Das SAT.1-Sommerinterview mit Bernhard Braun (Bündnis 90 / Die Grünen)

Der rheinland-pfälzische Fraktionsvorsitzende der Grünen Bernhard Braun stellt sich den Fragen von Markus Appelmann.

Markus Appelmann, Moderator: Schön, dass Sie dabei sind. Hier ist eine neue Ausgabe der „17:30 Sat.1 Live“-Sommerinterviews und ich begrüße heute auf unserer Sonnenterrasse Bernhard Braun, den Fraktionschef der Grünen im rheinland pfälzischen Landtag.
Bernhard Braun, B’90 / Die Grünen, Fraktionsvorsitzender Rheinland-Pfalz: Ja, danke, dass ich da sein darf.
Appelmann: Herr Braun, es ist heute ein denkwürdiger Tag. Die Flutkatastrophe an der Ahr jährt sich. Das wird heute ein großes Thema bei uns sein. Aber zunächst lassen Sie uns gemeinsam auf Ihre Herausforderungen der letzten Monate schauen.
Es hätte ein richtig gutes Jahr werden können für Bernhard Braun und die rheinland-pfälzischen Grünen: Nach dem Erfolg bei der Landtagswahl folgt ein starkes Ergebnis bei der Bundestagswahl – ihre Spitzenfrau Anne Spiegel steigt sogar ins Bundeskabinett auf. Und dann fällt den Grünen die verheerende Flutnacht im Ahrtal auf die Füße. Anne Spiegel muss zurücktreten und auch Bernhard Braun, der sich lange hinter sie gestellt hat, gerät in die Schusslinie. Weil er in der Flutnacht in engem Kontakt mit Anne Spiegel stand, fordert die Opposition seinen Ausschluss aus dem Untersuchungsausschuss. Auch wenn sie sich damit nicht durchsetzen kann: Bernhard Braun ist angeschlagen. Früher als geplant will er den Fraktionsvorsitz abgeben. „Ich habe immer gesagt, ich will in dem Amt nicht 65 werden“.
Appelmann: Da hat er gerade eben noch mal kräftig genickt hier auf der Sonnenterrasse. Joe Biden ist erst mit 78 US-Präsident geworden, Olaf Scholz wird mit 65 immer noch Bundeskanzler sein und Sie treten ab mit 65. Warum?
Braun: Ja, Sie müssen sehen, ich mache den Job im Fraktionsvorstand der Grünen in Mainz jetzt seit über 20 Jahren. Ich habe kurz überschlagen, das sind fast 1.000 Sitzungen, die ich im Fraktionsvorstand gemacht habe und wo ich auch die Grünen mit gelenkt habe. Ich glaube, dann reicht es auch mal Wir haben junge Leute, die endlich auch in Führungspositionen kommen sollen und kommen können. Und ich will jetzt nicht wie Joe Biden oder andere – Sie könnten auch Inder nennen, die mit 90 noch Führungskräfte waren – ich will nicht in der ersten Reihe stehen. Ich glaube, das, was ich geleistet habe, und was wir geleistet haben in der Zeit, lässt sich sehen, und wenn es am schönsten ist, muss man gehen. Jetzt ist es vielleicht gerade nicht am schönsten. Gerade heute ist nicht der schöne Tag aber das war lange vorher geplant und hat jetzt auch mit den neuen Entwicklungen nichts zu tun. Wir hatten immer gesagt, wir wählen zur Mitte und das machen wir jetzt und ziehen es ein bisschen vor, damit die Sommertouren im nächsten Jahr schon vom neuen Vorstand gemacht werden können.
Appelmann: Sie haben es eben erwähnt, heute ist kein schöner Tag, denn heute jährt sich die Flutkatastrophe an der Ahr zum ersten Mal, die verheerende Flut, bei der 134 Menschen ihr Leben verloren. Ganze Häuser, Brücken, Straßen und Autos wurden mitgerissen auf einer Strecke von 40 Kilometern. Zehntausende verloren ihr Hab und Gut, ihr Heim, ihre Existenzgrundlage. So auch Familie Keutgen aus Mayschoß. Wir haben sie wiedergetroffen und haben gesehen, da ist noch viel zu tun. Da sind noch viele Fragen offen.
Zu sehen, was von ihrem einstigen Zuhause übriggeblieben ist, schmerzt Gisela Keutgen sehr. Vor über 20 Jahren hat sie das Haus gekauft, kernsaniert und zuletzt selbst zehn Jahre darin gewohnt. Nun bleibt der Rentnerin nur die Erinnerung, denn giftiger Unrat, Öl und Schimmel haben das 250 Jahre alte Fachwerkhaus stark beschädigt und die Einrichtung zerstört.
