Energiekrise belastet chemische Industrie

Der Bundeswirtschaftsminister steht seit Tagen unter Druck. Grund ist die umstrittene Gasumlage, die Energieversorger vor der Insolvent bewahren soll. Problem: Es haben auch Unternehmen diese Umlage beantragt, die Milliardengewinne machen. Daher hat Robert Habeck heute eine Änderung der geplanten Gasumlage zugesagt. Unterdessen steigt der Gaspreis munter weiter. Die in Rheinland-Pfalz so wichtige Chemieindustrie blickt mit Sorge auf die steigenden Kosten.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Hand am Gashahn. Wird er ihn ganz zudrehen oder bleibt er halb geöffnet? Eine Frage, die Politiker und Unternehmen seit Monaten beschäftigt und beunruhigt, denn es geht um die Energieversorgung in ganz Deutschland.
Energie, die zum Beispiel die chemische Industrie in Rheinland-Pfalz dringend benötigt. Allein die BASF in Ludwigshafen verbrauchte letztes Jahr so viel Gas wie die gesamte Schweiz. Denn Gas liefert nicht nur Energie, sondern ist auch ein wichtiger Grundstoff für die Produktion. Jetzt ist das Gas knapp und die Preise steigen enorm. Ab Oktober sollen Unternehmen und Privathaushalt zusätzlich eine Gasumlage zahlen, um notleidende Energieversorger vor der Pleite zu bewahren.
Doch nach dem ersten Gesetzentwurf von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, hätten von der Gasumlage auch Unternehmen profitiert, die wirtschaftlich gut dastehen. Deswegen soll der Gesetzentwurf jetzt nachgebessert werden. Gleichzeitig plant die Bundesregierung für die Bürger weitere Entlastungspakete.
Um die Kosten zu senken, versucht die BASF Gas einzusparen und einen Teil der Produktion auf Öl umzustellen. Erneuerbare Energien können das Gas noch nicht ersetzen und die letzten Atomkraftwerke werden Ende des Jahres abgeschaltet.
Am Mittwoch wird die Gaslieferung durch die Pipeline Nord Stream 1 erneut für mehrere Tage unterbrochen. Grund sind angeblich notwendige Wartungsarbeiten. Ob der Hahn dann wieder aufgeht, ist unklar. Falls nicht, stehen der Chemiebranche in Rheinland-Pfalz harte Zeiten bevor.
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Markus Appelmann, Moderator: Darüber sprechen wir jetzt mit, Dr. Bernd Vogler. Er ist der Geschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie in Rheinland Pfalz. Guten Abend.
Dr. Bernd Vogler, Geschäftsführer Verband Chemische Industrie Rheinland-Pfalz: Guten Abend.
Appelmann: Verfolgen Sie die Sorgen Ihrer Mitgliedsunternehmen bis in den Schlaf oder sagen Sie angesichts dieser großen Herausforderungen: „Da brauche ich einen gesunden Schlaf“?
Vogler: Nun, es sind natürlich sehr, sehr herausfordernde Zeiten. In dieser Situation die Produktion am Laufen zu halten, das ist schon immens aufwendig. Und was da geleistet wird, momentan in unseren Firmen von den Belegschaften, vom Management, das ist schon sehr, sehr viel. Und natürlich die Sorge um das Gas, die ist groß. Aber jetzt geht es ums Handeln. Krise, das ist Zeit fürs Machen und genau das passiert momentan in unseren Firmen.
Appelmann: Lassen Sie uns mal über Zahlen sprechen. 3 Milliarden Euro kostet die chemische Industrie in Deutschland die Gasumlage, dazu stetig steigende Gaspreise. Schaffen Sie das überhaupt noch oder schauen sich Ihre Mitgliedsunternehmen nach Standorten außerhalb von Deutschland um?
Vogler: Nun, ich meine, die Gasumlage wäre natürlich noch eine weitere bittere Pille für uns zu schlucken im Kostenwettbewerb. Nur bei der ganzen Diskussion um Gerechtigkeit, um Gestaltung dieser Gasumlage – mir wäre es lieb, mal auf das Gesamtbild zu gucken. Fakt ist, wenn Sie nach USA sehen, kostet Gas die Kilowattstunde gerade mal drei Cent, bei uns über 30 Cent. Also das ist schon eine Größenordnung: drei Cent – über 30 Cent. Das kann man auf Dauer nicht tragen im Wettbewerb. Und da müssen auch Entlastungen her, die auch über die Gasumlage hinausgehen.
