Grüne und FDP – die Zünglein an der Waage

Und jetzt werfen wir einen Blick auf die Ergebnisse von FDP und Grünen. Beide machen nach der Wahl unmissverständlich klar: Sie wollen jetzt das Zünglein an der Waage spielen bei der Frage: Ampel- oder Jamaika-Koalition?

Großer Jubel bei den Grünen in Mainz. Drittstärkste Kraft und wahrscheinlich bald Teil der Bundesregierung. Doch unter die Freude mischt sich der Eindruck: Da wäre noch mehr drin gewesen.
Tobias Lindner (Bündnis 90 / Die Grünen), Bundestagsabgeordneter aus Rheinland-Pfalz: „Natürlich hätten wir uns gewünscht, Platz 1 zu bekommen. Da brauchen wir nicht drumherum reden. Aber jetzt sind wir in einer Situation, wo wir die Vizekanzlerin stellen können, wo wir ein entscheidendes Wort mitreden können, das ist ganz essentiell.“
Eigene Fehler, die auch Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock gestern erneut einräumte, wollen die Grünen aufarbeiten. Trotzdem: klare Zugewinne in Rheinland-Pfalz. Ebenso in Hessen, wo Omid Nouripour im Wahlkreis Frankfurt am Main II erstmals ein grünes Direktmandat erhält. Die Grünen wollen künftig im Bund mitregieren. Doch mit wem, halten sie sich offen.
Misbah Khan (Bündnis 90 / Die Grünen), Landesvorsitzende Rheinland-Pfalz: „Für uns ist es natürlich wichtig, möglichst viel grüne Politik umzusetzen. Und mit wem das auch ist, mit dem werden wir koalieren.“
Ebenfalls hochzufrieden mit ihrem Ergebnis ist die FDP, auch wenn der Jubel bei der Wahlparty in Frankfurt etwas verhaltener ausfällt als bei den Grünen. Womöglich auch, weil sich die Liberalen auf harte Koalitionsverhandlungen einstellen.
René Rock (FDP), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen: „Der Weg zwischen uns und grün ist sehr, sehr weit.“
Thorsten Lieb (FDP), Stellvertretender Parteivorsitzender Hessen: „Es ist glaube ich nicht neu, wenn ich ihnen sage, dass die größeren inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen uns und den Unionsparteien bestehen.“
Trotzdem suchen die Liberalen den Schulterschluss mit den Grünen, wie Parteichef Christian Lindner und Generalsekretär Volker Wissing heute in Berlin verkünden. Beide Parteien, Grüne und FDP, wollen für einen Aufbruch stehen, nach acht Jahren Großer Koalition. Vor allem bei vielen jungen Menschen haben sie gepunktet. Unter Erstwählern waren sie mit je 23 Prozent am beliebtesten. In den nächsten Wochen wollen Grün und Gelb herausfinden, ob sie inhaltlich zusammenfinden oder ob die Sondierungen wie vor vier Jahren scheitern.

 

