Die rheinland-pfälzische DGB-Vorsitzende Susanne Wingertszahn bei uns im Studio

Sie haben es wahrscheinlich heute selbst mitbekommen. Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr in sechs Bundesländern haben zu massiven Beeinträchtigungen geführt. Auch viele Städte in Hessen und Rheinland-Pfalz sind betroffen. Der Grund für die Streiks: Die Tarifverhandlungen für die bundesweit 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen gestalten sich mehr als zäh. Eine Einigung ist nicht in Sicht und das mussten die Pendler heute ausbaden.

Heute Morgen, acht Uhr in Mainz: Busse und Straßenbahnen sind in den Depots geblieben. Pendler müssen sich um Alternativen kümmern.
Celina Göbel, Angestellte
„Ich bin sehr überrascht, dass gestreikt wird. Ich wusste jetzt davon auch nichts. Habe auch schon in der App gesehen, dass jetzt alles ausfällt. Weiß jetzt auch nicht, wie ich zum Büro komme.“
Heiko Kolb
„Man hat kein Verständnis, was sie da machen. Es sind Busausfälle, Straßenbahnausfälle, die Leute kommen nicht auf die Arbeit.“
Sabine May, Medizinische Fachangestellte
„Dass jetzt gar keine Busse und Straßenbahnen fahren, das finde ich persönlich jetzt nicht akzeptabel.“
Die Gewerkschaft ver.di fordert 10,5 Prozent mehr Einkommen. Mindestens aber 500 Euro mehr pro Monat.
Marion Paul, ver.di
„Wenn sich die Kollegen, die Heizung nicht mehr leisten können oder den Strom nicht mehr leisten können oder im Supermarkt überlegen, kann ich mir noch eine Gurke oder eine Paprika leisten, weil das Geld knapp ist. Wie kann das überzogen sein?“
Doch für die Arbeitgeber sind die Forderungen genau das: Überzogen und nicht bezahlbar.
Markus Sprenger, Geschäftsführer Kommunaler Arbeitgeberverband Rheinland-Pfalz
„Das eigentliche Problem an der Forderung ist der Mindestbetrag, die 500 Euro. Weil die 500 Euro dazu führen, dass es nicht um 10,5 Prozent geht, sondern um 15 Prozent. Und im Nahverkehrstarifvertrag sogar noch um etwas mehr.“
Das Angebot der Arbeitgeber: Eine Entgelterhöhung von insgesamt 5 Prozent in zwei Schritten und die Zahlung eines einmaligen Inflationsausgleichs von 1.500 Euro in diesem und 1.000 Euro im nächsten Jahr.
Für die Gewerkschaft ist das nicht akzeptabel, sie bleibt bei ihren Forderungen. Fakt ist: Gestiegene Gehälter müssen finanziert werden. Heißt: Auch die Ticketpreise könnten steigen. Würden die Pendler das akzeptieren? Wir fragen nach:
Laura Krutsch, Auszubildende
„Ich würde auch mehr Geld bezahlen dafür, dass die Leute mehr Gehalt bekommen.“
Dragosch Fronea, Konstrukteur
„Wenn das in Relation mit der Erhöhung der Gehälter ist, dann ist es okay.“
Sabine May, Medizinische Fachangestellte
„Also ich würde es in Kauf nehmen, aber auch nur bis zu einem gewissen Maß.“
Gewerkschaftler demonstrieren heute in vielen Städten gemeinsam mit Fridays for Future. Wie hier am Mittag in Frankfurt. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sieht das kritisch. Man dürfe Arbeitskämpfe und politische Ziele nicht miteinander vermischen.
Respektlos, überzogen, unterirdisch – die Worte, mit denen beide Seiten die Angebote des Verhandlungspartners kommentieren, zeigen: Die Fronten sind verhärtet. Die dritte Verhandlungsrunde ist für Ende März angesetzt. Ver.di hat bereits angekündigt, dass es schon nächsten Mittwoch weitere Warnstreiks in Kitas und sozialen Einrichtungen geben wird.
————————-
Maike Dickhaus, Moderatorin: Und dieses Thema wollen wir jetzt noch vertiefen und dazu begrüße ich bei mir zu Gast im Studio Susanne Wingertszahn. Sie ist die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Rheinland Pfalz. Guten Abend.
Susanne Wingertszahn, Vorsitzende DGB Rheinland-Pfalz / Saarland: Schönen guten Abend.
