Wohin schauen wir zuerst?

Jeder von uns achtet bei einem Bild auf etwas anderes, jeder hat seinen eigenen Blick auf die Dinge. Genau diesem Phänomen gehen Forscher der Universität Gießen jetzt genau auf den Grund. „Millionen Augenblicke“ heißt das Projekt – und wir alle können mitmachen.

Täglich werden unsere Augen mit unzähligen Eindrücken konfrontiert; wir müssen sie registrieren, sie bewerten. Dutzende Fotos, die Alltagsszenen widerspiegeln. Ganz schnell hintereinander. Wo soll man da bloß immer als erstes hinschauen?
Dr. Ben de Haas, Wahrnehmungsforscher Universität Gießen
„Man hat den Eindruck, man sieht alles, was vor uns ist, auf einmal. Aber das ist eine Täuschung. In Wirklichkeit ist es so, dass jeder einzelne Augenblick nur einen ganz kleinen Teil der Szene vor uns wirklich klar auflösen kann. Das liegt daran, wie die Netzhaut aufgebaut ist: Wir haben viel mehr Lichtrezeptoren am Punkt des schärfsten Sehens als in der Peripherie. Und unser Gehirn geht damit so um, dass es die Augen ständig springen lässt.“
Um diese Augenbewegungen zu messen, haben Dr. Ben de Haas und sein Doktorand Marcel Linka eine Art Passfoto-Box aufgestellt. Nicht in einem sterilen Universitäts-Labor, sondern hier, im Mitmach-Museum ‚Mathematikum‘ in Gießen. Die Forscher erhoffen sich so, dass möglichst viele Besucher teilnehmen, von ganz jung bis ganz alt. Vor allem ganz viele sollen es sein. Angepeilt sind 10.000 Probanden, die die Grundlage bilden für den größten Datensatz der Welt über menschliche Augenbewegungen. Millionen Augenblicke eben.
Marcel Linka, Doktorand Universität Gießen
„Die Eye-Tracking-Kamera befindet sich genau unter dem Bildschirm. Das ist hier diese schwarze Leiste. Die scheint ein schwaches Infrarotlicht auf meine Augen jetzt gerade und fängt dann die Reflektionen der Augen ein. Und berechnet, okay … wo in dem Bild hab ich jetzt gerade hin geguckt … und erfasst das dann. Genauso wie auch die Dauer, die wird auch gemessen die ganze Zeit. Wo gucke ich wann hin?“
Dabei ergeben sich je nach Betrachter ganz unterschiedliche Blickmuster. Manche Menschen interessiert eher die Umgebung, andere schauen sich Personen genauer an. Insgesamt fünf Minuten dauert das Ganze. Am Ende erfährt der Teilnehmer direkt schon, was für ein ‚Guck-Typ‘ man ist und wie man sich von allen bisherigen Betrachtern unterscheidet. Viel mehr als bloße Spielerei, sollen die Ergebnisse später zum Beispiel Aufschlüsse über zukünftige Behandlungen von Patienten geben.
Ben de Haas, Wahrnehmungsforscher Universität Gießen
„Wenn wir verstehen, wie und warum sich Augenbewegungen zwischen Menschen unterscheiden, dass wir dieses Wissen dann nutzen können für die Diagnostik, um früher und besser zum Beispiel neurologische Erkrankungen oder Entwicklungsstörungen erkennen zu können, mithilfe von solchen Blickbewegungskameras.“
Wie heißt es so schön: Gucken kostet nichts. Millionen Augenblicke – im Dienste der Wissenschaft. Hier im Mathematikum in Gießen – täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.