Zu Gast im Studio – die hessische Grünen-Vorsitzende Kathrin Anders

Einige Monate ist es nun schon her, dass die Grünen dort aus der Regierung geflogen sind. Und auch bundesweit gibt es aktuell wenig Grund zur Freude. Die Grünen erleben einen wahren Sinkflug in den Umfragen. Sie landen bei gerade mal 10 bis 12 Prozent. Das schlechteste Ergebnis seit sechs Jahren. Darüber spricht EvaDieterle im Studio mit der hessischen Landesvorsitzenden der Grünen, mit Kathrin Anders, die seit Januar im Amt ist.

Eine Partei führen in richtig schweren Zeiten. Das traut sich Kathrin Anders zu – 42 Jahre alt – Landtagsabgeordnete aus Bad Vilbel.
Ihre Partei hat einen harten Schlag abbekommen – von der CDU, dem einstigen Koalitionspartner. Grüne raus, SPD rein, so heißt es im Januar.
Kathrin Anders und Co bleibt nur eins: die Rolle der Opposition. Doch laut wolle man sein, verkündet die neue Spitze.
Schaut man auf die Bundesebene, will es dort auch nicht so richtig laufen. Die Ampel steht mit ihrer Politik weiterhin hart in der Kritik. Besonders abgestraft werden dafür – wieder die Grünen.
Warum ist das so? Trifft die Partei nicht mehr den Nerv der Zeit? Fragen, die spätestens seit Ende letzten Jahres auch die führenden Grünen in Hessen beschäftigen und – die durchaus auch Raum für Selbstkritik lassen.
Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen (am 27.01.2024)
„Sind wir manchmal zu kompliziert? Wo erreichen wir die Menschen nicht? Sind wir manchmal nicht nah genug an der Lebensrealität der Menschen? Nicht der Rückzug auf unsere alten grünen Gewissheiten und Weisheiten ist der richtige Weg, auch wir müssen unsere Komfortzone verlassen und uns fragen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger besser erreichen. “
Ohne die Grünen hat Ministerpräsident Boris Rhein jedenfalls viele Weichen neu gestellt. Es gibt eine schärfere Zuwanderungspolitik, die innere Sicherheit ist weiter in den Fokus gerückt und das Thema Landwirtschaft wurde zur Chefsache erklärt.
Ein Kurswechsel, den es so mit den Grünen nie gegeben hätte.
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Eva Dieterle, Moderatorin:
Und genau darüber wollen wir jetzt sprechen, über die hessische Landesregierung, aber auch über die Lage der Grünen. Und dafür begrüße ich bei mir die hessische Landesvorsitzende Kathrin Anders. Hallo, schön, dass Sie hier sind.
Kathrin Anders (Bündnis 90 / Grüne), Landesvorsitzende Hessen.:
Hallo, schönen Abend.
Dieterle:
Frau Anders, fangen wir da an, wo der Beitrag aufgehört hat. Boris Rhein hat ja in der neuen Koalition mit der SPD schon einige Punkte radikal verändert. Das lässt ihn in den Umfragen ja gelassen bei stattlichen 37 % dastehen. Heißt das, bei den Bürgern kommt seine Politik an oder was schließen Sie daraus?
Anders:
Also ich glaube, dass diesem Anfang der neuen Regierung in Hessen wenig Zauber innewohnt. Ich glaube, dass auch mit viel Symbolpolitik gestartet wurde. Und jetzt gilt es aber, drauf zu schauen, dass die wirklichen Probleme auch angepackt werden. Ich glaube, wir brauchen dringend eine Antwort auf den fehlenden Wohnraum, den bezahlbaren Wohnraum in Hessen. Wir brauchen dringend eine Antwort darauf, wie Menschen ihre Kinder betreut kriegen, wenn sie denn arbeiten wollen und müssen. Und natürlich vor allem auch das Thema der Inflation, der hohen, gestiegenen Kosten. Auch natürlich, was das Bauen und das Eigenheim angeht. Da sehen wir bisher keine Antworten. Und das sind ja die Dinge, an denen sich die Koalition messen wird.
Dieterle:
Wenn man auf die Zustimmungswerte schaut, dann scheint er aber mehr den Nerv der Menschen zu treffen, als es die Grünen tun mit ihrer Politik.
