CDU und SPD einigen sich auf Koalitionsvertrag

Jetzt liegt er auf dem Tisch: Gut zwei Monate nach der hessische Landtagswahl haben sich CDU und SPD auf einen Koalitionsvertrag verständigt. „Eine für alle“ – lautet das Motto des Papieres, das ganze 184 Seiten umfasst. Das also ist die Grundlage für die Zusammenarbeit der Christ- und der Sozialdemokraten für die kommenden fünf Jahre – sofern denn am Wochenende auch die Parteigremien zustimmen.

Was lange währt wird endlich gut – davon sind zumindest die beiden Hessen-Koalitionäre in spe überzeugt. Bislang war über die Verhandlungen zwischen CDU und SPD so gut wie nichts nach außen gedrungen. Heute präsentieren beide das Verhandlungsergebnis – nicht ganz ohne Stolz.
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen
„Es ist natürlich schon auch Freude und Erleichterung dabei, dass wir das jetzt wirklich hinbekommen haben, in einem sehr langwierigen Prozess, der sich aber gelohnt hat aus meiner Sicht. Wirklich 200 Beteiligte teilgenommen haben. In sehr ausführlichen und intensiven Diskussionen.“
Der Koalitionsvertrag steht, die Weichen sind gestellt – Erleichterung auch bei der SPD.
Christoph Degen (SPD), Generalsekretär Hessen
„Wir freuen uns, dass wir zu einem guten Abschluss gekommen sind, uns einigen konnten mit der CDU. Und da stecken viele Wochen Arbeit drin. Und ich glaube, das ist eine gute Grundlage für die nächsten fünf Jahre.“
Und das steht drin im Koalitionsvertrag:
Bildung
Gleich im ersten von insgesamt zwölf Kapiteln geht es im Koalitionsvertrag um die künftige Bildungspolitik. Hier hat sich die CDU mit ihren Vorstellungen weitgehend durchgesetzt: So soll es in Hessen beim klassischen mehrgliedrigen System aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium bleiben. In sämtlichen Jahrgangsstufen soll es weiterhin Noten und Zeugnisse geben. Es sollen mehr neue Lehrer eingestellt werden.
Wirtschaft und Finanzen
Die neue Landesregierung bekennt sich klar zur Schuldenbremse. Mehr Geld will sie künftig vor allem für die Bekämpfung des Wohnungsmangels in die Hand nehmen. Es soll mehr Bauland ausgewiesen werden. Auch das von der CDU im Wahlkampf versprochene „Hessengeld“ als Anschubfinanzierung für das erste selbstgenutzte Eigenheim wird im Koalitionsvertrag ebenfalls erwähnt.
Migration
Besonders ausführlich geht der Entwurf auch auf die Migrationspolitik ein. Da man die „Belastungsgrenze“ kenne, solle die irreguläre Migration deutlich begrenzt und gleichzeitig die Integration von Menschen mit Bleiberecht gestärkt werden. CDU und SPD wollen eine Rückführungsoffensive starten, Rückführungszentren einrichten und die Abschiebehaft ausweiten. Asylsuchende sollen künftig statt Bargeld nur noch Bezahlkarten zum Bezug von Sachleistungen erhalten.
Innere Sicherheit
In der Innenpolitik wird die Ausweitung von Fahndungsmöglichkeiten verfolgt – etwa durch den verstärkten Einsatz der umstrittenen Analysesoftware HessenData. Außerdem will sich die künftige Landesregierung auf Bundesebene für die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen stark machen. Drogenkriminalität in den Innenstädten wie etwa im Frankfurter Bahnhofsviertel soll stärker bekämpft, die Sicherheit von Frauen weiter gestärkt werden.
Verkehr
In Hessen sollen sämtliche Verkehrsträger künftig gleichberechtigt behandelt werden. Zwar bleibe es nach wie vor das Ziel, den öffentlichen Personennahverkehr weiter auszubauen, dafür dürfe man aber keinesfalls Ökologie und Ökonomie gegeneinander ausspielen. Insgesamt soll die Verkehrsinfrastruktur weiter ausgebaut werden – auch im Bereich der Autobahnen.
Umwelt und Landwirtschaft
Aus dem Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wird das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Wein, Forsten, Jagd und Heimat. Der Begriff „Klimaschutz“ fällt weg.
Wissenschaft und Kultur
Die neue Landesregierung will sich dafür einsetzen, die Forschung an Fusionsreaktoren weiter voranzutreiben. Hier soll Hessen, wenn möglich, eine Vorreiterrolle einnehmen. Schulen, Universitäten, öffentliche Verwaltung sowie öffentlich-rechtlicher Rundfunk sollen dazu aufgefordert werden, künftig auf Gendersprache mit Sonderzeichen wie Sternchen oder Binnen-I zu verzichten.
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Und traditionell zieht ein neuer Koalitionsvertrag auch reichlich Kritik nach sich – nämlich aus der Opposition. Die Grünen, die derzeit in Hessen noch mitregieren, aber bald auf der anderen Seite stehen, haben wir getroffen, aber auch FDP und AfD. Es geht vor allem um die Themen Klima, Migration und zudem sorgt die künftige Aufteilung der Ministerien für Unmut.
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Als erstes bringen sich heute Vormittag die Bündnisgrünen in Stellung. Raus aus der Regierung, rein in die Opposition, sehen sie ihr Hauptanliegen Klimaschutz nicht mehr ausreichend vertreten. Stand das Stichwort „Klima“ bisher bei der grünen Umweltministerin Priska Hinz groß im Titel, soll es künftig kein Ministerium mehr in seiner Bezeichnung führen. Aus Sicht der Grünen unverantwortlich.
Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Hessen
„Eine der großen Herausforderungen dieser Zeit, nämlich der Klimaschutz, ist dieser Koalition noch nicht mal mehr der Erwähnung in einem Ministerium wert. Und das lässt auch inhaltlich nichts Gutes ahnen.“
Zudem vermissen die Grünen einen konkreten Hinweis, wie viele neue Kita-Plätze geschaffen werden sollen. Vom SPD-Wahlkampfversprechen von über 12.000 neuen Lehrern sei ebenso nichts zu finden.
Für Kritik sorgt auch das Thema Migration: Die Ankündigung von schärferen Maßnahmen und einer Rückführungsoffensive greift aus AfD-Sicht zu kurz.
Robert Lambrou (AfD), Fraktionsvorsitzender Hessen
„Es ist in der richtigen Richtung, der Koalitionsvertrag selbst ist aber sehr allgemein gehalten und aus unserer Sicht geht es nicht weit genug. Der Einfluss der SPD ist allerdings erstaunlich gering.“
Die Freien Demokraten halten sich mit Kritik am Koalitionsvertrag noch weitgehend zurück. In den Bereichen Bildung und Digitalisierung sehen sie sogar Anknüpfungspunkte. Ein Kritikpunkt bleibt dennoch: Waren die Themen Soziales und Familie bislang unter einem Minister vereint, soll es hier künftig zwei getrennte Ministerien geben. Die Kritik: Die CDU traue dem neuen Koalitionspartner hier keinen eigenen Ministerposten zu.
Stefan Naas (FDP), Co-Fraktionsvorsitzender Hessen
„Die Senioren sind bei der CDU und die Jugend bei der SPD, wir vermissen da die Einheitlichkeit. Das wird auch viel Geld kosten, das aufzuspalten. Das ist vielleicht einem Koalitionsfrieden geschuldet, aber dient nicht der Sache.“
Auch die Aufteilung von Heimatschutz und ländlichem Raum auf verschiedene Ressorts sorgt für Kritik. Die künftige Regierung bekommt bereits Gegenwind, bevor der Koalitionsvertrag überhaupt abgesegnet wurde.
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Markus Appelmann, Moderator: Wir schauen jetzt noch mal genauer rein in den Koalitionsvertrag von CDU und SPD. Besser gesagt, das tut unser stellvertretender Chefredakteur Philipp Stelzer bei mir im Studio. Philipp, enthält dieser Koalitionsvertrag Überraschungen?
Philipp Stelzner, Stellvertretender Chefredakteur: Also der Koalitionsvertrag enthält keine großen Überraschungen, denn er orientiert sich am Eckpunktepapier, auf das sich CDU und SPD schon bei den ersten Sondierungsgesprächen geeinigt hatten. Aber der Koalitionsvertrag zeigt noch deutlicher, warum die CDU künftig mit der SPD und nicht mehr mit den Grünen weiterregieren will. Denn vieles, was jetzt vereinbart wurde, das wäre mit den Grünen nicht zu machen gewesen. Zum Beispiel die verschärfte Asylpolitik oder der verstärkte Ausbau der Autobahnen. Interessant ist auch, dass es, anders als die CDU im Wahlkampf versprochen hat, es künftig kein reines Landwirtschaftsministerium geben wird. Das Ministerium wird weiter auch für Umwelt zuständig sein, etwas, was die hessischen Landwirte immer sehr gestört hat.
Und viele Christdemokraten dürften unglücklich darüber sein, dass die SPD das wichtige Ministerium für Wirtschaft, Energie und Verkehr erhält. Das hätten sie lieber in CDU-Hand gesehen. Aber irgendetwas mit Gewicht musste die CDU am Ende der SPD zugestehen.
Appelmann: Jetzt müssen an diesem Wochenende noch Parteitage der CDU und SPD dem Koalitionsvertrag zustimmen. Kann da noch was schiefgehen?
Stelzner: Nein, alles spricht dafür, dass die CDU- und SPD-Delegierten bei den Parteitagen dem Koalitionsvertrag zustimmen werden, obwohl die Sozialdemokraten die größeren Kröten schlucken müssen. Zum Beispiel im Bereich der Bildungspolitik, da haben sie Jahre gesagt, Gesamtschulen seien das Allheilmittel gegen ungleiche Bildungschancen, und jetzt müssen sie sich im Koalitionsvertrag zu einem vielfältigen Schulsystem bekennen, inklusive Noten und Sitzenbleiben. Das ist schwer zu verdauen.
Aber die SPD Delegierten wissen, dass sie solche Zugeständnisse machen müssen, wenn ihre Partei nach 25 Jahren Opposition endlich wieder mitregieren will. Und dass die SPD bei einem Parteitag über diesen Koalitionsvertrag abstimmt, das war auch ein Argument für Schwarz-Rot. Denn die Meinung von Delegierten auf einem solchen Parteitag, die ist für eine Parteiführung ganz gut einzuschätzen. Bei den Grünen hingegen, da hätte die kritische Parteibasis über diesen Koalitionsvertrag abstimmen müssen, und das wäre eine sehr unsichere Sache geworden.
Appelmann: Danke schön für deine Einschätzungen. Danke an den stellvertretenden Chefredakteur Philipp Stelzner.
Stelzner: Gerne.