Interview mit dem Fraktionschef der Grünen in Hessen Mathias Wagner

In Berlin stellten heute SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag für die mögliche künftige Bundesregierung vor. Wie zufrieden ist der Grünen-Fraktionsvorsitzende in Hessen, Mathias Wagner, damit?

Danach soll das Kabinett des künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz 15 Minister umfassen.  Nach Medienberichten soll der Grüne Robert Habeck das neugeschaffene Wirtschafts- und Klimaministerium übernehmen. FDP-Chef Christian Lindner soll Finanzminister, sein Generalsekretär Volker Wissing aus Rheinland-Pfalz Verkehrsminister und die hessische FDP-Vorsitzende Bettina Stark-Watzinger Ministerin für Bildung und Forschung werden. Alle drei Parteien können sich im Koalitionsvertrag wiederfinden, alle drei müssen aber auch Kröten schlucken.
Überstürztes Handeln kann man den Ampelparteien sicher nicht vorwerfen. Nach wochenlangem Sondieren und Verhandeln treten am Nachmittag die Vertreter von SPD, Grünen und FDP vor die Presse, um die Einigung auf einen Koalitionsvertrag zu verkünden.
Olaf Scholz, SPD, Kanzlerkandidat
„Uns eint der Glaube an den Fortschritt und daran, dass Politik etwas Gutes bewirken kann. Uns eint der Wille, das Land besser zu machen, es voran zu bringen und es zusammenzuhalten. Es geht uns nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners sondern um eine Politik der großen Wirkung.“
Das Thema Klimaschutz soll ein Querschnittsthema der neuen Regierung werden. Von einer neuen Dynamik beim Klima ist die Rede. Die erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne sollen massiv ausgebaut werden, indem eine Solarpflicht eingeführt wird und zwei Prozent der Landesfläche für Windräder zur Verfügung gestellt werden. Der Ausstieg aus der Kohle könnte dann deutlich früher als geplant stattfinden – die Rede ist von 2030. Dann könnte auch das Aus für den Verbrennungsmotor kommen – zumindest bei Neuzulassungen.
Auch die SPD kann einen Erfolg verbuchen: Bereits im kommenden Jahr soll der gesetzliche Mindestlohn auf zwölf Euro pro Stunde erhöht werden.
Die FDP kann sich dafür beim Thema Steuern durchsetzen: Eine Vermögenssteuer soll es nicht geben.
Die Vereinbarung muss jetzt durch die Parteigremien abgesegnet werden. Bei den Grünen heißt das: Ab morgen können alle Parteimitglieder online über den Vertrag abstimmen. Bei SPD und FDP entscheiden Parteitage. Diese Hürden muss der Vertrag noch nehmen, bevor Olaf Scholz wirklich die Nachfolge von Angela Merkel antreten kann.
Markus Appelmann, Moderator: Viel Gesprächsstoff für unseren heutigen Talk mit Matthias Wagner, dem Grünen-Fraktionschef im Hessischen Landtag. Herzlich willkommen!
Mathias Wagner, Bündnis 90 / Grüne, Fraktionsvorsitzender Hessen: Hallo, schönen guten Abend.
Appelmann: Herr Wagner! Der Koalitionsvertrag der Ampel im Bund war nicht nur heute großes Thema, sondern schon am Wochenende auf dem Parteitag der Grünen in Frankfurt. Da ist der Unmut groß geworden der Parteibasis, die enttäuscht war, dass so viele grüne Ziele aufgegeben wurden. Verstehen Sie diesen Unmut?
Wagner: Wir wussten am Samstag ja noch nicht, was im Koalitionsvertrag drinsteht. Heute sind wir ein gutes Stück weiter. Es ist ein spannender Tag heute und ich glaube, es ist ein guter Tag für unser Land, weil Deutschland kommt endlich vom Stillstand zum Handeln. Das ist die wesentliche Botschaft. Der ökologische Wandel wird endlich angegangen, die sozialen Sicherungssysteme werden erneuert, wir kümmern uns um den gesellschaftlichen Zusammenhalt – und das ist das Gesamtpaket in diesem Koalitionsvertrag.
Appelmann: Die Ressorts in diesem Koalitionsvertrag sind schon verteilt, das hat man auch gesehen. Das Finanzministerium wollten die Grünen eigentlich haben, um schnell diesen ökologischen Wandel auch anzugehen. Das haben wir gehört, das hat wohl nicht geklappt, die FDP hat das Ressort Finanzen bekommen. Sind das so Kröten, die man da schlucken muss?
Wagner: Das ist ja immer in Verhandlungen so. Am liebsten hätten wir natürlich alle Ressorts besetzt. Das geht nicht. Das ist ein Vertrag zwischen drei Parteien; as ist ein Geben und Nehmen; wir haben dafür andere wichtige Ministerien bekommen. So ist das in der Politik. Alles kann man nicht bekommen. Man muss auch Kompromisse machen.
Appelmann: Ein Superministerium, zum Beispiel Klimaschutz und Wirtschaft, soll es für die Grünen geben. Da ging ganz am Anfang das Thema um, es soll auch ein Vetorecht geben. Wenn andere Ministerien Entscheidungen treffen, die irgendwie gegen das Klima sind, dass man dagegengehen kann. Das ist nun nicht mehr Thema im Koalitionsvertrag.
Wagner: Es ist in der Form nicht Thema, aber es steht auch im Koalitionsvertrag, dass selbstverständlich alle Vorhaben dieser Regierung mit Blick auf die Wirkung fürs Klima überprüft werden sollen. Weil diese Regierung hat sich gemeinsam ein Ziel gesetzt: Wir wollen Deutschland endlich auf den auf 1,5 Grad-Pfad bringen. Das heißt, wir wollen endlich, endlich Ernst machen mit Klimaschutz und mit dem Kampf gegen die Klimakrise.
