Das SAT.1-Sommerinterview mit Günter Rudolph (SPD)

Heute stellt sich Günter Rudolph, der hessische SPD-Fraktionsvorsitzende, den Fragen von Eva Dieterle.

Eva Dieterle, Moderatorin: Herzlich Willkommen zur 17:30 Sat.1 live. Hier auf unserer Dachterrasse unterm Sonnensegel bei 18 Grad lässt es sich wunderbar über Politik diskutieren. Und das tue ich jetzt mit meinem heutigen Gast. Den gibt es schon lange in der hessischen Landespolitik, zum Sommerinterview ist er allerdings zum ersten Mal hier bei uns: Günter Rudolph von der SPD. Herzlich willkommen!
Günter Rudolph, SPD, Fraktionsvorsitzender Hessen: Herzlich willkommen, Frau Dieterle!
Dieterle: Herr Rudolph, wir schauen uns ganz zu Beginn, bevor wir gleich ins Interview starten, mal an, wie es dazu gekommen ist, dass Sie heute hier sind. Ein kurzes Porträt.
Ein unerwarteter Karrieresprung mit 65. Nicht vielen Politikern gelingt, was Günter Rudolph gelungen ist. Nach vielen Jahren als Parlamentarischer Geschäftsführer der hessischen SPD-Fraktion übernimmt er den Chefsessel, weil die bisherige Fraktionschefin Nancy Faeser als Innenministerin in die Bundesregierung berufen wird. Aus dem Fraktionsmanager wird der Oppositionsführer. Ein Selbstläufer ist das nicht. Die Wahl gewinnt er nur knapp gegen die 25 Jahre jüngere Lisa Gnadl. Und so findet sich Günter Rudolph als parlamentarischer Widerpart des neuen Ministerpräsidenten Boris Rhein wieder und muss in der Konfrontation mit ihm den Boden für die Landtagswahl 2023 vorbereiten. Und zwar so, wie er selbst die Nordhessen beschreibt: schüchtern, sensibel und zurückhaltend.
Dieterle: Ja, Sie sind im Hessischen Landtag Oppositionsführer, haben es seit kurzem mit einem neuen Ministerpräsidenten zu tun, mit Boris Rhein von der CDU. Macht das die Oppositionsarbeit jetzt schwieriger?
Rudolph: Die Aktion „Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten“ war eine machtpolitische Angelegenheit. Herr Bouffier war amtsmüde. Man hat sich nach langem Ringen auf Herrn Rhein geeinigt. Und persönlich wünsche ich Herrn Rhein alles Gute, dass er bis zum 17. Januar 2024 Ministerpräsident bleibt, aber dass dann jemand aus der sozialdemokratischen Partei ihn beerben wird. Daran arbeiten wir in der SPD-Landtagsfraktion und deswegen wird es eine spannende Auseinandersetzung in den nächsten anderthalb Jahren.
Dieterle: Man hört ein bisschen Sympathien auch heraus. Liegt das daran, dass er Landtagspräsident war und da so ein bisschen überparteilich auch agiert hat?
Rudolph: Man muss aber trennen. Das Amt des Landtagspräsidenten ist es, die Rolle des Landtages als Verfassungsorgan hervorzuheben. Das war in den letzten Jahren nie der Fall. Die Landesregierung hat das Parlament nicht richtig ernst genommen. Aber Herr Rhein ist jetzt Ministerpräsident. Er hat ja selber gesagt, er will den Machtanspruch der CDU erhalten. Und der Ansatz der SPD ist es, nach dann 25 Jahren Regierungsverantwortung zu übernehmen. Weil es liegt etwas wie Mehltau über diesem Land. Viele Probleme sind ungelöst. Und Herr Rhein ist Teil dieser CDU. Er ist seit ’99 Abgeordneter. Er trägt die Verantwortung für viele Fehlentscheidungen. Insofern: in der Sache harte Auseinandersetzung, aber nicht persönlich verletzend. Und so gehen wir die Aufgabe gemeinsam an.
Dieterle: Immerhin ist die CDU damit der SPD einen Schritt voraus, denn sie hat mit Herrn Rhein jetzt einen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Der fehlt der SPD ja noch.
