Zu lange Verfahrensdauer – verurteilter mutmaßlicher Mörder frei

Wir starten mit einem Gerichtsbeschluss, der gerade in Rheinland-Pfalz die Gemüter erhitzt. Ein 19-Jähriger, den das Landgericht Frankenthal wegen Mordes, Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs zu zehn Jahren Haft verurteilt hat, ist wieder auf freiem Fuß. Zumindest vorübergehend. Denn das Oberlandesgericht in Zweibrücken hat den Haftbefehl gegen den Mann aufgehoben.

März 2020. An diesem Weiher in Ludwigshafen soll der damals 17-jährige Lukas V. ein gleichaltriges Mädchen vergewaltigt und dabei so sehr gewürgt haben, dass es einen Tag später an den Verletzungen starb.
Vor zwei Monaten verurteilt das Landgericht Frankenthal den Angeklagten wegen dieser Tat und drei weiteren Vergewaltigungen Minderjähriger zu zehn Jahren Haft – der Höchststrafe für Jugendliche.
Doch rechtskräftig ist das Urteil rund zweieinhalb Jahre nach der Tat noch immer nicht, weil Staatsanwaltschaft und Verteidigung Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt haben.
Gestern dann hebt das Oberlandesgericht Zweibrücken die Untersuchungshaft des mutmaßlichen Mörders auf, da sich das Verfahren zu lange hinziehe.
Tanja Rippberger, Sprecherin Oberlandesgericht Zweibrücken
„Die Hauptverhandlung habe 22 Monate gedauert und es sei an 57 Tagen verhandelt worden, davon 20 Mal nur in sogenannten Kurzterminen, das heißt weniger als zwei Stunden. Die dadurch eingetretene Verzögerung habe insgesamt sechs Monate betragen und sei nicht durch sonstige prozessuale Maßnahmen kompensiert worden.“
Bei Haftverfahren gilt ein sogenanntes Beschleunigungsgebot. Eine Verlängerung der U-Haft nach sechs Monaten ist nur aus wichtigen Gründen möglich. Die wäre aus Sicht des Oberlandesgerichts jedoch nicht verhältnismäßig gewesen.
Tanja Rippberger, Sprecherin Oberlandesgericht Zweibrücken
„Ein Angeklagter, der in Untersuchungshaft sitzt, hat das Recht, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft überprüft wird. Gesetzlich ist das vorgeschrieben. Das nennt man Haftprüfung, wenn die Hauptverhandlung nicht binnen sechs Monaten nach Beginn der Untersuchungshaft begonnen hat.“
Das Landgericht Frankenthal begründet die Prozessdauer mit einer umfangreichen Beweisaufnahme. Schriftlich teilt eine Sprecherin mit:
„Es waren viele Personen an dem Prozess beteiligt. […] Mit allen diesen mussten sämtliche 57 Prozesstermine abgestimmt werden. Hinzu kamen während des Prozesses mehrere Krankheitsfälle, u.a. Corona-Erkrankungen, von Prozessbeteiligten, die dazu geführt haben, dass das Verfahren über Wochen nicht weiter betrieben werden konnte.“
Außerdem sei der Verteidiger des Angeklagten terminlich „sehr stark ausgelastet“ gewesen.
Eine Erklärung, die das OLG nicht gelten ließ. Der Anwalt der Nebenklage teilt heute mit, die Aufhebung der U-Haft sei für ihn und die Familie des toten Mädchens nicht nachvollziehbar. Die Staatsanwaltschaft erhofft sich von der Revision eine Sicherungsverwahrung für den Angeklagten. Erst, wenn der Bundesgerichtshof über die Revision entscheidet, kann das Urteil rechtskräftig werden. Solange bleibt der mutmaßliche Mörder auf freiem Fuß.