Gedenken an Völkermord in Ruanda

Man könnte meinen, dreißig Jahre seien eine lange Zeit. Solange ist er her, der Genozid – der Völkermord – der 1994 Ruanda verwüstete. Für diejenigen, die ihn damals durchlitten, sind dreißig Jahre jedoch überhaupt keine Zeit; die die seelischen Wunden heilen könnte. Am Ende der Delegationsreise ins rheinland-pfälzische Partnerland Ruanda nahm Ministerpräsidentin Malu Dreyer an der großen nationalen Gedenkfeier mit Staatspräsident Paul Kagame in Kigali teil – viele hochrangige Vertreter aus aller Welt waren  ebenfalls bei der bewegenden Feier zugegen.

Wir sind in einer Kirche in Nyamata, 30 Kilometer südlich von Kigali. In sie hatten sich Hunderte Angehörige der Tutsis vor den angreifenden Hutu geflüchtet. Doch die Kirche wurde zur tödlichen Falle. Das Original-Eisengitter zeigt noch die Spuren, des Kampfes. Im Gottesraum spielten sich unbeschreibliche Szenen ab; Säuglinge wurden im Taufbecken ertränkt. Alle Schädel weisen Spuren massiver Gewalt auf. Insgesamt schlachteten die Hutus allein in Nyamata 40.000 Menschen ab; ihre Knochen sind hier beigesetzt. Die Delegation gedenkt ihrer an den Massengräbern.
Hendrik Hering (SPD), Präsident Landtag Rheinland-Pfalz
„Selten bin ich so berührt gewesen, die unfassbare Brutalität, in der dieser Genozid hier stattgefunden hat; das wird auf authentische Weise gezeigt. Das ist schockierend, aber es muss auch auf diese Weise gezeigt werden, um deutlich zu machen, zu welchen Abgründen und Brutalität Menschen fähig sind.“
1982 wurde die Partnerschaft vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel begründet. Doch der Genozid brachte dieses Projekt an den Rand des Scheiterns. Dass der damalige rheinland-pfälzische Innenminister Walter Zuber unmittelbar nach dem Genozid als einer der ersten europäischen Politiker das verwüstete Land besuchte, haben die Ruander bis heute nicht vergessen. Zwei Jahre später flog auch Karl Heil vom Ruanda-Komitee Bad Kreuznach nach Kigali. Er blickte in eine Welt des Grauens.
Karl Heil, Ruanda-Komitee Bad Kreuznach
„Ich will nicht sagen gespenstisch, aber es war eigentlich nicht zu verstehen. Ich hatte ja 89, 90 Ruanda besucht … und dann war an der gleichen Schule, am gleichen Standort alles kaputt, und die Menschen waren nicht mehr, es gab jede Menge zerstörte Häuser.“
Doch gerade wegen der Verwüstungen hält Rheinland-Pfalz an der Partnerschaft fest: Nie war sie nötiger als in dieser Zeit, in der das Land und seine Seele zerstört waren. Und die Nachwirkungen sind bis heute überall spürbar und sichtbar.
Diese Klinik in Kigali bietet betroffenen Frauen medizinische und psychologische Hilfe an. Sie alle haben in jenen Tagen das Schlimmste erlebt. Zum Beispiel Monique – damals 32 Jahre alt. Ihr Mann und ihre Kinder wurden ermordet. Und damit nicht genug:
Monique
„Während des Genozids wurde ich vergewaltigt. Ich wurde schwanger, infizierte mich mit HIV – und auch das Kind war mit HIV infiziert. Es war sehr sehr hart.“
Marceline
„Die Menschen, bei denen ich wohnte, sie sind alle umgebracht worden. Ich war die einzige, die überlebt hat. Einer der Milizionäre hat mich in den Kongo verschleppt und dort lange Zeit festgehalten und mehrfach vergewaltigt.“
Woher nehmen diese Frauen die Kraft, über das, was geschah, zu sprechen?
Stefanie Hubig (SPD), Bildungsministerin Rheinland-Pfalz
„In den Gesprächen mit den Überlebenden, die wir hatten, hat man aber auch gemerkt, wie stark sie sind und wie solidarisch sie miteinander sind und wie groß auch der Wille ist, weiter zu leben und Leben zu gestalten.“
Die Trauerfeiern finden im ganzen Land statt – so auch in Rulindo, 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt.
Mehr als 6.000 Menschen sind hier beigesetzt. Gestern kommen 22 Opfer hinzu. Sie wurden erst vor kurzem gefunden. Vor allem nach starken Regenfällen gibt das Erdreich bis heute immer wieder Gebeine überall im Land frei. In so gut wie jeder Familie in Ruanda finden sich furchtbare Schicksale. Einige haben schlichtweg alle Angehörigen verloren.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz„Das Elend, die Brutalität dieses Genozids, die sind einfach unbeschreiblich, wenn man sie vor Augen geführt wird, kann man immer wieder nur traurig sein, erschrecken, es ist eigentlich nicht vorstellbar. Und umgekehrt, dass Ruanda es dann schafft beispielsweise mit den alten Menschen dann ein Zuhause zu schaffen, für Menschen, die alles verloren haben, alle Angehörigen. Das ist auch sehr berührend.”
Wir fahren zu eben diesen alten Menschen in ihr Heim. Wir erleben, dass sie trotz allem, was ihnen widerfahren ist, Lebensfreude verspüren können. Und einen für uns unvergesslichen Satz geben sie uns noch: Sie sagen: „Seit dem wir hier zusammenleben, wissen wir wieder: Wir sind Menschen.“