Gisela Keutgen, Hausbesitzerin aus Mayschoß
„Das Haus ist jetzt im Grunde entkernt. Wir warten noch auf Container. Wenn wir das raus haben, dann kommt die Abrissbirne. Das ganze Jahr ist schnell vergangen, aber meistens mit Wartezeit, ne. Es ist schwer, aber wir müssen da durch.“
Das Wasser, es stand bis in den ersten Stock, wie diese Aufnahmen kurz nach der Flut zeigen. Ohne die vielen Helfer hätte es Gisela Keutgen wohl nicht geschafft. Doch nun heißt es für die 72-Jährige und ihren Sohn Thomas wieder einmal: warten. Auf die Genehmigung für den Neubau. Und auf Geld von der Investitions- und Strukturbank. Die Versicherung bezahlt nur die Hälfte des Wiederaufbaus. Im Erdgeschoss verkaufte die Familie Registrierkassen und modernisierte die Geschäftsräume für 70.000 Euro, nur wenige Monate vor der Flut.
Thomas Keutgen, Firmeninhaber
„Leider ist das für die Katz gewesen. Man hat am Anfang nur die Tränen in den Augen gehabt. Man wusste nicht, wie’s weiter geht. Im Moment bin ich umgezogen in Mieträume, von da aus arbeite ich jetzt. Wenn mehr Geld zur Verfügung stehen sollte, als jetzt im Moment zugesagt ist, dann wird noch mehr aufgebaut oben. Dann könnte ich mir vorstellen, mit der Firma auch wieder hierher zurückzukommen.“
Auch nach einem Jahr herrscht bei Familie Keutgen noch viel Ungewissheit. In Mayschoß wurden rund 30 Häuser abgerissen. Noch immer fehlt es an grundlegender Infrastruktur, öffentlichen Plätzen und Einrichtungen, Sport- und Freizeitangeboten, auch für Touristen.
Über die Lage im Ahrtal informieren sich heute Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Dieses Weinlokal in Altenahr kann nach aufwändiger Renovierung morgen wieder öffnen. Doch viele Betroffene warten immer noch auf Hilfe.
Frank-Walter Steinmeier, SPD, Bundespräsident
„Auch deshalb bin ich heute am Jahrestag des Grauens der Flut wieder hier, um zu signalisieren: Wir haben die Menschen im Ahrtal nicht vergessen und wir wissen, wie viele noch ringen mit dem Wiederaufbau ihrer Wohnungen und Häuser.“
Landesweit wird heute den Flutopfern und Betroffenen gedacht. Gisela Keutgen wohnt aktuell in diesem Tiny House, das sie für 400 Euro im Monat von der Verbandsgemeinde Altenahr mietet. Ein provisorisches Leben auf 35 Quadratmetern, seit einem halben Jahr. Wie viele Wochen und Monate noch folgen werden, weiß Gisela Keutgen nicht.
Appelmann: Das ist ein Fall, Herr Braun, ein Fall von vielen. Mit welchen Gefühlen begehen Sie heute diesen ersten Jahrestag als Mitglied der Regierungspartei?
Braun: Wir wussten am 14. Juli vor einem Jahr, dass es einen Starkregen geben wird. Die Warnungen waren ja vor Ort. Es waren fünf Meter angesagt bei der Ahr und jeder wusste, dass das mehr ist, als es jemals gab. Und das war auch vor Ort bekannt. Ich kann nur sagen, wir hätten es nicht verhindern können, dass die Häuser weggerissen werden. Wir hätten vielleicht eine bessere Klimapolitik zehn Jahre, 20 Jahre vorher machen können, aber den Starkregen …
Appelmann: Aber auch besseres Krisenmanagement muss man auch dazu sagen.
Braun: Den Regen und die Auswirkungen hätten wir nicht verhindern können. Alle Zeugen haben gesagt, der Regen und das Wasser dann kam von allen Seiten Es war kein Hochwasser, sondern eine Flutkatastrophe. Alle Helfer haben gesagt, sie konnten nicht mehr retten. Aber man hätte vorher evakuieren können und die Evakuierungsaufgaben lagen im Landkreis. Und es war klar, dass evakuiert werden müsste. Andere Kreise haben das auch geschafft. Es gab einen Toten in anderen Bereichen. Wir hätten bestimmt auch nicht alle Leben retten können. Aber natürlich – ich schlafe oft nachts nicht ein oder wache auf mit Träumen aus dem Ahrtal, was hätten wir besser tun können, um Menschenleben zu retten? Die Katastrophe mit den Häusern, die Katastrophe mit den Häusern und mit der Zerstörung hätten wir nicht verhindern können. Der Regen kam einfach.
