Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger zu Gast im Studio

In Berlin streitet die Ampelregierung, wie es in Sachen Atomkraft weitergehen soll. Ein Thema, das wir mit der Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger besprechen möchten. Dabei geht es uns aber auch darum, wie in Zukunft Energie gewonnen werden kann. Wasserstoff als Energieträger? Diese Idee ist nicht neu, doch die Frage stellt sich: Wird sie angesichts der massiven Energiekrise jetzt endlich konkreter? Immer mehr Unternehmen können sich das zumindest vorstellen.

Essity in Mainz-Kostheim. Das Wiesbadener Unternehmen ist einer der größten Hersteller von Hygieneprodukten, wie zum Beispiel Papierhandtüchern. Etwa 140.000 Tonnen CO2 stößt dieses Werk hier jedes Jahr aus. Um umweltfreundlicher, aber vor allem weniger abhängig von Gas zu werden, will das Unternehmen seine Maschinen künftig mit Wasserstoff betreiben. Ende des Jahres startet Essity dazu ein Pilotprojekt. Auch der Mainzer Speziaglashersteller Schott kann sich grundsätzlich vorstellen, Gas durch Wasserstoff zu ersetzen. Aber:
Jens Schulte, Finanzvorstand Schott am 29.09.2022
„Die größte Herausforderung ist die Verfügbarkeit. Es gibt heute noch nicht viel grünen Wasserstoff. Und da sind wir darauf angewiesen dass die Kapazitäten ausgebaut werden. Zweiter Aspekt ist aber dass Wasserstoff immer energieineffizienter und teurer sein wird, weil die Herstellung von grünem Wasserstoff erfordert grünen Strom.“
Das heißt Strom, der aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Zunächst müssen diese also ausgebaut werden. Ein weiterer Nachteil ist: Für die Herstellung von Wasserstoff wird mehr Energie gebraucht, als der Wasserstoff nachher selbst liefert. Der Vorteil ist aber Wasserstoff ist klimaneutral und lässt sich im Gegensatz zu Wind oder Sonnenenergie speichern. Der Transport und die Lagerung sind allerdings aufwendig, denn Wasserstoff muss in speziellen Tanks bei konstanter Temperatur gespeichert werden.1
Insgesamt wird Wasserstoff also ein teurerer Energieträger sein als Gas. Und bis er flächendeckend verfügbar ist, wird es dauern. Zwar wird Deutschland Wasserstoff auch importieren – Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck haben dazu vor wenigen Wochen ein Abkommen mit Kanada unterzeichnet -, aber der erste Wasserstoff aus Übersee wird frühestens im Jahr 2025 geliefert. Grüner Wasserstoff als möglicher Energieträger der Zukunft ist er zurzeit in aller Munde.
Doch noch ist sein flächendeckender Einsatz in der deutschen Industrie vor allem eines: Zukunftsmusik.
Markus Appelmann, Moderator: Darüber sprechen wir jetzt mit Bettina Stark-Watzinger, die Bundesministerin für Bildung und Forschung. Guten Tag.
Bettina Stark-Watzinger, FDP, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Guten Tag.
Appelmann: Frau Stark-Watzinger, gerade klang es an: Zukunftsmusik. Also das Energieproblem, das wir jetzt haben, dafür ist der grüne Wasserstoff keine Lösung, oder?
Stark-Watzinger: Wir können heute schon sagen, dass es funktioniert, und wir können heute auch schon sagen, dass es weltweit Interesse gibt, zusammen den Wasserstoff zu produzieren und auch zu liefern. Ja, wir müssen jetzt die Infrastruktur bauen, aber wir wissen, dass es auch in Ländern … also wir haben ja eben über Export gesprochen, wir müssen zwei Wege gehen.
Wir können natürlich lokal vor Ort Wasserstoff herstellen. Wir forschen zum Beispiel auch bei Offshore-Anlagen, Windanlagen, die wirklich eine hohe Konstanz auch an Energie liefern, ohne dass wir es erst in Netze speichern müssen, dort sofort Wasserstoff zu produzieren. Aber Deutschland wird immer ein Importeur bleiben. Das Gute ist: Wir können mit Partnern zusammenarbeiten, die unsere Werte teilen. Wir haben eben Kanada gesehen in dem Bericht, aber wir waren in Australien im Mai diesen Jahres. Dort gibt es Studien, dort gibt es Wind und Sonne im Überfluss, weil ja auch die Frage der Kosten der Herstellung und die Konstanz der Herstellung da ist.
