Bischof Peter Kohlgraf zum Reformprozess in der Kirche

Ist es jetzt an der Zeit zu gehen? Diese Frage stellen sich gläubige Christen und immer mehr beantworten die Frage mit „Ja“. Das zeigt sich an dieser Zahl: Erstmals sind Kirchenmitglieder in Deutschland in der Minderheit. Und die Zahl wird noch schneller zurückgehen, weil die Kirche sich immer weiter von den Gläubigen entfernt – so der Vorwurf.

Das sieht man zum Beispiel am Reformprozess „Synodaler Weg“. Geschlagene zweieinhalb Jahre hat man dringende Reformvorschläge besprochen und dann fällt das Abschlusspapier zur Erneuerung der Sexualmoral in der letzten Abstimmung durch. Kurz vor der Vollversammlung der Bischofskonferenz Ende des Monats in Fulda steht die Kirche in Sachen Reform vor dem Scherbenhaufen.
Andrea Keber in der katholischen Kirche Sankt Georg in Nieder-Olm. Seit 25 Jahren engagiert sie sich hier in der Kirchengemeinde, seit 2019 ist sie auch bei Maria 2.0 aktiv, macht sich für Reformen in der katholischen Kirche stark. Darüber dass das Grundsatzpapier auf der Synodalversammlung abgelehnt wurde, ist sie heute noch enttäuscht.
„Leben in gelingenden Beziehungen“ – so lautete der Titel des Papiers. Es ging um Reformbedarf bei der Frage der Sexualmoral, die Rolle der Frau in der Kirche, die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften und die Rechten von geschiedenen Paaren.
Das Nein der Bischöfe zu diesen Reformen zeige, dass ihnen das Gespür für das Leid der Menschen fehle, die mit diesen überholten Lehren leben müssten, sagt Andrea Keber.
Andrea Keber, Maria 2.0 aus Nieder-Olm
„Nehmen wir mal zwei Männer, die heiraten möchten oder die zusammen leben möchten, den kirchlichen Segen dafür haben möchten und wir verweigern ihnen denen. Wer sind wir, dass wir Gottes Segen verweigern können? Und muss doch eine ganz, ganz große Enttäuschung sein, dass ausgerechnet diejenigen, die überhaupt noch was von uns wollen, im Prinzip weggeschickt und ausgegrenzt werden.“
Rund 82 Prozent der Synodalversammlung stimmten für das Papier. Aber laut Satzung müssen die Bischöfe eine eigene Zweitdrittelmehrheit aufbringen – und die kam nicht zustande. Damit war die Reform vom Tisch. Vor allem die Art und Weise, wie das Reformpapier abgelehnt wurde, sorgte bei vielen Teilnehmern für Kritik.
Johannes zu Eltz, Stadtdekan aus Frankfurt, am 09.09.2022
„Ich bin nicht enttäuscht über eine verlorene Abstimmung, das gehört dazu im Synodalwesen, sondern ich bin ärgerlich darüber, dass das nicht vorher klar auf den Tisch kam.“
Irme Stetter-Karp, Präsidentin Zentralkomitee der deutschen Katholiken, am 10.09.2022
„Man konnte klar erkennen, es gibt Menschen in dieser Versammlung, die nicht offen ihre Meinung sagen und dann in der Abstimmung ablehnend auf den roten Knopf drücken. Und die nicht einmal danach über ihre Motive sprechen.“
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, beschreibt das Grundlagenpapier als „gelungenen, wunderbaren Signaltext“, die Ablehnung sei auch für ihn „sehr schmerzlich“. Er verstehe, dass viele enttäuscht seien, auch wenn nach dem abgelehnten Grundsatzpapier auf der Versammlung noch einige andere Anträge verabschiedet werden konnten.
Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender Deutsche Bischofskonferenz, am 10.09.2022
„Dass wir das ein Stück einholen konnten durch Handlungsempfehlungen, die wir in diesem Sinne klar und deutlich verabschiedet haben zu Fragen der Neubewertung der Homosexualität, zu Fragen der geschlechtlichen Vielfalt, das nimmt nicht weg dass diese Enttäuschung bleibt.“
Die Enttäuschung bleibt. Bei Andrea Keber in Nieder-Olm genauso wie bei vielen Menschen in ganz Deutschland. Diese Synodalversammlung – sie wird in Erinnerung bleiben und man fragt sich wirklich, wie es mit der katholischen Kirche in Deutschland weitergehen soll; einer Kirche, in der nicht nur die Bischöfe untereinander gespalten sind, sondern in der sich auch viele Bischöfe immer weiter von ihren Gläubigen zu entfernen scheinen.
