Angriffe auf Kommunalpolitiker nehmen zu

Gibt es genügend Kita-Plätze? Welche Straße muss erneuert werden? Solche Fragen haben Kommunalpolitiker zu klären. Dabei müssen sie sich immer öfter Anfeindungen gefallen lassen: Hass, Bedrohungen und Gewalt gegenüber Amtsträgern hat zugenommen. Wir haben mit Betroffenen gesprochen.

Mit einem Drohbrief fängt alles an. Noch vor Amtsantritt vor gut einem Jahr erhält die Erste Stadträtin von Hattersheim, Heike Seibert, ein anonymes Schreiben. Die Botschaft ist eindeutig. „Raus aus Hattersheim. Oder Sie kommen auf tragische Weise ums Leben. Die Abrechnung kommt. Sie haben die Wahl“. Es folgen Sachbeschädigungen an ihrem PKW, tote Tiere auf der Motorhaube, aufgeschlitzte Reifen.
Heike Seibert (CDU), Erste Stadträtin Hattersheim
„Das war dann schon so eine weitere Eskalationsstufe, denn das eine ist was zu verschriftlichen und das andere ist natürlich eine bewusste Sachbeschädigung, da ist man natürlich schon mal gleich ein Stück weiter gegangen. Das war durchaus dann so ein Moment, wo man angefangen hat sich umzudrehen, wenn man abends in der Dunkelheit gelaufen ist, ja.“
Matthias Schimpf hat in seiner langjährigen politischen Laufbahn ähnliche Erfahrungen gemacht. Das ging sogar so weit, dass er Veranstaltungen zeitweise nur mit Polizeischutz besuchen konnte. Konflikte gehörten zum Amt dazu, aber der generelle Ton sei rauer geworden.
Matthias Schimpf (Bündnis 90 / Grüne), Kreisbeigeordneter Bergstraße
„Es schmerzt einen schon, dass Leute nicht den Dialog suchen. Also, Demokratie lebt davon, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und, dass man sich darüber austauscht. Da kann man auch streiten, auch gerne heftig streiten. Und was mich dann auch immer betrifft, ist, wenn Leute, die einen eigentlich gar nicht kennen, beleidigen und einem irgendwas zurufen, nur weil man eine andere Meinung hat.“
Heike Seibert und Matthias Schimpf sind keine Einzelfälle.
Im Rahmen einer bundesweiten Studie wurden zwischen November 2022 und April 2023 über 1.700 Amtspersonen befragt. Davon haben 38 Prozent bereits Anfeindungen erlebt, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. Nur 11 Prozent haben Anzeige erstattet.
Nora Zado, Demokratiezentrum Hessen
„Wir dürfen diese Phänomene nicht singulär einzeln für sich betrachten. Das sind gesellschaftliche Veränderungen, oftmals wird hier auch der Begriff der Verrohung der Gesellschaft genannt, die Verrohung der Debattenkultur und dem müssen wir auch als Gesellschaft entgegen wirken.“
Nora Zado forscht an der Universität Marburg zum Thema Bedrohung gegen Kommunalpolitiker und arbeitet für das Demokratiezentrum Hessen. Betroffenen rät sie sich professionelle Hilfe und Beratung zu holen. Zum Beispiel bei der Frage, ob man den Schritt an die Öffentlichkeit geht.
Heike Seibert hat sich in Absprache mit ihrer Familie und ihrem Anwalt dafür entschieden. Von ihrem Amt zurücktreten und damit den Forderungen aus dem Drohbrief nachgeben, das ist für sie keine Option.
Heike Seibert (CDU), Erste Stadträtin Hattersheim
„Man ist ein Stückweit Teil unserer Demokratie. Und da niederzulegen und dem Unrecht und der Gewalt Vorschub zu leisten, das würde eine Niederlegung des Amtes bedeuten und das wird’s mit mir nicht geben, auf keinen Fall.“
Bis jetzt gibt es keine Hinweise darauf, wer hinter den Übergriffen stecken könnte. Heike Seibert hofft, dass sich das bald ändert, damit sie sich wieder voll und ganz auf das konzentrieren kann, was sie jeden Tag aufs Neue erfüllt. Den Bürgern in ihrer Stadt eine Stimme geben.