Rudolph: Da können Sie ganz beruhigt und entspannt sein. Zu gegebener Zeit, so haben wir das intern festgelegt, wird entschieden, wer in Hessen die Spitzenkandidatur antritt. Und da bin ich sehr sicher, dass wir eine gute Alternative zu Herrn Rhein anbieten werden.
Dieterle: Sie sagen also, die Entscheidung muss bei der SPD noch fallen. Wobei man ja kürzlich den Eindruck hatte, dass Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht mehr wisse. Sie sagte: „Ich setze darauf, dass Nancy Faeser im nächsten Jahr nicht nur Spitzenkandidatin der SPD in Hessen wird, sondern auch erste Ministerpräsidentin in Hessen“. Was haben Sie im ersten Moment gedacht, als Sie das gehört haben?
Dieterle: Da ich iNancy Faeser lange und gut kenne, weiß ich, sie ist eine ausgezeichnete Bundesinnenminister, sie muss viel anpacken, was unter Seehofer lange liegengeblieben ist, sie ist unsere Landesvorsitzende, wir arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen, und insofern ist sie eine ausgezeichnete Politikerin, und wir werden gemeinsam einen guten Lösungsvorschlag präsentieren. Wir werden eine Alternative zu Herrn Rhein deutlich machen. Und Frau Lambrecht soll sich um ihr Verteidigungsministerium kümmern, da hat sie genug zu tun.
Dieterle: Ist das nicht ein massives Foul von der Genossin auch aus dem eigenen Landesverband, dass sie diese Debatte jetzt zu dieser frühen Zeit angestoßen hat, was die hessische SPD ja gar nicht getan hätte?
Rudolph: Wir konzentrieren uns auf die Dinge, die jetzt anstehen, in Hessen für eine andere Politik, für eine bessere Politik zu werben. Und das ignorieren wir an der Stelle jetzt einfach mal.
Dieterle: Sie zeigen sich kämpferisch. Jetzt war es so, dass die SPD bei den Landtagswahlen in Hessen es immer schwer hatte. Im nächsten Jahr natürlich kein bisschen leichter, weil es gibt zum einen den neuen Ministerpräsidenten von der CDU, es gibt aber auch den erfahrenen Tarek Al Wazir, von den Grünen, dessen Partei gerade im Aufwind ist. Wie soll es der SPD gelingen, zu regieren?
Rudolph: Nach 23 Jahren jetzt CDU-Regierung ist viel liegengeblieben in Hessen. Wir brauchen eine ordentliche Infrastruktur in der öffentlichen Verwaltung. Es fehlt an Konzepten, wie soll es in der Schulpolitik weitergehen. Es fehlt an Konzepten im sozialen Bereich und das Thema „soziale und innere Sicherheit“ sind liegengeblieben. Wenn Untersuchungshäftlinge entlassen werden, ist das ein Skandal des Rechtsstaates. Dafür trägt die CDU und die Grünen in den letzten achteinhalb Jahren Verantwortung. Wir haben marode Straßen in Hessen. Der ÖPNV funktioniert nicht richtig. Das Land Hessen beteiligt sich mit 3% an der Finanzierung der Verkehrsverbünde. Ist das die grüne Verkehrswende? Herr Al-Wazir kümmert sich nicht um die Transformationsprozesse in der Arbeitswelt. Veränderungen. Er sagt, er hätte keine Zeit, vor Werktore zu gehen. Aber Menschen sind verunsichert. Was heißt das für meinen Arbeitsplatz? Bekommt mein Sohn noch einen Ausbildungsplatz? Konkrete Fragen Wie sieht es aus mit der Krankenhausversorgung? Also viele Dinge, die offen sind und deswegen Ja, die Menschen brauchen Antworten auf drängende Zukunftsfragen. Die gibt es weder von der CDU noch von den Grünen.
Dieterle: Leicht wird es sicher nicht bei der nächsten Landtagswahl. Herr Rudolph, wir kommen jetzt mal von der Hessen-SPD zur Bundes-SPD. Wie steht es um die SPD?
