CDU und SPD unterzeichnen Koalitionsvertrag

Als die CDU und die SPD das letzte Mal in Hessen zusammen regiert haben, da waren Ministerpräsident Boris Rhein, die SPD-Landeschefin Nancy Faeser und die anderen Spitzenpolitiker beider Parteien noch gar nicht geboren – weit über 70 Jahre ist es her, damals waren die Sozialdemokraten stärkste Kraft. Andere Vorzeichen also dieses Mal. Heute haben CDU und SPD den Koalitionsvertrag für ihr künftiges Regierungsbündnis unterzeichnet.

Spätestens jetzt trägt der schwarz-rote Koalitionsvertrag wirklich christdemokratische und sozialdemokratische Handschrift – mit ihren Unterschriften besiegeln Boris Rhein und Nancy Faeser heute in Wiesbaden den Vertrag.
Die beiden Landesvorsitzenden ihrer Parteien reden viel von Harmonie und einem neuen Verständnis füreinander – machen aber auch klar: Die neue Regierungskoalition ist eine Zweckehe, die die vielen aktuellen Krisen bewältigen soll.
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen
„Die Menschen haben in Zeiten multipler Krisen einen Anspruch und ich finde – den haben sie auch zu Recht – dass Parteien sich mit den Problemen der Menschen beschäftigen, dass sie Lösungen präsentieren anstatt sich mit sich selbst zu beschäftigen und ich finde, dafür legt dieser Vertrag eine gute Grundlage.“
Nancy Faeser (SPD), SPD-Landesvorsitzende
„Wir kommen aus zweieinhalb Jahren Pandemie, wir kommen aus einem Krieg mitten in Europa seit dem 24. Februar 2022, der furchtbare Angriffskrieg Putins in der Ukraine, wir haben Migrationszugänge durch die Ukraine von fast einer Million. Wir kümmern uns um die Themen, die die Menschen interessieren.“
Diese Themen haben CDU und SPD im Koalitionsvertrag festgehalten, der 184 Seiten umfasst.
Danach bleibt es in Hessen bei einem mehrgliedrigen Schulsystem mit Noten und Sitzenbleiben. Es sollen aber zusätzliche Lehrerstellen geschaffen werden. CDU und SPD wollen die irreguläre Migration begrenzen und eine Rückführungsoffensive starten. Asylbewerbern sollen statt Bargeld nur noch Bezahlkarten zum Bezug von Sachleistungen erhalten.
In der Finanzpolitik bekennen sich die neuen Koalitionspartner zur Schuldenbremse. Zur Bekämpfung des Wohnungsmangels wollen sie mehr Bauland ausweisen und mehr Fördergelder zahlen. In der Innenpolitik setzen sie auf mehr Polizisten, eine stärkere Digitalisierung und wollen sich auf Bundesebene für eine Vorratsdatenspeicherung von Computeradressen einsetzen, um schwere Straftaten besser aufklären zu können.
Außerdem wollen sie, dass Behörden, Schulen, Universitäten und der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf eine Gender-Sprache mit Sonderzeichen verzichten.
Weil die CDU bei der Landtagswahl mehr als doppelt so viele Stimmen erhalten hat als die SPD, darf sie das Amt des Ministerpräsidenten und acht Ministerposten besetzen. Zu den CDU-geführten Ministerien gehören das Innen-, das Finanz-, das Justiz-, das Digitalisierungs- und das Kultusministerium. Außerdem entscheidet die Union über die Minister für Familie und Gesundheit, für Landwirtschaft und Umwelt und für Bund und Europa.
Die SPD darf hingegen die Minister für Wirtschaft, Energie und Verkehr, für Arbeit und Soziales und für Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur benennen.
Die Namen der künftigen Landesminister sollen aber erst im Januar bekanntgegeben werden. Die neue Regierung von Ministerpräsident Boris Rhein wird am 18. Januar ihr Amt antreten. Dann wird sich zeigen, wie schnell die Regierung, die für eine Renaissance der Realpolitik wirbt, von der Realität eingeholt wird – und wie viel dann von der anfänglichen Harmonie erhalten bleibt.
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Der Koalitionsvertrag ist also unterzeichnet. Vorher mussten aber noch die Parteigremien zustimmen. So geschehen am Samstag – mal mehr, mal weniger harmonisch. Während der CDU-Landesausschuss den Koalitionsvertrag völlig geräuschlos und mit nur einer einzigen Gegenstimme absegnete, gab es beim Sonderparteitag der SPD noch reichlich Gesprächsbedarf.