Appelmann: Lassen Sie uns über einige Details in diesem Zusammenhang sprechen. Die Opposition wollte Sie aus dem Ausschuss werfen, der diese Flutkatastrophe aufarbeitet, denn Sie seien eng mit Personen verbunden, die sich möglicherweise falsch verhalten haben. Können Sie diese Ereignisse wirklich so neutral bewerten, wie es ein Ausschussmitglied tun muss?
Braun: Ja, natürlich. Ich war an dem Abend mit der Umweltministerin essen, und das ist ein Arbeitsgespräch gewesen. Die Personenschützer waren dabei. Frau Spiegel war die ganze Zeit erreichbar. Ich war auch die ganze Zeit erreichbar. Es war die letzte Landtagssitzung vor den Ferien, da muss der Fraktionsvorsitzenden mit der Ministerin ja reden und das müssen wir irgendwo tun. Und wie gesagt, es ist nachweisbar, weil ja auch die Polizei dabei war, dass wir beide erreichbar waren. Es hat aber niemand angerufen. Und deswegen, glaube ich, ist das, was vorgeworfen wurde und was jetzt auch zurückgezogen wurde, auch von der CDU, ohne Entschuldigung allerdings, der Vorwurf ist auf jeden Fall falsch.
Appelmann: Es hat niemand angerufen – hätte man nicht proaktiv vielleicht auch anrufen müssen als Umweltministerin?
Braun: Wir haben darüber geredet, wir wussten, dass der Innenminister vor Ort ist und wir haben darüber geredet und wir haben Zuständigkeiten noch einmal durchgespielt und wir haben uns natürlich beide darauf verlassen, dass vor Ort die Kräfte informiert sind. Das wusste man, das wusste man natürlich schon, weil wir hatten Plenarsitzung vorher, das wusste man um 19 Uhr auch schon. Da war der Innenminister ja schon unterwegs, da waren alle Staatssekretäre unterrichtet, darum wurde da auch nicht telefoniert, weil man persönlich im Gespräch war. Und dann war die Entscheidung, noch jemand vor Ort würde die Einsatzkräfte dort wahrscheinlich nicht entlasten, sondern belasten. Und deswegen war die Entscheidung klar.
Appelmann: Kommen wir zu den Aufbauarbeiten im Ahrtal. Bis Mitte Juni waren erst 37 Millionen Euro für den Wiederaufbau von Gebäuden im Ahrtal ausbezahlt. Fordert da die CDU nicht zu Recht, dass die Hilfe schneller und unbürokratischer erfolgen muss?
Braun: Das kann man immer fordern. Aber wir haben einen unbürokratischen Weg, der 20% zur Auszahlung bringt. Sie haben wahrscheinlich auch im Film jetzt gesehen, dass die Schwierigkeit ja darin besteht, überhaupt Kräfte zu bekommen, Handwerker zu bekommen, die dort vor Ort im Einsatz sind. Das müssen wir lösen. Ich glaube, das würde den Knoten eher durchschlagen als eine schnellere Auszahlung. 20% gibt es direkt und dann gibt es nach den 20% auch weitere. Und wir haben jetzt gesagt, in Härtefällen bis 40%. Also es ist nicht die Auszahlung, vielleicht ein Teil davon, aber nicht die Auszahlung allein die …
Appelmann: Aber das ist bei den Menschen schon ein Thema vor Ort. In Nordrhein Westfalen bekommen sie direkt 40%, in Rheinland Pfalz nur 20 und über den Härtefall dann 40%. Das verstehen die Menschen vor Ort nicht.
Braun: Ja, in Nordrhein Westfalen waren ja Wahlen zu der Zeit und dann wurde auf 40% erhöht. Wir haben jetzt auch gesagt, 40% ist machbar, wenn die erste Tranche nötig ist, um überhaupt Handwerker ins Haus zu bekommen. Und alle wissen, wenn man sozusagen den Bescheid hat, dass man das Geld bekommt, bekommt man nach den 20% auch weitere. Das ist dann kein weiterer Weg mehr, sondern da müssen nur die Rechnungen eingereicht werden. Ich glaube, wir müssen dem Ahrtal insofern eher helfen, dass wir versuchen, mehr Menschen dort aus anderen Regionen auch in die Aufbauarbeit mit zu integrieren. Und das versuchen wir im Moment. Aber sie können natürlich den Mangel an Fachkräften.