Ja, werfen wir noch einmal den Blick zurück – ins vergangene Jahr: Wie Phönix aus der Asche erhob sich die SPD aus tiefem Tal hinauf ins Licht. Olaf Scholz gewann die Wahl. Er schwieg sich geradezu hinein ins Kanzleramt.- Viele wähnten, nun beginne ein sozialdemokratisches Jahrzehnt. Doch dieses Jahrzehnt währte nur einige Monate. Derzeit liegt die SPD im Bund deutlich hinter den Grünen, deren Minister Baerbock und Habeck den eher verschlossen und überbesonnen wirkenden Kanzler in der Gunst der Bürger hinter sich gelassen haben.
Die Krisen Ukraine, Inflation und Energie – sie zahlen ein auf das grüne Konto – und auch auf das Konto der CDU unter Friedrich Merz. Und ein weiterer Schlagschatten fällt auf die Genossen: In Kiel wie auch in Düsseldorf fanden CDU und Grün schon fast wie selbstverständlich zusammen. Und auch das schwarz-grüne Bündnis in Hessen zeigt noch keine Spuren gegenseitiger Abnutzung. Es gibt offenbar noch viel zu tun, bevor in der hessischen Staatskanzlei wieder ein roter Wind wehen könnte!
Dieterle: Ja, Hessen gilt als die Schmiede von Schwarz-Grün und Volker Bouffier als Architekt des Ganzen. Jetzt haben wir auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen schwarz.grüne Regierungskoalitionen. Ist denn ein Bündnis zwischen SPD und Grünen aus der Mode gekommen?
Rudolph: Das werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Und abgerechnet wird übrigens am Wahltag und nicht vorher. Die Grünen haben wenige Monate vor der Bundestagswahl auf Platz eins gelegen. Am Schluss sind sie dann Dritter geworden. Da warten wir mal in aller Ruhe und Gelassenheit ab. Die zentralen Fragen sind doch: Wie können wir die Energieversorgung sicherstellen? Wie geht es mit den Auswirkungen des Ukrainekrieges weiter? Menschen sind verunsichert. Da müssen wir Antworten geben. Und was heißt das für die sozialen Spannungen in diesem Land? Wir müssen auch dafür sorgen, dass diejenigen, die nicht so hohe Einkommen haben, auch entsprechend die Energiepreise bezahlen können, höhere Lebensmittelpreise, also riesige Herausforderungen und da ist es schon gut, und richtig, mit Olaf Scholz einen besonnenen Bundeskanzler zu haben. Und die Grünen werden deutlich über Wert dargestellt, wenn ich das Thema Waffenlieferungen an die Ukraine nehme. Vorher durfte keine Waffe geliefert werden, jetzt machen die Grünen eine Kehrtwende und das finden viele ganz toll. Also sehr merkwürdig. Sie müssen in der Politik und dürfen nicht beliebig werden. Das werden wir nicht als SPD und deswegen wird das eine große Herausforderung. Aber wir sind bereit, für unsere Ziele und für unsere Programmatik zu werben.
Dieterle: Sie haben Olaf Scholz gelobt. Jetzt hat man bei den Landtagswahlen, die jetzt nun mal schon über die Bühne gegangen sind, keinen Rückenwind gespürt. Eher eine Belastung, denn es gab durchaus herbe Verluste für die SPD in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.
Rudolph: Ja, vorher haben wir im kleinsten Bundesland, im Saarland, souverän gewonnen. Wir haben die Landtagswahlen in Rheinland Pfalz erfolgreich bestritten. Das hängt auch immer mit Führungspersönlichkeiten zusammen. Ja, es heißt ja, Politik muss erklären, welche Maßnahmen man macht. Das stimmt. Aber Politik darf auch nicht zum reinen Schauspiel verkommen. Und vor allem muss man verlässlich und berechenbar sein. Und dafür steht die SPD. Insofern werden das schwierige Fragen. Aber wir sind bereit, darauf die Antworten zu geben.
