Videos aus der Katastrophennacht – Minister Lewentz zu Gast im Studio

Am 14. Juli 2021 – vor mehr als 14 Monaten – sind bei einer Flukatastrophe im Ahrtal 134 Menschen gestorben. Häuser, Brücken und Straßen wurden zerstört. Doch erst jetzt hat der Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags Videos erhalten, die ein Polizeihubschrauber in der Flutnacht aufgenommen hatte. Seitdem versuchen die Abgeordneten herauszufinden, warum die Polizeivideos solange unbeachtet im Archiv liegen blieben. Außerdem gehen sie der Frage nach, welche Informationen der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz in der Flutnacht hatte und warum er nicht die Einsatzleitung übernahm. Über diese Fragen spricht Eva Dieterle mit dem Innenminister, zumal das Thema Flutkatastrophe heute auch Thema im Rechtsausschuss des Landtages war.

Es sind Bilder des Grauens: ganze Orte an der Ahr – verschwunden im Wasser. Inmitten der Wassermassen: Menschen, die mit Taschenlampen auf sich aufmerksam machen. Der Polizeihubschrauber hat keine Seilwinde, um Menschen zu retten, und muss abdrehen. Kurze Zeit später verwandelt sich das Hochwasser der Ahr in einen reißenden, tödlichen Strom.
Doch diese Video-Aufnahmen erreichen das Innenministerium und Innenminister Roger Lewentz in dieser Nacht nicht. Er erhält nur vier einzelne Bilder, die der Pilot mit seinem Handy gemacht hatte.
Die Videos schickt die Polizei erst nach mehreren Nachfragen des Untersuchungsausschusses nach Mainz – mehr als 14 Monate nach der Flut. Erst seit dieser Woche befragen die Ermittler der Staatsanwaltschaft Koblenz Mitglieder der Hubschrauberstaffel, wie etwa den Piloten – denn auch die Staatsanwaltschaft hat erst jetzt die Videos erhalten. Warum das erst jetzt passiert ist, wollen die Freien Wähler heute im Rechtsausschuss wissen.
Lisa-Marie Jeckel, Freie Wähler, Landtagsabgeordnete Rheinland-Pfalz
„In diesem Ausschuss, da werden wir dem genau auf den Grund gehen, was die Staatsanwaltschaft gewollt hat, was sie angefragt haben und wo es hing, wer die Videos hatte, wer von ihnen wusste, in welchem Ministerium sie waren und wie die Ministerien miteinander kommuniziert haben. Das sind Fragen, die wir hier hoffentlich beantwortet bekommen.“
Doch der beschäftigt auch die Frage, was der rheinland-pfälzische Innenminister in der Flutnacht wusste und warum er nicht persönlich das Krisenmanagment übernahm.
Die Landtagsfraktionen fordern bereits seinen Rücktritt. Die AfD geht heute einen Schritt weiter.
Jan Bollinger, AfD, Landesvorsitzendr Rheinland-Pfalz
„Wenn der Innenminister trotz seines offenkundigen Versagens an seinem Stuhl klebt und wenn die Ministerpräsidentin nicht bereit ist, die Konsequenzen zu ziehen, dann muss das der Landtag tun. Wir fordern eine Sondersitzung des Landtages, in der dem Innenminister das Misstrauen ausgesprochen wird.“
Für einen Misstrauensantrag benötigt die AfD die Stimmen von acht weiteren Landtagsabgeordneten – zurücktreten müsste Lewentz erst, wenn bei einem solchen Votum die Mehrheit der Landtagsabgeordneten ihm das Vertrauen entziehen. Eine solche Mehrheit ist allerdings zurzeit unwahrscheinlich, da sich Ministerpräsidentin Malu Dreyer hinter Lewentz gestellt hat.
Doch der Druck auf den Minister wächst – durch eine Flutkatastrophe, über die schon ein Landrat und eine andere ehemalige Landesministerin gestürzt sind.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Auch über ein Jahr nach der verheerenden Nacht sind noch viele Fragen offen. Man hat sogar den Eindruck, je mehr Zeit vergeht, umso mehr Fragen stellen sich. Deshalb ist jetzt der rheinland pfälzische Innenminister bei mir, Roger Lewentz. Guten Abend.
Roger Lewentz, SPD, Innenminister Rheinland-Pfalz: Guten Abend.
Dieterle: Herr Lewentz, es muss Sie doch auch ganz persönlich umtreiben, die Frage, wie es sein kann, dass Sie 14 Monate lang keine Kenntnis von diesen Videos hatten?
Lewentz: Ja, das ärgert einen. Das ist vollkommen klar. Aber in der Tat, ich habe sie in dieser Nacht nicht gesehen. Darauf wäre es angekommen. Und die beiden Polizeipräsidenten – Polizeipräsidium Koblenz, Polizeipräsidium Einsatz Logistik Technik, da gehört die Hubschrauber-Staffel zu – haben auch, glaube ich, klar machen können: In dieser Nacht galt für die Polizei Hilfeleistung, Hilfeleistung. Die haben alles getan. Die Hubschrauber sind bis an den Rand dessen gegangen, was man verantworten kann. Es waren ganz schreckliche Witterungsbedingungen, um zu helfen, um Aufklärung zu betreiben. Und dann ist das Video leider in der Nacht nicht mehr übertragen worden.
Dieterle: Als Innenminister haben Sie und auch Ihr Ministerium die Verantwortung dafür, dass alle relevanten Informationen an der richtigen Stelle landen. Warum ist das hier nicht passiert?
