarzen Peter immer an den Bund weiter” und sagen, die Abschiebungen geschehen in den Ländern und das passiert zu wenig. Was sagen Sie?
Rhein: Da macht Frau Faeser es sich, wie so oft, zu einfach. Also wir können nur in Länder abschieben, mit denen wir ein Abkommen haben. Und diese Abkommen muss die Bundesregierung schließen. Die können nicht Bundesländer schließen, und sie tut es einfach nicht. Sie tut sich schwer bei den sicheren Herkunftsländern, sie tut sich schwer bei den Rückführungsabkommen. Ich frage mich: Was macht Herr Stamp, das ist der Rückführungsbeauftragte der Bundesregierung, und was macht Frau Faeser? Es passiert gar nichts. Es wird immer nur diskutiert, es gibt immer nur Stillstand. Und am Ende sind die Leidtragenden die Länder und die Kommunen. Und deswegen – wir sind ja als Land im Übrigen, als Land Hessen die Nummer eins bei den Rückführungen mittlerweile deutschlandweit, aber auf einem viel zu geringen Niveau.
Appelmann: Im ersten Halbjahr 600, das ist zu wenig.
Rhein: Auf einem viel zu geringen Niveau, zugestandendermaßen. Hat aber damit zu tun, dass die Rückführungsabkommen nicht in Gang kommen. Und das ist Verantwortung der Bundesregierung.
Appelmann: Da machen wir Punkt und kommen zum nächsten Thema, denn nicht richtig rund läuft es auch in Sachen Wirtschaft in Hessen. Beim Wirtschaftswachstum im Bundesvergleich sind Sie unterdurchschnittlich, schon einige Male in Folge. Warum ist das so?
Rhein: Man muss schon sagen, also im Augenblick zeigen die OECD-Zahlen, dass Deutschland als einziges Land weltweit beim Wirtschaftswachstum nach unten geht. Hessen, wenn Sie sich die Zahlen genau anschauen, geht nach oben. Also wir haben in Hessen ein Plus beim Wirtschaftswachstum, im Gegensatz zum Bund. Und das zeigt ja, dass wir nicht alles falsch machen in Hessen.
Appelmann: Aber im Bundesdurchschnitt sind Sie unterdurchschnittlich. Also unter vielen anderen Ländern, muss man ganz ehrlich sagen.
Rhein: Ja, aber wie gesagt, wir wachsen und der Bundesdurchschnitt schrumpft. Insoweit glaube ich, das sind auch Momentaufnahmen, über die Sie gerade sprechen. Ich kenne die Argumentation, insbesondere von Herrn Naas. Sie trifft nur leider nicht zu.
Appelmann: Aber es geht den Unternehmen, und die sind ja die Leidtragenden am Ende, vor allem um die Standortnachteile in Deutschland. Wer haben mit die höchsten Energiepreise in der Welt, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wie wollen Sie diese Energiepreise senken?
Rhein: Herr Appelmann, Sie sprechen genau das Problem an. Also die Energiepreise sind viel zu hoch. Das macht uns nicht mehr wettbewerbsfähig und deswegen müssen wir die Stromsteuer begrenzen auf das europäische mögliche Mindestmaß. Das sind 0,05 € pro Kilowattstunde. Wir müssen die Netzentgelte halbieren. Und ich sage Ihnen auch: Wir müssen auch natürlich die erneuerbaren Energien viel stärker ausbauen. Aber wenn wir einen Deutschlandpakt mit dem Bundeskanzler schließen – der Bundeskanzler möchte, dass ja gerne -, dann wird eine der Bedingungen sein, dann muss auch die Kernkraft wieder eine Rolle spielen, beispielsweise dadurch, dass wir die stillgelegten Kernkraftwerke wieder anstellen. Das war ein schwerer Fehler, mitten in der Energiekrise auf die Kernkraft zu verzichten. Und ich sage Ihnen noch was, was wichtig ist: Wir müssen auch mal wieder in neue Technologien zur Energiegewinnung einsteigen. Und da wäre die laserbasierte Kernfusion eine Möglichkeit. Wir in Hessen haben hier interessante Unternehmen, die daran forschen, und ich hätte gerne, dass wir der Standort für laserbasierte Kernfusion in Deutschland werden.
Appelmann: Aber vielleicht noch der eine Punkt in Sachen Genehmigungsprozedur: Bei Erneuerbare Energien war Hessen lange Zeit Schlusslicht, gerade noch im letzten Jahr ganz hinten.
Rhein: Ja, aber wir haben Maßnahmen eingeleitet. Sie haben vielleicht verfolgt, dass ich im meiner ersten Regierungserklärung zugesagt habe, dass wir einen Pakt für den Rechtsstaat schließen. 500 Stellen mehr bei der hessischen Justiz. Wir haben es eingelöst und haben damit einen Extra-Senat für Windkraft beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingerichtet. Und das wird die Verfahren enorm beschleunigen. Die Menschen haben das Recht zu klagen, aber es bremst natürlich solche Verfahren und deswegen müssen wir diesen Flaschenhals öffnen. Und das haben wir gemacht mit dem Extra-Windkraft-Senat beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel.