Appelmann: Herr Braun, jetzt kommen wir zu einer anderen Krise, die Deutschland immer mehr trifft. Es ist der Krieg in der Ukraine und da gibt es ein Mitglied der Regierungsparteien, das ganz klar die Probleme benennt und ganz verständlich kommuniziert.
Der neue grüne Bundeswirtschaftsminister spielt mittlerweile in einer ganz anderen Liga: Das, was er in die Mikrofone spricht – das ist eine neue Kommunikation. Er vermittelt durch seine Sprache persönliche Betroffenheit; so sprach schon lange keiner mehr zum Volk! Das kommt vor allem in den grünen Eliten an – unter dem Motto: Klartext – dann wird alles gut.
Doch was könnte denn gut werden? Habeck ist ehrlich – aber was kann sich Deutschland von dieser Ehrlichkeit kaufen? Natürlich kann Habeck nicht die Gashändler dieser Welt täglich persönlich durchtelefonieren – aber außer Kaltduschen und die Heizung runterdrehen fragen sich die Bürger zunehmend: Was wird hier konkret gemacht, von Seiten der Regierung eingeleitet? Was ist die Lösung? Warnen – das allein wird nicht reichen. Was ist mit den noch laufenden Kernkraftwerken? Was ist mit den Gasressourcen, die unterhalb von Deutschland durch Fracking geborgen werden könnten? Manche reden von Volumina, die 30 Jahre reichen – und wenn es nur 10 wären: Können wir darauf verzichten? Alles nicht schön – aber noch viel weniger schön ist, wenn Schott, BASF und Co von heute auf morgen ihre Produktion einstellen?
Es sind ganz enge Zeiten, auf die wir zugehen. Einen Vorgeschmack auf die Wut der Bürger gibt es im Osten zu besichtigen, Doch dieses Mal kann auch der Westen nicht kopfschüttelnd zuschauen. Auf die Regierung kommt ein heißer Herbst zu.
Appelmann: Ein heißer Herbst mit womöglich kalter Dusche, wie wir gerade eben gehört haben. Haben Sie Ihre Familie schon aufs Energiesparen eingeschworen?
Braun: Also, das ist ja klar, dass wir seit 20, 30 Jahren immer Energie sparen und ich habe mal gecheckt, was ich noch runterdrehen könnte. Also, die Wäsche im Freien Trocknen ich schon, kurz duschen habe ich mir auch angewöhnt. Ein E-Auto habe ich jetzt angeschafft und habe den Dienstwagen, der nicht „E“ ist, zurückgegeben, fahre also mit dem Privatwagen jetzt – aber das reicht alles noch nicht, um diese Krise, die Sie beschrieben haben, auch in den Griff zu bekommen. Wir hätten schneller Erneuerbare ausbauen müssen und die ganze Diskussion um Atomkraftwerke und anderes, ist ja eine Diskussion, die uns nicht weiterhilft, weil sie das Ziel verfehlt.
Appelmann: „Wir hätten“ – Sie waren ja letztlich in der Regierung in Rheinland Pfalz und hätten es tun können. Lassen Sie uns auf die aktuellen Ereignisse schauen. Momentan läuft durch Nord Stream 1 kein Gas mehr wegen Reparaturarbeiten und viele Menschen haben Angst, dass Putin den Gashahn nicht wieder aufdreht. Und daher fordern immer mehr Politiker, die Sanktionen zurückzuschrauben. Sie bringen Deutschland in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und sie bringen den Krieg nicht zum Ende. Was denken Sie darüber?
Braun: Das ist auch die falsche Diskussion. Natürlich müssen wir uns unabhängig machen von den Ressourcen aus Russland, aber auch aus anderen Ländern. Wir müssen schauen, dass wir eigene erneuerbare Energien aufbauen. Und ich sage jetzt natürlich „hätte“. Aber wir hatten die Vorschläge gemacht, das würde ausgebremst von der damaligen Bundesregierung und von anderen. Und wenn man sieht, die CDU hat immer noch ihre Schwierigkeiten mit der Windkraft. Wir müssen jetzt aber ins Handeln kommen. Und wenn wir andere Bohrungen jetzt machen würden in Rheinland Pfalz oder anderswo in Deutschland, dann würde es Jahre dauern, bis da geliefert werden kann. Das sind Scheindebatten. Was wir tun müssen, ist Energie einsparen. Und da sind BASF und Schott jetzt gefragt, die Vorreiter zu sein. Und wir sind sehr gut im Gespräch mit den beiden.