Anders:
Ich glaube, dass auch wir Grüne, die wir für Veränderung stehen, die wir auch Menschen was zumuten, dass wir mehr darauf achten müssen, was wir fordern, wie wir es fordern und dass wir Menschen dabei mitnehmen. Das habe ich mir zur Aufgabe gemacht in dieser Amtszeit, die ich jetzt innehabe, als Landesvorsitzende. Ich glaube, wir müssen die Menschen mitnehmen, wenn wir Veränderung wollen. Wir Grüne stehen an vielen Punkten für Veränderung. Aber das geht auch nur so, wie die Menschen eben bereit sind mitzugehen.
Dieterle:
Sie haben gerade schon ein bisschen die Selbstkritik auch angesprochen. Schauen wir mal auf die aktuelle Lage. Es gibt so viele Krisen aktuell, es gibt Krieg, es gibt Extremismus, es gibt die illegale Zuwanderung, die Menschen haben vielleicht oder viele Menschen nicht die Energie, sich permanent mit der Klimakrise zu beschäftigen, auch wenn die Grünen das gerne hätten.
Anders:
Die Klimakrise, die ist sicherlich da und sie zeigt sich ja an vielen Stellen. Ob bei Starkregenereignissen in Nordhessen, wo ganze Dörfer unter Wasser standen jetzt vor wenigen Tagen oder jetzt mit der großen Hitze. Ich glaube, dass das Thema Klima nicht weg ist. Aber wir müssen uns eingestehen als Grüne und ich denke generell als Politik, dass wir Politik mit den Menschen machen müssen. Und ich sehe gerade, dass die Krisen, dass die hohen Kosten, dass die Herausforderungen, vor die jeder in seinem Alltag gestellt ist, dass es da Antworten darauf braucht. Und da müssen wir Grünen auch mit der Zeit und mit den Menschen mitgehen.
Dieterle:
Die Ampelregierung im Bund wird gerade abgestraft, ganz besonders die Grünen. Das liegt unter anderem auch an der Migrationspolitik, an den Vorstellungen der Grünen. Also ein ganz großes gesellschaftliches Problem sehen die Menschen an Stelle eins Migration, Asyl und Ausländer. Und sie haben irgendwie nicht das Gefühl, dass die Grünen darauf die richtigen Antworten geben.
Anders:
Wir Grüne haben den europäischen Kompromiss mitgetragen. Die Bundesregierung ist diesen europäischen Weg mitgegangen. Aus meiner Sicht ist das auch der richtige Weg. Und es gilt jetzt zu überprüfen, wirken denn die Maßnahmen, die wir europäisch beschlossen haben, um die Migration zu begrenzen, um sicherzustellen, dass nur die Menschen ins Land kommen, die tatsächlich auch ein Schutzbedürfnis haben. Und trotzdem gilt es zu gucken, ob neben der Aufnahme dieser Menschen, dass da humanitäre Aspekte weiterhin auch berücksichtigt werden.
Dieterle:
Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Integration. Viele Menschen in den Kommunen vor Ort fühlen sich überlastet, fühlen sich auch im Stich gelassen von der Bundesregierung. Sie selbst engagieren sich ja kommunal. Fühlen Sie sich auch im Stich gelassen?
Anders:
Also auf jeden Fall ist es so, dass die Integration, die ja ein wichtiger Aspekt ist, wenn wir über Migration reden, dass die noch nicht staatlich organisiert ist. Und aus meiner Sicht sollten Landes- und Bundesregierungen genau sich darüber jetzt auch austauschen. Wie können wir Integration organisieren, dass es eben nicht so wie bei uns in unserer Kleinstadt Ehrenamtliche meistern müssen, Räume organisieren, Lehrerinnen und Lehrer für Deutschkurse organisieren, Kinderbetreuung für diese Menschen organisieren. Wenn wir wissen, diese Menschen bleiben hier und das tun sie auch mit den neuen Regelungen der Landesregierung, dann brauchen wir Angebote, die staatlich organisiert sind, sodass diese Menschen schnell Sprache lernen, schnell in Arbeit kommen und sich auch wirklich integrieren können.
Dieterle:
Also da haben Sie durchaus auch Forderungen an die Bundesregierung. Frau Anders, vielen Dank, dass Sie zu diesem Thema heute bei uns waren.
Anders:
Sehr gerne. Vielen Dank!