Das Schicksal der „Kofferkinder“

In den 60er und 70er Jahren sind Millionen Menschen aus der Türkei, Griechenland und Italien nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten. Die Geschichte dieser sogenannten Gastarbeiter ist weitgehend bekannt. Unbekannt sind jedoch die persönliche Schicksale dahinter, denn die Männer und Frauen haben oft Kinder zurückgelassen, die erst Jahre später nachgekommen sind. Die Geschichten dieser sogenannten „Kofferkinder“ werden jetzt in Ludwigshafen erzählt.

„Meine Eltern versuchten ihre Liebe in Briefe zu packen. Aber das reichte mir nicht. Briefe atmen nicht, Briefe lachen nicht und schimpfen nicht, Briefe sehen dich nicht an. Briefe geben dir keine Wärme und umarmen dich nicht.“
Ein Schicksal von 700.000 Kindern, allein aus der Türkei. Festgehalten in Aquarellportraits von Fatma Biber-Born. Durch Fotografien und Erzählungen bekam die Künstlerin Zugang zu Themen, über die Jahrzehnte nicht gesprochen wurde.
Fatma Biber-Born, Künstlerin
„Erst wo sie jetzt über 40, 50 sind, denken sie auch darüber nach, was für ein Leben sie gelebt haben. Deswegen redet man jetzt auch ein bisschen mehr.“
So wie Hasan Özdemir und Aysel Sevda Mollaoğullari. Sie sind in der Türkei ohne ihre Väter aufgewachsen. Die haben in Deutschland gearbeitet. Eigentlich nur für ein paar Jahre, dann sind sie doch geblieben. Erste Jahre später wurden die Kinder nachgeholt.
Aysel Sevda Mollaoğullari, Kofferkind
„Mein Vater. Ich kannte ihn als Erzeuger, habe ihn immer mal wieder in den Urlauben gesehen und das war es. Und irgendwann als ich nach Deutschland kam und mich entschieden habe hier zu bleiben, war er für mich ein Fremder und ich war auch für meinen Vater eine Fremde. Bis zu seinem Tode waren wir nicht Vater und Tochter, wir waren einfach zwei Menschen, die biologisch zueinander gehören. Mehr war da nicht.“
Hasan Özdemir erinnert sich, wie sehr er sich gefreut hat, in Ludwigshafen zu sein. Als einer von vielen mit einer ähnlichen Geschichte. Doch viele hatten große Probleme die Sprache zu lernen, denn es gab nur wenige Deutschkurse.
Hasan Özdemir, Kofferkind
„Dann gab es da Schulprobleme. Ich habe in der Türkei schon mein Abitur abgeschlossen. Hier wurde mein Abitur als Hauptschulabschluss anerkannt. Und da musste ich einiges dafür tun, weil ich unbedingt studieren wollte.“
Doch bis heute fällt es Betroffenen schwer über das Thema zu reden. Viele Kinder, die Fatma Biber-Born gemalt hat, wollen anonym bleiben.
Aysel Sevda Mollaoğullari, Kofferkind
„Ich hatte dieses Thema für mich abgehakt. Ich wollte damit nicht konfrontiert werden. Man möchte das, glaube ich, auch nicht. Man möchte, dass Ruhe einkehrt in dem Leben und einfach irgendwo anzukommen, irgendwo Teil einer Gesellschaft zu sein, anzupacken.“
Geschichten und Probleme, die sich nach Ansicht von Fatma Biber-Born heute wiederholen. Denn aktuell kommen wieder viele Arbeitsmigranten nach Deutschland. Sie möchte, dass durch die Bilder und Zitate mehr Verständnis und Dialog entsteht.“
Fatma Biber-Born, Künstlerin
„Das ist deutsche Geschichte ja. Es muss mehr Dialog geben und wir sollten uns nicht in irgendwelche Schachteln reinschieben. Die und wir. Sondern wir gehören ja zur deutschen Gesellschaft und es soll mehr Dialog geben und über den Anderen mehr wissen, damit man keine Vorurteile hat.“
Bis zum 14. April kann die Ausstellung in Ludwigshafen besucht werden. Für einen Blick hinter die Kulissen der Migrationsgeschichte.