Appelmann: Aber machen wir es mal ein bisschen konkreter. Wann wird der grüne Wasserstoff fossile Energieträger ersetzen? In zehn, in 20, in 40 Jahren?
Stark-Watzinger: Nein, schneller. Wir haben gehört, 2025 können aus Übersee die ersten Lieferungen kommen, wenn wir alle zusammenarbeiten, international. Wenn wir auf der einen Seite die Nachfrage schaffen; die Unternehmen müssen wissen, dass Wasserstoff ein Baustein der nächsten Energiekonzepte sein wird, dann werden sie sich darauf einstellen. Und die Produzenten müssen ja auch wissen, dass es Unternehmen gibt, die abnehmen. Das ist jetzt die Aufgabe, beides zusammenzubringen und die Infrastruktur zu bauen. Und wenn wir alle da Hand in Hand arbeiten, können wir das wirklich zügig schaffen. Nichtsdestotrotz: Ja, wir müssen noch den Übergang bis dahin dann auch die Brücke bauen.
Appelmann: Der Rüsselsheimer Autobauer Opel wird ab 2028 keine Autos mehr mit Verbrennungsmotor in Europa verkaufen. Mit E-Fuels – aus Wasserstoff gewonnene Kraftstoffe – könnten die Verbrenner-PKW auch in Zukunft auf deutschen Straßen unterwegs sein, ohne die Umwelt zu belasten, ohne CO2 Ausstoß. Müsste die Politik nicht jetzt ganz klar Position beziehen, bevor wir Hunderttausende Jobs in der Automobilindustrie in Deutschland verlieren?
Stark-Watzinger: Also wir setzen uns ja ein und der Verkehrsminister, der Bundesverkehrsminister auch und so steht es auch im Koalitionsvertrag, dass auf europäischer Ebene E-Fuels eben auch berücksichtigt werden. Warum? Wir können vorschreiben, dass kein CO2 mehr ausgestoßen wird, aber den Weg dahin, das wissen die Wissenschaftler und die Unternehmen am besten. Und E-Fuels sind eine große Chance.
Es gibt auch Forschungsprojekte mit Nordrhein-Westfalen, ich würde mir so was auch in Hessen wünschen, indem man zum Beispiel den Grünschnitt von den Straßen, von den öffentlichen Straßen in E-Fuels umwandelt, um Flugzeuge fliegen zu lassen. Das ist CO2-negativ, das heißt, wir entnehmen sogar CO2 der Atmosphäre. Also diese Zukunftsthemen, die müssen wir jetzt schnell angehen, denn Sie haben Recht, wir haben eine tolle Technologie mit dem Verbrennermotor und vor allen Dingen, es gibt ja auch noch so viele Millionen Verbrenner in Deutschland nicht jeder kann sich sofort ein E-Auto leisten. Insofern müssen wir hier zügig sein und dürfen keine Denkverbote haben, sondern wir müssen technologieoffen sein.
Appelmann: Wir haben in die Zukunft geblickt aber jetzt sind wir auch im Hier und Jetzt und haben jetzt ein Energieproblem. Ist denn Atomkraft auf absehbare Zeit immer noch ein Energieträger? Muss man so ehrlich sein?
Stark-Watzinger: Also vorübergehend ist Atomkraft eine gute Möglichkeit, CO2-neutral und vor allen Dingen 24 Stunden, sieben Tage die Woche Energie zu produzieren. Die Menschen haben große Sorge, dass sie ihre Stromrechnung nicht bezahlen können, das hängt an den hohen Gaspreisen, und vor allen Dingen auch die Versorgungssicherheit. Und deswegen müssen wir alles, was an Angebot in Deutschland da ist, nutzen. Und deswegen müssen die Atomkraftwerke vorübergehend weiterlaufen.
Appelmann: Das sieht der grüne Koalitionspartner auf Bundesebene anders. Es gibt ja gerade einen Beschluss des Bundesparteitages der Grünen. De sagen: Nur Isar 2, nur Neckarwestheim 2 soll bis Mitte 2023, bis April 2023 am Netz bleiben. Was sagt denn die FDP dazu?
