Das Corona-Sondervermögen des Landes Hessen ist verfassungswidrig

Die hessische Landesregierung nennt es „Sondervermögen“, die Oppositionsparteien SPD, AfD und FDP eine „Ermächtigung zum Schuldenmachen“. Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser milliardenschweren Hilfsprogramme zur Bewältigung der Coronakrise gab es ab dem ersten Tag. Heute wurden diese Zweifel höchstrichterlich bestätigt. Laut dem hessischen Staatsgerichtshof steht das milliardenschwere Sondervermögen NICHT im Einklang mit der hessischen Verfassung.

Eine Sprengkraft, die der hessische Finanzminister Michael Boddenberg wohl deutlich zu spüren bekommen wird. Das Corona-Sondervermögen ist verfassungswidrig.
Das Urteil ist eindeutig und es ist eine schwere Niederlage für die Landesregierung. In den Augen des Staatsgerichtshofs wird dadurch der Landtag praktisch entmachtet.
In seiner Begründung folgt das Gericht in fast jedem Punkt den Argumenten der klagenden Oppositionsfraktionen von SPD und FDP. Die geben sich mit dem Urteil heute mehr als zufrieden.
Rene Rock, FDP, Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen
„Heute ist die Schuldenbremse in ganz Deutschland, aber besonders in Hessen, gestärkt worden. Das bedeutet, dass auch die Generationengerechtigkeit, dass das Schuldenmachen eingedämmt worden ist.“
Nancy Faeser, SPD, Fraktionsvorsitzende Landtag Hessen
„Das ist eine große Schlappe für die Landesregierung. Sie steht damit vor den Trümmern ihrer Politik aus dem letzten Jahr. Sie hat alles darauf gesetzt die Krise der Pandemie über dieses „Zukunftssicherungsgesetz“, über das sogenannte „Sondervermögen“, wo wir sagen „Schattenhaushalt“, zu finanzieren. Der Staatsgerichtshof hat heute in aller Deutlichkeit gesagt, das Gesetz ist verfassungswidrig und zwar von A bis Z. Und das ist wirklich eine mehr als deutliche Niederlage für die Landesregierung.“
Eine Niederlage erkennt der Finanzminister selbst jedoch nicht in dem Urteil. Er spricht von „wertvollen Hinweisen“ die er heute vom Gericht erhalten habe.
Michael Boddenberg, CDU, Finanzminister Hessen:
„Der Präsident hat selbst davon gesprochen, dass es Neuland sei, bundesweit Neuland sei. Und insofern haben wir jetzt die nächsten Tage sicherlich das ein oder andere tatsächlich auch nachzuarbeiten. Wir müssen eine Neuregelung schaffen, das ist ja Teil des Beschlusses.“
Laut Gericht sind weder die Höhe von 12 Milliarden Euro noch die lange Laufzeit von vier Jahren mit der Verfassung vereinbar. Dass viele durch das Sondervermögen finanzierte Maßnahmen keinen Bezug zur coronaverursachten Notlage haben, ist ein weiterer Punkt. Gerade wenn neue Schulden aufgenommen werden, müssen, nach Ansicht der Richter, besonders strenge Maßstäbe angelegt werden.
Der Landtag habe in vielen Punkten gar nicht mit entscheiden dürfen, bemängeln die Richter. Eine Einschränkung, die eines der wichtigsten Rechte der Abgeordneten beschneidet: nämlich über die Ausgabe von Geld zu debattieren und zu entscheiden.
Ein Kritikpunkt, den der Finanzminister nicht nachvollziehen kann. Bei der Entscheidung über den Sonderhaushalt habe man das Parlament bis ins Detail mit eingebunden.
Michael Boddenberg, CDU, Finanzminister Hessen
„Das Gericht ist anderer Auffassung. Das habe ich selbstverständlich zu akzeptieren. Aber das ist ja eine der Überlegungen gewesen, dass jeder Vorgang, der mehr als eine Millionen Euro bedeutet, am Ende im Haushaltsausschuss, beraten und auch abgestimmt wird, das Parlament wirklich im Detail zu befassen.“
Die Oppositionsparteien signalisieren heute ihre Gesprächsbereitschaft. Jetzt gelte es, bis Ende März zusammen eine neue Regelung zu finden – zum Beispiel über einen Nachtragshaushalt. Geld aus dem Sondervermögen, das bereits geflossen ist, muss allerdings nicht wieder eingezogen werden.
Michael Otto, Reporter
„Von ‚wertvollen Hinweisen‘ sprach der Finanzminister nach der Urteilsverkündung. Man müsste wohl realistischerweise von einer ’schallenden Ohrfeige‘ sprechen. Nahezu kein Punkt beim Thema Sondervermögen, den das Gericht nicht kritisiert hat. Es ist das erste Mal, dass ein Verfassungsgericht zum Thema Schuldenbremse ein Urteil fällt, und das dürfte bundesweit Beachtung finden. Für Hessen bedeutet es zunächst einmal, dass die Landesregierung beim Thema Haushalt vor einem Scherbenhaufen steht.“