Die Corona-Lage verschärft sich – im Interview: Gesundheitsminister Clemens Hoch

Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister ist zu Gast im Studio und nimmt zu den neuesten Entwicklungen Stellung, u.a. zur Situation der ungeimpften Mitarbeiter im Pflegebereich.

Markus Appelmann, Moderator: Ich denke, mit diesem Thema starten wir direkt mit dem Gesundheitsminister von Rheinland-Pfalz, Clemens Hoch. Herzlich willkommen! Wie kann es denn sein, dass es keine Statistik darüber gibt, wie viele Menschen im medizinischen Bereich geimpft sind und wie viele nicht?
Clemens Hoch, SPD, Gesundheitsminister Rheinland-Pfalz: Wir haben erst seit kurzem durch ein Bundesgesetz die Möglichkeit bekommen, dass die Träger von Altenpflegeeinrichtungen den Impfstatus von ihren Mitarbeitenden erfragen können. Das muss dann allerdings vor Ort geschehen. Wir haben in Ihrem Beitrag aber ja gesehen, dass es sehr vorbildliche Einrichtungen gibt mit 100% Impfquote, das freut den Gesundheitsminister natürlich sehr. Trotzdem sehen wir natürlich auch Einrichtungen, die eben nicht so hoch sind. Wir sehen eine gute Quote in den Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, aber die könnte noch besser sein. Und deswegen haben wir gesagt: Die Ungeimpften müssen sich täglich testen lassen.
Appelmann: Die müssen noch besser sein, sagt Dr. Peter Heinz, er ist der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz. Und er hat uns folgendes gesagt:
Dr. Peter Heinz, Vorsitzender Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz
„Der Infektionsdruck wird jetzt so hoch, dass es einfach nicht mehr möglich ist, diesen Beruf auszuüben ohne geimpft zu sein. Man muss ja am Patienten arbeiten können. Und ich sehe das so, dass ein Einbeiniger sicherlich nicht Seiltänzer werden kann und sicherlich auch nicht Gerüstbauer. Und genau so kann man im Gesundheitsberuf nicht ohne Impfung arbeiten.“
Appelmann: Klingt plausibel. Stehen Sie auch dahinter? Sind Sie auch für eine Impfpflicht im medizinischen Bereich?
Hoch: Wir haben uns von Rheinland-Pfalz dafür entschieden, dass wir gesagt haben, es steht den Menschen frei, sich impfen zu lassen. Sie sollten sich schützen und sie sollten mit der Impfung auch andere schützen. Und diejenigen, die sich aus welchen Gründen auch immer – es können auch medizinische sein – gegen die Impfung entscheiden, die müssen eben mit Einschränkungen rechnen und die müssen sich täglich testen. Aber eine Impfpflicht steht bei uns nicht auf der Agenda.
Im Übrigen wäre so etwas, das müsste der Bundestag entscheiden, auch auf gesetzlicher Grundlage, und die Hürden für eine verpflichtende Impfung, juristisch, sind sehr hoch.
Appelmann: Klingt aber jetzt relativ locker. Seit letztem Jahr gibt es eine Impfpflicht gegen Masern. Warum sind Sie nicht dafür, dass es auch eine Impfpflicht gegen Corona gibt oder dass man das auf den Weg bringt?
Hoch: Die Impfpflicht gegen Masern ist eine gute Errungenschaft. Sie gilt für den Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen. Und Sie wissen das: zum Beispiel auch bei Kindern und Jugendlichen für den Schulbesuch gibt es diese Impfpflicht von Masern. Ihr ist eine lange Abwägung vorausgegangen und eine breite Diskussion. Und das soll das nicht relativieren, aber Masern sind immer noch sehr viel ansteckender als Corona.
Appelmann: Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hat heute den Druck hochgeschraubt. Wir haben es ja am Anfang der Sendung gesehen. Es geht da um 3G – und Ungeimpfte müssen ab sofort einen PCR-Test vorlegen, wenn sie zum Beispiel einen Kneipenbesuch machen wollen, wenn sie in Museen rein wollen, in Messen. Da reicht ein Antigen-Schnelltest nicht mehr. Müsste nicht Rheinland-Pfalz diesen Weg auch beschreiten?
Hoch: Wir haben in unserem Corona-Konzept seit Anfang September drei Warnstufen ausgebracht und wir sind im Moment noch in der Warnstufe 1. Und diese Warnstufen sind abgestuft, je nachdem wie viele Menschen in Krankenhäusern sind und auf den Intensivstationen. Es droht, dass wir in absehbarer Zeit, jetzt im November, in die Warnstufe 2 kommen. Auch dann gibt es kleinere Gruppengrößen bei ungeimpften Menschen und es gibt zum Beispiel in den weiterführenden Schulen dann wieder das verpflichtende Maskentragen. Aber bis dahin haben wir uns festgelegt.