Appelmann: Ich habe es am Anfang erwähnt, dass die Parteibasis nicht nur begeistert ist von diesem neuen Koalitionsvertrag. Glauben Sie, dass am Ende die Mehrheit für die Ampelkoalition steht, dass die grüne Basis dafür votiert?
Wagner: Ich glaube, dass es eine klare Mehrheit für diesen Koalitionsvertrag gibt, weil er die Weichen endlich in die richtige Richtung stellt. Bislang stand Deutschland auf dem Abstellgleis mit der Politik der früheren Bundesregierung und jetzt geht es in die richtige Richtung. Und das ist das Entscheidende. Und wir Grüne wären nicht wir Grünen, wenn wir uns nicht auch noch immer mehr Tempo wünschen würden. Aber wichtig ist: Wir kommen jetzt endlich ins Handeln, der Stillstand wird überwunden, dir tun jetzt endlich was für die Bewältigung der Klimakrise, für sozialen Zusammenhalt. Und das Anfangen, das ist das Wichtige, weil das wird die Dynamik auslösen.
Appelmann: Da werden wir natürlich die Wochen und Monate noch drauf schauen. Ampelregierung im Bund ist auch ein Thema gewesen für Nancy Fraser, die diese Woche bei uns war, die SPD-Fraktionschefin im Hessischen Landtag. Sie hat gesagt, das könnte dazu führen, dass auch die starren Machtverhältnisse in Hessen sich auflösen, dass wieder alle Parteien miteinander reden. Glauben Sie auch daran oder müssen Sie Nancy Faeser enttäuschen?
Wagner: Also, es reden ja ohnehin alle Parteien miteinander in Hessen – mit Ausnahme der AfD, da reden wir Grüne nicht mit – sofern ist das nichts Neues und für uns Grüne galt schon immer ein Kurs der Eigenständigkeit, das heißt, wir wollen möglichst viele grüne Politik umsetzen. Das gelingt uns in Hessen sehr, sehr gut und sehr erfolgreich mit der CDU, auf Bundesebene haben wir jetzt ein anderes Bündnis und alles andere entscheiden die Hessinnen und Hessen bei der nächsten Landtagswahl.
Appelmann: Da lassen Sie uns ganz kurz dabeibleiben. Die aktuellen Landtagswahl-Umfragen sehen nämlich keine Mehrheit für Schwarz-Grün. Das ist eine Umfrage von vor vier Wochen ungefähr. Könnte denn die Ampel in Berlin auch eine Blaupause für Hessen sein?
Wagner: Die Verhältnisse sind immer unterschiedlich und entscheidend ist, was die Bürgerinnen und Bürger bei Wahlen entscheiden. Und im Moment haben wir keine Wahlen in Hessen und wir regieren deshalb mit der CDU sehr erfolgreich dieses Land und das wollen wir auch die nächsten Jahre machen.
Appelmann: Okay, aber das ist noch keine Aussage für nach der Wahl 2023.
Wagner: Nein, wir machen nie Koalitionsaussage vor der Wahl. Wir kämpfen nicht für Schwarz-Grün, wir kämpfen nicht für die Ampel, wir kämpfen nicht für Rot-Grün. Wir kämpfen für die Grünen. Ist jetzt nicht so überraschend.
Appelmann: Jetzt lassen Sie uns noch ganz kurz das große Thema besprechen, das heute auch in Berlin bei der Ampel-Pressekonferenz thematisiert wurde: Corona – es ist das Thema in diesen Tagen. Die epidemische Notlage läuft am Donnerstag, also morgen, aus. Und Ihr Gesundheitsminister von den Grünen, Kai Klose, hat klar gesagt: Das darf nicht sein. Und dennoch hat die Mehrheit im Bundestag aus SPD, Grünen und FDP für diese Auflösung gestimmt. War das ein Fehler?
Wagner: Ja, wir sind ohne Zweifel in einer pandemischen Lage. Das kann ja ernsthaft mit Blick auf den Zahlen niemanden bestreiten. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir als Bundesländer weiter die Instrumente in der Hand haben, um diese Krise zu bekämpfen. Das ist jetzt am Ende gelungen, da waren die Zwischenrufe der grünen Gesundheitsminister aus den Ländern auch sehr, sehr hilfreich für die Ampelkoalition. Also wir haben den Instrumentenkasten, wir haben eine pandemische Lage …
Appelmann: Aber warum muss es dann weg, das versteht ja kein Mensch.
Wagner: Das müssen Sie aber wahrscheinlich stärker die FDP im Bund fragen als die Grünen. Aber so ist es in einer Regierung. Es gibt unterschiedliche Auffassungen. Entscheidend ist das Ergebnis Wir haben die Instrumente in der Hand, um diese Krise zu bekämpfen.
Appelmann: Abschließende wichtige Frage: Ministerpräsident Bouffier aus Hessen hat gestern gesagt, er ist für eine Impfpflicht für alle. Wie stehen Sie da?
Wagner: Ich halte das für eine wichtige Debatte. Es sind viele Fragen abzuwägen. Ethische Fragen, moralische Fragen, rechtliche Fragen. Ich persönlich bin da noch nicht am Ende meiner Überlegungen, weil am Ende werden wir niemanden zu einer Impfung zwingen können
Appelmann: … sagt Matthias Wagner, der Grünen-Fraktionschef im Hessischen Landtag. Danke, dass Sie heute bei uns waren.
Wagner: Sehr gerne.