Dieterle: Ich möchte noch mal bei Olaf Scholz bleiben. Die Beliebtheitswerte von Olaf Scholz sind im Sinkflug. Sein Scheitern bei der allgemeinen Corona-Impfpflicht, seine zögerliche Unterstützung der Ukraine, seine Entlastungspaket gegen die Inflation, bei der Rentner und Studenten vergessen worden sind, das alles ist doch keine Werbung für die SPD.
Rudolph: Olaf Scholz entscheidet schon mal gar nichts allein, sondern er braucht immer auch die Zustimmung im Bundestag und der Koalitionspartner. Beim Thema Impfen, da war die CDU vehement dagegen, was ich für völlig falsch halte. Ich persönlich bin für eine Impfpflicht und von daher sind das Herausforderungen, die gemeinsam angegangen werden müssen. Die SPD hat nicht die absolute Mehrheit. Wir haben zwei weitere Koalitionspartner mit zum Teil völlig unterschiedlichen Gegensätzen. Wenn ich das Thema Impfen bei der FDP anschaue. Die Grünen vertreten andere Positionen in anderen Bereichen. Ist seine Aufgabe als Kanzler das zusammenzuführen. Und das kann er nicht allein. Ich bin sehr sicher Auf Sicht wird die ruhige, besonnene Art von Olaf Scholz sich durchsetzen.
Dieterle: Na gut, das lassen wir so stehen. Und kommen jetzt zu einem Mann, der definitiv gerade keine Werbung für die SPD ist, und das ist Peter Feldmann, aktuell noch Oberbürgermeister, einer der wichtigsten hessischen Städte, und zwar von Frankfurt. Nach der Anklage wegen Korruptionsverdacht reihten sich gleich mehrere umstrittener Auftritte aneinander. Es folgten unzählige negative Schlagzeilen und schließlich hat Feldmann, als der Druck zu groß geworden ist, dann seinen Rücktritt erklärt. Und er hat sich heute auch noch mal persönlich dazu geäußert. Und da hören wir jetzt mal rein.
Peter Feldmann, SPD, Oberbürgermeister Frankfurt (Main)
„Aus dem Kreis der Fraktionen ist vor einigen Wochen der 31. Januar ins Spiel gebracht worden. Auch da musste ich erst mal trocken schlucken. Weil ich ja einen anderen Plan hatte. Bekanntermaßen. Ich bin direkt gewählter Oberbürgermeister bis Mitte ’24. Ich habe mich trotzdem am Ende darauf eingelassen, weil ich fest überzeugt bin, dass Frankfurt diese Einigung braucht, dass man zurückkehren muss zu den Inhalten. Und das Ziel ist der 31. 01. Egal in welchem Verfahren, in welchen Maßstäben, welchem Rahmen. Das Ziel ist der 31. 01..“
Dieterle: Ja, wie sehr belasten denn seine Skandale und auch diese späte Rücktrittserklärung auch die hessische SPD?
Rudolph: Zunächst mal ist es eine Angelegenheit in Frankfurt, der größten Stadt in Hessen, und Herr Feldmann hat viel Vertrauen verspielt. Und es gibt ja auch einen Abwahlantrag und deswegen ist Herr Feldmann nicht mehr für das Amt des Oberbürgermeisters geeignet. Es gibt jetzt schon die rechtlichen Möglichkeiten. Er könnte gegenüber dem Stadtparlament erklären, ob er noch das Vertrauen hat. Wenn das nicht mehr der Fall ist, kann dann in Ruhestand versetzt werden. Das kann er jetzt auf den Weg bringen und nicht erst im Januar. Insofern ist es auch persönliche Entscheidung von Herrn Feldmann. Und sein Fehlverhalten lassen wir uns als SPD nicht anrechnen. Er hat viel Vertrauen verspielt, und das merkt man ja auch. Er hat auch keinen Rückhalt in der Stadtgesellschaft mehr. Insofern ist der Rücktritt konsequent, aber auch notwendig.
Dieterle: Sie sagen, er könnte gleich zurücktreten. Viele sagen, er hätte viel früher zurücktreten müssen. Wie stehen Sie dazu?
Rudolph: Das ist eine Entscheidung, die er zu verantworten hat. Die SPD hat vor Wochen und Monaten schon gesagt, dass Herr Feldmann nicht mehr tragbar ist, und insofern, je früher er zurücktritt, umso besser für die Stadt.