Im Interview: Der Politikwissenschaftler Dr. Eike-Christian Hornig:
Eva Dieterle, Moderatorin: Starten möchte ich mit den Grünen, die haben ja eigentlich das stärkste Ergebnis aller Zeiten eingefahren, sind aber dennoch enttäuscht, weil sie als stärkste Kraft auch schon in den Umfragen gesehen wurden. Wie analysieren Sie das Wahl-Abschneiden der Grünen?
Dr. Eike-Christian Hornig, Politologe: Die Grünen – sie schienen vor einigen Monaten – muss man ja sagen – schon praktisch als der Gewinner dazustehen. Und jetzt sind sie relativ zurechtgestutzt worden, obwohl sie eben stark gewonnen haben ehrlicherweise. Die Wahl ist kein Selbstläufer gewesen. Das Thema Klima ist natürlich extrem wichtig. Die anderen Parteien haben es auch gespielt, in gewisser Weise. Klar liegt die Kernkompetenz dann noch bei den Grünen, aber das hat im Wahlkampf eben nicht so funktioniert, wie man sich das vielleicht gedacht hat. Und die Grünen waren am Anfang sehr professionell. Also bei der Nominierung von Frau Baerbock als  Kanzlerkandidatin – da drang ja nix nach außen. Es gab keinen Streit. Man hat gedacht, oh das hat man wirklich gut gemacht. Und dann danach kam die Kampagne so ins Stolpern, ein bisschen. Es kamen Fehler auf. Die waren zwar auch im Prinzip nicht politisch, aber sie summierten sich so zusammen. Und dann kommt der weitere Punkt hinzu, was ich eben sagte, ihr Thema geriet so ein bisschen aufs Seitengleis. Es war immer noch wichtig, aber man sprach jetzt auch über andere Themen. Und in der Summe sind sie nun da angekommen, wo sie sind. Aber ich glaube, es ist immer noch eine sehr günstige Position, weil sie jetzt eben zusammen mit der FDP entscheiden können, wie es weitergeht mit der Regierung.
Eva Dieterle: Genau, es sieht alles danach aus, als würden sich FDP und Grüne sehr zeitnah zusammensetzen und sich gemeinsam abstimmen. Das hat es ja auch noch nie gegeben, so eine Situation.
Dr. Eike-Christian Hornig: Nein, das hat es noch nie gegeben. Das ist jetzt glaube ich auch ein strategischer Zug, ein wenig von Herrn Lindner, um das zu verhindern, was letztes Mal bei den Jamaika-Koalitionen geschah. Nämlich da fühlte sich die FDP ja extrem an Rand gedrängt, weil sich Union und Grüne praktisch schon einig waren und bildlich gesprochen dann erst die FDP reingeholt haben. Das möchte man jetzt verhindern und es ist glaube ich auch in Ordnung, weil es entspricht auch den Kräfteverhältnissen. Also wir sprechen vielleicht noch von den kleinen Parteien, aber so klein sind die gar nicht mehr. Und der Abstand zu den Volksparteien ist sehr geschrumpft. Deswegen ist das verständlich, dass die beiden sich einigen und auch aus der Logik heraus. Gut, zwischen FDP und Union wird es vielleicht schneller gehen, aber der eigentliche Brocken ist dann die andere Verhandlung. Deswegen ist das sinnvoll, auch im Sinne des Zeitmanagements zu sagen, okay dann fangen wir damit an.
Eva Dieterle: Alle fragen sich jetzt Jamaika oder Ampel, was ist wahrscheinlicher? Ich frage Sie.
Dr. Eike-Christian Hornig: Ich weiß es natürlich auch nicht. Inhaltlich würde mein Bauchgefühl mir sagen, dass die Ampel wahrscheinlicher ist, weil es da Überschneidungen gibt. Das haben wir ja auch schon mal gehört. Auf der anderen Seite glaube ich, es gibt schon auf persönlicher Ebene auch die Möglichkeit eben, dass man da zu Jamaika kommt. Aber wir haben auch Herrn Wissing gesehen. Herr Wissing ist natürlich ein Vertreter der Ampel und verhandelt jetzt auf FDP-Seite mit. Und dann kommt Frau Dreyer auf SPD-Seite. Also ich glaube es geht schon ein bisschen Richtung Ampel.
Eva Dieterle: Können die Grünen das ihren Anhängern überhaupt verkaufen, dass sie die CDU ins Kanzleramt heben? Und andersrum gefragt: Kann die FDP das ihrer Klientel überhaupt verkaufen, dass sie zum Beispiel Herrn Scholz zum Bundeskanzler macht?
Dr. Eike-Christian Hornig: Das ist die Frage, was in den Koalitionsverhandlungen passiert. Wie sehr kann man sich da durchsetzen? Kann man sozusagen Kernprojekte herausstellen, dass man zur Anhängerschaft sagt: Passt auf, wir haben in einem für uns zentralen Punkt eine wichtige Einigung geschafft. Das stellt man vorne ran und sagt, okay, damit sind wir schon erfolgreich gewesen, dann ist das sicherlich möglich, das zu tun. Und auch bei der Grünen-Anhängerschaft: Man sagt, man will unbedingt den Klimaschutz voranbringen. Und das kann ich ehrlicherweise besser, wenn ich in der Regierung bin, auch wenn ich da vielleicht nicht so weit komme, wie ich mir das wünsche. Aber in der Opposition kann ich das gar nicht. Also das ist dann irgendwann eine Abwägung, wo habe ich den größeren Hebel, wo kann ich mehr Einfluss nehmen? Und ich glaube, dass die Parteien ernsthaft darüber nachdenken über diese Machtoption und die auch nutzen wollen.
Eva Dieterle: Herr Dr. Hornig, wir reden gleich weiter, denn zwei Parteien fehlen noch. Es sind die Ränder: Es bleibt noch die AfD und die Linke.