Dickhaus: Ja, Frau Wingertszahn, wenn die Beschäftigten im öffentlichen Dienst jetzt 10,5 % mehr Lohn bekommen, zahlen das dann nicht im Endeffekt die Bürger? Weil das bedeutet ja höhere Steuern, höhere Gebühren und auch höhere Ticketpreise, oder?
Wingertszahn: Das heißt es nicht zwangsläufig. Das sind die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die auch unter der Inflation leiden, genauso wie viele andere Menschen auch. Die Inflation ist im Moment bei 7 %. Auch das sind die Kolleginnen und Kollegen, die diese Inflations Preise zahlen müssen. Und gleichzeitig haben wir keinen Steuerverlust auf Landesseite oder wir haben keinen Verlust an Steuereinnahmen. Das passt schon alles so, wie ver.di das fordert.
Dickhaus: Wegen der gestiegenen Preise sollen jetzt auch die Löhne steigen. Was dann wiederum zu weiter steigenden Preisen führt. Geraten wir da nicht gerade in eine gefährliche Lohn-Preis Spirale?
Wingertszahn: Das ist ein Irrglaube, weil die Inflation hängt wenig an den Löhnen und überhaupt nicht an den Gehältern, sondern die Inflation liegt daran, dass wir einen Angriffskrieg haben, einen russischen Angriffskrieg. Und in der Folge sind die Energiepreise die Gaspreise ins Unermessliche gestiegen und das ist ein zentraler Grund. Und der zweite Grund sind gestörte Lieferketten. Wir haben auch aufgrund von der Corona-Pandemie haben wir Lieferkettenstörungen und das führt dazu, dass Dinge teurer werden, aber die Löhne und die Gehälter haben wenn, dann nur ganz, ganz kleinen Einfluss auf die Inflation.
Dickhaus: Ja, Stichwort gestiegene Energiepreise. Sie haben es gerade angesprochen Wegen der gestiegenen Energiepreise baut beispielsweise die BASF in Ludwigshafen gerade Arbeitsplätze ab. Wenn jetzt auch noch die Löhne kräftig steigen, dann steht der Chemiekonzern im Wettbewerb ja noch schlechter da. Heißt: Dann wackeln weitere Arbeitsplätze, oder wie sehen Sie das?
Wingertszahn: Sie haben das genau richtig formuliert, bei der BASF oder in der Industrie, die sehr, sehr viel Energie verbraucht – wir reden dann von Industrie, die wirklich sehr, sehr richtig, richtig viel Energie verbraucht -, da muss es Möglichkeiten und Mechanismen geben, dass diese Industrie, die energieintensive Industrie, auch wettbewerbsfähig bleibt, auch in Europa, auch im Vergleich mit der USA oder mit China.Und auch an dem Punkt haben die Löhne und Gehälter keinen Einfluss darauf, sondern es geht dann drum, Mechanismen zu finden, dass zum Beispiel Industriestrom bezahlbar ist, auch für die Wirtschaft.
Dickhaus: Das heißt, Sie bleiben bei Ihren Forderungen?
Wingertszahn: Selbstverständlich.
Dickhaus: Wir sprechen gleich noch weiter. Zunächst einmal schauen wir aber noch auf ein Thema, das Ihnen auch besonders am Herzen liegt, und zwar die Bekämpfung des Fachkräftemangels. Und da sollen sich jetzt insbesondere Frauen in den Arbeitsmarkt einbringen.
————————–
Magdalena Nowak hat es geschafft. Sie hat ihre Ausbildung zur Mechatronikerin mit Bravour gemeistert. Eine normale Auszubildende war Magdalena nicht. Sie ist alleinerziehend, hat fünf Kinder Zuhause.
Magdalena Nowak, Auszubildende
„Da gab es auch schwere Momente so zu sagen. Aber ich wollte das und ich wollte das unbedingt so dass ich gedacht habe: Wenn das nicht klappt, dann klappt es nicht, aber ich mache das und ich ziehe das durch. Und soweit klappt es.“
Morgens um sechs fängt Magdalena an ihre Kinder zu versorgen und hat erst am späten Abend das erste Mal Zeit für sich. Damit das alles klappt, braucht es einen flexiblen Arbeitsgeber.