Dieterle: Sie haben die Ukraine gerade schon mehrfach angesprochen. Das zeigt, wie wichtig dieses Thema ist. Und deswegen schauen wir jetzt auch auf den Ukrainekrieg und seine Folgen.
Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende, so Bundeskanzler Olaf Scholz wenige Tage später in einer Regierungserklärung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Olaf Scholz, SPD, Bundeskanzler
„Das ist menschenverachtend. Das ist völkerrechtswidrig. Das ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen.“
Die Zeitenwende soll bei der SPD vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik sichtbar werden. Denn Gewissheiten von früher gibt es nach Putins Angriff nicht mehr. Und so hat mit dem Krieg in der SPD eine Debatte über einen neuen Umgang mit den Großmächten Russland und China begonnen. Generalsekretär Lars Klingbeil wirbt für eine Kurskorrektur: Die Abhängigkeiten gegenüber den beiden Großmächten müssten deutlich reduziert werden. Unterdessen reagiert Russland schon und reduziert die Gasmenge, die nach Deutschland exportiert wird. Auf die gestiegenen Energiekosten reagiert die Bundesregierung mit einem Entlastungspaket: Eine Spritpreisbremse sowie ein 9-Euro-Monatsticket im Nahverkehr sollen die Bürger entlasten. Doch Ende August laufen diese Maßnahmen aus und wie es danach weitergeht, steht in den Sternen.
Dieterle: Herr Rudolph, Sie haben bei mir im Studio mal gesagt, wenn man lange in der Politik dabei ist, dann gibt es immer wieder Überraschungen. Ja, dieser Krieg, der ist eine der traurigsten, oder?
Rudolph: In der Tat, es war so nicht vorstellbar. Für mich auch persönlich. Und von daher stehen wir vor riesengroßen Herausforderungen. Der Krieg ist noch nicht zu Ende, aber wir merken schon massive Auswirkungen. Wir sind abhängig von Öl und Gas, von den fossilen Brennstoffen, und wir müssen autarker, unabhängiger werden und ist eine der Konsequenzen, wir merken es, wenn Produktions- und Lieferketten unterbrochen werden. Aber Menschen haben auch Ängste. Krieg in der Ukraine, 12 – 1300 kilometer von uns entfernt. Bisher war Krieg immer woanders, aber jetzt ist er sichtbar. Und deswegen müssen wir sehen, dass erstens dieser Krieg beendet wird und dass wir dann natürlich auch der Ukraine beim Wiederaufbau helfen können. Wir haben eine Menge an Hilfsbereitschaft, das ist das positive Signal, aber wir merken, wie spannungsgeladen die Welt auch ist. Und wir müssen natürlich fragen: Was haben wir in der Vergangenheit richtig oder falsch gemacht? Frau Merkel war 16 Jahre Bundeskanzlerin. Ja, die Sicherheit wird im Fokus stehen und deswegen ist es richtig, die Bundeswehr auch wieder so aufzubauen, dass wir handlungsfähig sind. Auch da sind Fehler passiert worden in den letzten Jahren.
Dieterle: Sie haben gerade Frau Merkel angesprochen, ich möchte aber auch noch mal auf die Rolle der SPD in diesem Zusammenhang schauen. Die SPD hat jahrzehntelang in der Außenpolitik versucht, einen politischen Wandel durch Handel herbeizuführen. Das ist ja mit Russland offensichtlich gescheitert. War das aus heutiger Sicht nicht ein schwerer Fehler? Sehen Sie auch bei der SPD Fehler?