Appelmann: Aber Ungeimpfte können dann immer noch mit Antigen-Schnelltest auch auf Veranstaltungen gehen, auch in Warnstufe 2.
Hoch: Ungeimpfte können dann nach der jetzigen Konzeption auch immer noch mit einem Schnelltest auf Veranstaltungen gehen. Wir sehen aber in Rheinland-Pfalz auch immer noch niedrigere Infektionszahlen als der Bundesschnitt. Und wir sehen vor allem sehr viel niedrigere Infektionsrate als in Bayern, Sachsen und Thüringen. Und deswegen sind wir in der öffentlichen Diskussion natürlich jetzt mit im Fokus, aber unser Warnsystem funktioniert bisher gut.
Appelmann: Meine Frage ging ja aber in die Richtung, dass Hessen den Druck hochgeschraubt hat auf Ungeimpfte. Müsste man es in Rheinland-Pfalz nicht auch tun?
Hoch: Wir haben gerade kürzlich unsere Coronabekämnpfungsverordnung angepasst. Wir haben zum Beispiel daran ausgebracht, dass man sich in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen als Ungeimpfte jetzt täglich testen muss. Das war unser angemessenes Reagieren auf die Zahlen in Rheinland-Pfalz. Auch Hessen hat höhere Zahlen, auch Hessen hat eine höhere Krankenhausbelegung, und wenn dort jetzt nachgesteuert wird, dann kann die hessische Landesregierung das entscheiden.
Appelmann: Ein weiterer Schutz der hochbetagten Menschen bei uns im Land ist die sogenannte Booster-Impfung, also die Auffrischungsimpfung. Wir haben in Deutschland so ungefähr 10 Millionen Menschen in dieser vulnerablen Gruppe und erst ein Viertel ist da geimpft und hat den dritten Pieks bekommen, sozusagen. Wie wollen Sie da Fahrt aufnehmen?
Hoch: In der vergangenen Woche haben wir unser Fünf-Punkte-Programm vorgestellt, wie wir zu mehr Booster-Impfungen kommen. Die beinhaltet zum Beispiel zusätzliche mobile Impfteams neben der Regelversorgung. Sowohl die Kassenärztliche Vereinigung – wir haben gerade den Präsidenten gehört -, also auch die der Hausärzteverband, sagten, sie schaffen das im Regelsystem. Wir bieten über 500 Impfbus-Termine noch bis Jahresende an und wir werden diese Woche noch Krankenhausstandorte benennen, wo man sich auch ohne Termin vor Ort, quasi wie in einem stationären Impfbus impfen lassen kann, zu mehr Bewusstsein kommen.
Sie müssen aber auch sehen, es müssen sechs Monate vergangen sein nach der zweiten Impfung und wir sind jetzt Anfang November. Vor sechs Monaten hatten wir noch keine wahnsinnig gute Zweitimpfquote in Deutschland. Das fing dann erst an, schneller zu wachsen, und deswegen werden die Impfungen zunehmen. Wir haben jetzt auch schon einen Anteil von 8,5% der über 60-Jährigen, die sich haben boostern lassen.
Appelmann: Noch ganz kurz der Ausblick. Bis Weihnachten ist nicht mehr lange. Wie wird das Weihnachten in diesem Jahr aussehen? Wird es wieder kein Fest der Familie sein?
Hoch: Ich gehe fest davon aus, dass wir ein Fest der Familie an Weihnachten haben können. Und in den meisten Familien fand es ja auch im vergangenen Jahr statt. Es gab Appelle und die allerallermeisten Menschen in Rheinland-Pfalz und in Deutschland sind sehr fürsorglich damit umgegangen. Sie haben sich getestet, bevor man sich trifft.
Das ist ohnehin auch jetzt schon vernünftig und angezeigt, sich immer mal wieder selbst zu testen, auch wenn man geimpft ist. Und letztes Jahr haben wir gesehen, nach Weihnachten haben die Zahlen eher abgenommen, weil die Menschen sich zwar in den eigenen Familien getroffen haben, aber ansonsten weniger soziale Kontakte hatten. Und damit rechne ich in diesem Jahr auch wieder.
Appelmann: Noch ganz kurz zum Schluss: Die Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz, Daniela Schmitt von der FDP, hat einen Lockdown für Geimpfte und Genesene ausgeschlossen. Tun Sie das auch?
Hoch: Wir haben uns in unserer aktuellen Verordnung festgelegt, dass die Maßnahmen vor allem die Ungeimpften treffen. Wir wissen aber noch nicht, wie sich die Pandemie entwickelt. Aber ein Lockdown in dem Sinne, wie wir im vergangenen Jahr kannten, sehe ich auch in Rheinland-Pfalz nicht.
Appelmann: Sagt der Gesundheitsminister von Rheinland-Pfalz, Clemens Hoch. Danke, dass Sie bei uns waren.
Hoch: Danke auch.