Wieder mehr Flüchtlinge – im Interview: Landrat Thorsten Stolz

Angesichts steigender Flüchtlingszahlen will der Bund ihm gehörende Immobilien für die Unterbringung von 4.000 Geflüchteten zur Verfügung stellen. Das hat heute Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach einem Spitzengespräch mit Vertretern von Ländern und Kommunen in Berlin angekündigt.

Die Kontrollen an der Grenze zwischen Österreich und Bayern würden über den November hinaus verlängert. Außerdem werde die Bundesregierung Serbien auffordern, die Zahl der durchreisenden Flüchtlinge zu reduzieren. Finanzielle Zusagen machte Faeser hingegen nicht, obwohl der hessische Innenminister Peter Beuth zuvor vom Bund konkrete Zusagen für die Kommunen gefordert hatte.
Eva Dieterle, Moderatorin: Viele Städte und Gemeinden stießen bereits jetzt an ihre Leistungsgrenze. Wie schwierig die Lage in den Kommunen aktuell ist, darüber spreche ich jetzt mit Thorsten Stolz, dem Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Guten Tag
Thorsten Stolz, SPD, Landrat Main-Kinzig-Kreis: Guten Tag, Frau Dieterle.
Dieterle: . Herr Stolz, auf wie viele Flüchtlinge waren Sie in diesem Jahr vorbereitet und wie viele kommen tatsächlich?
Stolz: Ja, da muss ich zunächst mal kurz zurückblicken und zwar in den November 2021. Da haben wir durch das Land Hessen mitgeteilt bekommen, dass wir uns als Landkreis mit unseren Städten und Gemeinden auf ungefähr 1.800 bis 2.000 Flüchtlinge bzw. Asylbewerber für das Jahr 2022 einstellen müssen. Darauf haben wir uns natürlich auch vorbereitet und jetzt, glaube ich, verrate ich Ihnen kein Geheimnis: Seit dem 24. Februar 2022 ist eben die Welt eine andere. Es sind unglaublich viele Menschen aus der Ukraine natürlich auch zu uns nach Deutschland, nach Hessen, hier in den Main-Kinzig-Kreis geflüchtet. Und die Realität ist die, dass wir deutlich über diesen 1.800 bis 2.000 Geflüchteten bzw. Asylbewerbern liegen. Alleine Flüchtlinge aus der Ukraine hatten wir zeitweise bei uns hier im Main-Kinzig-Kreis weit über 6.000 Menschen, die aus der Ukraine zu uns in den Landkreis gekommen sind.
Aktuell leben tatsächlich noch etwas über 5.000 Menschen zwischen Maintal und Sinntal hier bei uns im Main-Kinzig-Kreis, die aus der Ukraine stammen. Und parallel dazu gibt es ja auch weiterhin die regulären Asylbewerber, die sogenannten Drittstaatler, die auch hier zu uns nach Deutschland, nach Hessen und somit auch in den Main-Kinzig-Kreis kommen, zugewiesen werden. Das sind momentan nach wie vor auch mindestens mal 1.200 Menschen, die wir hier auch unterbringen und auch versorgen müssen.
Also daran wird deutlich, ein Vielfaches dessen, was wir ja eigentlich auch als Landkreis geplant hatten und wo wir darauf vorbereitet waren. Und dann kann sich jeder ausmalen, dass das eine unglaublich große Kraftanstrengung bedeutet in logistischer, organisatorischer, personeller, aber eben auch finanzieller Hinsicht.
Dieterle: Gibt es für diese Flüchtlinge genügend regulären Wohnraum. Oder wie bringen Sie sie unter?
Stolz: Das ist ja momentan unser ganz großes Problem. Es gibt nicht mehr ausreichend Wohnraum auf dem privaten Wohnungsmarkt, der uns in irgendeiner Form zur Verfügung stehen würde.Das hat am Anfang der ersten größeren Flüchtlingswelle aus der Ukraine noch einigermaßen funktioniert. Da konnten wirklich viele Menschen, die geflohen sind aus der Ukraine, auch im privaten Wohnumfeld untergebracht werden.
Wir haben auch beispielsweise Gemeinschaftsunterkünfte angemietet, um dort Menschen unterzubringen. Aber gerade auch in den letzten Wochen wird es zusehends einfach auch schwieriger. Die Kapazitäten reichen nicht mehr aus. Wir reden mittlerweile einfach auch davon, Menschen nicht mehr in normalen regulären Wohnraum unterzubringen, sondern tatsächlich in Notunterkünften.
Dieterle: Eine Unterbringung der Flüchtlinge in Sporthallen oder Kulturhallen ist nicht möglich?
Stolz: Das ist bei uns schon Realität. Das ist hier ganz konkret bei uns im Main-Kinzig-Kreis schon Realität. Wir haben die Situation, dass derzeit vier Großsport- bzw. Kulturhallen tatsächlich im Main -Kinzig-Kreis belegt sind als Notunterkünfte, beispielsweise in Birstein, in Wächtersbach, in Langenselbold oder in Hanau-Mittelbuchen.
Dieterle: Die Bundesregierung hat für die Ukraine-Flüchtlinge 2 Milliarden Euro bereitgestellt. Das Geld müsste Ihnen doch eigentlich helfen?
Stolz: Dem Grunde nach würde das Geld auch weiter helfen. Nur jetzt kommt auch wieder die Realität dazu. Ich war sehr dankbar, dass die Bundesregierung sehr kurzfristig auch diese 2 Milliarden zur Verfügung gestellt hat, die ja wirklich dazu dienen, auf Ebene der Landkreise, der kreisfreien Städte und der Städte und Gemeinden auch die Mehraufwendungen auch zu finanzieren. So, jetzt kommt das große Aber.
Das Bundesland Hessen hat von diesen 2 Milliarden € 150 Millionen € bekommen und bis zum heutigen Tage sind diese 150 Millionen € noch nicht an die kommunale Familie weitergeleitet worden. Und das sage ich auch als Landrat, als 100 % kommunalpolitisch Verantwortlicher: Das ist eine Riesensauerei. Das ist eine Riesensauerei. Wir werden hier wirklich wie die Bittsteller einfach auch behandelt.
Dieterle: Herr Stolz, vielen Dank für das Interview.
Stolz: Ganz herzlichen Dank, Frau Dieterle.