Wohnungswirtschaft fordert Umdenken beim Wohnungsbau

400.000 neue Wohnungen sollen Jahr für Jahr neu gebaut werden. So steht es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP, die im Bund gemeinsam regieren. Jetzt hat man nach einem Jahr mal gezählt. Ergebnis: Ziel weit verfehlt. Tatsächlich sind im vergangenen Jahr bundesweit nur rund 280.000 Wohnungen neu gebaut worden. Und die Prognose für die kommenden Jahre sieht noch düsterer aus. Doch woran liegt das? Am fehlenden politischen Willen – sagt jetzt der Verband der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft in Wiesbaden und fordert: weniger bürokratische Hürden.

Wer in Hessen oder Rheinland-Pfalz eine Wohnung bauen will, steht schnell vor großen Problemen. Und das nicht nur, weil die Kosten für das Bauvorhaben wegen der hohen Inflation, wegen Lieferengpässen beim Baumaterial und wegen explodierender Preise für Bauland von Monat zu Monat steigen: Oft müssen Bauherren auch länger als ein Jahr auf eine Baugenehmigung warten. Grund: Immer mehr Auflagen – vor allem wegen der steigenden Anforderungen in Sachen Klimaschutz.
Der Verband der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft vertritt die Interessen von rund 200 privaten und öffentlichen Unternehmen der Wohnungswirtschaft in Hessen und Rheinland-Pfalz mit einem Wohnungsbestand von rund 400.000 Wohnungen. Um schnell mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, müsse laut Verbandspräsident Axel Tausendpfund in der Politik endlich ein Umdenken stattfinden: weniger Bürokratie, schnellere Baugenehmigungen, mehr Förderung beim sozialen Wohnungsbau.
Auch bei der Ausweisung von Bauland müssten die Kommunen schleunigst den Turbo einlegen: Denn alleine in Hessen würden in den kommenden Jahren rund 340.000 neue Wohnungen gebraucht.
Unter den heutigen Bedingungen sei dieses Ziel auf keinen Fall zu erreichen.
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Markus Appelmann, Moderator: Und dieses Thema möchten wir vertiefen. Deshalb bin ich jetzt in Wiesbaden verbunden mit Axel Tausendpfund, Vorstand des Verbandes der südwestdeutschen Wohnungswirtschaft. Guten Tag.
Axel Tausendpfund, Vorstand Wohnungswirtschaft südwest: Guten Tag.
Appelmann: Eine der politischen Botschaften im Koalitionsvertrag der Ampelregierung in Berlin: 400.000 Wohnungen sollen pro Jahr entstehen. Warum hat man das nicht geschafft?
Tausendpfund: Nun, davon sind wir weit weg. Dieses Ziel wird in diesem und auch im nächsten Jahr krachend verfehlt werden. Das liegt daran, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt so darstellt, dass wir eigentlich vom perfekten Sturm sprechen. Wir haben ganz stark erhöhte Baukosten, eine Baukostenexplosion. Wir haben Zinsen, die sich in den letzten Monaten vervierfacht haben. Wir haben Baugrundstücke, die exorbitant teuer geworden sind. Wir haben Handwerkerleistungen, die exorbitant teuer geworden sind, also ganz, ganz viele unglückliche Ereignisse, die zusammenkommen. Deswegen das Bild des perfekten Sturms. Und das bedeutet, dass heute deutlich weniger gebaut wird, als eigentlich geplant ist und auch deutlich weniger gebaut wird als das, was auch der Bedarf tatsächlich an Wohnungen ist.
Appelmann: Ganz konkret: Wie ist die Lage bei uns in Hessen und Rheinland-Pfalz?
Tausendpfund: In Hessen und Rheinland Pfalz ist die Lage im Grunde ähnlich wie im Bund. Auch hier ist der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen insbesondere sehr groß. Viele Menschen suchen zunehmend verzweifelt nach einem Zuhause, was für sie und für ihre Familie bezahlbar ist. Aber sie finden es nicht, weil das Angebot eben einfach zu wenig ist und solche Wohnungen zu wenig auf dem Markt sind.
Appelmann: Ist dieses Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr überhaupt realistisch? Und wenn ja, was muss geändert werden, damit es nicht nur auf dem Papier steht, sondern am Ende auch klappt?
Tausendpfund: Das Ziel ist auf jeden Fall richtig, denn das ist jetzt keine Zahl, die aus der Luft gegriffen ist, das ist tatsächlich der Bedarf an Wohnungen, der in Deutschland in den nächsten Jahren entstehen muss, damit die Menschen auch eine Wohnung für sich finden. Deswegen: Die Zahl ist völlig in Ordnung. Und es ist auch richtig, dass das ein politisches Ziel ist.
Sie wird aus den genannten Gründen momentan verfehlt und auf manche von diesen Umständen hat die Politik Einfluss, auf andere nicht. Aber sie hat Einfluss, vor allem im Planungsrecht. Wir haben heute in Deutschland rund 20.000 Bauvorschriften, das ist viermal mehr als im Jahre 1990. Und es wäre schon viel gewonnen, wenn dieses Paragrafendickicht endlich mal gelichtet werden würde. Dann könnten wir nämlich auch schneller, unbürokratischer und günstiger bauen.
Appelmann: Bezahlbarer Wohnraum fehlt. In Ihrem Verband sind ja viele Wohnungsunternehmen organisiert, die Sozialwohnungen anbieten. Auch in diesem Bereich fehlen Wohnungen an allen Ecken und Enden
Tausendpfund: Es gibt derzeit in Hessen rund 80.000 Sozialwohnungen. Das waren mal rund 200.000 Sozialwohnungen in Hessen, also sprich: Die Zahl hat sich deutlich reduziert. Unsere Unternehmen haben rund 80 % alle die Sozialwohnungen, die sie zur Verfügung stellen, also rund 60.000 geförderte Wohnungen, haben diesen Bestand über die letzten Jahre auch gehalten und auch weiter ausgebaut. Hier muss deutlich mehr passieren in der Zukunft.
Die Landesregierung muss dafür sorgen, dass die Mittel, die für den sozialen Wohnungsbau, also für Sozialwohnungen, zur Verfügung gestellt werden, auch tatsächlich abgerufen werden. Das ist in der Vergangenheit viel zu wenig passiert, und deswegen müssen hier dort die Förderkonditionen deutlich verbessert werden, damit auch wieder mehr Sozialwohnungen in Hessen entstehen.
Appelmann: … sagt Axel Tausendpfund, vielen Dank.
Tausendpfund: Sehr gerne, Herr Appelmann.