Rudolph: Natürlich muss man selbstkritisch auch immer fragen: Was haben wir richtig / falsch gemacht? Ich bin aber nicht bereit, die Ostpolitik von Willy Brandt per se über Bord zu werfen, sondern das war ein Entspannungsansatz, der richtig war. Was wir gelernt haben durch den Ukrainekrieg: Putin ist offensichtlich nicht berechenbar. Und vielleicht hätte man nach dem Eingriff in die Krim schon deutlicher machen müssen, das akzeptiert der Westen nicht. Deswegen ist es wichtig, dass Deutschland in der Staatengemeinschaft, der NATO, der EU gemeinsam mit den anderen Bündnispartnern agiert. Was wir auch tun. Wir unterstützen die Ukraine mit Waffen, wir helfen wirtschaftlich. Insofern ja, die Sicherheitspolitik muss so ausgerichtet werden, dass ein Aggressor wie Putin nicht so weitermachen kann. Aber das wird Deutschland nicht alleine schaffen. Insofern ja eine Zeitenwende. Ja, wir müssen schauen, was haben wir falsch gemacht. Aber ich bin per se nicht bereit, alles über Bord zu werfen. Die SPD war nie allein. Frau Merkel war 16 Jahre Bundeskanzlerin. Insofern macht man sich an der Stelle auch zu einfach. Aber Menschen haben Zukunftsängste, haben Ängste, „Können wir noch in Sicherheit leben?“ und darauf müssen wir eingehen und Antworten geben.
Dieterle: Aber diese massive Abhängigkeit vom russischen Gas, das war aus heutiger Sicht natürlich ein schwerer Fehler. Wir erleben das ja jeden Tag. Wie konnte das passieren?
Rudolph: Ja, weil wir uns darauf fokussiert haben. Öl und Gas ist relativ billig. Wir müssen einen konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien machen. Dann darf ich auch nicht wie die CDU in Hessen jedes Windrad bekämpfen. Also, das gibt es auch nicht zum Nulltarif. Und wir müssen bei der Energieeffizienz deutlich besser werden. Wir müssen mehr Anstrengungen unternehmen, unabhängiger, autarker zu werden. Das wir Flüssiggas, aus Katar beziehen, das ist ja auch nur eine Hilfskonstruktion – einem Staat, der alles andere als eine Demokratie ist. Insofern: Ja, die Abhängigkeit war ein Fehler. Ja, weil es preislich uns in den Kram gepasst hat. Und ja, da haben wir insgesamt als Gesellschaft, als Staat, als Politik Fehler gemacht.
Dieterle: Durch den Ukrainekrieg sind die Energiepreise drastisch gestiegen. Jetzt hat man, um den Bürger zu entlasten, einmal das 9-Euro-Ticket eingeführt und dann einmal die Spritpreise gesenkt. Das Ganze für drei Monate. Ist das nicht viel zu kurz?
Rudolph: Es wird ja auch in Berlin weiter über ein nächstes Entlastungspaket geredet. Und wir müssen schauen, bei denjenigen, die über extreme Energiepreissteigerungen, Lebensmittelpreissteigerung reden und sagen: „Wir können das nicht mehr bezahlen“, denen muss geholfen werden. Dann müssen wir schauen, dass die soziale Balance nicht auseinanderdriftet. Die höhere Einkommen haben, können das leichter verkraften als andere und daran muss gearbeitet werden. Weil, dass wir einen stabilen sozialen Wirtschaftsstaat haben in Deutschland unterscheidet uns von anderen Ländern, aber die sozialen Spannungen dürfen nicht zunehmen und deswegen muss es Antworten aus Berlin geben. Die Entlastung im ÖPNV ist eine, Zuschüsse für Energie, steigende Preise sind das andere. Also insofern weiteren Handlungsbedarf. Das wird in Berlin diskutiert.
Dieterle: Also auch über die drei Monate hinaus, sagen Sie.
Rudolph: Ja.
Dieterle: Gehört es nicht auch zur Wahrheit dazu, dass einfach nicht alle Belastungen durch Steuermilliarden abgefedert werden können?