Stark-Watzinger: Das ist nicht verständlich, weil wir haben nicht genug Angebot, Energieangebot, Stromangebot, und jetzt Kraftwerke, die wir haben, abzuschalten, ist der falsche Weg. Hier geht es nicht um Parteien, sondern hier geht es darum, dass wir gut durch diesen Winter kommen und nicht nur durch diesen Winter, sondern dass wir unserer Wirtschaft mittelfristig auch die Perspektive geben Wir wollen sie hier halten, wir wollen sie zukunftsfit machen. Und deswegen müssen wir über Atomkraftwerke nachdenken und vor allen Dingen müssen wir auch die Klarheit für die Menschen schaffen.
Appelmann: Wenn es jetzt aber zu diesem Kompromiss eines Streckbetriebs kommt – und danach sieht es ja momentan aus -, welche Partei ist am Ende daran schuld, wenn wir zu wenig Strom haben, wenn es zum Blackout kommt?
Stark-Watzinger: Ich glaube, den Menschen ist es ziemlich egal, wer schuld ist. Ich glaube, wir sind jetzt alle gefragt, jeder, der Verantwortung trägt, auch hier die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir müssen kurzfristig Stabilität im Netz haben und Bezahlbarkeit und wir müssen auch schauen: Was können wir zum Beispiel auch noch in Deutschland an Energieressourcen, die wir haben, fördern, damit wir unabhängig werden und damit wir zukunftsfähig werden?
Appelmann: Die FDP rückt also nicht davon ab, die drei verbliebenen Atomkraftwerke sollen weiterlaufen bis 2024.
Stark-Watzinger: Darüber wird ja im Augenblick verhandelt. Und der grüne Koalitionspartner muss dann mal erklären, wie sie sich das vorstellen, wie wir durch diesen Winter kommen und vor allen Dingen auch, wie die Preise gesenkt werden und wie wir mehr Angebot schaffen. Dazu kommt: Wir haben uns ja auch Klimaziele gesetzt. Die haben wir uns gesetzt und wir werfen jetzt alle Kohlekraftwerke wieder an, man denkt darüber nach, schwimmende Ölkraftwerke zu installieren. Dann sollten wir doch das, was wir haben, was sauber ist und was sicher ist, auch weiter nutzen.
Appelmann: Klare Botschaft in Richtung der Grünen von Bettina Stark-Watzinger. Sie bleiben bei uns im Studio als hessische Landesvorsitzende, denn nicht erst seit der Niedersachsenwahl sieht man: Die FDP ist in der Krise.
Es war wieder einmal ein bitterer Wahlabend für die FDP: Am Ende reicht es mit 4,7% nicht für den Einzug in den Landtag von Niedersachsen. Seit die Freien Demokraten im Bund mitregieren, haben sie bei vier Landtagswahlen vier Niederlagen eingefahren. Von den drei Ampelparteien profitiert die FDP am wenigsten von der Regierungsarbeit.
In Zeiten von Energiekrise, Inflation und Krieg in Europa zeigt sich das Dilemma der FDP: Als Partei, die Eigenverantwortung und möglichst wenig Einmischung des Staates propagiert, lässt sich in einer Zeit, in der staatliche Eingriffe und Hilfen gefragt sind, schwer punkten. Dazu kommt, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner Schwierigkeiten mit einem ehernen Prinzip hat: keine neuen Schulden aufzunehmen. Um das zumindest der Form halber zu erreichen, müssen Schattenhaushalte her, die den Namen „Sondervermögen“ bekommen, für die Abfederung von Corona-Folgen, Energiehilfen und die Bundeswehr. Doch egal wie er es nennt: Am Ende sind es neue Schulden.
Ein Jahr vor der Landtagswahl in Hessen scheint sich die FDP zwischen Regierungsloyalität und innerkoalitionärem Konkurrenzkampf aufzureiben.
Appelmann: Ja, Frau Stark-Watzinger, schadet die Ampel in Berlin der FDP?
Stark-Watzinger: Die Ampel ist nicht unbedingt die erste Wunsch-Konstellationen von unseren Wählerinnen und Wählern und auch die Programmatik ist natürlich … Die Freien Demokraten haben natürlich eine deutlich andere Programmatik. Wir sind in diese Koalition gegangen, weil wir die Verantwortung übernommen haben nach der Wahl und insofern sind wir jetzt auch bereit, die Verantwortung weiter zu tragen. Nichtsdestotrotz: Wir sind Freie Demokraten und treten mit unserem Konzept an. In den letzten Wochen gab es sehr viel Themen mit Blick auf: Wie können wir entlasten und stützen? Jetzt muss auch wieder der Blick darauf gerichtet werden, wie schaffen wir es, zukunftsfähig zu sein? Wie stärken wir unsere Wirtschaft langfristig?