Appelmann: Sie sagen gerade, Energie einsparen reicht ja aber nicht. Lassen Sie uns zum Beispiel mal zum weltgrößten Chemiekonzern gehen, zur BASF in Ludwigshafen. Wenn da kein Gas mehr ankommt, dann wird der Steamcracker runtergefahren. Da geht es um tausende Arbeitsplätze in Rheinland Pfalz. Was sagen Sie den Menschen, die jetzt Angst haben um ihren Job?
Braun: Also, die BASF fährt ihren Steamcracker ja jetzt noch nicht runter. Muss ich Ihnen auch mal sagen. Wir wollen jetzt keine Panik verbreiten. Wir haben Gasreserven, wir haben andere Gasquellen, die uns beliefern. Es ist nicht nur so, dass wir aus Russland Gas bekommen, wir bekommen ja auch aus Norwegen Gas. Es müssen einzelne Produktion wahrscheinlich runtergefahren werden. Im Moment wird daran gearbeitet, welche Produktionen da unabhängig gemacht werden können. Es wird daran gearbeitet, welche Alternativen es geben kann. Wir sind ja dabei, im Moment alle anderen Möglichkeiten, Gaskessel, die ersetzt werden können, zu genehmigen, mit Öl sogar im Moment. Die Kohlekessel dürfen wieder laufen. Das wird alles im Herbst kommen. Also alles, was eine Regierung machen kann, macht die Regierung im Moment, und deswegen glaube ich, es ist jetzt wichtig, auch in die Zukunft zu schauen. Und jetzt für dieses Jahr ist es wichtig jetzt zu sparen, jetzt schon zu sparen, weil mit dem Gas, das wir jetzt haben, können wir im Winter heizen, weil die Speicher müssen voll bleiben,
Appelmann: Aber es wird wahrscheinlich nicht reichen. Bisher gilt ja, wenn weniger Gas kommt, werden zuerst die privaten Haushalte versorgt und dann die Industrie. Nun hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck überlegt, das zu ändern. Kann er da auf Unterstützung Ihrer Partei hoffen?
Braun: Es gibt immer Überlegungen, wie die Ressourcen verteilt werden. Und wir werden nächste Woche in Rheinland-Pfalz auch den Chef der Netzagentur haben, Herrn Müller, und werden mit dem natürlich darüber reden. Aber das kann man jetzt noch nicht sagen. Ich will das ganz offen sagen: Man kann im Moment noch nicht sagen, wie die Lieferungen sein werden, und man kann auch noch nicht sagen, wie die Verteilung sein wird. Natürlich bei Schott jetzt hier in Mainz …
Appelmann: Aber das wird die Zuschauer schon interessieren.
Braun: Nehmen wir mal Schott in Mainz, die eine Glasschmelzwanne haben, die darf nicht abkühlen, sonst ist die ganze Apparatur nie mehr zu gebrauchen. Die Menschen in RheinlandPfalz müssen sich darauf einrichten, dass sie nicht mehr so heizen können wie vorher. Der Gaspreis ist auf das Dreifache gestiegen. Allein deswegen müssen alle einzeln natürlich schauen, wo sie Gas einsparen können. Und es ist natürlich klar, dass in Schulen die Temperatur gesenkt werden, in öffentlichen Gebäuden, in Schwimmbädern nicht mehr geduscht werden kann etc. Und natürlich müssen sich Menschen jetzt darauf einrichten, dass sie eventuell die Temperatur auch zu Hause runterfahren müssen. Wir wollen aber vor allem einen Ausgleich für die Menschen, die sich das nicht erlauben können, nicht leisten können vom Finanziellen her. Denen muss geholfen werden und zwar schnell.
Appelmann: Also eines ist klar: Wir brauchen mehr Energie. Deswegen lassen Sie uns auch mal über Alternativen sprechen. Die drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland, sollen die womöglich länger laufen?
Braun: Wenn Sie mich da fragen, ist mir das relativ egal, ob diese drei Atomkraftwerke länger laufen. Aber es würde ja nichts bringen. Die Betreiber selbst haben gesagt, dass die Atomkraftwerke im Moment weder Brennstäbe haben noch Personal haben, dass sie gewartet werden müssten und dass jetzt alles auf das Herunterfahren hin läuft.