Philipp Rother, Ausbildungsleiter Karl Mayer Stoll GmbH
„Das Besondere daran ist, dass Magdalena in der Zeit, in der normalerweise Mechatroniker-Auszubildende diese Ausbildung machen, die gleichen Inhalte vermittelt bekommt und sie auch entsprechend annimmt und umsetzt, jedoch pro Tag knapp zweieinhalb Stunden weniger zur Verfügung hat, hier bei uns in der Werkstatt. Das heißt, sie holt dann das, was in der Theorieseite nachzuholen ist, dann einfach zu Hause nach, während die Kinder schlafen. Das ist schon sehr beeindruckend in der Hinsicht.“
Konzepte wie eine Ausbildung in Teilzeit begrüßt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Um den Fachkräftemangel wirksam zu bekämpfen sei es aber auch notwendig, mehr Frauen aus der Teilzeit, insbesondere aus den Minijobs herauszuholen. Nur in Vollzeit werde ihr gesamtes Potential genutzt.
Susanne Wingertszahn, Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz / Saarland
„Die meisten Frauen, die Minijobs haben sind gut qualifiziert, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Es gibt auch welche, die einen akademischen Abschluss haben. Das sind schon Fachkräfte. Es geht darum dass wir Fachkräfte für die Zukunft brauchen in sozialversicherungspflichtigen Jobs.“
Doch mehr arbeiten ist für viele Frauen kaum möglich, denn in der Regel sind es auch in Deutschland immer noch vor allem die Frauen, die Zuhause die Kinder betreuen. Bei der Pflege von Angehörigen und der Erledigung der Hausarbeit verhält es sich genauso. Frauen leisten pro Tag durchschnittlich 90 Minuten mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Um mehr in Vollzeit zu bekommen, wird sich also vieles ändern müssen.
———-
Dickhaus: Ja, fast 70 % der erwerbstätigen Mütter arbeiten in Teilzeit, dagegen nur 7 % der Väter. Woran liegt das denn? An den gesellschaftlichen Normen, der fehlenden Flexibilität der Arbeitgeber oder an der Politik?
Wingertszahn: Ich würde sagen an allen drei Faktoren. Zum einen brauchen wir einen Wandel auch generell in der Gesellschaft, dass mehr Männer auch Pflegearbeit, Betreuung und Erziehungszeit machen. Dafür müssen aber auch die Rahmenbedingungen stimmen und auch die Politik die richtigen Weichen stellen. Und wie im Bericht schon angekündigt: Die Ausweitung von Minijobs, sodass Minijobs noch attraktiver werden, ist kein gutes Instrument, um dafür zu sorgen, dass Frauen noch mehr berufstätig werden können und aus der Teilzeit rauskommen oder aus Minijobs rauskommen.
Dickhaus: In dem Zusammenhang warnen Sie ja auch vor der Minijob-Falle für Mütter. Was genau meinen Sie denn damit?
Wingertszahn: Zum einen sind Minijobs ein Instrument, bei dem die Frauen oft drin bleiben. Selten, dass Frauen aus Minijobs dann in reguläre sozialversicherungspflichtige Jobs reinkommen oder ihre Stundenzahl aufstocken. Oft ist das ein Weg, die bleiben da drin, verdienen wenig, zahlen nix in die Rentenversicherung oder sehr wenig und haben dann am Ende auch eine schlechte Rente. Zum anderen sind wirklich Minijobs ja nur an der Lohnuntergrenze finanziert.Das heißt, die – meistens Frauen sind das, die gerade mal einen Mindestlohn verdienen und das ist wirklich ja nur maximal die Lohnuntergrenze. Und an sich brauchen wir anständige Löhne und gute Arbeitsbedingungen, vor allem für Frauen und vor allem mit Blick auf den drohenden Fachkräftebedarf.
Dickhaus: Das heißt, was muss sich ändern, was fordern Sie?
Wingertszahn: Zum einen ein Umdenken, generell ein Paradigmenwechsel in der Gesellschaft, einen Fokus darauf zu legen, wie können die Arbeitsbedingungen so sein, dass sie für Frauen auch attraktiv sind und dass sie Anreize bieten, dass mehr Frauen mehr arbeiten? Weil das ist ein Potenzial mit Blick auf uns fehlen Fachkräfte, uns fehlen Leute, die die Energiewende voranbringen, uns es fehlen Handwerkerinnen. Und da ein Blick zu wechseln und die Bedingungen so zu machen, dass es für Frauen auch attraktiv ist und dass sie gute Arbeitsbedingungen haben.
Dickhaus: … sagt sie, Susanne Wingertszahn: die Vorsitzende des DGB in Rheinland Pfalz. Herzlichen Dank für Ihren Besuch im Studio.
Wingertszahn: Danke schön!