Lewentz: Ich glaube, das ist tatsächlich ein Malheur, das sich aus dieser Nacht, aus den Stunden und Tagen danach erklärt. Die Hubschrauberstaffel hatte ab Morgen erneut wirklich so viel zu leisten, um aus der ganzen Republik Hilfe-Hubschrauber herbeizubekommen. Wir haben ja noch 323 Menschen von Dächern und aus Bäumen gerettet. Das war ihre erste Priorität: Hilfe holen und zwar so viel wie es geht, Lufthilfe.
Dieterle: All diese Geschehnisse lassen aber doch stark vermuten, dass auch beim Innenministerium in dieser Nacht und danach Fehler passiert sind?
Lewentz: Also wenn Fehler passiert sind, dann muss man sagen, bei einer solchen Ausnahmesituation glaube doch keiner, dass alles wie am Schnürchen laufen kann. Aber wir hatten diese Videos in der Nacht und auch danach nicht im Innenministerium. Ich habe keine Kenntnis darüber, auch nicht über die Inhalte. Ich habe vier Bilder geschickt bekommen. Als ich die Bilder geschickt bekommen habe, hatte der Landkreis schon Katastrophenalarm ausgelöst, die Räumung angeordnet, mitgeteilt, dass die Bundeswehr kommt und dass Tote drohen können.
Dieterle: Sie haben vorher unermüdlich erklärt, dass Sie kein umfassendes Lagebild aus der Flutnacht hatten. Welche Informationen hatten Sie denn?
Lewentz: Ich hatte vier Bilder aus einem Hubschrauber. Ich hatte zu Beginn die Informationen, dass es Rettungssituationen gibt, die dann aus der Luft in einem Campingplatz abgeholfen werden konnten. Und mir war klar, ich war ja in der technischen Einsatzleitung, dass das Hochwasser in dieser Nacht höher werden würde als das Jahrhunderthochwasser nur fünf Jahre zuvor. Das war damals 3,71, die Ankündigung war es knapp über 4 Meter. Damit war klar, das bekannte Jahrhunderthochwasser wird überschritten. Aber alle Szenarien waren auf ein Hochwasser ausgelegt.
Dieterle: Jetzt sagen Sie, auch wenn Sie damals diese Videos gesehen hätten, dann wären Sie von einem schweren Hochwasser, von einem schlimmen Hochwasser ausgegangen, nicht aber von dieser Flutkatastrophe. Wir haben ja die Videos auch alle gesehen. Da sieht man Häuser, die von Wassermassen eingeschlossen sind, verzweifelte Menschen. Das ist doch eine Katastrophe!
Lewentz: Das ist eine sehr, sehr starke Hochwassersituation. Und die Menschen haben die garantiert als Katastrophe empfunden. Was man dort nicht sieht, das, was sie am nächsten Tag gesehen haben, diese explosionsartigen Situation an den Brücken, diese Verklausungen, die stellen sich da nicht dar. Die Springfluten, die auch die Staatsanwaltschaft in ihrem hydrologischen Gutachten beschreibt, das kann man dort in dieser Form nicht erkennen.
Und dass am Schluss rund 10.000 Häuser in Mitleidenschaft gezogen wurden und viele weggerissen wurden, sieht man da auch nicht. Ich habe ganz, ganz großes Verständnis für die Menschen, die sagen: „Wir haben aus Angst in unserem Haus auf dem Dach gesessen“. Vollkommen klar. Aber wir hätten auch nicht mehr heranführen können.
Dieterle: Was hätte in dieser Nacht noch passieren müssen, dass Sie als Innenminister persönlich eingreifen?
Lewentz: Das ist in der Struktur nicht vorgesehen. Wichtig ist, dass die technische Einsatzleitung vor Ort diejenigen sind, die die Personen-, die Einsatzführungen vor Ort machen, in den Feuerwehren, in den Rettungsdienst-Organisation und die Örtlichkeiten kennen. Man kann zum Beispiel nur evakuieren oder räumen, wenn man weiß, wohin man die Menschen in Sicherheit bringen kann, wie die Wege sind, von wo nach wo sozusagen geräumt werden muss. Das kann man aus Mainz heraus nicht für ein Dorf an der Ahr oder für einen Straßenzug in Bad Neuenahr-Ahrweiler entscheiden.
Dieterle: Die politische Verantwortung tragen Sie. Persönliche Konsequenzen, wie zum Beispiel einen Rücktritt, wie es jetzt die Opposition ja vehement fordert, die wollen Sie nicht ziehen. Warum?
Lewentz: Also ich bin ja viel an der Ahr und werde auch oft – ich war in der letzten Woche zweimal dort – wirklich sozusagen in die Pflicht genommen: „Eure Aufgabe jetzt ist, den Wiederaufbau so zu organisieren, dass wir wieder Zukunft bekommen, dass wir dieses dramatische Ereignis wenigstens sozusagen perspektivisch hinter uns lassen können. Und Ihre Pflicht ist es, den Katastrophenschutz neu auszurichten“. Entsprechende Vorschläge für die Rahmenbedingungen habe ich ja unterbreitet. Ich glaube, das ist das, was man von uns, von mir erwartet dass wir diesen Weg konsequent gehen.
Dieterle: Also viele Aufgaben für die Zukunft und kein Rücktritt. Herr Lewentz, vielen Dank, dass Sie heute hier waren.
Lewentz: Vielen Dank.