Markus Appelmann, Moderator: Diese Fragen können wir gleich weitergeben an den Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, heute bei uns im Studio. Guten Abend.
Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz: Danke für die Einladung.
Appelmann: Herr Bischof Kohlgraf, wie haben Sie diesen Moment erlebt, als klar war, das Reformpapier ist gescheitert?
Kohlgraf: Es war ein wichtiges Dokument und auch bei mir war der Schrecken, ehrlich gesagt, groß. Damit hätte ich nicht gerechnet und ich glaube, viele andere Bischöfe auch nicht. Man muss sagen, es ist am Ende an drei Bischofsstimmen gescheitert, nicht an „den Bischöfen“ – auch wenn natürlich der Ärger verständlich ist, der dann im Raum war.
Appelmann- Jetzt heißt es aber, damit erst mal zu leben. Was bedeutet das für den Alltag in Ihrem Bistum? Wie gehen Sie zum Beispiel jetzt mit homosexuellen Menschen um?
Kohlgraf: Genauso wie vorher auch. Wir sind auf einem Weg, wo wir gesagt haben: Wir sind mit queeren Gruppen, wir sind mit Vertretern, Vertreterinnen bestimmter Gruppen auch im Gespräch und wir sind auf einem Weg, wo wir auch eine Seelsorge für queere Menschen jetzt einrichten, eingerichtet haben. Das läuft weiter und da sage ich wirklich, das ist ein Text – ich will das auch nicht kleinreden, aber wir sind auf dem Weg im Bistum Mainz da wirklich auch eine gute Seelsorge und Strukturen aufzubauen, die mit diesen Menschen in Kontakt bleiben.
Appelmann: Mit diesen Reformen richten Sie sich ja gegen den Vatikan der ja ganz klar gesagt hat, er ist gegen diesen Reformweg, so wie er angegangen werden sollte.
Kohlgraf: Weiß ich gar nicht. Also zunächst einmal geht es um seelsorgliche Begleitung, und da bin ich, glaube ich, relativ nah bei Papst Franziskus, dass ich sage: Wir müssen einen Raum des Willkommens, einen Raum der Freundschaft, einen Raum der Begleitung, einen Raum der Seelsorge für diese Menschen anbieten, und die gestalten ja mit. Das ist nicht so, dass wir was für die machen, sondern wir sind im Gespräch mit den betreffenden Menschen.
Appelmann: Es geht ja aber auch um Segen oder um Heiraten.
Kohlgraf: Segen – ich wiederhole das, was ich vor ein, zwei Jahren schon mal, als es um diese Fragen ging, auch im Rahmen des Synodalen Wegs, ich wiederhole das gerne, dass ich sage: Wir müssen wirklich in der Begleitung mit diesen Menschen eine Form finden, das zu segnen, was in diesen Partnerschaften auch wirklich gut ist. Und das gibt es. Es ist nicht einfach nur eine sündige Beziehung, was ja so in der katholischen Lehre normalerweise so plakativ gesagt wird, sondern es gibt Dinge, die in diesen Beziehungen gut sind und wertvoll sind. Und das zu segnen, da vertraue ich auf jeden einzelnen Seelsorger, Seelsorgerin, dass die da Wege in der Begleitung mit Einzelnen finden, da auch eine Form zu finden.
Appelmann: Und dann geht es aber auch um die Integration der Frauen in der katholischen Kirche. Und da lassen wir Andrea Keber aus Nieder-Olm nochmal zu Wort kommen, denn sie hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben.
Andrea Keber, Maria 2.0 aus Nieder-Olm
„Ich habe immer noch so die Hoffnung, wenn sich viel reformwillige Bischöfe zusammentun würden und einfach mal machen! Vielleicht auch ein bisschen über das Kirchenrecht hinausgehen. Das wäre so ein Wunsch, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass sich der Papst dann erlauben kann, diese ganzen Bischöfe dann abzusetzen. Vielleicht ist das naiv, mag sein. Aber es muss ja irgendwie weitergehen.“
Appelmann: Ja, was sagen Sie dieser Gläubigen?