Appelmann: Aber da kann man doch in Deutschland eine Lösung finden.
Braun: Ich als Grüner kann da nur sagen, wir werden doch nicht Atomkraftwerke weiter betreiben, wenn wir andere Möglichkeiten haben. Atomkraftwerke sind nicht fürs Heizen gut und auch nicht als Gasersatz, sondern nur für Stromgewinnung. Und dazu werden ja jetzt auch Kohlekraftwerke und andere Dinge wieder aus der Reserve geholt. Aber das Beste, um Strom zu gewinnen ist Wind und Sonne, und deswegen müssen wir das ausbauen.
Appelmann: Aber wir reden da über 5% des Stroms bei Atomstrom und Sie sagen zumindest mal, das ist ein denkbarer Weg. Also Ihnen ist es egal.
Braun: Nein, das ist mir nicht egal. „Mir persönlich“ habe ich gesagt Aber wenn Sie dann vernünftig drüber nachdenken, werden Sie sehen, dass wir da keine ideologischen Grabenkämpfe führen, sondern dass wir ganz klar sagen: Das hat keinen Sinn. Wir haben eine Abhängigkeit bei Uran auch von Russland. Was sollen wir denn tun? Wir haben es nicht im eigenen Land und von daher müssen wir erstens einsparen, zweitens aber die Erneuerbaren ausbauen.
Appelmann: Aber ist es vernünftiger, den Kohlestrom einzuspeisen? Da waren Sie doch erbitterter Gegner. Das ist jetzt schon salonfähig.
Braun: Das ist nicht salonfähig. Wir haben ja die Ziele weiter im Griff und weiter im Blick. Wir wollen nur Zwischenlösungen haben für diesen Winter. Und dann ist es doch besser, Sie nehmen die Möglichkeiten, die da sind. Und ich wohne gegenüber von dem Großkraftwerk Mannheim. Das ist im Moment meistens außer Betrieb, weil es genug Solarstrom gibt. Aber allein dieses Kraftwerk ist größer als ein Atomkraftwerk. Und wenn das dann läuft, dann brauchen wir die Atomkraftwerke nicht. Wir brauchen sie auch nicht. Das ist ganz eindeutig. Um Strom zu gewinnen, haben wir genug Ressourcen in Deutschland.
Appelmann: Lassen Sie uns hier an dieser Stelle, Herr Braun, einen Punkt machen und zu einer Tradition kommen in unseren Sommerinterviews. Schnelle Fragen von mir, schnelle Antworten von Ihnen.
Braun: Hoffentlich.
Appelmann: Aber wirklich. – Was war der beste Ratschlag, den Sie je bekommen haben?
Braun: Über Dinge, die entscheidend sind, eine Nacht nachzudenken.
Appelmann: Schwarz-Grün gibt es in immer mehr Landesparlamenten. Könnten Sie sich eine Regierung zusammen mit Christian Baldauf von der CDU vorstellen?
Braun: Also, die Ideen, die die CDU in Rheinland Pfalz hat, die sind nicht so, dass ich mir das vorstellen kann.
Appelmann: Was sind Ihre Pläne für die Zeit nach der politischen Karriere?
Braun: Bücher lesen, Hängematte, viel reisen und vor allem auch mich weiter engagieren für die Energiewende.
Appelmann: Welches Talent hätten Sie gerne?
Braun: Singen würde ich gerne können, kann ich überhaupt nicht. Texte kann ich mir merken, aber leider kann ich sie nicht vorsingen.
Appelmann: Aber in der Badewanne wird schon mal gesungen.
Braun: Zu Hause kann ich das, aber da darf keiner in der Nähe sein.
Appelmann: Oje. – Die Pfalz ist für mich …
Braun: … ja, das Paradies.
Appelmann: In welcher Situation können Sie so richtig ungeduldig werden?
Braun: In vielen Situationen. Beim Warten – ich darf nicht warten, und dann werde ich sehr schnell ungeduldig. Also Pünktlichkeit ist für mich wichtig.
Appelmann: Okay, ungeduldig müssen Sie jetzt nicht mehr werden. Das war unser Sommerinterview heute mit Bernhard Braun, dem Fraktionschef der Grünen im rheinland-pfälzischen Landtag. Danke für Ihren Besuch.
Braun: Herzlichen Dank für die Einladung.