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Schon vor dem Sonderparteitag der SPD in Groß-Umstadt war klar: Einfach so würden die hessischen Genossinnen und Genossen ihrer Parteiführung die geplante Zusammenarbeit mit den Christdemokraten nicht durchgehen lassen. Einige wohl aus Prinzip – andere, weil sie mit den Inhalten des Koalitionsvertrags unzufrieden sind. Allen voran die Jusos, die sich eine viel deutlichere sozialdemokratische Handschrift im Vertragsentwurf gewünscht hätten.
Lukas Schneider (SPD), Vorsitzender JuSos Hessen
„Die CDU hat 35 % geholt. Ja. Aber sie hat keine 50 % geholt. Sie ist nicht alleinige Herrschaftspartei in Hessen.“
Auch der Landtagsabgeordnete Gernot Grumbach kritisiert den Koalitionsvertrag. Man habe es der CDU viel zu leicht gemacht, sich mit ihren Positionen durchzusetzen – etwa in Sachen Bildungspolitik. Und das auch noch mit Bekenntnissen, die viele Sozialdemokraten so niemals unterschreiben würden.
Gernot Grumbach (SPD), Landtagsabgeordneter Hessen
„Liebe Genossinnen und Genossen, man kann schreiben: Wir ändern nix, weil die CDU nix ändern will. Aber ich bekenne mich nicht zu einem Schulsystem, das so viel Leid, so viel Ungerechtigkeit, so viel Sitzenbleiben – und gegen Aufstiegschancen ist.“
Zur gleichen Zeit in Frankfurt: Viel Harmonie beim Treffen des CDU-Landesausschusses, von manchen auch als „kleiner Parteitag“ bezeichnet. Vor der Abstimmung rührt Ministerpräsident Boris Rhein noch einmal die Werbetrommel für Schwarz-Rot. Vermutlich wäre das aber noch nicht mal nötig gewesen: Mit Ausnahme des ehemaligen Landtagsabgeordneten Horst Klee, der lieber mit den Grünen weiter regiert hätte, stimmen alle Delegierten dem Koalitionsvertrag zu. Anders als bei der SPD scheint hier auch der Generationenkonflikt kaum eine Rolle zu spielen. Gegenwind von der Jungen Union? Fehlanzeige…
Sebastian Sommer (CDU), Vorsitzender Junge Union Hessen
„Wir kappeln uns auch mal. Aber das machen wir doch ganz gerne hinter verschlossenen Türen. Weil – dann machen wir das auch an der Sache. Und heute waren wir uns einig: Wir haben uns prima einbringen können. Jung und Alt. Und heute haben wir ein schönes Papier verabschieden können, das vor allem auch viel CDU enthält.“
Auch Boris Rheins Vorgänger Volker Bouffier kann mit der geplanten Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten gut leben. Jetzt komme es vor allem darauf an, sich gegenseitig zu vertrauen – schließlich sei eine Koalition immer auch ein Wagnis.
Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident Hessen 2010 – 2022
„Die SPD ist seit 25 Jahren in der Opposition. Sie hat keinerlei Regierungserfahrung. Wir haben noch nie mit der SPD in Hessen regiert. Wir wissen nicht, wie sich das personell darstellt. Das heißt, ws sind viele offene Fragen. Aber ein Grundvertrauen muss man natürlich haben, sonst kann man keine Koalition schließen. Und das ist da, und das muss sich dann noch weiter entwickeln.“
Zurück zur SPD nach Groß-Umstadt, wo Nancy Faeser ebenfalls um Vertrauen bittet – in den eigenen Reihen. Auch der Parteivorsitzenden ist klar: Mit dem Koalitionsvertrag müssen die Sozialdemokraten die deutlich größere Kröte schlucken als die CDU. Aber:
Nancy Faeser (SPD), Landesvorsitzende Hessen
„Was ist denn die Alternative? Zugucken? Kritisieren, wie wir es seit 25 Jahren gemacht haben? Diese Koalition ist keine Liebesheirat, sondern ich würde sie als Verantwortungsgemeinschaft bezeichnen.“
Schließlich stimmt auch der Sonderparteitag der SPD dem Koalitionsvertrag zu: Mit 253 Ja- bei 56 Nein-Stimmen. Damit ist der Weg für Schwarz-Rot in Hessen frei. Und wer weiß schon, ob sich die beiden neuen Partner nicht vielleicht doch noch ein bisschen ineinander verlieben – oder ob sie sich schneller als erhofft wieder auseinander leben.