Gewalt gegen Frauen – eine Betroffene spricht

Über 9000 Fälle von häuslicher Gewalt an Frauen in Hessen wurden im letzten Jahr gemeldet. Ein trauriger Höchststand. Gewalt gegen Frauen – ein ernstes Thema, das keinesfalls nur am heutigen Weltfrauentag eine Rolle spielen sollte. Dennoch dient dieser Tag dafür, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Denn Gewalt gegen Frauen findet jeden Tag statt – oft hinter verschlossenen Türen – aber nicht nur.

Svenja Beck aus dem südhessischen Otzberg hat es erlebt, am eigenen Leib. Mehrfach wurde ihr Ex-Partner und Vater ihres Sohnes ihr gegenüber massiv gewalttätig, hätte sie beinahe umgebracht.
Svenja Beck, T.o.B.e Toxische Beziehungen überwinden e.V.
„Ich war fünf Jahre lang in einer narzisstischen Missbrauchsbeziehung und habe physische und psychische Gewalt erlebt und das war das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Ich habe zwei Tötungsversuche hinter mir. 2023 hat mein Expartner versucht mir das Leben zu nehmen, indem, dass er mich überfahren wollte und 2016 hat er versucht, mich zu erwürgen.“
Sie hat es schließlich geschafft, sich aus dieser toxischen Beziehung zu lösen. Jetzt hilft sie anderen. Mit ihrem Verein „Toxische Beziehungen überwinden“, über den sie unter anderem Selbsthilfegruppen anbietet.
Doch das alleine reicht nicht. Es braucht auch staatliche Unterstützung in Form von Frauenhäusern, Notrufzentralen und Schutzwohnungen.
All das gibt es zwar in Hessen und Rheinland-Pfalz, jedoch nicht in ausreichender Anzahl.
Katharina Binz (Bündnis 90 / Grüne), Frauenministerin Rheinland-Pfalz
„Das Thema Gewalt gegen Frauen, vor allen Dingen Partnerschaftsgewalt ist trotz aller Bemühungen, die wir auch in Rheinland-Pfalz schon seit vielen Jahren haben, natürlich immer noch ein großes, ein aktuelles, ein relevantes. Wir wissen, dass alleine im letzten Jahr fast 7000 Frauen Opfer geworden sind von Partnerschafts-Gewalt. Das ist eine viel zu große Zahl und das zeigt und einfach, dass wir trotz aller Bemühungen weiter dafür arbeiten müssen, dass Frauen wirklich das Recht auf ein gewaltfreies Leben auch endlich erfüllt bekommen.“
Aktuell wird in Deutschland jeden zweiten bis dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Oft das Ende einer langen Gewalt-Spirale. Und immer wieder fällt in diesem Zusammenhang der Begriff Femizid – also die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist.
Christoph Spies ist rechtspolitischer Sprecher der SPD in Rheinland-Pfalz und hat sich mit seinen Kollegen dafür eingesetzt, dass geschlechts-spezifische Taten künftig auch mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden.
Christoph Spies (SPD), Abgeordneter Landtag Rheinland-Pfalz
„Ein Femizid – der Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist – sollte nicht nur als Totschlag, sondern regelmäßig als Mord aus niedrigen Beweggründen abgeurteilt werden.“
Svenja Beck hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Frauen zu helfen, bevor es zu spät ist. Deshalb hat sie gemeinsam mit anderen Betroffenen ein Buch geschrieben: „Unglaublich aber wahr. Wir haben es erlebt.“
Svenja Beck, T.o.B.e Toxische Beziehungen überwinden e.V.
„Die Frauen werden immer noch nicht ernst genommen in dieser Konstellation, dass es diese Gewalt wirklich auch gibt und vor allen Dingen, was auch ein ganz wichtiges Thema ist, ist die psychische Gewalt, die ja so gut wie gar nicht nachweisbar ist, weil die Beweisaufnahme so schwierig ist. Da muss sich ganz ganz viel ändern, dass auch die psychische Gewalt, als Gewalt anerkannt wird.“
Gleich ist sie auf dem Weg zu einer Lesung nach Rheinhessen – anlässlich des heutigen Weltfrauentags. Sie reist mit der Hoffnung im Gepäck, dass dieses Thema auch darüber hinaus immer mehr Gehör findet.
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Markus Appelmann, Moderator:
Ja, bei uns tut es das. Deswegen begrüße ich jetzt den Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Professor Martin Rettenberger Guten Abend.

Prof. Martin Rettenberger, Direktor Kriminologische Zentralstelle Wiesbaden:
Guten Abend.

Appelmann:
Wir haben es gerade eben gehört: die Zahlen der Gewalttaten gegen Frauen steigen. Lassen Sie uns da ein bisschen drüber sprechen. Woran liegt das?