Appelmann: Sie haben gerade eben gesagt: “Energiesteuer senken”. Wir hatten vorgestern Tarek Al-Wazir, den Wirtschaftsminister, hier bei uns und fragen uns: “Wer spricht denn jetzt für Hessen?”. Denn er hat über einen Brückenstrompreis gesprochen, also Subventionen für energieintensive Unternehmen, und er hat gesagt: “Bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz im November wird das großes Thema und wird vielleicht sogar durchgehen.” Da sitzen Sie mittendrin.
Rhein: Also für das Land Hessen spricht immer der Ministerpräsident. Aber natürlich, der Brückenstrompreis ist eine Diskussion, die wir gerade führen. Er ist ordnungspolitisch ja umstritten, muss man sagen. Weil was ist eigentlich mit dem energieintensiven Handwerk und dem energieintensiven Mittelstand?
Appelmann: DerBäcker um die Ecke, zum Beispiel.
Rhein: Genau. Ganz genau. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass, wenn wir so etwas machen, das die Ultima Ratio ist, also wirklich die letzte Möglichkeit. Und sie darf nicht wettbewerbsverzerrend sein. Und deswegen sage ich ja, der der Strompreis muss aufs europäische Mindestmaß runter, das ist die erste Maßnahme, Netzentgelte müssen halbiert werden, das wäre die zweite Maßnahme. Und wenn das alles nicht greift, dann muss man darüber sprechen, ob wir einen Brückenstrompreis einführen, zeitlich begrenzt. Und das wichtigste ist: Er darf nicht wettbewerbsverzerrend sein. Der Handwerker und der Mittelstand dürfen nicht benachteiligt werden. Allerdings will ich auch das sagen: Ja, die Industrie ist für Deutschland und auch für Hessen ganz besonders wichtig, und wenn die in die Knie geht, hilft das gar niemandem. Und deswegen glaube ich, muss man jetzt wirklich alles in Betracht ziehen, was hilft.
Appelmann: Alles klar. Da machen eine Zäsur und schauen noch drauf, was denn möglich wäre an Regierungsoption, denn wir schauen auf aktuelle Umfragen.
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In einer aktuellen Umfrage zur Landtagswahl in Hessen kommt die CDU auf 32 Prozent. SPD und Grüne erreichen 17 Prozent. Die AfD kommt auf 16 und die FDP auf 5 Prozent. Die Freien Wähler und die Linke würden nach dieser Umfrage den Sprung in den hessischen Landtag verpassen.
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Appelmann: Ja, Herr Rhein, derzeit sieht es so aus, als könnten Sie sich aussuchen, ob mit Rot oder mit Grün. Was tun Sie?
Rhein: Also, ich sage es ja immer wieder: Achtung, eine Ampel ist immer möglich! Hessen ist ein knappes Land …
Appelmann: Sie sagen gegen was Sie sind, aber die Wähler wollen wissen für was.
Rhein: Wofür ich bin, ist doch vollkommen klar. Also erst mal bin ich natürlich dafür, dass die CDU so stark wird wie nur irgend möglich, weil das ist die einzige Garantie, dass es in Hessen keine Ampel gibt. Und dafür kämpfe ich natürlich auch in den letzten Tagen, in den letzten Stunden, jetzt noch. Und dann muss man sich anschauen, was ist möglich von den Koalitionsbildungen her? Offensichtlich, wenn wir die Demoskopie uns anschauen …
Appelmann: Schwarz-Rot, Schwarz-Grün.
Rhein: Schwarz-Rot, Schwarz-Grün., vielleicht auch eine Deutschland-Koalition, also Schwarz-Rot-Gelb. Auch das …
Appelmann: Herr Naas war bei uns im Studio, er hat die Hand ausgestreckt in Richtung Boris Rhein.
Rhein: Und deswegen sage ich, auch eine Deutschland-Koalition ist möglich. Das wäre alles denkbar. Wichtig ist für mich, dass so viel – Sie haben das ganz toll übrigens dargestellt, was das Programm der CDU in Hessen ist in 120 Sekunden – so viel von dem, was da drinsteht, möchte ich gerne umsetzen. Da gibt es viele Punkte, die dringend notwendig sind. Und wenn ich die und das meiste, was ich mit dem Koalitionspartner verhandeln kann, das würde dann der Koalitionspartner sein, mit dem wir gerne in eine Koalition gehen.
Appelmann: … sagt der hessische Ministerpräsident Boris Rhein, heute unser Studiogast. Danke, dass Sie da waren.
Rhein: Ich bedanke mich sehr.
Appelmann: Ja, das war unsere letzte Wahl-Spezial-Sendungen in 17:30 Sat.1 live. Am Sonntag sind Sie aufgerufen, Ihr Kreuzchen zu machen bei der hessischen Landtagswahl und am Montag sind wir schon wieder da mit unserer Wahlnachlese Ihnen ein schönes Wochenende, ein schönes Wahl-Wochenende und vielen Dank für Ihr Interesse.