Rudolph: Ja, wir müssen sehen, dass der Staat handlungsfähig bleibt, dass wir auch den nächsten Generationen nicht nur Schulden hinterlassen. Und deswegen ist auch eine Frage: Wie finanzieren wir das? Wir könnten uns als SPD schon vorstellen, das ist eine alte Forderung, dass man im Bereich der Erbschaftssteuer – es werden in den nächsten Jahren gigantische Milliarden vererbt -, dass diejenigen, die hohe Erbsummen vererben, dass man die auch besteuert entsprechend. Also das sind Ansätze, wie kann der Staat auch etwas finanzieren? Und der Staat muss natürlich schauen, wie kann er effizienter arbeiten. Also insofern gibt es durchaus Dinge. Wir haben aber auch in vielen Bereichen einen Investitionsbedarf. Nehmen Sie nur den Bereich der Schiene, jahrelang nichts investiert. Nehmen Sie den Bereich der Straße. Insofern muss ein Staat auch immer handlungsfähig sein und von daher muss das vernünftig miteinander austariert werden. Aber ich gehöre nicht zu denen, die sagen, Schulden spielen keine Rolle und egal, wer das bezahlt. Wir haben auch eine Verantwortung für die nächsten Generationen.
Dieterle: Und wir keine Zeit mehr, im Sommerinterview jetzt noch auf Erbschaftssteuer und die anderen Sachen einzugehen, denn wir sind quasi am Ende unseres direkten Interviewteils. Aber jetzt kommen noch die schnellen Fragen. Es ist gute Tradition bei uns. Sie bekommen jetzt von mir schnelle Fragen ein bisschen persönlicher Natur und ich bitte Sie um spontane Antworten.
Ihre Reden gelten als die lautesten und energischsten im hessischen Landtag. Ist das die Leidenschaft für die Politik?
Rudolph: Ja. Ohne Empathie, glaube ich, kann man keine Politik erklären und machen.
Dieterle: Gehen da manchmal auch die Pferde mit Ihnen durch?
Rudolph: Selten.
Dieterle: Sind Sie froh, dass es bei der nächsten Wahl mal nicht um den ewigen Bouffier geht?
Rudolph: Ich freue mich auf jede demokratische Auseinandersetzung.
Dieterle: Okay, Kennen Sie das genaue Datum, seit wann Sie Landtagsabgeordneter sind?
Rudolph: Ja, 05.04.1995.
Dieterle: Sagenhaft. Okay, habe ich jetzt nicht mit gerechnet. Ich habe es mir extra aufgeschrieben. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie ordentlich sind Sie?
Rudolph: Acht.
Dieterle: Okay. Also schon ziemlich, ziemlich ordentlich. Ihren Vornamen, Günter schreibt man ohne H. Wie oft lesen Sie ihn mit H?
Rudolph: Oft genug.
Dieterle: Und nervt Sie das?
Rudolph: Selten.
Dieterle: Passiert beim Nachnamen wahrscheinlich auch öfter, oder? Weil denen schreibt man ja mit H.
Rudolph: Mit H, aber den erlebe ich oft mit F.
Dieterle: Okay, also alles durcheinander. Wenn man Ihnen Karten für politische Comedy schenken würde, würden Sie hingehen?
Rudolph: Gerne.
Dieterle: Haben Sie Favoriten?
Rudolph: Nein. Ich höre gutes, intelligentes Kabarett sehr, sehr gerne.
Dieterle: Darf denn Satire alles?
Rudolph: Es gibt Grenzen der Satire. Wenn es persönlich verletzend wird, diskriminierend wird, dann geht Satire nicht.
Dieterle: Wie oft stehen Sie in der Woche abends am Herd?
Rudolph: Eher selten.
Dieterle: Eher selten? Das heißt aber, Sie können theoretisch kochen?
Rudolph: Etwas, aber es ist nicht so ausgeprägt.
Dieterle: Okay. Haben Sie Lieblingsessen?
Rudolph: Nein.
Dieterle: Also nicht, was Sie kochen, sondern was Sie gerne essen, wenn Sie eingeladen sind oder ähnliches.
Rudolph: Das ist schon eine relativ breite Bandbreite. Ich kann mir ein Fischgericht vorstellen, es kann auch ein schöner Salat sein. Es kann auch mal ein kleines Steak sein. Also die Palette ist durchaus vielfältig.
Dieterle: Also offen für alles. Ein Genussmensch. Herr Rudolph, das war es, unser Sommerinterview hier auf der Dachterrasse. Vielen Dank, dass Sie sich den Fragen heute gestellt haben.
Rudolph: Vielen Dank.