Rettenberger:
Also zunächst einmal zeigt es natürlich, dass wir ein großes, ein massives gesamtgesellschaftliches Problem in diesem Bereich nach wie vor haben. Man muss allerdings die Zahlen auch etwas differenzierter betrachten. Üblicherweise unterscheiden wir zwischen sogenannten Dunkelfeld- und Hellfeldzahlen, also Hellfeldzahlen sind die, die bei Polizei und Justiz dann wirklich offiziell registriert werden. Und wenn diese Zahlen steigen, und das haben sie in den letzten Jahren, dann bedeutet das eben auch, dass mehr Fälle dann auch ins Hellfeld kommen.
Das heißt, sie werden offiziell registriert und wahrgenommen. Sie gehen also aus dem Dunkelfeld ins Hellfeld. Und das kann auch einfach bedeuten, dass wir das Problem mittlerweile besser und klarer sehen als in der Vergangenheit.
Appelmann:
Dennoch gibt es diese Dunkelziffer. Sie sind Kriminalpsychologe. Geben Sie uns mal die Gründe, woran es liegt, dass so viel gegen Frauen Gewalt ausgeübt wird.
Rettenberger:
Da gibt es ganz vielfältige Gründe dafür und mir ist vorab eine Sache sehr wichtig: Wenn wir versuchen, diese Taten zu erklären, dann entschuldigen wir sie nicht. Aber wir brauchen Erklärungen dafür, warum es zu diesen Taten kommt, um sie eben auch möglichst wirksam verhindern zu können in der Zukunft. Wir können üblicherweise unterscheiden zwischen solchen Aspekten, die in der Person des Täters liegen, solchen, die im Umfeld liegen, und natürlich auch gesamtgesellschaftliche Aspekte. Üblicherweise spielen alle drei Ebenen zusammen, wenn man solche Taten erklären will.
Appelmann:
Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland, wir haben gerade eben gehört, getötet durch ihren Partner oder Expartner. Warum eskaliert das so oft tödlich?
Rettenberger:
Also es gibt sehr häufig eine längere Vortatphase, in denen sich dann diese Eskalation abzeichnet. Es gibt verschiedene Konflikte, die zunehmen und in der Partnerschaft eben auf nicht gewalttätige Art und Weise gelöst werden können. Und wenn es dann zu Trennungssituationen beispielsweise kommt, in denen die emotionale Ladung besonders hoch ist, haben manche der späteren Täter keine Möglichkeit mehr, auf andere Konfliktlösungstechniken zurückzugreifen. Das heißt, es eskaliert und sie sind im Prinzip nicht in der Lage, auf diese Eskalation auf anderem Wege zu reagieren.
Appelmann:
Wenn Männer Frauen töten, wir haben gerade eben diesen Fachbegriff Femizid gehört, das ist aber kein eigener Straftatbestand. Warum?
Rettenberger:
Dazu muss man sagen, dass der Begriff zwar schon länger diskutiert wird, seit Jahrzehnten, aber im rechtlichen Bereich, im juristischen Bereich erst seit ein paar Jahren. Und es gibt eine Kontroverse darüber oder es gab längere Zeit eine Kontroverse darüber, ob dann solche Täter und solche Taten besser verurteilt werden können, angemessener und damit auch strenger verurteilt werden können. Das mag sicher eine Möglichkeit sein, die Strafverfolgung, die Sanktionspraxis zu verbessern.
Aber wir müssen ganz klar sagen, die Einführung dieses Begriffs alleine und die Berücksichtigung dieses Begriffs im Rahmen von Gerichtsverfahren wird das Problem ganz sicher nicht alleine lösen können.
Appelmann:
Wir hören da raus, die juristische Einordnung da ist schwierig. Wo bekommen denn Frauen Hilfe?
Rettenberger:
Es gibt mittlerweile ein immer besser ausgebildetes Netz an Hilfseinrichtungen. Natürlich die Frauenhäuser, die sehr bekannt sind, auch die Notrufmöglichkeiten, die es gibt. Aber auch bei der Polizei gibt es heute bei vielen Polizeistellen spezialisierte Kolleginnen und Kollegen, die dort eben für häusliche Gewalt extra ausgebildet sind, die dann auch weiterführen können. Es gibt auch Beratungsmöglichkeiten, die man also mit relativ einfachen Möglichkeiten im Internet finden kann.
Appelmann:
Mehr Plätze in Frauenhäusern alleine, das kann die Lösung nicht sein. Was muss gesellschaftlich passieren? Was muss politisch jetzt passieren?
Rettenberger:
Also wenn man sich das Ausmaß des Problems ansieht, die Vielzahl an Fällen ansieht, ist es völlig klar, dass es nicht ein einziger Akteur, eine einzige Stelle sein kann. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, das heißt Politik, Justiz, Polizei, die müssen natürlich ihren Beitrag leisten. Aber auch wir alle müssen unseren Beitrag leisten, wenn es darum geht, zum Beispiel Geschlechtsrollen, Stereotypen zu hinterfragen, Sexismus in der Gesellschaft zu hinterfragen, weil all das sind Vorläufer von späterer Gewalt.
Appelmann:
… sagt Professor Martin Rettenberger heute bei uns im Studio. Danke für den Besuch.
Rettenberger:
Gerne.