Zu Gast im Studio – Dirk Pollert von der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände

Immer weniger Menschen wagen den Schritt in die Selbständigkeit. So sind etwa in Hessen zurzeit nur noch rund 300.000 Bürger ihr eigener Chef – das ist der niedrigste Stand seit 1996. Und auch die Zahl der jährlichen Firmengründungen geht immer weiter zurück: Heute sind es etwa 25 Prozent weniger als noch vor zehn Jahren. Woran das liegt und was passieren muss, um die Situation wieder zu verbessern – darüber spricht Eva Dieterle mit Dirk Pollert, dem Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmeverbände. Doch zunächst zeigen wir am Beispiel eines jungen Start-up-Unternehmens aus Darmstadt, warum der Weg in die Selbständigkeit selbst in schwierigen Zeiten durchaus lohnenswert sein kann.

Die Firma COMPREDICT in Darmstadt: 30 meist junge Mitarbeiter basteln hier an Lösungen für Software, mit der sich die Lebensdauer von Fahrzeugteilen im laufenden Betrieb exakt berechnen lässt. Vor acht Jahren hat Rafael Fietzek das Start-up-Unternehmen gemeinsam mit einem Studienfreund gegründet. Inzwischen zählen namhafte Automobilhersteller und Zulieferbetriebe aus aller Welt zu ihren Kunden. Fietzek hat Wirtschaftsingenieurwesen studiert und anschließend an der Technischen Universität Darmstadt im Fach Mechatronik promoviert. Er hätte bei einem großen Unternehmen schnell viel Geld verdienen können, doch er wagte den Schritt in die Selbständigkeit.
Rafael Fietzek, Gründer COMPREDICT GmbH
„Einer meiner besten Freund, der hat Flixbus gegründet. Ich habe das quasi live mitgekriegt in den ersten Tagen, wie das so ging. Wie er das aufgebaut hat. Die waren erst zu dritt. Bis zu einhundert Leuten, wie das skaliert hat. Wie er das aufgebaut hat, wie er mit Investoren geredet hat. Und das hat mich einfach motiviert, das auch zu versuchen.“
Bis heute hat er diesen Schritt keine Minute lang bereut. Sein eigener Herr zu sein, eigene Entscheidungen zu treffen, schnell die eigenen Erfolge zu sehen – das alles könne ihm ein Leben als Angestellter trotz aller Annehmlichkeiten nicht bieten. Auch wenn ihm die Führung seines eigenen Unternehmens oft alles abverlange und auch schon mal für schlaflose Nächte sorge.
Rafael Fietzek, Gründer COMPREDICT GmbH
„Man muss sich bewusst machen: Das ist ein Marathon, kein Sprint. Also man muss viel Ausdauer einfach auch haben. Das dauert lange. Es ist schwierig. Es macht aber auch sehr viel Spaß. Man lernt sehr viel. Aber man muss motiviert sein. Man muss alles geben.“
Dabei treibt den Chef vor allem ein Thema um, das wohl bei den meisten Gründern ganz oben auf der Liste steht.
Rafael Fietzek, Gründer COMPREDICT GmbH
„Es ist immer zu wenig Geld da. Man muss seine Miete weiter bezahlen, man hat Lebenshaltungskosten und das muss man irgendwie finanzieren. Wir hatten Glück. Wir hatten damals das EXIST Gründerstipendium bekommen. Die TU Darmstadt hat uns unterstützt, das zu bekommen. Und das hat uns ermöglicht, ein Jahr lang unsere Idee auszuprobieren, am Markt ein bisschen zu testen, mit Investoren zu reden.“
Ohne diese Anschub-Finanzierung hätte das junge Unternehmen auf einem umkämpften Markt wohl nicht lange überlebt. Dank starker Investoren hatte COMPREDICT dann aber sogar genug Kraft, die Corona-Krise erfolgreich zu überstehen. Mittlerweile ist die Firma COMPREDICT in ihrer Branche Marktführer in Deutschland. Nicht das letzte Ziel: In den kommenden Jahren will das Darmstädter Start-up-Unternehmen noch weiter aufsteigen – bis hin zum Weltmarktführer.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Und jetzt begrüße ich den Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände bei mir im Studio, Dirk Pollert. Guten Abend.
Dirk Pollert, Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände: Guten Abend.
Dieterle: Herr Pollert, warum sind Selbstständige so wichtig? Warum ist es so wichtig, dass sich immer wieder auch kleinere, mittlere Unternehmen neu gründen?
Pollert: Ja, Start-ups sind besonders wichtig für Wachstum und Wohlstand in Hessen, insbesondere in Zeiten des Strukturwandels. Sie schaffen mit viel Hebelwirkung Beschäftigung, insbesondere in den Bereichen IT, IT-Lösungen, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Seit 2015 sind allein in dem Bereich der IT Dienstleistungen deutschlandweit über 320.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Wir haben bei uns im Verband viele IT Start-ups. Die hatten vor wenigen Jahren noch zwei, drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und haben jetzt schon 20, 30 oder sogar 50 Mitarbeiter. Und das ist was Gutes.
