Bürokratieserie: Zahntechniker und die Dokumentationspflicht

Die liebe Bürokratie: Kaum jemand, der in Deutschland nicht darüber klagt. Was im Privaten oft nur nervt, kostet Unternehmen richtig viel Geld. In unserer Serie „Bürokratie-Irrsinn“ gibt uns heute der Chef eines Dentallabors in Bingen unglaubliche Einblicke hinter die Kulissen. Statt Bürokratie-Abbau heißt es bei ihm Kisten-Aufbau.

Kisten über Kisten stapeln sich auf dem Dachboden der Firma Bösing Dental. Darin enthalten: jede Menge Papierkram.
Wenn Christoph Bösing hier oben alte Rechnungen sucht, dauert es. Zwar sind alle Kisten fein säuberlich beschriftet, die Menge an Unterlagen macht es aber schier unmöglich, hier etwas mal eben auf die Schnelle zu finden.
Christoph Bösing, Inhaber Bösing Dental
„In den Kisten sind praktisch einmal jede Rechnung, die wir für unsere Kunden geschrieben haben mit allem, was dazu gehört, also mit dem Auftragszettel, mit dem Materialnachweis, mit dem Lieferschein und welcher Techniker oder welche Techniker die Arbeit ausgeführt haben.“
Dazu kommen die gängigen Unterlagen für die Buchhaltung. Ganze zehn Jahre muss der Inhaber des Dentallabors die Papiere aufheben. Und das, obwohl längst alles auch in digitaler Form existiert. Jetzt muss er noch mehr Platz schaffen.
Denn vor ein paar Jahren hat die Europäische Union infolge eines Medizinskandals, bei dem Brustimplantate mit Industriesilikon statt medizinischem Kunststoff gefüllt worden waren, eine neue Verordnung erlassen – die Medical Device Regulation. Demnach müssen alle Hersteller von Medizinprodukten jeden Bestandteil exakt dokumentieren. Das bedeutet: noch mehr Arbeitsaufwand, noch mehr Papier, noch mehr Kisten.
Christoph Bösing, Inhaber Bösing Dental
„Das Material, das wir verwenden, hat ja eine Zulassung für den Medizinmarkt, also für die Dentalprodukte. Und jetzt muss ich aber von jedem Pulver, von jedem Zahn, jede Chargennummer muss ich bei dem Patient dokumentieren.“
Das Argument, dass diese Vorgabe unerlässlich für den Gesundheitsschutz sei, lässt Bösing für seine Produkte nicht gelten. Zahnprothesen, Implantate, Schienen – ein Gesundheitsrisiko gebe es bei den hier verwendeten Materialien nicht. Was also ist der Sinn dieser Maßnahme?
Christoph Bösing, Inhaber Bösing Dental
„Kommt da für den Patienten eine bessere Prothese raus, wenn ich dem in zehn Jahren noch nachweisen kann, welchen geprüften Zahn ich benutzt habe? Das ist halt eben die Frage dabei. Weil wir sind ja Handwerk, das heißt, wir machen eine Gesellenprüfung, wir machen eine Meisterprüfung, wir bilden uns weiter und da wird man so irgendwie hingestellt als wie man kann uns nicht so ganz trauen, wir müssen jeden Schritt nochmal extra nachweisen und dokumentieren. Und das ist meiner Meinung nach am Ziel vorbeigeschossen.“
Der bürokratische Aufwand für Bösing und sein Team hat sich um mehr als ein Drittel erhöht, fünf seiner 55 Angestellten beschäftigen sich ausschließlich damit.
Christoph Bösing, Inhaber Bösing Dental
„Wir haben extra eine Kraft noch dafür eingestellt, die das Ganze eben mitverwaltet. Die Techniker, die normalerweise in der Produktion sind, müssen natürlich auch mehr Papierkrieg erledigen, weil sie ja die Materialien, die sie verwenden, dokumentieren müssen, also auf jeder Rechnung. Und das ist halt eben alles ein Zeitfaktor, was letztendlich auch Geld kostet.“
Mehrere tausend Euro mehr pro Monat muss der Zahntechnikermeister einplanen. Für eine Maßnahme, die seiner Ansicht nach nur wenig Sinn macht.