Appelmann: Viele Unternehmen stellen momentan von Gas auf Öl um. Die Politik muss da das Go geben und man hört raus, das sind lange Einzelgenehmigungsverfahren. Was fordern Sie da von der Landespolitik? Mehr Tempo, mehr Krisenbewusstsein?
Vogler: Tja, dieser Fuel Switch benötigt in der Tat eine gesetzliche Änderung, die wir noch nicht haben. Und zwar ein Bundesemissionsschutzgesetz. Das ist im Detail beliebig kompliziert, aber Fakt ist: Der Ball liegt in Berlin. Berlin muss liefern. Wir brauchen das, damit der Beamte in Rheinland-Pfalz eine verlässliche Rechtsgrundlage hat, um dann diesen Fuel Switch auch zu genehmigen. Wir sind da im Gespräch mit der Landesregierung, wir sind uns auch darüber einig, dass das funktionieren muss, nur um so einen kleinen Dämpfer in die Hoffnung zu geben, jede Kilowattstunde ist wertvoll, aber wir können mit dem Fuel Switch vielleicht gerade mal 1 bis 2% unseres Gases ersetzen.
Appelmann: Verstehe. Ist denn die chemische Industrie in Rheinland-Pfalz auf einen Totalstopp des russischen Gases vorbereitet? Oder ist dann Feierabend mit Konsequenzen für die zigtausenden Jobs?
Vogler: Also, einen Stillstand der Chemie in Rheinland-Pfalz darf es schlicht nicht geben. Denn ohne Chemie kein Automobil, keine Medizinprodukte, keine Blutbeutel, keine Farben, Dämmstoffe usw. Es hängt praktisch die gesamte deutsche Industrieproduktion dran. Das ist die Besonderheit der Chemie. In praktisch jeder Produktion sind sie dringend auf chemische Stoffe angewiesen. Deswegen müssen wir alles tun in den Firmen, dass es eben nicht zum Stillstand kommt. Reduzieren, einsparen, wo es geht. Aber wichtig ist eben auch, dass wir alle Gas einsparen. Es gibt noch eine Besonderheit in der chemischen Industrie, nennt sich stoffliche Nutzung. Damit ist gemeint, wir sind die einzige Industrie, die Öl und Gas nicht nur verbrennt, sondern wichtige Produkte daraus macht. Das sind 30% unseres Gasverbrauchs und diese sind überhaupt nicht ersetzbar.
Appelmann: Verstehe. Wir haben nicht nur ein Gas-, sondern auch ein Stromproblem. Das hat ja, die Politik lange Zeit geleugnet. Heute hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zum ersten Mal das eingestanden und hat auch gesagt, wir müssen den Strommarkt reformieren, um die Preisexplosion in den Griff zu bekommen. Was sind da Ihre Erwartungen?
Vogler: Na ja, wir haben das Thema schon lange adressiert, weit vor der Krise, Stichwort Industriestrompreis, am besten auf europäischer Ebene. Ich weiß auch, das ist beliebig kompliziert. Aber der Fakt ist: Wir kämpfen schon immer mit viel zu hohen Energiepreisen gegenüber USA, Asien, Frankreich zum Teil auch. Man muss an das Thema heran. Das ist ein dickes Brett, was man bohren muss, das ist nicht einfach, das auch rechtssicher zu machen, aber wir brauchen das, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Appelmann: Abschliessende kurze Frage: Können Sie in dieser Lage nachvollziehen, dass die politische Entscheidung in Sachen Atomkraft zu lange dauert? Es geht ja darum, die drei aktiven Atomkraftwerke über das Jahr hinaus am Netz zu behalten. Da geht es um aktuell 6% Strom in Deutschland.
Vogler: Richtig. Minister Habeck hat ja gesagt, man muss in der Krise auch Dinge machen, die man nicht will, um das Schlimmste zu verhindern. Das ist richtig und jetzt sollte er das auch tun. Nurr, wir haben auch einen anderen Bereich, 16% Gas, das wir verbrennen, um Strom herzustellen momentan. Also auch da würde ich mir wünschen, rasch umzustellen auf Ersatzbrennstoffe. Und was für uns natürlich als Branche mit dem Blick in die Zukunft immens wichtig ist: Die Zukunft liegt im grünen Strom, im grünen Wasserstoff. Und auch da brauchen wir Weichenstellungen von der Politik, um eben klimaneutral werden zu können.
Appelmann: … sagt Dr. Bernd Vogler, der Geschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie in Rheinland-Pfalz. Danke für Ihren Besuch.
Vogler: Danke schön.