Und diese ganze Entwicklung eröffnet es etablierten Unternehmen sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren und IT-Lösungen zur IT, Sicherheit oder zur Energieeffizienz, die werden dann eingekauft.
Dieterle: Klingt alles attraktiv und trotzdem sind ja nicht nur in Hessen, aber auch da, die Zahlen rückläufig. Was ist aus Ihrer Erfahrung … was sind die Hauptgründe dafür, dass es so wenig Firmengründungen gibt in Hessen?
Pollert: Das sind natürlich viele Gründe. Eine der Hauptursachen ist aus meiner Sicht, dass wir noch ein klareres Bekenntnis in unserer Gesellschaft für Unternehmertum, für die Freude am Erfolg, für den Willen zum Erfolg letztendlich bringen. Das müssen Dauerläufer sein, Unternehmerinnen und Unternehmer. Und deswegen finde ich es auch gut, dass an Schulen beispielsweise zunehmend mehr Unternehmensplanspiele stattfinden.
Wir müssen die ökonomische Bildung an Schulen letztendlich gezielt ausweiten, damit einer mit Freude sich auch solchen Berufswünsche letztendlich nähert. Ganz wichtig sind solche Preise wie der Hessische Gründerpreis und die Universitäten. COMPREDICT ist ja auch im Umfeld der TU Darmstadt errichtet worden. Universitäten sind der Nährboden, wo sich Hochschulabsolventen am Ende selbstständig machen, mit der Wissenschaft zusammenarbeiten, und wenn sie dann noch Kooperationspartner im Bereich der etablierten Unternehmen finden, dann haben wir eine tolle Mischung. Und dann wird man Weltmarktführer.
Dieterle: Wie viel Risiko gehe ich denn tatsächlich ein, wenn ich ein Unternehmen gründe? Das ist eine Frage, die viele beschäftigt.
Dieterle: Das hängt natürlich sehr von der Qualität des Businessplans, des Geschäftsmodells ab. Wie viel Wettbewerber habe ich in dem Bereich? Habe ich mich für eine GmbH entschieden – dafür brauche ich aber auch Geld. Dann habe ich eine beschränkte Haftung. Habe ich Investoren gefunden? Habe ich Eigenkapital? Greife ich zurück auf Forschungsmittel, staatliche Forschungsmittel? Wir haben in Hessen eine gute Förderlandschaft mit der hessischen Bürgschaftsbank oder der WIBank.
Am Ende des Tages muss ich mir aber ein gewisses Limit setzen. Wenn es da nicht klappen sollte, sollten die Schulden nicht zu hoch sein. Wir haben steigende Zinsen ja gerade. Und ich finde persönlich, der Fachkräftemangel hat hier etwas Gutes. Weil wenn ein Maschinenbauingenieur dann seine erste Selbstständigkeitsidee gegen Baum fahren sollte, weil sie nicht geklappt hat, dann kann er bei Opel, Samson oder woanders arbeiten, dann muss er wieder ein bisschen sparen und dann kommt er mit der zweiten Idee vielleicht später um die Ecke.
Dieterle: Also Sie sagen, es ist durchaus machbar. Kann es sein, dass ein Grund auch ist, dass die junge Generation mehr auf Sicherheit setzt, mehr Planbarkeit anstrebt, auch feste Arbeitszeiten?
Pollert: Die Frage ist, ob sie es eingeredet bekommen. Da ist ein falscher Geist teilweise auch unterwegs. Ich persönlich glaube, dass die jungen Leute mehr über sinnstiftende Arbeit sich Gedanken machen. Und es ist doch cool, wenn ich Softwarelösungen letztendlich mir einfallen lasse, wie man energieeffizienter produziert.
Und wenn ich das noch befreit von einem unzeitgemäßen Arbeitszeitgesetz mache und ich der Herr meiner eigenen Zeit bin und mir überlege, wann ich für die Firma arbeite und am Ende der Erfolg steht und etwas klappt, dann ist das doch für das eigene Wertegefühl doch ganz was Gutes und am Ende des Tages zahle ich dann mehr Steuern als andere und ich schaffe Arbeitsplätze.
Dieterle: Zur Wahrheit gehört schon aber dazu, dass Selbstständigkeit und die Work-Life-Balance, die eben – ein Modewort – ist ganz vielen sehr wichtig, dass sich das ein bisschen beißt, oder?
Pollert: Das beißt sich natürlich. Aber die Daniel und Daniela Düsentriebs, die in der Lage sind, nachhaltig ein Unternehmen zu gründen, die sind auch so kreativ, für sich selber zu entscheiden, wie man Berufliches und Privates auf die Kette kriegt letztendlich. Und das ist eine individuelle Lebensentscheidung von jedem selber, ob ich das will.
Eins ist ganz klar: Man muss mehrere Jahre die Ärmel hochkrempeln und mehr tun als andere. Aber wenn’s denn dann klappt, hat man ja auch ein auskömmliches Leben.
Dieterle: Ihr Appell an die, die mutig genug sind: einfach trauen. Herr Pollert, vielen Dank, dass Sie heute zu diesem Thema bei uns waren.
Pollert: Sehr gerne, jederzeit wieder.