Kohlgraf: Dieser Gläubigen werde ich sagen, das habe ich ihr auch schon gesagt, dass es genauso laufen wird. Wenn Bischöfe das machen, sind sie weg. Das ist im katholischen Kirchenrecht so angelegt. Wir haben einen Text, einen guten Text, glaube ich, verabschiedet auf dem Synodalen Weg, wo wir gesagt haben: Wir bieten einen Text an in die weltweite Diskussion, wo es genau um diese Frage geht – Zulassung von Frauen zu kirchlichen Ämtern – und wir bitten den Papst, diese Argumente, die in diesem Text stehen – und das sind gute Argumente – nochmal in die Diskussion mit hineinzunehmen, weil einfach die bisher gültigen Argumente viele Menschen nicht mehr überzeugen, und da die Diskussion nochmal zu öffnen. Das ist die Bitte und der dringende Wunsch an den Papst. Aber ein Bischof, der hier sozusagen seinen eigenen Weg geht, das wird so nicht funktionieren in der Weltkirche.
Appelmann: Viele sind ja nicht nur enttäuscht, dass das Reformpapier gescheitert ist, sondern wie es gescheitert ist, dass die Bischöfe so wenig davor auch darüber gesprochen haben. Das sagt doch viel aus über die Debattenkultur in der katholischen Kirche. So kann ein Reformprozess nicht gelingen.
Kohlgraf: Das sagt zumindest etwas aus manchmal auch über die Debattenkultur in der Bischofskonferenz. Wir haben natürlich über die Themen gesprochen, aber auch bei dem Synodalen Weg war es so, dass sich auch Teile der Bischofskonferenz an den Debatten nicht aktiv beteiligt haben. Und ich hätte mit diesem Ergebnis im Hinblick auf den Text über Beziehungen, gelingende Beziehungen, hätte ich nicht gerechnet, das sage ich ganz ehrlich.
Appelmann: Und Sie haben danach noch einen Satz gesagt: „Aber das Papier ist in der Welt“, haben Sie so ein bisschen trotzig gesagt Was bedeutet das?
Kohlgraf: Also manchmal ist es ja so, dass Papiere, die offiziell abgelehnt werden, noch erhöhtes Interesse erfahren. Ich glaube, das gilt für dieses Papier auch. Und das ist einfach so. Und wir haben Vertreter aus anderen Ländern gehabt, die diesen Prozess beobachten. Eine Vertreterin aus Luxemburg hat gesagt: „Unsere Bischöfe arbeiten oder wir arbeiten in Luxemburg genau an diesem Papier, an diesem Thema“. Aus Australien kommen solche Töne. Also das Thema ist da. Das ist auch da. Und auch im Bistum Mainz halte ich das für einen guten Text, um weiter zu arbeiten. Und ehrlich gesagt, was in diesem Text steht, ist überhaupt keine Revolution, das ist Standard auch unserer akademischen Theologie an den Fakultäten. Das ist das, was unsere Theologiestudierenden an den katholischen Fakultäten lernen als ethische, sittliche, ethische Themen über Sexualität und Beziehung und Partnerschaft.
Appelmann: Sie sagen es ja gerade, das zum Abschluss vielleicht noch mal, Sie sagen, das ist Standard. Zeigt es nicht auch, dass sich die Kirche immer weiter von der Lebenswirklichkeit der Gläubigen entfernt, wenn sie solche Sachen macht?
Kohlgraf: Die Kirche ist vielfältig, das haben wir gemerkt. Ich weigere mich auch zu akzeptieren, dass immer von „den Bischöfen“ die Rede ist. Auch die Bischofskonferenz ist vielfältig, mit vielen Meinungen, mit vielen Positionen. So das Bashing – so ganz möchte ich es nicht akzeptieren.
Appelmann: Aber Sie werden sich ja jetzt treffen, Ende September in Fulda zur Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Da wird es doch um die Zukunft der katholischen Kirche gehen. Droht da eine Spaltung?
Kohlgraf: Eine Spaltung droht erst mal nicht. Aber ich glaube, wir müssen auch in der Bischofskonferenz über die Form der weiteren Zusammenarbeit reden, das ist völlig klar. Natürlich ist da ein Spalt. Wir gehen kollegial und auch anständig miteinander um. Das ist die eine Seite. Aber wenn es um Inhalte geht, sind Positionen im Raum, die nicht vereinbar sind, und wie wir damit umgehen, das wird sicherlich auch Thema werden müssen.
Appelmann: Das wird eine spannende Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Danke für die offenen Worte, Bischof Peter Kohlgraf.
Kohlgraf: Danke.