Appelmann: Sie sagen gerade: “Wir sind Freie Demokraten”. Ist das vielleicht so, dass das auch das Problem ist? Denn sie sind klar im Profil in Sachen Energie- und Steuerpolitik und werden dadurch vielleicht auch als Opposition in der Bundesregierung wahrgenommen. Und das könnte doch schaden am Ende.
Stark-Watzinger: Wenn ich nach Hessen schaue, dann sehe ich oder ich höre dann auch immer von den Koalitionspartnern: “Das läuft alles reibungslos”. Aber der kleinste gemeinsame Nenner bringt unser Land nicht voran. Und in diesen Zeiten, in denen Krieg in Europa herrscht, wo existenzielle Fragen sind, dass man dann um den besten Weg auch ringt, das halte ich für absolut richtig. Und insofern müssen wir ja auch unsere Position – es sind eben gerade die soliden Finanzen angesprochen worden – ja, der Staat muss jetzt handlungsfähig sein; ja, jetzt brauchen wir den Abwehrschirm, damit der Wohlstand der Menschen nicht aufgegessen wird – Wladimir Putin führt ja auch einen Krieg gegen uns -, aber wir müssen natürlich trotzdem die Zukunft, die soliden Finanzen tragen, damit wir zukünftige Investitionen auch noch tätigen können. Und deswegen ist es gut, dass wir hier auch in der Regierung sind, um diesen Damm auch zu halten.
Appelmann: Sie haben gerade eben schon nach Hessen geschaut. Lassen Sie uns dabei bleiben. In einem Jahr ist Landtagswahl in Hessen. Mit welchen Themen wollen Sie da punkten als FDP gegen prominente Köpfe wie den CDU-Ministerpräsidenten Boris Rhein oder seinen Stellvertreter Tarek Al-Wazir von den Grünen?
Stark-Watzinger: Ja, also Hessen ist ein starkes Land. Wir brauchen aber auch eine starke Infrastruktur. Und wir sehen einen hessischen Verkehrsminister – schauen Sie sich die Website an. Ich habe überhaupt nichts gegen Radwege, die gehören in ein Mobilitätskonzept. Aber wir brauchen auch Straßen. Und wir sehen einen Lückenschluss in Nordhessen, der gebaut werden soll, und dann sitzt der Verkehrsminister im Ministerium und sagt: “Will ich eigentlich gar nicht bauen”. Dabei sind es Zukunftschancen für Menschen, mobil zu sein, Arbeit zu finden und damit auch Wohlstand zu erringen. Das heißt, Infrastruktur wird ein großes, großes Thema sein, auch der Flughafen, wie kann er weiterentwickelt werden – für viele Mittelständler ein Thema. Und dann natürlich, wir werden heute einen Bericht über unser Bildungswesen haben, der zeigt, dass die Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler ständig sinken. Wir müssen in Bildung kräftig investieren. Das ist die Lebenschance für jeden Einzelnen. Aber es ist auch für uns als Wirtschaft wichtig.
Appelmann: Sie haben gerade eben gegen den grünen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir geschossen. Wenn Sie aber Ziele formulieren, müssen Sie auch sagen, mit wem Sie die Ziele nach der Landtagswahl umsetzen wollen. Mit der CDU haben Sie schon mal regiert, ist für Sie aber auch eine grüne Ampel denkbar mit einem Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir und der SPD?
Stark-Watzinger: Also erst mal haben wir eine sehr aktive und, ja, auch agile Fraktion im Hessischen Landtag, die auch klar zeigt, wofür wir Freien Demokraten stehen. Und wir treten mit unserem Programm, mit unserem Landtagswahlprogramm, das wir Anfang nächsten Jahres verabschieden an und wir werben für unsere Thematik. Alles andere entscheiden dann die Wähler am Wahltag.
Appelmann: Sie wollen nichts ausschließen. Bettina Stark-Watzinger, der hessische Landesvorsitzende der FDP, heute bei uns im Studio. Danke schön.
Stark-Watzinger: Gerne.